Seit neun Jahren sind Céline und Jesse nun ein Paar. Sie sind sich immer noch nahe, doch unter der Oberfläche brodeln Probleme: die Angst, für den anderen nicht mehr attraktiv zu sein; das Gefühl, dass die Aufgaben ungerecht verteilt sind; die Sorge, sich in den Zwängen des Alltags aufzureiben und sich dabei voneinander zu entfernen.
Eine gemeinsame Liebesnacht in einem romantischen Hotel soll Abhilfe schaffen. Stattdessen kommt es zum Eklat. „Was machen wir hier überhaupt? Das ist mir alles viel zu…
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Abhilfe schaffen. Stattdessen kommt es zum Eklat. „Was machen wir hier überhaupt? Das ist mir alles viel zu durchgeplant“, sagt Céline. „Ja, es gibt keinen Raum für Spontaneität mehr, die ist vollkommen aus unserem Leben verschwunden. Und das ist beknackt und kann nicht funktionieren.“ Und sie dann später: „Weißt du, was hier abläuft? Es ist ganz einfach – ich glaube nicht, dass ich dich noch liebe.“
Noch vor Mitternacht
Der US-Regisseur Richard Linklater hat mit der Kamera einen Tag im Leben zweier Menschen festgehalten, zwischen denen die Zweifel wachsen: Reicht das, was wir füreinander empfinden, um weiter zusammenzuleben, trotz mancher Verletzungen und Enttäuschungen? Ist unsere Beziehung die Opfer wert, die wir für sie bringen müssen? Als sein Film Before Midnight 2013 in die Kinosäle kam, wurde er von der Kritik als Meisterwerk gefeiert. Einerseits wegen der hervorragenden Schauspielleistungen von Julie Delpy und Ethan Hawke. Andererseits aber auch, weil seine Botschaft einen Nerv trifft: Zusammenzukommen ist einfach. Zusammenzubleiben ist schwer.
Beziehungen verändern sich – und zwar oft nicht so, wie wir uns es an ihrem Beginn erträumen. Was dazu führen kann, dass wir uns irgendwann fragen, ob wir nicht jemand Besseres verdient haben: jemand Klügeres, Schöneres, Witzigeres. Laut einer Erhebung der Onlinedating-Agentur ElitePartner aus dem Jahr 2017 sind solche Zweifel gar nicht so selten: Von den mehr als 4000 Befragten waren sich 23 Prozent ab und zu unsicher, ob sie sich für die Richtige oder den Richtigen entschieden hatten.
„Grundsätzlich sind Zweifel in der Partnerschaft etwas ganz Natürliches und Normales“, sagt der Paarforscher Gary Lewandowski, Professor für Psychologie an der US-amerikanischen Monmouth-Universität. „Es gibt keine Beziehung, die zu 100 Prozent perfekt ist – neben den schönen Seiten sind da immer auch Dinge, die nicht gut laufen und an denen Sie arbeiten müssen. Wenn Sie also nach Gründen suchen zu zweifeln, dann werden Sie sie sicher finden.“
Der „Honeymoon is over-Effekt“
Wenn wir gerade zusammengekommen sind, scheint es fast undenkbar, dass irgendwann einmal Probleme auftauchen könnten. Ein Team von New Yorker Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen hat vor fast 20 Jahren frisch Verliebte in einem Hirnscanner vermessen. Wenn die Versuchspersonen Fotos ihres Partners oder ihrer Partnerin gezeigt bekamen, liefen bei ihnen Teile des sogenannten Belohnungssystems zur Hochform auf. Dieselben Gehirnbereiche werden auch durch Drogen wie etwa Kokain aktiviert. Zugespitzt könnte man sagen: Verliebtsein macht high. Dementsprechend betrachtet man in dieser Zeit die Welt und insbesondere seine Liebste durch die rosarote Brille.
Irgendwann klingt dieser Zustand aber wieder ab. „Wir nennen das den Honeymoon is over-Effekt“, erklärt Janina Bühler, Juniorprofessorin für Persönlichkeitspsychologie und psychologische Diagnostik an der Universität Mainz. „Im Grunde ist das auch gut – wir können nicht langfristig in einem Ausnahmezustand leben, in dem unsere Gedanken permanent um unsere Partnerin oder unseren Partner kreisen.“ Doch wenn sich die Schmetterlinge im Bauch zur Ruhe setzen, sinkt in der Regel auch die Zufriedenheit mit der Beziehung. „Wir vergleichen unsere Partnerschaft damit, wie aufregend und toll sie am Anfang war“, sagt Bühler.
