„Wenn du eine Stunde lang glücklich sein willst, schlafe; wenn du einen Monat lang glücklich sein willst, heirate; wenn du ein Leben lang glücklich sein willst, liebe deine Arbeit.“ So sagt es ein chinesisches Sprichwort. Arbeit kann uns glücklich machen, stolz, sinnerfüllt, verbunden mit anderen Menschen.
Und doch haben viele von uns in den Sommerferien am Strand oder in den Bergen mit Magenschmerzen an die Rückkehr zum Arbeitsplatz gedacht; wachen manche von uns morgens um 4 Uhr auf mit einem…
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Magenschmerzen an die Rückkehr zum Arbeitsplatz gedacht; wachen manche von uns morgens um 4 Uhr auf mit einem Schreckgedanken an Büro, Klinik oder Schule und schlafen nicht wieder ein; schließen viele abends die Wohnungstür auf mit dem Gefühl, wieder nicht genug erledigt zu haben und dringend eine Flasche Wein und eine Runde Netflix zu benötigen.
Der Job wird von den Menschen zunehmend als Stressor empfunden, gerade in Deutschland, das zeigen Studien. Eine Umfrage des Gallup-Instituts aus dem Jahr 2025 zeichnet ein düsteres Bild: Nur knapp die Hälfte aller Erwerbstätigen hierzulande blickt mit Zuversicht in die Zukunft, drei Viertel sagen: Ich kann nach Feierabend nicht abschalten. In Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit liegt Deutschland auf Platz 21 von 38 europäischen Staaten. Und das obwohl deutsche Berufstätige im statistischen Durchschnitt nur 33,2 Wochenarbeitsstunden arbeiten, verglichen mit 38 Stunden und darüber in Ländern wie Griechenland, Rumänien oder Litauen.
Ein langer Arbeitstag macht nicht automatisch unglücklich
Die reine Länge des Arbeitstags macht uns nicht unglücklich und die reine Kürze nicht glücklich – auch wenn unbestritten ist, dass regelmäßige 12-Stunden-Einsätze gesundheitlich schaden. Aber die psychologische und soziologische Forschung betrachtet die Situation heute wesentlich differenzierter als früher: Es geht auch darum, ob ich als Pflegekraft im Krankenhaus im Schichtdienst arbeite, ob ich als Lkw-Fahrerin Pausen machen kann, ob meine Arbeitszeit als Führungskraft berechen- und planbar ist und ob ich als Paketbote rennen muss oder gehen kann. Es geht darum, ob IT-Projekte im Unternehmen einen echten zeitlichen Abschluss finden und ob ich mich als Verwaltungsangestellte einer Aufgabe ohne Unterbrechung am Stück widmen kann. Und es geht darum, wie porös die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit für den Lehrer ist und ob die Personalmitarbeiterin im Homeoffice noch am Abend von einem unglücklichen Kollegen angerufen wird.
Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat Themen wie Burnoutprävention und Stressreduktion in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt in den Blick genommen und viele konkrete Techniken und Tipps entwickelt: besser umgehen mit E-Mail-Flut und Homeoffice, richtig Pausen machen und Perfektionismus einhegen, Konflikte mit Kolleginnen ansprechen und Mobbing im Team vermeiden, Sport im Betrieb und Atmen am Feierabend.
Seit einigen Jahren widmet sich die Psychologie neben diesen Techniken nun verstärkt der Frage: Wie können wir unsere Beziehung zur Arbeit verändern? Eine neue Perspektive entwickeln, Ereignisse anders bewerten, eigene Handlungsräume finden? Das bedeutet nicht, dass wir uns fit machen sollen, um in einer inhumanen Arbeitswelt besser zu bestehen. Und auch nicht, dass wir uns den zynischen Chef im Start-up oder die permanente Unterbesetzung im Krankenhaus einfach mal rosa anmalen. Sondern dass wir in schwierigen Situationen Selbstwirksamkeit gewinnen.
Wir stellen Ihnen im Folgenden drei Wege vor, wie Sie Ihre Haltung ändern können, um langfristig zufrieden zu sein statt zynisch – und handlungsfähig statt ausgebrannt.
