An meinem ersten Tag in der Küche haben mich die Köche ausgelacht. „Ist das immer so anstrengend? Muss man immer so lange stehen?“, hatte ich gefragt. Es war für mich total unverständlich. Aber das Kochen hat mich gepackt. Zum ersten Mal war ich gut in etwas, bekam Anerkennung. Die Leute waren zufrieden mit mir! Das kannte ich nicht.
Ich komme aus einem schwierigen Elternhaus: Vater früh gestorben, Mutter viel unterwegs. Manchmal war sie zwei Tage lang feiern, aber ich war trotzdem ein Kind, das Hunger hatte. Also habe ich angefangen, für mich selbst zu kochen. Nach der Schulzeit habe ich mich bei dem Hotel im Ort beworben. Von diesem Nobelschuppen ging es weiter in andere Küchen, ich habe immer den nächsten Kick gesucht.
An die Arbeitsbedingungen habe ich mich schnell gewöhnt. Ein typischer Tag sieht so aus: Ich wache auf, sehe aufs Handy. Drei neue Nachrichten. Ärger, weil ich gestern etwas vergessen habe. Vielleicht die Pannacotta vorzubereiten. Schon bin ich gestresst, mein Puls steigt. Im Bad kotze ich erst mal ins Waschbecken: Magenschleimhautentzündung. Auf dem Weg zur Arbeit fahren die Autos vor mir langsam und ich drehe durch. Wenn ich ankomme, bin ich schon durchgeschwitzt. Um kurz vor drei habe ich immer noch nichts gegessen, kippe mir Kaffee, Cola oder Energiedrink rein. Nachmittags habe ich eine Stunde frei, hole mir eine Pizza und lege mich kurz aufs Sofa, bevor der Abendservice beginnt.
Schneller, schneller, schneller ohne Pausen
Sobald der Bondrucker losrattert, schalte ich in einen anderen Modus. Jetzt gibt es nur noch: schneller, schneller, schneller. Jemand schreit. Jemand weint. Stundenlanges Stehen, Lasten heben, 40 Grad Hitze in der Küche, zwischendrin ins Kühlhaus, Minusgrade. Der letzte Gast isst um zehn, danach muss noch die Küche saubergemacht werden. Pausen gibt es nicht.
Man bereitet Essen für andere Menschen zu und darf selbst nicht essen. Absurd! Aber wenn du in diesem System drin bist, akzeptierst du es. Du bist wie in Trance. Vielleicht auch weil du mit dem Otto Normalverbraucher nichts mehr zu tun hast. Meine jeweilige Freundin fand es anfangs immer toll, dass ich Koch bin, bis sie erlebt hat, was das bedeutet. Ich bin immer weg: abends, am Wochenende, Weihnachten, Silvester. In der Gastro bist du eingekapselt. Das gibt Probleme zu Hause, also willst du nicht mehr zu Hause sein und arbeitest noch mehr.
Fastfood fürs Glücksgefühl
Dazu kommt der Zusammenhalt im Team. Die Leute in der Küche waren für mich wie eine Familie. Ich habe versucht, so viel wie möglich zu arbeiten, damit mein Chef stolz auf mich ist, und ich wollte dieses Lob. Unbedingt! Außerdem ist das Business so knapp kalkuliert, dass du weißt: Wenn ich nicht zur Arbeit komme, stecken meine Kollegen in der Scheiße.
Die Küche kann ein soziales Auffangbecken sein. Dort arbeiten Schulabbrecher, ehemalige Häftlinge, Geflüchtete – egal. Es geht nur darum, gut zu sein, und wenn du gut bist, kannst du es bis ganz nach oben schaffen. Bis zu den Promis. Für mich war das ein Ansporn. Ich koche Karotten und kann dafür vom Uli Hoeneß 300 Euro verlangen.
Ich selbst habe nach der Arbeit Fastfood gegessen. Das war meine Belohnung, mein Glücksgefühl. Wir sind ja alle nachts noch ausgegangen. Keiner wollte nach Hause oder zumindest nicht allein. Die Arbeitsbedingungen sind so, dass man nach jeder Schicht das Gefühl hat, etwas geschafft zu haben und sich belohnen zu müssen. Den ganzen Tag musste man spuren wie beim Militär. Jetzt will man noch etwas vom Leben haben, etwas fühlen. Obwohl man schon total fertig ist, geht man feiern.
Arbeiten bis der Körper streikt – und weiter
Ich habe mein Hirn so lange überfordert, bis das Notaus kam. Ich war Küchendirektor, verantwortlich für zwei Küchen, eine davon in einem neuen Restaurant, das sofort beliebt war. Für mich war es wie ein Rockstarfilm: Die Zeitung rief an, wir haben PR-Videos gemacht. Es war geil, wir waren geil, wir starteten durch.
Aber mir fehlten Leute. 20 hatte ich, 40 hätte ich gebraucht. Also habe ich versucht, das aufzufangen, habe sechseinhalb Tage die Woche gearbeitet, 400 Stunden im Monat. Arbeiten, Party machen, ein oder zwei Stunden schlafen, weiter. Morgens bin ich auf allen vieren in die Küche gekrabbelt, um Schmerztabletten zu nehmen. Erst danach konnte ich mich aufrichten. Zum Frühstück gab es Blutverdünner und Vitamine, gegessen habe ich kaum noch.
Eines Morgens wollte ich aufstehen und bin wieder zurück aufs Bett gekippt. Mein ganzer Körper war steif wie ein Brett, krampfte. Als der Rettungswagen kam, mussten mich drei Leute die Treppe hinuntertragen, vor Schmerzen habe ich die komplette Nachbarschaft zusammengeschrien. Ich konnte kaum sprechen, trotzdem war mein einziger Gedanke: Wo ist mein Handy? Ich muss meine Schicht absagen.
Eine Woche war ich im Krankenhaus, drei Monate sollte ich nicht arbeiten. Ab Weihnachten bin ich trotzdem wieder zur Arbeit gegangen, krankgeschrieben und vollgepumpt mit Schmerzmitteln, weil ich wusste: Ohne mich schaffen es die Jungs nicht. Und weil ich Silvester wenigstens etwas mit ihnen trinken gehen wollte. Aber es war klar: Wenn ich so weitermache, lande ich im Rollstuhl.
Zum ersten Mal Urlaub mit 29
Also habe ich mit 29 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben Urlaub gemacht. Meine damalige Freundin und ich sind acht Wochen mit einem Van durch mehrere Länder gefahren. Es war der Hammer! Ich habe gesehen, dass es eine Welt da draußen gibt, und die ist nicht nur für Reiche. Das war der Anfang. Als dann meine Mutter krank wurde und meine Freundin Schluss machte, habe ich eine Therapie angefangen, um diese ganzen Traumata aus der Kindheit aufzuarbeiten, diese Unzufriedenheit mit mir und dem Leben.
Inzwischen gehe ich zur Entspannung wandern. Die Natur gibt mir die komplette Ruhe. Ich bin Küchendirektor in einem Hotel, das bedeutet mehr Koordination als Kochen. Ich arbeite acht Stunden pro Tag und es fühlt sich an wie Teilzeit. Ich habe Pausen und gebe sie auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es gibt feste Essenszeiten. Wer krank ist, bleibt zu Hause. Das gefällt mir. Aber mir fehlt die Herausforderung. Meine Kündigung habe ich schon eingereicht.
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