„Als Vater bin ich verletzlich“

Die Drogenschicksale gehen ihm nah und selbst wenn er frei hat, sieht er Dealer: ein Drogenfahnder spricht über die Schwierigkeit sich abzugrenzen

Die Illustration zeigt einen Mann umgeben von Baustellen-Abgrenzungen und Betonabsperrungen
Er liebt seinen Job als Drogenfahnder – seine Familie will er von alledem unbedingt fernhalten. © Luisa Stömer für Psychologie Heute

Drogen zu finden kann eine regelrechte Sucht sein, ich erlebe das aber als positiv. Wenn ich mich in eine Suche verbissen habe, kommt es schon mal vor, dass ich auch im Urlaub dienstliche Fotos und Daten auswerte, ich kann dann nicht lockerlassen.

Überwachen, observieren, kontrollieren

Seit 15 Jahren fahnde ich nach Drogen, inzwischen bin ich Hauptkommissar. Vom Schreibtisch aus versuche ich, Drogenringe ausfindig zu machen, ihre Strukturen zu verstehen, etwa durch die Auswertung von Chatprotokollen auf konfiszierten Handys. Auf der Straße observiere ich zum Beispiel Dealer an der Straßenecke. Oder ich kontrolliere verdächtige Fahrzeuge, denn zunehmend wird der Stoff mit sogenannten Drogentaxis transportiert, also im Auto, per Fahrrad oder Roller.

Manchmal liege ich stundenlang in einem Versteck und warte auf eine Drogenübergabe. Im Sommer wird es oft richtig heiß, ich muss darauf achten, genug zu trinken, und halte mir einen Handventilator vors Gesicht, um nicht zu kollabieren. Auch im Winter bin ich stundenlang draußen, das kann übel kalt werden.

Kleinerdealer nicht von oben herab behandeln

Der Ruf, den man als Fahnder in der Drogenszene hat, ist sehr wichtig. Ich versuche, ein guter Bulle zu sein, die Kleindealer wie Menschen zu behandeln und nicht von oben herab – sonst würden sie mir auch nichts über Drogenbanden oder Großdealer erzählen. Einige kenne ich mittlerweile persönlich, das sind Wiederholungstäter oder auch Konsumenten, die harten Stoff wie Heroin bei sich tragen. Inzwischen kennen auch viele Leute aus der Szene mich. Gelegentlich observieren wir uns gegenseitig.

Kleindealer sind meist arm dran und selbst abhängig. Manchmal rede ich zwei Stunden mit jemandem und fühle mich wie ein Sozialarbeiter. Ich hole ihm schon mal einen Kaffee und ein Brötchen. Viele fangen früh mit dem Dealen an. Einer, den ich kannte, war schon mit 15 in der Szene, hat Heroin verkauft und ist dann abhängig geworden. Drei Jahre musste er ins Gefängnis, danach habe ich ihn auf der Straße getroffen und mich erkundigt, wie es ihm geht. Er meinte, das habe ihn noch nie ein Bulle gefragt. Ich war mir sicher, dass er bald wieder anfängt zu dealen. Und so kam es auch.

Ein anderes Mal hatte ich mit einer Frau zu tun, die anschaffen ging, um ihren Stoff zu bezahlen. Ihre Mutter war heroinabhängig gewesen und hat sich den goldenen Schuss gegeben, als die Tochter drei Jahre alt war. Das Mädchen fand sie tot im Gebüsch, die Spritze hatte die Mutter noch im Arm stecken.

Der Dealer sah mich mit Baby

Wenn ich solche Elendsgeschichten höre, muss ich ganz schön schlucken. Ich bin nicht der hartgesottene Typ, kann mir die harte Schale nicht antrainieren. Manchmal bekomme ich Probleme mit dem Magen, wenn mich ein Fall besonders berührt. In Hamburg kenne ich mittlerweile jede öffentliche Toilette.