Die Wissenschaftlerin hat untersucht, wie sich die Zufriedenheit von Paaren im Laufe der Zeit entwickelt. Dazu hat sie Daten aus mehr als 150 Studien mit insgesamt 165000 liierten oder verheirateten Männern und Frauen analysiert. Ein wesentliches Ergebnis: „In den ersten zehn Jahren fällt die Kurve deutlich ab und erreicht dann ihren Tiefpunkt“, erklärt sie. Der Honeymoon is over-Effekt ist dafür vermutlich nur ein Grund. „In diese Zeit fallen auch bei vielen Menschen einschneidende Lebensereignisse“, sagt Bühler: „Man zieht zusammen, man bekommt Kinder, man startet im Beruf durch – all das hat sicherlich seine Auswirkungen.“
Sie plädiert daher für Gelassenheit, wenn Paare feststellen, dass sie nicht länger auf Wolke sieben schweben, sondern (wie es der Liedermacher Philipp Dittberner im gleichnamigen Song besingt) nur noch auf Wolke vier. „Bis zu einem bestimmten Maß ist das ganz normal“, betont sie. „Das hohe Zufriedenheitsniveau am Anfang lässt sich in der Regel nicht halten. Es kann entspannend für Paare sein, das zu wissen.“ Zumal es in jeder Partnerschaft bessere und schlechtere Phasen gebe. „Das schwankt, genau wie unsere Stimmung. Es ist sicher hilfreich, nicht jedes Tief – oder auch jedes Hoch – überzuinterpretieren.“


Wenn wir uns differenzieren
In jeder Beziehung setzt irgendwann eine Entwicklung ein, die der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann als „Differenzierung“ bezeichnet: „Zu Beginn wollen beide viel Zeit miteinander verbringen und eine möglichst symbiotische Verbindung erleben“, sagt er. „Irgendwann lässt dieser Fokus auf Verschmelzung, auf Sicherheit und Geborgenheit aber nach. Die Partner fragen dann wieder mehr danach, was denn ihre eigenen Bedürfnisse sind.“
Differenzierung fordert beiden Seiten ab, das Mischungsverhältnis zwischen Intimität und Autonomie neu auszutarieren. Zweifel entstehen aus Hegmanns Sicht oft dann, wenn dieser Schritt unterschiedlich schnell erfolgt: Der eine will die Beziehung bewahren, wie sie war, während die andere sich löst, um etwas Neues auszuprobieren. Das kann bei beiden dazu führen, dass sie ihre Liebe hinterfragen – sei es, weil ihnen die Nähe des Anfangs fehlt, oder im Gegenteil, weil sie sich zunehmend eingeengt fühlen. „Eine typische Frage, die dann auftauchen kann: Fühle ich mich eigentlich in dieser Partnerschaft noch wohl?“, erklärt Hegmann.
Beide Seiten sind sich zunehmend unsicher, ob sie überhaupt zueinander passen: Mein Freund ist jetzt andauernd genervt von mir; eigentlich sollte er sich doch freuen, mich zu sehen. Mit meinen Freundinnen habe ich viel mehr Spaß als mit meinem Partner. Was wirft das für ein Licht auf unsere Beziehung? „Solche Gedanken führen bei den Betroffenen zu Stress“, sagt Hegmann. „Damit steigert sich wiederum die Gefahr, dass kleine, alltägliche Konflikte zu einem ausgewachsenen Streit eskalieren. Denn sie erscheinen dann rasch wie existenzielle Bedrohungen.“
Auf die Dauer können sich die Fronten dadurch immer mehr verhärten. Es droht eine emotionale Entfremdung: Hätte ich geahnt, dass er so ein Stinkstiefel ist, hätte ich ihn nicht genommen. Was ist sie doch für eine Langweilerin, ich nehme sie gar nicht gerne mit in meinen Freundeskreis. Unausweichlich ist diese Entwicklung nicht: „Wir sollten unsere Partner motivieren, die Personen zu sein, die sie gerne wären“, rät Hegmann. Die Kunst ist, loszulassen, ohne zu befürchten, die andere oder den anderen zu verlieren. Oder, wie der Paartherapeut es ausdrückt, Nähe nicht trotz, sondern wegen der Unterschiede zu erleben.
