„Kostenloser Workshop zur Persönlichkeitsentwicklung“

Was tun, wenn uns gerade ­der Partner enttäuscht? Dr. Ilka Hoffmann-Bisinger über Offenheit, Selbstreflexion und Rituale gegen Endlosschleifen

Die Illustration zeigt ein Paar auf einem Sofa mit Schmetterlingen, die davon fliegen
Liebe ohne Enttäuschung? Gibt es nicht. Doch wir können etwas tun, damit die Liebe nicht verfliegt. © Orlando Hoetzel für Psychologie Heute

Eine Liebe ohne Enttäuschung: Gibt’s die nur im Kino?

Ja, denn im wirklichen Leben geht es nach dem Abspann weiter. In der ­ersten Phase einer Beziehung zeigen sich ­beide hauptsächlich von der positiven Seite, betonen das Verbindende, klammern das Trennende aus. Dadurch entsteht dann das Gefühl: Alles passt, wir sind ein Herz und eine Seele.

Aber diese gefühlte Symbiose kann so nicht bleiben?

Nein, denn wir pendeln immer zwischen dem Bedürfnis nach Bindung und Autonomie, und es ist gar nicht möglich, dass…

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wir pendeln immer zwischen dem Bedürfnis nach Bindung und Autonomie, und es ist gar nicht möglich, dass beide dauerhaft auf Bindung gepolt sind.

Weil beiden klar wird, dass sie unterschiedliche Bedürfnisse nach Bindung und Autonomie haben?

Das kann ein Problem sein, wenn beide Seiten einen unsicher-ambivalenten Bindungsstil haben und sich miteinander verstricken. So dass die eine mehr die Nähe betont, der andere mehr die Distanz, obwohl beide dasselbe Muster haben. In dem Fall spricht man von Kollusion. Aber die meisten Paare sind sich durchaus ähnlich in ihrem Bedürfnis nach Bindung und nach Autonomie, sonst hätte es zwischen den beiden auch nicht geklickt. Und dann wird es zur gemeinsamen Herausforderung, wenn die allererste Zeit der bedingungslosen Verbundenheit zu Ende geht.

Der Abschied von diesem Ideal kann enttäuschend sein.

Ja, aber auch ganz gesund. Denn in der Anfangsphase verhalten sich Partner oft nicht authentisch, sind sich selbst nicht treu, um den anderen glücklich zu machen. Sei es sexuell, sei es bei der Wahl eines Reiseziels. Es ist also ein reifer Schritt, mehr von sich selbst zu zeigen. Die langfristige Qualität einer Beziehung hängt davon ab, dass beide akzeptieren können, dass es überhaupt Unterschiede gibt. Den anderen so sein lassen können, sich selbst nicht verlieren. Jetzt zeigt sich eine Kernkompetenz…

Und zwar?

Kommunikation. Es gibt ja nicht nur diese anfängliche Hürde, dass man von Wolke sieben herunter und im Alltag ankommt. Es wird immer wieder passieren, dass Bedürfnisse unterschiedlich sind, sich auch verändern: in der Sexualität, in der Frage, wie man seine Finanzen regelt oder Care-Arbeit übernimmt, in der Kindererziehung.

Lauert die Enttäuschung also immer da, wo man Neuland betritt: Gemeinsame Wohnung, Eltern werden oder später im Leben, wenn Kinder das Haus ­verlassen?

Ja, so kann man das sagen. Biografische Übergänge machen wie unter der Lupe die Schwachstellen einer Paarbeziehung sichtbar, und gleichzeitig zeigen sie, wie man künftig miteinander wachsen kann. Läuft die Alltagsroutine so vor sich hin, kann man diese Schwachstellen und Unterschiede meist noch gut kompensieren, etwa wenn beide viel arbeiten. Aber irgendwann kommt ein Punkt, da wird das unmöglich.

Weil sich dann verschiedene Bedürfnisse nicht mehr wegdiskutieren lassen?

Die Unterschiede erzeugen Spannung, diese Spannung macht Angst, und das will ein Paar so schnell wie möglich auflösen. Aber es gibt Situationen, da geht das nicht so leicht, weil kein Kompromiss möglich ist – etwa in der Frage, ob man gemeinsam Kinder möchte. Die Kunst ist dann, den eigenen Standpunkt zu formulieren, aber auch Selbstreflexion ist wichtig: Was ist mein tieferliegendes Bedürfnis?

Beim Thema Kinderwunsch ist das Bedürfnis doch klar?