Einigen Kollegen geht es genauso, das weiß ich. Trotzdem sprechen wir selten über das, was wir erleben. Ich fresse das meist in mich hinein, weil ich denke, es gehört nun mal zum Job. Ich mache einfach mit der Arbeit weiter, ziehe mich höchstens in mein Büro zurück. Es hilft mir, dass ich inzwischen mehr Schreibtischarbeit habe. Auch zu Hause erzähle ich nichts oder erst Tage oder Wochen später, wenn ich die Geschichten selbst verarbeitet habe. Ich will meine Frau und unsere beiden Kinder nicht belasten. Am Abendbrottisch soll es harmonisch sein.

Bestimmte Viertel meiden, privat keine öffentlichen Verkehrsmittel

Mein Privatleben möchte ich so gut wie möglich abschotten, auch nach außen. In bestimmte Viertel in Hamburg, in denen viel gedealt wird, würde ich deshalb mit meiner Familie niemals gehen. Wir nutzen auch keine öffentlichen Verkehrsmittel, sondern fahren Auto. Als Drogenfahnder auf der Straße bin ich sichtbar, das gehört zum Job. Viele Dealer kennen mich mittlerweile, manche grüßen mich sogar. Wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin, möchte ich möglichst wenig sichtbar sein. Drogensüchtige und Dealer sollen auf keinen Fall wissen, wie meine Kinder aussehen.

Trotzdem passiert es. Als meine Tochter gerade geboren war und ich das Baby vor unserem Haus in den Autositz hievte, kam ein Dealer vorbei, der mich kannte. Er sprach mich an, interessierte sich dafür, wo ich wohne, welches Auto ich fahre, dass ich ein Baby habe. Das fühlte sich besonders schlimm an, weil unser Kind noch so klein war. Es war wie ein Einbruch in mein Innerstes. Als er weg war, habe ich versucht, die Begegnung aus meinem Kopf zu verbannen, aber das ist mir nur begrenzt gelungen.

„Wie geht es deinen Kindern?“

Einmal hat mich ein Dealer, der stinkig auf mich war, weil ich zu seiner Verhaftung beigetragen hatte, gefragt, wie es meinen Kindern gehe. Vielleicht hat er das nur so gesagt, ohne zu wissen, ob ich überhaupt Kinder habe. Aber vielleicht hat er mich auch mit ihnen gesehen. Ein anderer Dealer hat beobachtet, wie ich einen Kinderwagen schob, und dann ganz ungeniert in den Wagen geschaut. Das war jedes Mal ein sehr ungeiles Gefühl. In meinen schlimmsten Fantasien male ich mir aus, dass jemand meinen Kindern etwas antut. Als Vater bin ich verletzlich.

Aber Aufgeben kommt nicht infrage. Ich bin mit Herz und Seele dabei. Ich mag die Aufregung, das Adrenalin. Oft muss ich wochenlang recherchieren, um eine Wohnung zu finden, in der Stoff gebunkert ist. Wenn wir dann dorthin fahren, mit gezogener Pistole die Wohnung betreten und große Mengen von Heroin und Kokain sicherstellen, ist das für mich ein Wahnsinnsmoment. Da werden Unmengen von Endorphinen ausgeschüttet, ich fühle mich wie ein Kleinkind, das Geburtstag und Weihnachten an einem Tag hat. Ich bin stressglücklich. Logisch, dass ich nach so einem Tag abends nicht einschlafen kann.

Das gute Gefühl liegt nicht nur an unserem Erfolg, sondern auch daran, dass ich weiß: Diese Drogen werden niemandem mehr schaden. Ich will unbedingt den gefährlichen Stoff aus dem Verkehr ziehen, der Menschen abhängig macht und ihnen das Genick bricht.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie außerdem den psychologischen Hintergrund zu Abgrenzung von Beruf und Privaten in Sich Abgrenzen im Beruf.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2025: Mit schwierigen Menschen leichter leben
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