Unser Gehirn sieht vor allem die Probleme
Doch leider neigen wir Menschen dazu, die Dinge überzubewerten, die nicht so gut laufen, und darüber zu vergessen, was wir aneinander haben. Grund dafür ist ein Phänomen, das sich „Negativitätsverzerrung“ (Englisch: negativity bias) nennt. „Wir wissen aus der Glücksforschung, dass unser Gehirn besonders darauf trainiert ist, auf Probleme zu fokussieren“, erklärt der Hamburger Psychologe Christian Hemschemeier. „Wahrscheinlich weil es uns in der Evolution Überlebensvorteile gebracht hat, die Umgebung nach möglichen Bedrohungen abzuscannen.“
Mechanismen wie dieser können dafür sorgen, dass schon Kleinigkeiten große Ängste wachrufen: wenn der Sex seltener wird („Er findet mich nicht mehr attraktiv“), wenn die Freundin sich die Instagram-Posts ihres Ex ansieht („Sie will zu ihm zurück“), wenn beide nach der Arbeit zu müde sind, um noch ein tiefgründiges Gespräch zu führen („Wir haben uns nichts mehr zu sagen“). Oft zögen solche Befürchtungen weitere nach sich, schreibt die Paartherapeutin Alicia Muñoz in ihrem Buch Stop Overthinking Your Relationship. Break the Cycle of Anxious Rumination to Nurture Love, Trust, and Connection with Your Partner.
Darin bezeichnet die amerikanische Therapeutin diese Gedankenspirale auch als „Beziehungsgrübeln“ (relationship rumination). Wenn sich solche Negativgedanken andauernd wiederholten, sei das eine Gefahr für die Partnerschaft, schreibt sie in einem E-Mail-Interview mit Psychologie Heute. Um ihnen Einhalt zu gebieten, empfiehlt Muñoz, sich zunächst einmal der eigenen Befürchtungen bewusstzuwerden und sie dabei als das zu identifizieren, was sie sind: Gedanken, nicht die Wirklichkeit. „Können wir unserer Partnerin wirklich nicht vertrauen, nur weil sie den Instagram-Post ihres Ex-Freundes gelikt hat? Oder bezweifeln wir ihre Liebe zu uns, weil wir Angst haben, dass sie uns verlässt, wenn wir nicht genug aufpassen? Wir müssen unsere Zweifel kritisch untersuchen und bewerten, ob sie auf der Realität beruhen oder exzessiv und schädlich sind.“
Von Beziehungsgrübeln zur Zwangsstörung
Treten sie im Übermaß auf, können sie sogar den Charakter einer Zwangsstörung annehmen. Die Betroffenen kreisen dann ständig um die Frage, ob ihre Beziehung die richtige für sie ist. Sie müssen dauernd prüfen, ob sie genug für die andere Person empfinden. Jede kleine Verstimmung werten sie als Zeichen, dass ihre Liebe nicht „wahr“ ist. Oft werden diese zwanghaften Gedanken von starken Ängsten begleitet. Menschen mit dieser Zwangsstörung vermeiden entsprechend Situationen, die Anlass für zusätzliche Zweifel geben könnten. Das kann dazu führen, dass sie der Partnerin oder dem Partner zunehmend aus dem Weg gehen. Der israelische Psychiater Guy Doron geht davon aus, dass etwa 0,4 Prozent der Bevölkerung durch partnerschaftsbezogene Zwangsgedanken in ihrem Alltag beeinträchtigt sind.
Wie ausgeprägt die Tendenz ist, die Partnerschaft immer wieder in negativem Licht zu sehen, hängt unter anderem vom Bindungsstil ab. Darunter versteht die Psychologie das Vertrauen darauf, sich auf nahe Bezugspersonen verlassen zu können. Diese Eigenschaft ist uns zum Teil in die Wiege gelegt – ob wir beispielsweise einen sogenannten sicheren oder einen unsicher-vermeidenden Bindungsstil haben, liegt mit an unseren Genen.
