„Sie fürchten ständig, als Hochstapler entlarvt zu werden“

Manche Menschen sind überzeugt, dass sie ihre Erfolge nicht verdient haben. Psychologin Sonja Rohrmann über das sogenannte Impostor-Syndrom

Eine Frau sitzt mit Papier und Stift auf dem Boden und schaut voller Selbstzweifel auf das Papier
© Silke Weinsheimer

Frau Rohrmann, was unterscheidet normale Selbstzweifel und Hochstaplergefühle?

Gewisse Selbstzweifel hat fast jeder, was aber nicht unbedingt mit Leidensdruck einhergeht und darüber hinaus manchmal auch angemessen ist. Menschen mit Impostor-Persönlichkeit hingegen erbringen objektiv hervorragende Leistungen, sind aber subjektiv davon überzeugt, ihre Erfolge nicht verdient zu haben.

Sie führen gute Ergebnisse nicht auf ihre Fähigkeiten zurück, sondern auf externale, also äußere Faktoren wie Glück, Zufall oder gutes Networking. Nicht einmal akademische Grade oder Auszeichnungen bringen sie von dieser Ansicht ab. Sie leiden unter ihrem Erfolg und fürchten ständig, als Hochstapler entlarvt zu werden.

Kein Erfolg durchbricht die falsche Selbstsicht?

Im Gegenteil. Jede leistungsbezogene Aufgabe schürt erneut die Selbstzweifel und die Angst vor einer Demaskierung. Dabei bezieht sich das Impostor-Gefühl meist ausschließlich auf den beruflichen Bereich. Also den Teil der Lebenswelt, der auch gesellschaftlich am stärksten mit dem Leistungsideal verknüpft ist. Damit befinden sie sich in einem Teufelskreis überzogener Leistungsansprüche und Versagensängste.

Warum machen Betroffene dann weiter?

Die Leistungsorientierung gehört zu ihrem Selbstbild. Die Angst treibt sie an. Sie sind ja wirklich kompetent und perfektionistisch. Deshalb kommen sie immer weiter, werden befördert. Doch die Freude darüber hält nur kurz an, wenn sie eine Aufgabe erfolgreich erledigt haben.

Dann greift wieder ihr Attributionsfehler, und sie ordnen die Gründe für ihren Erfolg falsch ein. Sie denken: Alle haben sich geirrt. Bestimmt werden sie mich diesmal durchschauen und meine Unfähigkeit aufdecken oder in Zukunft noch höhere Erwartungen an mich stellen, die ich nicht erfüllen kann. Um diese Angst abzuwehren, arbeiten sie noch härter.

Das klingt nach einer tristen Karriere.

Tatsächlich. Der hohe Anspruch an sich selbst, der stets mit Angst verbunden ist, führt zu charakteristischen Arbeitsstilen. Das ist einerseits Perfektionismus – also übertriebener Arbeitsaufwand – andererseits Prokrastination – also anfänglich langes Hinausschieben bis zur Grenze des noch Bewältigbaren. Beides dient dazu, den Selbstwert zu schützen, indem Misserfolg durch enormen Fleiß und Zeitaufwand vermieden [Perfektionismus] beziehungsweise durch Zeitmangel entschuldbar wird [Prokrastination].

Infolge dieser Arbeitsstile treten häufig Erschöpfung und Burnout auf. Oftmals leiden auch die Familien: Menschen mit Hochstapler-Selbstkonzept neigen dazu, fast ihre gesamte Zeit in die Arbeit zu investieren. Außerdem bleiben sie in der Regel unter ihren Möglichkeiten – auch wenn sie objektiv gute Positionen bekleiden. Sie könnten mit ihren Fähigkeiten häufig einfach viel mehr erreichen.

Sie studieren zum Beispiel eher etwas, das ihnen sehr leichtfällt, statt ihr Wunschstudium, das fordernder wäre. Oder sie schlagen Aufstiegsangebote ab und wechseln gar den Job, wenn sie in einer Position einiges aufgebaut haben und dadurch die irrationale Angst, dass auffliegt, dass sie Blender seien, auf dieser Position zu groß wird.

Gibt es Branchen, die es besonders trifft?

Unabhängig vom Beruf kennt etwa die Hälfte aller erfolgreichen Personen Impostor-Gefühle. Besonders betroffen sind Menschen mit höherem Bildungsniveau, qualifizierten Abschlüssen und insbesondere Wissenschaftler.

Wie sind Menschen mit Hochstapler-Selbstkonzept als Führungskraft?

Sie verlangen von sich und anderen viel, lassen sich aber von Selbstzweifeln ihrer Mitarbeiter nicht im Vertrauen auf deren Kompetenz beirren. In unserer Studie konnten wir zeigen, dass Betroffene andere Leute mit Impostor-Selbstkonzept offensichtlich erkennen. Sie übertragen ihnen, weil sie ihnen vertrauen, gern viele – auch anspruchsvolle – Aufgaben, be lasten sie dadurch aber auch stärker.

Sie sprechen nicht vom Hochstaplersyndrom, sondern vom Hochstapler-Selbstkonzept. Warum?

Der Begriff Syndrom weckt die Assoziation mit einer psychischen Störung. Das Hochstapler-Selbstkonzept ist jedoch keine Krankheit, sondern vielmehr ein Persönlichkeitsmerkmal. Eine Störung liegt dann vor, wenn erheblicher Leidensdruck entsteht und es zu starken Beeinträchtigungen im Alltag kommt – etwa Schlaf störungen, Ängsten, Burnout oder Depressionen. Dann ist eine Psychotherapie ratsam.

Leuten, die nicht so stark betroffen sind, genügen Selbsthilfemaßnahmen, Coaching oder Supervision. Ziel ist, eingefahrene und dysfunktionale Denk- und Verhaltensmuster zu korrigieren und zu lernen, sich selbst und seine Fähigkeiten realistisch und wohlwollend zu sehen und sich von den Bewertungen anderer unabhängig zu machen.

Wie entsteht das Impostor-Selbstkonzept?

Die Entstehungsbedingungen sind komplex und multifaktoriell, eine Kombination aus Anlage und Umwelt. Die emotionale Labilität bringen die Menschen bereits mit auf die Welt. Ein Elternhaus, in dem eine ausgeprägte Leistungs- und Wettbewerbsorientierung herrscht, kann dann den Grundstein für die Überzeugung legen, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich viel leiste. Eine weitere Gruppe von Menschen, die häufig ein Impostor-Selbstkonzept entwickelt, sind Leute aus einem nichtakademischen Elternhaus, die anfangen zu studieren oder sogar eine Unikarriere einschlagen.

Der Grund: Sie werden das Gefühl nicht los, dass sie sich in einem unpassenden Feld bewegen. Manchmal entwickeln auch Studierende, die von ihren Eltern, Lehrkräften oder auch Mitschülern stets übermäßig gelobt wurden, Impostor-Gefühle, wenn sie an der Uni beispielsweise feststellen, dass viele Mitstudierende genauso gut oder besser sind.

In unserem Heft "Bin ich gut genug?" erfahren Sie woher Selbstzweifel kommen, woran sie uns hindern und wie wir sie für uns nützen können.

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