Füllwörter: Fünf kleine Zauberer

Psychologie nach Zahlen: Fünf unscheinbare Wörtchen, die unserer Sprache die Härte nehmen und uns in Kontakt halten.

Die Illustration zeigt eine erwachsene Person, die freundlich ein kleines Mädchen anspricht mit sogenannten Partikeln, die kommunikationsfördernd sind
Ein kleines Füllwort kann eine herkömmliche Frage zu einer freundlichen Kontaktaufnahme verwandeln. © Till Hafenbrak für Psychologie Heute

Unsere Sprache gibt uns nicht nur die Möglichkeiten an die Hand, Sachverhalte zu beschreiben und Ideen oder auch Gefühle in Worte zu fassen. Sie ist nicht nur Darstellungs- und Denkwerkzeug, sondern stellt uns darüber hinaus ein ganzes Repertoire an kontakt- und kommunikationsfördernden kleinen Wörtern, die sogenannten Partikeln zur Verfügung.

Sie helfen uns, das, was wir sagen wollen, zu modulieren und damit auf das Gegenüber abzustimmen. Sie leisten eine feine Abtönung des Inhalts, oft die entscheidende. Die kleinen Partikeln sind damit überaus hilfreich, ja unentbehrlich für eine gelungene Kommunikation. Hier ein Kurzporträt einiger dieser kleinen Zauberer.

1. denn

Ganz im Gegensatz zu dem verbreiteten Vorurteil, das Deutsche klinge von Natur aus barsch, ist das Wörtchen denn wie auch weitere Partikeln dazu geeignet, sich den anderen freundlich, nämlich eher tastend zu nähern. Fragen wir das Kind eines neu hinzugezogenen Nachbarn, das wir zum ersten Mal auf der Straße sehen, etwa schroff: „Wie heißt du?“ Nein, sondern wir fragen: „Wie heißt du denn?“ Diese kleine Modalpartikel bezeichnet keinen Gegenstand der wahrgenommenen Welt, sie hat keine propositionale Bedeutung.

Aber sie vermittelt eine bestimmte Konnotation, einen Mitklang: nämlich den einer leicht zurückhaltenden, von freundlich-zugewandter Neugier gekennzeichneten Frage, die das befragte Kind nicht einfach mit grober Direktheit überrascht, sondern die leicht moduliert, gewissermaßen abgefedert daherkommt. Das kleine freundliche denn kann Wunder wirken. Man kann sogar sagen, es sei beziehungsbegabt.

2. wohl

Das trifft auch auf die Partikel wohl zu. Sie fügt beispielsweise einer Frage, warum jemand noch nicht eingetroffen ist, eine gefühlsbetonte, besorgte Note hinzu: „Wo sie wohl bleibt?“ Interessanterweise ist es gerade das kleine wohl, das den tieferen Sinn der Frage erhellt. Denn hier geht es nicht um eine reine Informationsfrage, sondern vielmehr um den Ausdruck der Sorge, es könnte jemandem etwas zugestoßen sein.

Die Sorge ist wichtiger als die pure Frage: Ohne diese übermittelte Besorgtheit erfüllt die Frage ihren Zweck nicht. Gleichzeitig ist die wohl-Frage auch eine Introspektion: Hier richtet jemand eine Frage zuerst an sich selbst, horcht fragend in sich hinein, ob er eine Erklärung weiß. Die Person, der die Frage scheinbar gestellt wird, ist eigentlich nur Zeugin. Besser wartet sie ab, ob die andere die Antwort vielleicht schon selbst findet. Erst danach sollte sie mit einer eigenen Vermutung antworten. Auch diese Partikel eignet sich also zum Ausdruck feiner Differenzierung im sprachlichen Kontaktverhalten.

3. gell

„Er weiß es immer als Erster, gell?“, lautet hier die scheinbare Frage. Erst die dialektal geprägte Partikel gell lässt den ironischen Unterton erkennen, der den eigentlichen Sinn die­ser Frage ausmacht. Gerade wenn der Mensch, der da ein gell einfügt, erkennbar nicht aus Süddeutschland stammt, ist die hinter dem Wörtchen steckende Ironie ganz besonders auffällig.

Gleichwohl handelt es sich in unserem Beispiel um eine milde, ja verständnisvolle Ironie. Hier wird eine Neigung zur Voreiligkeit als zwar lästige, aber zu tolerierende Marotte angedeutet, für die die infrage stehende Person zudem wohl schon hinlänglich bekannt ist.

4. halt

„Mach’s halt!“, lautet die milde Aufforderung des Vaters an seinen Sohn, die Tür zum Flur zu schließen, die er trotz eindeutiger Hausregel und mehrfacher Ermahnungen der Mutter stets gedankenlos offenstehen lässt. Das halt ist konzessiv gebraucht, also einräumend: Es signalisiert dem Sohn, dass der Vater sehr wohl weiß, dass der Sohn die Tür nur trotz seines Widerwillens schließen würde, nicht aber aus Einsicht. An die Einsicht appelliert der Vater aus klugem Realismus denn auch erst gar nicht.

Fast schon könnte man seine Aufforderung so verstehen: „Ich weiß, dass du es für unnötig hältst, die Tür zum Flur hinter dir zu schließen, weil sie ja sowieso wieder geöffnet werden muss, aber du siehst ja, dass es deiner Mutter wichtig ist, also sei so nett und schließe sie um des lieben Hausfriedens willen.“ Wenn die Regel der Eltern schon nicht einzusehen ist, versteht der Sohn zwischen den Zeilen, dann solle er es doch bitte wenigstens aus Gefälligkeit tun!

Das kleine und unscheinbare halt erzeugt dabei den hilfreichen kameradschaftlichen Ton, der dem Nachwuchs womöglich das Einlenken erleichtert. Was würde hingegen der schlichte Befehl „Mach’s!“ in einer modernen Verhandlungsfamilie bewirken? Vermutlich nichts.

5. ja

Interessant ist der Gebrauch der Antwortpartikel ja. Oft wird ja nicht in dieser Funktion verwendet, sondern zum Ausdruck eines Vorwissens, das andere mit uns teilen: „Sie wird ja in diesem Monat ihr Abitur schreiben.“ Wenn wir nicht vermuteten, dass unser Gegenüber von dem bevorstehenden Abitur weiß, hätte das ja keinen Sinn. So aber schlagen wir die kommunikative Brücke zu unserem Gegenüber, indem wir an unser gemeinsames Vorwissen erinnern.

Allerdings begegnen uns im Alltag auch immer wieder Zeitgenossen, die ein solches ja einflechten, ohne dass wir den Sachverhalt kennen könnten. So eine Person verrät zu ihrem eigenen Nachteil, dass sie mehr bei sich als beim Gegenüber ist, denn sonst wäre ihr bewusst, dass wir das, was sie weiß, nicht wissen können, und sie würde das ja vermeiden. Man darf die Partikeln nicht unterschätzen. Auch sie wollen korrekt verwendet werden.

Die Partikel ja hat unterdessen Verstärkung erhalten. Es ist der Ausruf und ja!. Er unterstreicht die ihm folgende Aussage und hebt deren Berechtigung vorsichtshalber schon einmal hervor: „Und ja, Bildung für alle muss sein!“ Das wirkt anders als: „Bildung für alle muss sein.“ Deutlich stärker, eben ein Ausruf. Aber auch der gegenteilige Ausruf ist inzwischen zu vernehmen: Und nein!, logischerweise im Zusammenhang mit Zuständen, die vehement abgelehnt werden und Empörung hervorrufen sollen. „Und nein, es ist nicht normal, dass immer mehr Leute so rücksichtslos sind!“

Das Deutsche ist reich an kleinen Partikeln, die einem Satz Tönung verleihen, und wie man sieht, kommen noch immer neue hinzu.

Prof. Roland Kaehlbrandt ist Sprachwissenschaftler und lehrt an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Bei Piper erschien jüngst sein Buch Deutsch – eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache.

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