Eine prägende Rolle spielen aber auch frühe Kindheitserfahrungen, vor allem mit den eigenen Eltern. Die Forschung unterscheidet grob gesagt zwischen einem sicheren und einem unsicheren Bindungsstil. Unsicher gebundene Menschen neigen dazu, Beziehungen für zerbrechlich zu halten. Manche von ihnen vermeiden daher enge Bindungen. Ein anderer Teil sucht zwar Nähe und Intimität, ist aber von ständigen Sorgen geplagt, verlassen zu werden. Psychologinnen und Psychologen sprechen auch von einer „ängstlich-ambivalenten Bindung“.
Ständiges Sammeln von Vergleichsinformationen
Gerade diese Gruppe scheint für Zweifel besonders anfällig zu sein. „Wenn Sie permanent befürchten, dass Ihre Beziehung in die Brüche geht, dann sind Sie empfindlicher für mögliche Hinweise darauf, dass zwischen Ihnen beiden etwas nicht stimmt“, erklärt der US-Wissenschaftler Gary Lewandowski. Wenn jemand dauernd nach schlechten Vorzeichen für die Partnerschaft Ausschau hält, bleibt das zudem nicht ohne Folgen: Menschen mit ausgeprägten Bindungsängsten sind mit ihrer Beziehung öfter unzufrieden. Mehr noch: Sie bereuen auch häufiger, sie überhaupt eingegangen zu sein.
Und noch etwas zeichnet diese Menschen aus: Sie neigen stärker dazu, die eigene Beziehung mit der anderer Paare zu vergleichen. Das zeigt etwa eine Studie der US-Psychologin Lavonia Smith LeBeau und ihres Kollegen Justin T. Buckingham aus dem Jahr 2008. Sich zu vergleichen liegt grundsätzlich in der menschlichen Natur. Schließlich kann man so ohne viel Mühe an Informationen gelangen: Um eine Ahnung davon zu bekommen, wie gut es um meine Joggingfähigkeiten steht, muss ich mich nur einmal in meiner Laufgruppe umsehen.
Doch die Sache hat auch eine Kehrseite: Vergleiche können dazu führen, dass wir uns minderwertig vorkommen oder dass wir voller Neid auf das Leben der anderen schielen. Dem dänischen Philosophen Søren Kierkegaard wird das Zitat zugeschrieben, das Vergleichen sei das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit. Tatsächlich deutet sich das auch in der Untersuchung von Smith LeBeau und ihrem Kollegen an: Je häufiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Partnerschaft mit der anderer Paare verglichen, desto stärker nahm bei ihnen im Laufe der Zeit die Zufriedenheit mit der eigenen Beziehung ab.
Ein Abenteuer, bei dem man sich näherkommt
Für Paartherapeut Eric Hegmann befeuern Vergleiche – gerade auch solche in den sozialen Netzwerken – einen Trend, den er als „Disneyfizierung der Liebe“ bezeichnet: Mehr und mehr Menschen seien heute auf der Suche nach der perfekten Zweisamkeit. Denn in einer vollkommenen Beziehung müsse man keine Angst haben, verletzt oder enttäuscht zu werden. Ob Liebesromane, Hollywoodromanzen oder Facebook-Posts: Sie alle täuschen vor, dass sich die Traumpartnerin oder der Traumpartner wirklich finden lässt.
Ironischerweise zeigt die Forschung, dass der Glaube an die eine wahre Liebe unglücklich machen kann. Menschen mit einer solchen Sicht tendieren dazu, Konflikte in der Beziehung unter den Teppich zu kehren. Wenn sie merken, dass die Seelenverwandte oder der Traummann auch Macken hat, sind sie zudem unzufriedener mit der Partnerschaft und neigen dazu, sie für einen Fehler zu halten.
