„Die Frauen erleben absoluten Kontrollverlust“

Frauen, die häusliche Gewalt erleben, brauchen Menschen, die ihnen zur Seite stehen. Katja Grieger zeigt, wie man Warnsignale erkennt und helfen kann.

Svenja Becks, die ihren gewaltvollen Partner verlassen hat, begleitet ihren Sohn zum Fußballspiel und klatscht Applaus und lacht dabei
Svenja Beck ist Bloggerin. Nachdem sie selbst jahrelang Missbrauch erlebt hat, möchte sie anderen Frauen helfen. © Sina Niemeyer für Psychologie Heute

Ein Gespräch über Warnsignale, gute Hilfe und die Verantwortung des Staates beim Thema häusliche Gewalt mit Psychologin Katja Grieger:

Frau Grieger, Gewalt in der Partnerschaft wird oft verschwiegen. Woran erkennen Freundinnen oder Angehörige, dass etwas nicht in Ordnung ist?

Den Tätern geht es in der Regel um Macht und Kontrolle. Sie isolieren ihre Partnerin, oft unter dem Vorwand der Liebe. Sie sagen zum Beispiel: „Ich finde es blöd, wenn du weggehst, es ist doch so schön, wenn wir zusammen sind!“ Sukzessive verbringen die Frauen immer weniger Zeit mit anderen Menschen. Wenn eine Freundin nicht mehr zu Treffen kommt und komische Ausreden hat, dann ist das ein Warnsignal. Wenn sie plötzlich kein Geld mehr ausgibt und dafür Entschuldigungen findet, kann das ein Hinweis sein, dass sie keine Kontrolle mehr über ihr Geld hat.

Wie spreche ich es an, wenn ich einen Verdacht habe?

Ich-Botschaften sind gut: „Ich sehe Veränderungen an dir, die mir Sorgen machen. Ich frage mich, ob in deiner Beziehung alles in Ordnung ist. Ich habe neulich einen Film gesehen, in dem es um häusliche Gewalt ging, und überlege, ob du vielleicht auch betroffen bist.“ Gut ist immer, Hilfe anzubieten: „Ich bin an deiner Seite, wenn du reden möchtest!“

Was lässt man besser?

Sehr wichtig ist, keinen Druck auszuüben. Viele Frauen schweigen aus Furcht vor dem, was passiert, wenn sie von der Gewalt erzählen. Oft kommt die Frage, warum sie nicht gehen, und dann haben sie das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Sie sorgen sich, dass ihr Umfeld aktiv wird und über den eigenen Kopf hinweg die Polizei einschaltet. Die Frauen erleben in ihrer Beziehung absoluten Kontrollverlust, sie möchten wenigstens die Kontrolle über ihre Geschichte behalten.

Wie können Freunde oder Angehörige sinnvoll unterstützen?

Das können banale Sachen sein, etwa dass man die Kinder für zwei Stunden betreut. Die Frauen tragen häufig die komplette Care-Arbeit und haben kaum Freiräume. Schon die Möglichkeit, sich für ein Stündchen in ein Café zu setzen, kann für sie eine Entlastung sein. Außerdem kann man anbieten, Informationen zu sammeln und herauszufinden, an welche Beratungsstellen man sich wenden kann. Diese beraten auch Angehörige, die sich Sorgen machen.

Wie hält man es aus, wenn die Freundin in der Beziehung bleibt und die Gewalt weitergeht?

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Gewalt automatisch endet, wenn sie sich trennt. Wir erleben immer wieder, wie die Gewalt bei Trennungsversuchen eskaliert. Das kann sehr gefährlich werden. Deshalb empfehle ich, allein oder mit der Freundin zu einer Beratungsstelle zu gehen. Die Fachleute nehmen eine Gefährdungseinschätzung vor. Hat der Mann Zugang zu Waffen? Gab es Angriffe auf den Hals, also Warnzeichen für einen Tötungsversuch? Es ist toll, wenn Freundinnen und Freunde solidarisch sind und helfen. Aber es ist die Verantwortung des Staates, die Frauen zu schützen, indem beispielsweise spezialisierte Schutzmaßnahmen finanziert werden.

Katja Grieger ist Geschäftsführerin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und ­Frauennotrufe – Frauen ­gegen Gewalt e.V.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie auch, wieso die Trennung trotz häuslicher Gewaltvorfälle Frauen so schwer fällt in Geh doch! – Trennung bei häuslicher Gewalt.

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