Viele Menschen kennen die Situation: Der Job ist eigentlich gut, aber der oder die Vorgesetzte macht mir das Leben zur Hölle. Nun sagen Sie: Es ist oft nicht nur der Einzelne toxisch, sondern die ganze Organisation…
Das Konzept der neurotischen Organisation stammt von dem niederländischen Managementwissenschaftler Kets de Vries, der es bereits in den achtziger Jahren entwickelt hat. Aber man kann damit gut das Unbehagen von Mitarbeitenden erklären, die sagen: Irgendetwas in meiner Firma, meiner Behörde,…
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damit gut das Unbehagen von Mitarbeitenden erklären, die sagen: Irgendetwas in meiner Firma, meiner Behörde, meinem Krankenhaus läuft grundlegend falsch. Das ungesunde Muster geht meist vom Management aus, aber Mitarbeitende übernehmen es.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Neurotische Organisationen lassen sich in fünf Kategorien einteilen: paranoid, zwanghaft, histrionisch, depressiv, schizoid. Wobei auch Mischformen vorkommen. In paranoiden Organisationen herrscht zum Beispiel ein Klima von Misstrauen, eine Kultur des Auflauerns – etwa in IT-Firmen, deren Sorge vor Datenlecks in irrationale Ängste umschlägt. Zwanghaftigkeit ist typisch für viele Traditionsfirmen, etwa Mittelständler: Alle Prozesse sind bis aufs Kleinste reguliert, Kreativität wird eingedämmt, am Ende entscheidet der Chef allein.
Wenn ich viel Sicherheit und Struktur brauche, empfinde ich das aber vielleicht gar nicht als beengend.
Das stimmt. Nehmen Sie eine depressive Organisation: Die Erwartungshaltung ist eher niedrig, ein mehr in sich gekehrter Mensch fühlt sich da vielleicht ganz wohl. Aber wenn sich Muster gegenseitig verstärken, führt das irgendwann zu Stillstand. Umgekehrt: Sie sind stark leistungsgetrieben und arbeiten in einem histrionischen Umfeld – viel Show, viel Fassade –, etwa einem Start-up, in dem man Ihnen vermittelt: Hier kannst du ganz schnell etwas werden. Aber ohne funktionierende Prozesse warten Sie vergebens und sind nach einem Jahr ausgebrannt und enttäuscht.
Wenn das neurotische Umfeld mir nicht guttut, aber ich den Job nicht einfach verlassen kann – wie gelingt es mir, meine psychische Gesundheit zu schützen?
Erst einmal reflektieren: Was irritiert mich und was ist mein Impuls? Fight, flight, freeze: Will ich am liebsten zurückschlagen, will ich mich ganz schnell verkriechen oder erstarre ich? Oft kann es helfen, ganz physiologisch Stress abzubauen. Zum Beispiel: Ich würde am liebsten weglaufen. Dann stehe ich zwischendrin mal vom Schreibtisch auf, schüttle mich. Auch einen Anker zu setzen funktioniert, am besten körperlich und mental.
Das müssen Sie erklären.
Wenn ich mich im Jobkontext unsicher fühle, dann nehme ich das erste Gelenk meines linken Ringfingers zwischen zwei Finger und sage mir: „Es ist 2025, ich bin erwachsen, ich werde eine Lösung finden.“ Das verbindet mich mit meinem Erwachsenen-Ich, also meinem rationalen inneren Anteil – ich kann dann souveräner agieren. Wichtig ist auch: Kleine Veränderungsmöglichkeiten im Arbeitsumfeld ausloten, überlegen, was ich trotz allem wertschätze. Ein Reframing, also eine Umdeutung ist oft hilfreich: Die Arbeit sorgt dafür, dass ich meine Familie versorgen kann; und ich kümmere mich gut um mich – mit Schlaf, Bewegung, Ernährung und Ausgleich –, so dass ich sie gut und gesund leisten kann.
Prof. Dr. Stefanie Rödel hat sowohl Wirtschafts- als auch Literaturpsychologie und Romanistik studiert. Sie ist Professorin an der Internationalen Hochschule, Fachbuchautorin und betreibt mit der Dr. Rödel Consulting eine Beratungsfirma für Business-Coaching und Organisationsentwicklung
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