1. So habe ich das noch nie gesehen! Die kognitive Neubewertung
Work-Life-Balance, also die Fähigkeit, Arbeit und Freizeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen, gilt als wichtiger Faktor für ein gelingendes Leben. Für Michèle Wessa, die am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit und am DKFZ-Hector-Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim zu Resilienz forscht, schwingt bei dem Begriff noch etwas anderes mit. „Ich habe ein wenig die Sorge, dass die Überbetonung zu einer Abspaltung führt, die nicht gut ist.“ Die Psychologieprofessorin erklärt, dass dies ihr persönlicher Eindruck sei, keine wissenschaftliche Erkenntnis. Trenne man Arbeit und Freizeit strikt voneinander, werde der Arbeitswelt automatisch Negatives zugeschrieben. Positives fände demzufolge überwiegend in der Freizeit statt.


Michèle Wessa hält eine Sichtweise, die beide Lebensbereiche zusammendenkt, für förderlicher. Als Plädoyer für Selbstausbeutung will sie das nicht verstanden wissen, vielmehr gehe es darum, die positiven Dinge, die mit der eigenen Arbeit und Leistung einhergehen, zu erkennen und wertzuschätzen. „Das mag aus meiner Position als Wissenschaftlerin wohlfeil klingen, mir ist bewusst, dass es Berufe gibt, die dem Einzelnen einerseits viel abverlangen und andererseits wenig eigenen Gestaltungsspielraum bieten. Doch auch in denen kann ich beispielsweise eine Beständigkeit oder die Zugehörigkeit zu einem Team schätzen.“
Wie lässt sich dieses Gute in den Blick nehmen, wenn man gefühlt nur noch von einem Bindfaden zusammengehalten wird? Was kann eine Erzieherin tun, die ihre Arbeit liebt, aber ihr Pausenbrot während des Bastelns verzehren muss, weil Kolleginnen fehlen? Wie geht der Zugbegleiter mit den verbalen Angriffen der Fahrgäste bei permanenter Verspätung um?
Nicht ignorieren, sondern gezielt wahrnehmen
Die Resilienzforschung hat in den vergangenen Jahren eine zentrale Stelle in der Psychologie eingenommen und herausgefunden, wie sich die psychische Widerstandskraft in aversiven Lebenssituationen fördern lässt. Sie hat dafür die kognitive Neubewertung entwickelt, eine Methode, die dazu dient, dass wir unsere Gefühle besser regulieren können. Im Kern zielt sie darauf ab, eine stressige oder belastende Situation nicht zu ignorieren oder zu überspielen, sondern sie gezielt wahrzunehmen und neu zu interpretieren.
Denn entscheidend ist nicht ausschließlich, wie belastend eine Lage objektiv ist, sondern auch wie wir die Belastung subjektiv bewerten. Formuliert hat diese Annahme der US-Psychologe Richard Lazarus im transaktionalen Stressmodell. So vermag etwa Zeitdruck den einen Menschen anzuspornen, einen anderen wiederum versetzt er in einen Zustand von Panik. Ein sehr wettbewerbsorientiertes Betriebsklima kann die eine Kollegin beflügeln, den anderen Mitarbeiter lähmen.
Wie gelingt es, sich die kognitive Neubewertung – der Fachbegriff dafür ist cognitive reappraisal – zunutze zu machen? Was nützt sie der Erzieherin, die in einer heillos unterbesetzten Kitagruppe nicht weiß, um welches Kind sie sich zuerst kümmern soll? Die Resilienzforschung hat drei wichtige Schritte definiert, die uns dabei helfen, einen positiven Bewertungsstil zu entwickeln:
Es beginnt damit, das persönliche Erleben der Situation in den Blick zu nehmen. Die Erzieherin schaut nach innen und wird sich darüber bewusst, welche negativen Gedanken sie leiten. Etwa: „Das schaffe ich heute nicht“, oder auch: „In diesem Drunter und Drüber wird bestimmt etwas Schlimmes passieren.“ Daraufhin spürt sie ihren Emotionen nach, womöglich empfindet sie Ängste oder innere Unruhe.
