Angst ist eine Superkraft

Psychologie Heute Live!: Vor ausverkauftem Haus las Bestsellerautorin Mariana Leky aus ihren Kolumnen und sprach mit Chefredakteurin Dorothea Siegle

Die Bestseller-Autorin („Was man von hier aus sehen kann“) und Psychologie-Heute Kolumnistin Mariana Leky stammt aus einer Familie mit zehn Psychoanalytikern – dies regte sie zu den Figuren in ihren späteren Romanen und Texten an: Als Kinder, wenn „wir scheinbar ins Bett gegangen waren“, lauschten sie den gedämpften Gesprächen ihrer Eltern, beide Psychotherapeuten, über Frau S. oder Herrn M., schwierige Patienten mit „schweren Gespensterbiographien“. Und in Restaurants oder Café dichteten sie den Menschen an den Nachbartischen schwere Kindheiten an — „voller Menschenliebe und ungefragt retteten wir andere“, berichtete die Autorin bei der jüngsten Veranstaltung von Psychologie Heute live! in Heidelberg.

Im Gespräch mit Chefredakteurin Dorothea Siegle erzählte die Kolumnistin und Bestsellerautorin Leky aus ihrem Leben, las aus ihren Psychologie Heute-Kolumnen vor und begeisterte mit ihrem feinen Humor die mehr als 200 Besucher, die ins Heidelberger Deutsch-Amerikanische Institut gekommen waren. Das Themenspektrum erstreckte sich von den persönlichen Erfahrungen Lekys über das Reden über psychische Probleme bis hin zu den kleinen und stattlichen Neurosen, die jeder kennt.

„Ich bin zu konfliktängstlich“

Unter einer beinahe unstillbaren Konfliktangst leidet beispielsweise ihre Nachbarin Frau Wiese, die nicht in der Lage ist, den neu ins hellhörige Haus gezogenen Mieter freundlich darauf hinzuweisen, dass sie wegen seiner Starship-Musik („We built this city“) nicht schlafen kann. „Sie fing an, sich dafür zu beschimpfen, dass das Haus so hellhörig und sie so wütend und so konfliktängstlich ist.“ Weil sie sich selbst nicht traut, fragt sie Mariana Leky, ob sie den Mieter bitten könne, leiser zu sein. Doch „als ich gerade sagen will, das geht aber wirklich nicht, Frau Wiese, hören wir jemanden die Treppe herunterkommen. Es erscheint der neue Mieter. Guten Tag, sagt er, ich bin der Neue. Das Haus ist ja sehr hellhörig. Deshalb wollte ich mal fragen: Bin ich eigentlich zu laut?“

Aus ihrem eigenen Leben erzählte Leky, dass sie es nicht fassen könne, wie ihre Mitpassagiere im Flugzeug dermaßen gelassen sein könnten, während sie selbst während des gesamten Flugs sich eigentlich nur an die Flugbegleiter klammern möchte. Man kann das mit der Angst aber auch anders sehen: Angst sei die „Superkraft“, die die Flugzeuge in der Luft halte, erklären in einer ihrer Kolumnen drei Jungen im Schulalter.

Mariana Leky hilft heute Häftlingen. Im Auftrag eines Vereins hält sie in Gefängnissen Schreibworkshops ab. Warum sie das macht? Auch das hat mit ihrer Familie zu tun. Ihr Vater war einst als Gefängnispsychologe tätig und erzählte es einem der Insassen, als ihre Mutter mit Leky schwanger war. Daraufhin zimmerte der Mann für das noch ungeborene Kind eine hölzerne Wiege. Leider, berichtete die Autorin, geriet er kurz darauf mit einem Aufsichtsbeamten in einen heftigen Streit. Im Zuge dessen schlug er dem Beamten mit der Wiege mit einer solchen Wucht auf den Kopf, dass dieser später an den Verletzungen starb. Für dieses Verbrechen saß der Inhaftierte viele weitere Jahre in Haft, was Leky später sehr beschäftigte — sie verglich oft ihre eigene Lebenszeit mit der, die der Erbauer der hölzernen Wiege im Gefängnis war.

Posts aus der Psychiatrie

In der Regel gehe bis heute niemand mit seinen Ängsten, Depressionen und Konflikten hausieren. Leky sieht einen Widerspruch zwischen dem Druck, optimiert leben zu müssen und der Möglichkeit, über psychische Probleme zu reden. In manchen Milieus möge das selbstverständlich sein. So beobachtete Leky, dass es in Künstlerkreisen offenbar schick sei, einmal in der Psychiatrie gewesen zu sein - dies werde sogar gepostet. Im Normalfall würden Probleme jedoch eher geheim gehalten und ins Private verlagert.

Wie wurde bei Mariana Leky zu Hause über Probleme gesprochen? „Meine Eltern haben solange über ein Problem gesprochen, bis man nicht mehr wusste, um was es ursprünglich ging“. Oder sie diskutierten so lange über einen Wunsch, „bis man ihn nicht mehr hatte“. Manchmal stand ihr Vater mitten im Gespräch auf und ging weg. Nach einer Weile kam er zurück und erklärte: „So machen wir das“. Die Autorin erzählte, dass ihr Vater dann oft sehr gute Lösungen präsentierte. Aber im Normalfall sei es wohl am besten, einfach zuzuhören und nicht zu sagen: „Bei mir ist es so und so“ und auch keine „naseweisen Ratschläge“ zu geben.

Alle Kolumnen von Mariana Leky finden Sie unter Psychologie-heute.de 

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