Wie wirkt Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen?

Kann die Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen helfen? Sie kann Schmerzen lindern, so Psychotherapeutin Gabriele Eßing im Gespräch.

Die Illustration zeigt die Diplompsychologin und seit mehr als 20 Jahren niedergelassene Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Berlin, Gabriele Eßing
Gabriele Eßing ist Diplompsychologin und Psychologische Psychotherapeutin in Berlin. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Frau Eßing, warum behandeln Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Patienten mit körperlichen Krankheiten „ungern“, wie Sie in Ihrem Buch schreiben?

Die Bereitschaft, auch körperliche Erkrankungen mitzubehandeln, setzt bei Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten das Wissen darüber voraus, wie psychische Vorgänge den Körper beeinflussen. Und dieses Wissen scheint noch nicht sehr verbreitet zu sein. Im psychoneuroimmunologischen Ansatz, der meinem Buch zugrunde liegt, wird die Wirkung psychischer Vorgänge auf das Nerven- und Immunsystem untersucht. Auf der Basis dieser Erkenntnisse kann daran gearbeitet werden, körperliche Erkrankungen zu lindern.

Welche körperlichen Krankheiten kann Psychotherapie denn lindernd beeinflussen?

Prinzipiell kann Psychotherapie bei fast allen körperlichen Erkrankungen den Gesundungsprozess fördern. Nun manifestieren sich belastende psychische Vorgänge wie Ängste, Depressionen und unbearbeitete Konflikte in un­terschiedlichen Körperprozessen. Weit verbreitet sind beispielsweise chronische Rückenschmerzen, die sich in Form von Muskelversteifung beziehungsweise Wirbelsäulenverschleiß zeigen. Sie gehen oft mit einer Abwehr von unliebsamen Gefühlen einher. Der Weg zur Entspannung der Muskulatur führt dann über eine bessere Gefühlswahrnehmung und eine günstigere Bearbeitung der abgewehrten Konflikte, Gedanken und Gefühle.

Krankhafte Muskelverspannungen können sich auch in anderen Körperbereichen, beispielsweise der Blase zeigen. Muskelverspannungen im Blasenbereich, die allein bereits schmerzhaft sind, fördern zusätzlich bakterielle Blasenentzündungen. Das hängt damit zusammen, dass die muskuläre Anspan­nung zu einer verminderten Bakterien­abwehr führt. Werden die ungünstigen psychischen Vorgänge bearbeitet, kann sich die angespannte Muskulatur wieder entspannen und der Heilungsprozess befördert werden.

Welche Rolle spielt dabei das Schmerzgedächtnis?

Belastende Erfahrungen wie Gewalterlebnisse in der Kindheit, Verletzungen oder Unfälle gehen oft mit einer verstärkten Schmerzwahrnehmung einher, die sich in chronischen Schmerzkrankheiten wie Kopf-, Magen- oder Rückenleiden manifestiert. Die negativen Erfahrungen haben im Gehirn zu einem Schmerzgedächtnis geführt, das nun für die starken Schmerzen verantwortlich ist. Mit psychotherapeutischen Methoden kann versucht werden, das Schmerzgedächtnis wieder zu beruhigen, etwa wenn gute Erfahrungen mit körperlichem Wohlbefinden eingeleitet werden.

Welche Übung oder Intervention hat sich bei körperlichen Erkrankungen als besonders hilfreich erwiesen?

Prinzipiell ist es wichtig, in der Psychotherapie gute Gedanken und Gefühle, befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen und das Gefühl, mit sich selbst im Reinen zu sein, zu fördern. Auf diesem Wege können Entzündungsprozesse gestoppt, Immunfunktionen positiv beeinflusst, Muskelverspannungen gelöst und körperliche Beschwerden abgebaut werden.

Unterstützende Übungen bestehen darin, sich klarzumachen, was im Leben wirklich wichtig ist. Es geht um die bewusste Wahrnehmung sinnstiftender Lebensziele, liebevoller Beziehungen und erfüllender Tätigkeiten.

Die Überzeugung, die Krankheit zu besiegen, hat einen heilsamen Einfluss auf den Körper. Mithilfe von konkreten Vorstellungsbildern, wie Gesundheit wieder erreicht werden kann, können biologische Prozesse angestoßen werden. Etwa wenn sich Menschen bei einer Lungeninfektion vorstellen, dass schwarze Punkte, die die Erreger darstellen, mit einem Staubsauger weggesaugt werden.

Gabriele Eßing ist Diplompsychologin und seit mehr als 20 Jahren niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Berlin (Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, Traumatherapie EMDR).

Gabriele Eßings Buch Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt ist bei Reinhardt erschienen (115 S., € 26,90)

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