Nach der eigenen Wahrnehmung gilt es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Zum Beispiel einen personalen: Was sieht ein Dritter hier? Oder einen zeitlichen: Wie werde ich am Wochenende darüber denken? Die Erzieherin kommt vielleicht zu der Überzeugung: „Das ist heute schwierig, aber ich schlage mich bislang wacker.“
Unterstützend wirkt dabei die Achtsamkeit: mitten in dem Chaos innezuhalten, sich seiner selbst gewahr zu werden. Rast mein Herz? Ist mir schwindlig? Die Erzieherin nimmt ihre körperlichen Reaktionen wahr und versucht sie zu verorten: „Der Brustraum ist ganz eng.“ Welche Bewältigungsstrategien sind jetzt hilfreich? Aus den Yogastunden weiß die Erzieherin, dass es hilft, tief und langsam in den Bauch zu atmen.
Übt man diese Schritte öfter, gelangt man häufig längerfristig zu anderen Überzeugungen (reappraisal). Etwa: „Ich kann in stressigen Situationen gut bestehen.“ Oder: „Ich kann mich auf meine Fähigkeiten verlassen, ich weiß im Chaos, was als Erstes zu tun ist.“ Die Erzieherin blickt milder auf sich und sieht vielleicht stärker den Wert ihrer Arbeit. „Ich helfe den Kindern, sich gut zu entwickeln.“ Vielleicht gelingt es ihr, den chaotischen Tag als intensive Lernerfahrung zu verbuchen, von der sie künftig profitieren wird.
Die Methode der kognitiven Neubewertung ist anspruchsvoll und klappt sicher nicht auf Anhieb. Es lohnt sich jedoch, sie regelmäßig zu üben, um sie in emotional heißen Phasen anzuwenden. Auch wenn die neurobiologischen Mechanismen und der Einfluss genetischer Faktoren noch nicht vollständig erforscht sind, gilt die Schutzwirkung als gesichert. Die Neubewertung kann negative Emotionen wie Ängste, Ärger oder Trauer reduzieren, schützt vor stressbedingten Erkrankungen, insbesondere Burnout und Depressionen. Durch die abgebremste Stressreaktion wird unter anderem weniger schädliches Kortisol ausgeschüttet.
Ein positiver Bewertungsstil (positive reappraisal) gilt daher als „Eckpfeiler der Resilienz“. Je besser es uns gelingt, unsere emotionale Reaktion auf eine Situation gezielt zu verändern, indem wir sie anders interpretieren und so zu einer anderen Bewertung gelangen, desto gesünder, ausgeglichener und zufriedener sind wir.
2. Ich bin gut zu mir: Selbstmitgefühl im Job
In der Rangliste der gefährlichsten und nervenaufreibendsten Berufe rangiert der des Feuerwehrmanns weit oben. Oftmals steht die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben auf dem Spiel; sowohl das der zu Rettenden als auch das der Retter. Genau das macht Feuerwehrleute zur idealen Untersuchungsgruppe für Stressforschende. Aus deren Arbeit ist bekannt: Selbstkritik schadet dem psychischen Wohlbefinden, sie gilt als Vorhersagefaktor für depressive Symptome und Belastungsstörungen. Fatalerweise gehört die Manöverkritik im Sinne einer Qualitätssicherung aber zum Standard bei ersthelfenden Berufen dazu. Die Schutzkleidung lässt sich nach einem Einsatz ablegen, die Selbstvorwürfe nicht, wenn eine Feuerwehrfrau es trotz allen Einsatzes nicht geschafft hat, Menschen aus den Flammen zu retten.
Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Michèle Wessa hat diese toughen Retter auf ihr Selbstmitgefühl hin untersucht. „Tatsächlich gelang uns der Nachweis, dass die Fähigkeit zu Selbstmitgefühl die hochgradig negativen Einflüsse der Selbstkritik, die dem Beruf eigen ist, abpuffern kann. Ein mitfühlender Umgang mit sich selbst wirkt wie ein Schutzfaktor“, sagt die Psychologin. Dadurch sinke das Risiko für psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen. Eine Studie unter Gesundheitsfachkräften aus dem Jahr 2025 unter dem Titel The role of self-care and self-compassion in networks of resilience zeigte vergleichbare Ergebnisse. Das aus der Haltung der Achtsamkeit und Akzeptanz abgeleitete Konzept des Selbstmitgefühls sei zwar ein recht neues Konstrukt, das im Zusammenhang mit der Resilienz noch nicht ganz erforscht sei, sagt Wessa. „Aber schon jetzt lässt sich sein Wert als starker Resilienzfaktor erkennen.“
Das würde ein guter Freund zu mir sagen
Was kann ein Feuerwehrmann oder eine Assistenzärztin nach einer Schicht tun, um einen gefährlichen Einsatz oder einen Tag in der überrannten Notaufnahme zu verarbeiten? „Er oder sie könnte einen Brief an sich selbst schreiben oder ihn einfach gedanklich formulieren“, empfiehlt die Psychologin. Und zwar aus der Sicht eines guten Freundes. Was würde der einem nach einem solchen Arbeitstag wohl schreiben? Vielleicht: „Lieber XY, liebe XY, du hast heute alles getan, um Menschenleben zu retten. Du hast viel geleistet, das verdient großen Respekt. Deshalb verdienst du es auch, deinem Körper und auch deinem Kopf eine Ruhepause zu gönnen.“
Michèle Wessa sagt: „Für Menschen, die wir mögen, bringen wir viel Empathie auf. Und wenn ich das für einen Freund empfinden kann, warum nicht auch für mich selbst?“
Christine Brähler hat das Selbstmitgefühl ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt. Vor rund 15 Jahren hat die promovierte Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin begonnen, spezielle Trainingsprogramme mitzuentwickeln, und auch eine zentrale klinische Studie geleitet. Mittlerweile hat sie sich ganz darauf konzentriert, Workshops, Trainings und Coachings anzubieten.
Die Stresskaskade unterbrechen
Wie lässt sich der etwas diffuse Begriff Selbstmitgefühl fassen? Christine Brähler versteht darunter eine „weise und liebevolle Beziehung“ zu uns selbst. Anstatt uns selbst zu verurteilen und unsere wahren Bedürfnisse zu ignorieren, blickten wir wohlwollend auf unsere Person. Diese Haltung sollten wir einnehmen, wenn es uns schlechtgeht, wir uns kritisieren oder nicht mögen. Die Pionierin des Konzepts, US-Psychologin Kristin Neff, nennt das „liebevolle Verbundenheit mit uns selbst“.
Hinzu komme ein weiterer Aspekt: die „achtsame Präsenz“, die auch bei der kognitiven Neubewertung eine Rolle spielt; negative Gefühle wie Scham, depressive Gedanken oder Ängste werden dabei nicht unterdrückt oder mit einem Zuckerguss versehen, sondern bewusst wahrgenommen. Dabei gelte es, sich nicht in belastenden Gefühlen zu verlieren, sich nicht selbst zu bemitleiden und als Opfer zu sehen. Noch etwas ist bedeutsam: Nicht nur mit uns selbst fühlen wir uns liebevoll verbunden, sondern auch mit anderen. Die Einsicht, dass das Leben untrennbar mit Leid verbunden ist, verbinde uns mit allen anderen Wesen. Im gemeinsamen Menschsein könnten wir das Gefühl von Isolation und Scham überwinden.
Wenn die innere Alarmanlage anspringt
Sind wir maximal gefordert oder gar überfordert, weil wir zu viele Dinge zugleich erledigen müssen, überflutet uns Stress. Die innere Alarmanlage springt an, wir geraten in einen Zustand der Hypererregung. Wie kommen wir da raus? „Wir konzentrieren uns dann auf die Körperwahrnehmung“, erklärt Christine Brähler. „In welcher Region nehme ich dieses unangenehme Empfinden wahr?“ Das mag anfangs nicht sofort gelingen, aber je öfter man in sich hineinhöre, desto besser werde man darin. Auch wenn es schwerfalle, lasse man diese Gefühle zu und spüre ihnen nach.
