Die historische Zahl: 1974

Psychologieklassiker: Suggestivfragen können Zeugenaussagen im Verhör verfälschen. Das konnte Elizabeth Loftus in ihrem wegweisenden Experiment zeigen.

Die Illustration zeigt die Psychologin Elizabeth Loftus
Elizabeth F. Loftus hat zahlreiche bahnbrechende Experimente zum menschlichen Gedächtnis durchgeführt. © Tim Möller- Kaya für Psychologie Heute

Elizabeth Loftus manipuliert Erinnerungen durch Suggestivfragen. Zeugenaussagen sind bekanntlich nicht sehr zuverlässig. Was erschwerend hinzukommt: Die Erinnerungen an das zu bezeugende Geschehen sind mit Suggestivfragen, etwa auf der Polizeiwache oder vor Gericht, manipulierbar. Dies hat die Psychologin Elisabeth Loftus mit ihrem Kollegen John Palmer 1974 in einem wegweisenden Experiment demonstriert.

45 Testpersonen wurden kurze Filmausschnitte vorgeführt, die Auffahrunfälle zweier Autos zeigten. Anschließend wurde ihnen – versteckt in einem langen Fragebogen – eine entscheidende Frage gestellt: „Wie schnell in etwa waren die beiden Fahrzeuge, als sie…“ – und hier wurde der Satz für jeweils neun Befragte unterschiedlich beendet. Mal „berührten“ sich die Autos, mal „kollidierten“ sie, mal „stießen“, „prallten“ oder „krachten“ sie aufeinander. Das kleine Wort hatte große Wirkung: Die Geschwindigkeit wurde im Schnitt auf 51 Stundenkilometer geschätzt, wenn sich die Wagen „berührten“, aber auf 65, wenn sie „aufeinanderkrachten“.

Die Wahl des Verbs beeinflusste aber auch den Inhalt der Erinnerung, wie Loftus und Palmer in einem zweiten Experiment nachwiesen. 150 Versuchspersonen schauten sich erneut Unfallszenen an und schätzten wiederum das Tempo, als die Autos „zusammenstießen“ (hit) oder „aufeinanderkrachten“ (smash). Eine Woche später kamen sie erneut ins Labor und wurden gefragt, ob sie in der Szene zersplittertes Glas erspäht hätten. Waren die Autos „aufeinandergekracht“, erinnerten sich sechzehn der Befragten an (in Wahrheit gar nicht gezeigte) Scherben; waren sie bloß „zusammengestoßen“, bauten nur sieben das Glas in ihre Erinnerung ein.

Das Experiment war der Urknall einer von Elizabeth Loftus vorangetriebenen Forschung zur Manipulierbarkeit unserer Erinnerungen.

2015 Julia Shaw und Stephen Porter erzeugen mithilfe von Vorstellungsbildern erfundene Erinnerungen

1995 Elizabeth Loftus und Jacqueline Pickrell implantieren eine falsche Kindheitserinnerung (lost in the mall)

1974 Elizabeth Loftus manipuliert Erinnerungen durch Suggestivfragen.

1932 Frederic Bartlett zeigt, wie Geschichten beim Weitererzählen verändert werden

1887 Richard Hodgson und S.J. Davey suggerieren Geistererscheinungen bei einer Séance

Artikel zum Thema
Positive Psychologie, Spiegelneuronen und die Frage, ob man Erinnerungen manipulieren kann – die psychologischen Meilensteine der 90er.
Leben
Erinnerungen – obwohl sie uns so lebendig vorkommen, sind diese Erlebnisse oft mehr Fiktion als Realität. Ein Schatz sind sie gleichwohl.
Um Frieden und Sinn zu finden. In sich, im Tun – und in der Welt. Drei neue Bücher von und über Viktor Frankl und seine Logotherapie
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2024: So wird es leichter mit den Eltern
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft