„Vergleichen Sie nicht, kopieren Sie“

„Das Paar von nebenan wirkt glücklicher als wir!“ Wie wir mit der Fantasie der perfekten Partnerschaft abschließen können, zeigt Gary Lewandowski.

Die Illustration zeigt ein eine Frau und einen Mann, die sich mit geschlossenen Augen küssen
Kopieren anstatt Vergleiche ziehen: Finden Sie ein erfolgreiches Paar und tun Sie das, was die beiden tun. © Natascha Fix für Psychologie Heute

Professor Lewandowski, Sie schreiben in Ihrem Buch Stronger Than You Think. The 10 Blind Spots That Undermine Your Relationships… and How to See Past Them, Perfektion sei eine Fata Morgana, die selbst eine gute Beziehung ruinieren könne. Was meinen Sie damit?

Viele Menschen glauben, dass Beziehungen immer perfekt sein müssten. Aber das ist nur ein Ideal, das mit der Realität nichts zu tun hat. Schließlich ist keiner der beiden Partner perfekt. Und wenn man zwei unvollkommene Menschen zusammenbringt, kann das…

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ist keiner der beiden Partner perfekt. Und wenn man zwei unvollkommene Menschen zusammenbringt, kann das Ergebnis gar nicht perfekt sein. Selbst wenn Sie und Ihre Partnerin super zueinander passen, werden Sie sich manch­mal aneinander reiben. Das ist unausweichlich, wenn zwei Erwachsene ihr Leben aufeinander ausrichten. Es wird gelegentlich nicht so gut laufen, es wird Streit geben, Spannungen, Stress. Wer in einer Partnerschaft immer Perfektion erwartet, bekommt dann schnell ernsthafte Zweifel. Selbst wenn diese objektiv betrachtet völlig unbegründet sind.

Auf Facebook oder Instagram kann man fremde Paare auf ihrem Wochenendtrip nach Venedig begleiten. Fotos, auf denen sie sich im Café anschweigen, sieht man dort nicht. Welche Wirkung haben solche Bilder?

Wir alle neigen von Natur aus dazu, uns mit anderen zu vergleichen. Das gibt uns ein Gefühl dafür, wo wir stehen, wie gut oder wie schlecht es bei uns läuft. Bei Bildern in den sozialen Medien wissen wir natürlich eigentlich, dass das, was wir dort sehen, nicht die Wirklichkeit ist, sondern ein sorgfältig choreografierter Ausschnitt davon. Sie sind die greatest hits aus dem Leben der anderen. Dennoch fällt es uns schwer, uns das immer wieder vor Augen zu führen. Wir beziehen uns auf diese Fotos, als wären sie die Wirklichkeit. Und dann kann es passieren, dass wir an unserer eigenen Beziehung zweifeln, weil wir sie im Vergleich für nicht toll genug halten.

Vielleicht führen Paare, die Bilder von ihrem gemeinsamen Venedigwochenende posten, ja tatsächlich besonders aufregende und erfüllende Beziehungen.

Nein, im Gegenteil, das ist ja gerade die Ironie daran: Die Forschung zeigt, dass es oft vor allem Menschen in wackeligen Partnerschaften sind, die Fotos aus ihrer Beziehung hochladen. Sie posten sie, um sich selbst zu beruhigen. Dennoch glauben wir, dass es bei ihnen ganz wundervoll läuft, viel besser als bei uns. Das ist einer der blinden Punkte, die ich in meinem Buch anspreche, weil sie das Paarverhältnis ernsthaft beschädigen können.

Können gut funktionierende Beziehungen auch ein Vorbild sein?

Ja. Viele Menschen, die an ihrer Beziehung zweifeln, schauen sich andere Paare an, die noch schlechter harmonieren. Daran gibt es ja in aller Regel keinen Mangel. Das Problem dabei: Sie fühlen sich dann zwar kurzfristig besser, ihre eigene Partnerschaft profitiert davon aber nicht. Meine Empfehlung ist daher eine andere: Vergleichen Sie sich nicht, sondern kopieren Sie! Finden Sie ein erfolgreiches Paar und tun Sie das, was die beiden tun.