„Wir übernehmen damit aktiv die Verantwortung für unsere Emotionen, anders als beim Schönreden oder Verdrängen“, das sei entscheidend. Dann nähmen wir eine wohlwollende und mitfühlende Haltung zu uns selbst ein. Wir seien uns gewissermaßen selbst ein guter Freund oder eine gute Freundin. Dadurch fühlten wir uns emotional gehalten und ein Stück weit auch getröstet, beruhigt, ermutigt – je nachdem was wir in der belastenden Situation gerade brauchen. Wir aktivieren laut Brähler unsere angeborene „Fürsorgephysiologie“. An das Nervensystem ergeht das Signal: Alles okay. Die Stresskaskade wird unterbrochen, wir können wieder entspannen. Das hilft uns akut in fordernden Situationen. Es hilft uns aber auch mittelfristig, wohlwollend auf den Wert dessen zu blicken, was wir jeden Tag leisten. Und es hilft uns langfristig bei der Frage: Wie gehen wir gut mit uns um? Welche Arbeitsbedingungen wollen wir uns zumuten? Und was wollen wir verändern – in unserem Privatleben und im Beruf?
3. Ich habe nur diese eine Sache verändert: Selbstwirksamkeit erleben
Bullshit jobs. Lediglich diese beiden Wörter benötigte David Graeber, um ein komplexes Phänomen in der Arbeitswelt zu benennen – und einen internationalen Bestseller zu landen: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Der vor fünf Jahren verstorbene Ethnologe und Professor an der London School of Economics and Political Science charakterisiert darin Tätigkeiten, „von denen selbst jene, die sie ausführen, insgeheim überzeugt sind, dass es sie besser gar nicht gäbe“. Im Gegensatz zu shit jobs im Bauhandwerk oder in der Pflege, die zwar hart seien, aber dem Gemeinwesen dienten. Shit-Job mag despektierlich klingen, Graeber bezieht sich aber ausdrücklich nicht auf den Wert der Arbeit, sondern auf deren schlechte Bezahlung und die Arbeitsbedingungen. Bullshit-Jobs hingegen seien ordentlich entlohnt, dafür sinnlos, unnötig oder gar schädlich.
Man muss seine Arbeit nicht gleich derart negativ wahrnehmen, um mit ihr zu hadern. Standardisierte Prozesse, enge Vorgaben und monotone Abläufe führen bei vielen Menschen zu der Überzeugung, nur ein winziges Rädchen in einem großen Apparat zu sein. Wer glaubt, dass er im Betrieb, in der Behörde oder am Arbeitsplatz nichts bewirken kann, zeigt mitunter ein Verhalten, das an Sabotage grenzt: macht die Mittagspause zu einem Jammerzirkel oder erledigt während des Zoom-Meetings seinen Wocheneinkauf.
Erlernte Hilflosigkeit wieder verlernen
Die Managementlehre spricht von innerer Kündigung, die Psychologie von erlernter Hilflosigkeit. Martin Seligman, der später zu einem Begründer der positiven Psychologie werden sollte, experimentierte in den sechziger Jahren mit Hunden, die er in Käfigen mit Elektroschocks malträtierte. In der ersten Phase sperrte man sie in Boxen, in denen sie dem Schmerz nicht entkommen konnten, in der zweiten war es den Tieren möglich, sich in einen Käfigbereich zu retten, in dem es keine Stromschläge gab. Doch nur die wenigsten Tiere setzten zum rettenden Sprung in den sicheren Bereich an, die meisten blieben apathisch liegen. Sie waren zur Hilflosigkeit konditioniert worden.
Es mag weit hergeholt wirken, aber tatsächlich lässt sich die bahnbrechende Erkenntnis aus Seligmans Experimenten auf unsere Spezies übertragen: Hilflosigkeit ist nicht angeboren, sondern erlernt. Und kann daher auch wieder verlernt und durch neues, sinnvolleres Verhalten modifiziert werden.
Der Hebel, der uns dabei zu Gebote steht: die wahrgenommene Kontrolle. Dazu setzte Michèle Wessa mit ihrem Team Teilnehmende bei einem Experiment unangenehmen Reizen aus. Eine zentrale Beobachtung war dabei: Individuen nehmen ihre Kontrollmöglichkeiten, in diesem Fall den Reiz zu beeinflussen, höchst unterschiedlich wahr. Und noch etwas zeigte sich: Probandinnen, die ein Mittel gegen den Reiz fanden, spornte das an, neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Aus der erlernten Hilflosigkeit entstand eine erlernte Wirksamkeit. „Die wahrgenommene Kontrolle hat offensichtlich mehr Einfluss auf die Bewertung unserer Spielräume als die tatsächliche Kontrolle“, resümiert Wessa.
Wie können wir uns diese Erkenntnis in der Arbeitswelt zunutze machen? Stellen wir uns einen Angestellten vor, der über lange Zeit hinweg neue Projekte anregt und Ideen hat, für die sich keiner der Vorgesetzten interessiert. Zu kündigen kommt angesichts der schwierigen Wirtschaftslage nicht infrage. Jetzt hat er zwei Optionen: Er kann bei jeder Gelegenheit über seinen Arbeitgeber lästern und über sein Los klagen. Oder er sucht sich ein Feld, auf dem er etwas gestalten und verändern kann. Vielleicht überzeugt er den Arbeitgeber davon, Leihfahrräder anzuschaffen, initiiert ein Mentoringprogramm für Berufsanfänger oder organisiert einen Flohmarkt auf dem Firmenparkplatz.
Ein Rädchen setzt sich in Bewegung
Aus dem Stolz des Gelingens, der Anerkennung der Kolleginnen und Vorgesetzten erwächst eine unbekannte Überzeugung: Selbstwirksamkeit. Solche Erfahrungen stoßen nachweislich Veränderungen im Gehirn an. Sie haben die Kraft, unser Denken zu verändern. Hinderliche Gedanken wie „Ich kann eh nichts tun“ weichen der Überzeugung „Ich kann etwas bewirken“. So erwächst nach und nach ein positiveres Selbstbild und vielleicht auch der Wunsch, das nächste Projekt anzugehen, das dann schon eine Nummer größer sein mag.
Zeitmanagementmethoden oder Planungs-Apps machen uns ein Stück weit effizienter. An unserer mentalen Belastung oder an unserer Ohnmachtserfahrung ändern sie indes zu wenig. Wollen wir tiefgreifende Veränderungen und Verbesserungen erzielen, lohnt es sich, unsere Beziehung zu uns selbst, die Art und Weise, wie wir uns reflektieren und mit uns umgehen, neu zu gestalten. Durch so einen Haltungswechsel kreisen wir nach Feierabend nicht mehr länger um unsere Fehler, sondern kommen zur Ruhe, weil wir gnädig und fürsorglich mit uns umgehen. Und lassen uns auf der Arbeit nicht von Überforderung oder Frust auffressen, sondern setzen ein Rädchen in Bewegung. Und als Nächstes ein Rad. Vielleicht sogar gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen.
Damit wächst in uns auch der Mut zu etwas Größerem, zu Protest gegen Arbeitsbedingungen oder zu einem Aufbruch in einen neuen Job. Veränderungen sind nicht mehr bloß eine Forderung, sondern etwas, das wir selbst angehen. Jetzt sind wir nicht mehr länger Treibholz, das der Strom der Gezeiten mit sich führt. Jetzt sind wir die Welle.
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Wie man sich schützen kann, wenn nicht nur Chefs oder Kolleginnen, sondern ganze Organisationen neurotisch wirken, erklärt Prof. Dr. Stefanie Rödel im Interview in „Ungesunde Muster gehen meist vom Management aus“.
Sinnkrise, Ärger mit Vorgesetzten oder Kolleginnen oder sogar schon kurz vor der Kündigung? Ein Psychotherapeut teilt Techniken, die helfen in Erste Hilfe gegen Job-Frust: 5 Hacks, die weiterbringen.
Quellen
Pank, C., von Boros, L., Lieb, K. et al.: The role of self-care and self-compassion in networks of resilience and stress among healthcare professionals. Sci Rep 15, 18545, 2025
Kaurin, A., Schönfelder, S., & Wessa, M.: Self-compassion buffers the link between self-criticism and depression in trauma-exposed firefighters. Journal of Counseling Psychology, 65(4), 453–462, 2018
Kalisch R, Müller MB, Tüscher O.: A conceptual framework for the neurobiological study of resilience. Behavioral and Brain Sciences, 38:e92, 2015
David Graeber: Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett Cotta 2019