Vordergründig schon, aber es lohnt sich, tiefer zu gehen: Wenn zum Beispiel sie ein Kind möchte und er nicht, kann das auch daran liegen, dass er sich als ­potenzieller Vater instrumentalisiert fühlt. Oder den Verlust seiner Autonomie fürchtet. Aber auch bei weniger tiefgreifenden Entscheidungen ist es wichtig zu verstehen: Was steckt bei mir dahinter? Für was steht das gerade?

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ich habe mit einem Paar gearbeitet, das sich an einer vermeintlich recht simplen Frage die Zähne ausgebissen hatte: Er wünschte sich ein gemeinsames Bankkonto, sie nicht. Gemeinsam haben wir herausgearbeitet, dass bei ihm ein Bedürfnis nach Verbindung dahintersteht und bei ihr nach Anerkennung, dass sie finanziell mehr in das Zusammenleben einbringt. Diese Bedürfnisse zu formulieren und gegenseitig zu respektieren bringt Menschen der Lösung näher.

Gibt es in heterosexuellen Beziehungen eigentlich so etwas wie typische Enttäuschungen für Frauen und für Männer?

Frauen sind eher enttäuscht, wo es um die Emotionsebene geht: Weil sie sich nicht gesehen fühlen, nicht genügend austauschen können und sich in wichtigen Lebenssituationen allein gelassen ­erleben. Thema mental load. Männer reagieren vor allem empfindlich, wenn sie sich zu sehr kritisiert fühlen, wenn die Partnerin zu viel von ihnen erwartet, etwa einen bestimmten Erfolg im Beruf. Aber auch wenn Sexualität und Körperlichkeit nicht akzeptiert werden als eine Form, Liebe und Zuneigung auszudrücken.

Was ist mit bestimmten Erwartungen, inneren Bildern? Etwa wie erfüllte Sexualität aussehen sollte, der perfekte Heiratsantrag, eine Feier?

Enttäuschung lauert immer dort, wo die eigene Vorstellung und die Realität aufeinanderprallen – wenn ich etwa erwarte, dass man in einer glücklichen Beziehung fünfmal pro Woche miteinander schläft oder mein Partner mir zur Geburt eines Kindes ein wertvolles Schmuckstück schenkt. Viele dieser ­Bilder sind geprägt von unseren Herkunftsfamilien, andere durch Social Media. Es ist viel gewonnen, wenn wir weniger erwarten und eher neugierig und unvoreingenommen wahrnehmen, wie der Partner, die Partnerin mit etwas umgeht.

Also: besser gar keine Erwartungen haben, um nicht enttäuscht zu werden?

Das nicht. Aber offen zu sein: Wenn die eigene Erwartung sich nicht erfüllt, sie auch loslassen zu können und zu schauen, was stattdessen funktioniert.

Gar nicht so leicht. Wenn nun die eine Seite schwer enttäuscht ist, etwa weil sie sich permanent übersehen fühlt oder beispielsweise durch einen sexuellen Betrug: Wie lässt sich das heilen?

Auch hier ist der erste Schritt, die Verletzung zu kommunizieren beziehungsweise sie nicht abzuwehren, sondern anzuerkennen. Sonst drehen sich der Vorwurf und die Abwehr im Kreis. Der nächste Schritt wäre ein Wiedergutmachungsritual: Die enttäuschte Person formuliert, was sie braucht, um die Enttäuschung loslassen zu können. Das kann eine gemeinsame Reise zu zweit sein oder zumindest eine Aktivität, an der beide Freude haben. Teil der Vereinbarung ist, dass danach Schluss ist mit Vorwürfen, dem anderen gegenüber wie auch sich selbst. Damit das Paar wieder gemeinsam nach vorn blicken kann. Das funktioniert aber erst, wenn beide Seiten dazu wirklich bereit sind.

Es gibt auch Enttäuschungen, die sind so schwer, dass die Partnerschaft zerbricht. Wie vermeide ich, dass ich dieses Misstrauen in die nächste Beziehung trage?

In dem ich mir klarmache, was mein Anteil an der Paardynamik war. Wenn mein Partner fremdgegangen ist, dann ist er dafür verantwortlich – aber für die Dynamik zwischen uns, die mit dazu geführt hat, bin ich es auch. Wer nicht bereit ist, seinen eigenen Anteil anzuerkennen, bleibt in der Opferrolle ­stecken, das erschwert das Loslassen und die Offenheit für eine neue Partnerschaft. Wenn man so will, ist eine Enttäuschung ein kostenloser Workshop zur Persönlichkeitsentwicklung.

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Ilka Hoffmann-Bisinger ist promovierte Psychologin, systemische Therapeutin, Gründerin und ­Leiterin des „iska-berlin – institut für systemische kurztherapie, beratung und ausbildung“. Sie arbeitet mit ­Einzelpersonen, Paaren und Organisationen und Institutionen.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2025: Drüber wegkommen