Die sozialen Medien bieten auch viele Möglichkeiten, jemand Neues zu finden. Ist das eine weitere Art von Vergleich, den man dadurch heute leicht anstellen kann: zwischen dem Partner, den man hat, und dem Partner, den man möglicherweise haben könnte?

So ist es. Wir haben heute Zugriff auf eine Vielzahl verfügbarer Alternativen. Und wir wissen aus der Beziehungsforschung, dass das das Engagement für die Partnerschaft untergräbt. Wenn Sie viele Optionen haben, neigen Sie dazu, Ihre aktuelle Wahl – die Person, mit der Sie zusammen sind – infrage zu stellen. Allerdings haben wir die Tendenz, unsere Optionen zu überschätzen, vor allem Männer: Sie denken, dass sie eine größere Chance auf eine „bessere Partnerin“ haben, als es tatsächlich der Fall ist.

Es kann also sein, dass man eine Beziehung beendet, weil man mit ihr unzufrieden ist, nur um sich wenig später in einer schlechteren Beziehung wiederzufinden?

Ja. Nehmen wir an, Ihre Partnerschaft läuft eigentlich wirklich gut. Trotzdem glauben Sie aufgrund der vielen potenziellen Alternativen, die Sie für sich sehen, dass Sie es besser treffen könnten. Sie beenden Ihre Beziehung, nur um festzustellen, dass das Gras auf der anderen Seite gar nicht grüner ist. Ich halte das für einen weitverbreiteten Fehler: Viele Menschen sind ständig auf der Suche nach einem Upgrade. Sie glauben, dass sie das Beste verdienen und damit am glücklichsten werden. In der Psychologie werden sie als Maximierer bezeichnet. Die Forschung zeigt uns allerdings: Menschen, die ständig das Maximum herausholen wollen, sind am Ende weniger zufrieden und weniger glücklich.

Ist dieses Maximieren auch Ausdruck eines Trends zur Selbstoptimierung, der in vielen westlichen Gesellschaften zu beobachten ist?

Ich glaube, dass in den letzten Jahrzehnten ein kultureller Wandel eingesetzt hat, der auch mit einem immer stärkeren Konsumdenken zusammenhängt. Wir haben heutzutage in vielen Bereichen sehr viel Auswahl, und das befördert unseren Impuls, immer das Beste oder zumindest etwas Besseres zu wollen. In einer Dating-App können wir mit einem Wisch sämtliche verfügbaren Partner in unserer Umgebung sehen, die möglicherweise „besser“ sind als die Person, mit der wir zusammenleben.

Sie schreiben in Ihrem Buch über zehn blinde Punkte, die unsere Beziehungen gefährden. Welchen davon halten Sie für den wichtigsten?

Ich glaube, die meisten Menschen machen den Fehler, dass sie zu viel Wert auf Leidenschaft legen und zu wenig auf Kameradschaft. Im Englischen sprechen wir auch von companionate love – das ist die Verbindung, die wir zu einer besten Freundin oder einem besten Freund empfinden. Sie basiert auf Respekt, Güte, Unterstützung, der Fähigkeit, miteinander Gespräche zu führen. Leidenschaft ist eher eine Frage der Hormone, der Chemie. Und dennoch assoziieren viele Menschen Liebe vor allem mit den sprichwörtlichen Schmetterlingen im Bauch. Aber zur Liebe gehört viel mehr als solche Gefühle. Wir neigen dazu, den kameradschaftlichen Aspekt einer guten Beziehung viel zu wenig zu schätzen.

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Gary Lewandowski ist Professor für Psychologie an der US-amerikanischen Monmouth-Universität. Der Wissenschaftler und Buchautor forscht seit fast 20 Jahren zu Paarbeziehungen. Mit seinem Blog The Psychology of Relationships erreicht er auch ein ­großes Laienpublikum.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2024: Sind die anderen glücklicher? Streiten nur wir so viel? Passen wir noch zusammen?