Grundsätzlich lässt sich nur schwer vorhersagen, wie sich eine Beziehung langfristig entwickeln wird: ob sie die Beteiligten auf Dauer zufrieden macht oder ob sie irgendwann in die Brüche geht. Wie die Partnerinnen anfangs füreinander empfinden, wie attraktiv sie sich finden, wie sehr sie in ihren Einstellungen und Hobbys übereinstimmen – all das taugt erstaunlich wenig für eine Zukunftsprognose. Entscheidender ist, wie man die Partnerschaft gemeinsam lebt und gestaltet. Der US-Psychologe Gary Lewandowski empfiehlt daher einen Wechsel der Geisteshaltung: „Viele Paare machen einen Fehler: Sie denken, dass ihre Beziehung automatisch so perfekt bleiben wird, wie sie am Anfang war. Stattdessen sollten sie es als ihre gemeinsame Aufgabe betrachten, daran zu arbeiten, dass sie es tut.“
Die Partnerschaft als gemeinsames Projekt, zu dem beide ihren Beitrag leisten müssen: Wer diese Perspektive pflegt, tut sich leichter damit, Durststrecken durchzustehen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. In der Psychologie ist dieses Konzept als „Wachstumstheorie“ bekannt. Die Idee dahinter: Erfüllende Beziehungen entstehen dadurch, dass man Risiken und Schwierigkeiten meistert – nicht dadurch, dass diese Risiken und Schwierigkeiten fehlen. Sie sind ein Abenteuer, das beide zusammen bewältigen und bei dem sich die Partnerinnen auch dadurch immer näherkommen.
„Versuchen Sie nicht, Ihre Beziehung in ihrem symbiotischen Anfangszustand zu konservieren, sondern entwickeln Sie sie als Team weiter“, rät Paartherapeut Eric Hegmann. „Sicher: Auf diesem Weg wird es Konflikte geben, Verhandlungen, die wehtun. Am Ende werden Sie aber feststellen, wie sehr Ihre Partnerschaft daran wachsen kann.“
Schon halb getrennt
Die eigenen Zweifel anzusprechen ist auf diesem Weg ein erster Schritt. Doch wie macht man das, ohne die Partnerin oder den Partner ernsthaft zu verletzen? Oder gar erst recht die Geister heraufzubeschwören, vor denen man sich so sehr fürchtet? Ein wütend hervorgestoßenes „Ich glaube nicht, dass ich dich noch liebe“ führt zwar in Before Midnight dazu, dass Jesse um Céline zu kämpfen beginnt. Doch kann eine Beziehung dadurch nicht zusätzlich beschädigt werden? Und zwar so sehr, dass sie daran in die Brüche geht?
Paaren fällt es oft sehr schwer, miteinander darüber zu reden, wie es zwischen ihnen steht. Das geht so weit, dass sie sich kritische Gedanken geradezu verbieten, um die Partnerschaft nicht hinterfragen zu müssen. Oder wie es der Hamburger Paartherapeut Christian Hemschemeier drastisch ausdrückt: „Man bescheißt sich gerne selbst. Denn wenn man zugibt, dass es nicht so gut läuft, bekommt das plötzlich eine ganz andere Realität – dann fühlt man sich schon halb getrennt.“ Er glaubt, dass diese Verdrängungsstrategie durchaus eine ganze Weile funktionieren kann, zumindest bis die Probleme so groß werden, dass sie sich nicht mehr ignorieren lassen. „Für Selbsterkenntnis braucht es oft erst eine Krise, durch die man gezwungen wird, sich den eigenen Schatten zu stellen.“
Den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass sich die Konflikte schon von selbst lösen werden, ist sicher nicht die beste Idee. „Ich plädiere zwar dafür, nicht jeden kleinen Zweifel ernst zu nehmen und auf den Tisch zu bringen“, erklärt Janina Bühler von der Universität Mainz. „Wir sollten aber prüfen, wie sehr die Bedenken, die darin zum Ausdruck kommen, für unsere Partnerschaft relevant sind. Und wenn sie wichtig sind, dann sollten wir sie auch ansprechen. Am schlechtesten ist es, wenn zwei resignierte Individuen eine Beziehung miteinander führen, in der beide nicht glücklich sind.“
Der „marriage hack“ für Streit
Vorteilhaft ist, wenn heikle Themen nicht erst im Streit hochkommen, in der Hitze des Gefechts. Denn in solchen Situationen vergreifen wir uns gerne einmal im Ton. Und das kann dazu führen, dass die Beziehung erst recht Schaden nimmt. „Was einmal ausgesprochen ist, ist ausgesprochen. Zu sagen: Du gefällst mir nicht mehr, du machst mich nicht mehr glücklich, ist verletzend und bleibt im Kopf“, sagt Bühler. „Man kann das aber auch in eine konstruktivere Bahn lenken, etwa indem man fragt: Wie ist das eigentlich für dich? Missfällt dir etwas an mir oder an unserer Partnerschaft? Was würdest du dir wünschen, damit es wieder besser läuft? Also weniger Angriff und mehr Gespräch auf Augenhöhe.“
Wie gut man das schafft, ist auch eine Frage der Persönlichkeit. Menschen mit einem ausgeprägten Neurotizismus (also einer geringen emotionalen Stabilität) neigen zum Beispiel dazu, bei Konflikten schneller an die Decke zu gehen. Beziehungen, in denen eine Partnerin, ein Partner oder gar beide hohe Neurotizismuswerte aufweisen, sind denn auch im Schnitt weniger glücklich. „Das ist aber nicht unabänderlich. Ein konstruktives Kommunikationsverhalten lässt sich lernen“, betont Bühler. „Das ist dann ein Punkt, an dem eine Paartherapie ansetzen kann.“
Möglicherweise hilft schon eine ganz einfache Strategie, künftig „besser zu streiten“. Eli Finkel, US-amerikanischer Professor für Sozialpsychologie, hat sie 2013 entwickelt und auf den Namen marriage hack getauft (ein hack ist ein Kniff, der das Alltagsleben erleichtern soll). Das Schöne daran: Man braucht nur 20 Minuten dafür, und zwar nicht täglich, sondern pro Jahr.
Der Wissenschaftler hatte zusammen mit Kolleginnen und Kollegen 120 Ehepaare wiederholt zum Zustand ihrer Beziehung befragt – mit einem deprimierenden Ergebnis: Im Lauf der Zeit gaben Frauen wie Männer ihrer Ehe immer schlechtere Noten. Nun sollte ein Teil von ihnen versuchen, bei Konflikten die Warte eines wohlwollenden Betrachters einzunehmen. Dazu gab Eli Finkel den Paaren eine kurze Übung auf, für die sie sich dreimal im Jahr ein paar Minuten Zeit nehmen sollten.
Die Wirkung war verblüffend: Die Ehezufriedenheit der entsprechenden Paare blieb im weiteren Verlauf der Studie konstant; der Abwärtstrend wurde also gestoppt. Bei der Kontrollgruppe ging es dagegen weiterhin stetig bergab. Möglicherweise hilft ein solcher Perspektivwechsel dabei, Meinungsverschiedenheiten nicht zu hoch zu hängen und bei einem Streit ruhiger zu bleiben. „Der marriage hack zwang die Leute, aus ihrer kurzsichtigen selbstzentrierten Perspektive herauszukommen“, sagt Eli Finkel in einem TED Talk zum Thema. „Die Konflikte waren genauso schwer und genauso häufig. Die Beteiligten waren aber weniger ärgerlich.“
„Nie hörst du mir richtig zu!“
„Wie wir als Paar kommunizieren, hat einen großen Einfluss auf die Partnerschaft“, sagt auch Diplompsycho-loge Christian Hemschemeier. Wahre Gesprächskiller sind zum Beispiel Schuldzuweisungen, gepaart mit Triggerwörtern wie „immer“ und „nie“: Nie hörst du mir richtig zu. Immer entscheidest du über unsere Pläne. Eine Alternative sind „Ich-Botschaften“ („Dein Verhalten führt bei mir zu dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden“). Wer sie aber ständig verwendet, der läuft Gefahr, vom anderen als nicht authentisch wahrgenommen zu werden. „Das kann dann kühl, abgeklärt und unemotional wirken“, meint Hemschemeier. „Hier gilt sicherlich: Die Dosis macht das Gift.“
Ein kooperativer Kommunikationsstil geht zwar kurzfristig in aller Regel mit einer größeren Beziehungszufriedenheit einher als ein konfrontativer. Langfristig seien die Ergebnisse aber nicht so eindeutig, schreiben die Psychologieprofessorin Francesca Righetti und ihr Team in einem Übersichtsartikel. Ein erbitterter Krach kann manchmal wie ein reinigendes Gewitter wirken: Danach läuft es mitunter wieder deutlich besser – zumindest wenn ernste Probleme angesprochen wurden.
Hilfreich ist sicher auch, das Augenmerk auf die Dinge zu richten, für die wir dankbar sein können: für den Kaffee, der uns morgens auf dem Frühstückstisch erwartet, für die aufmunternde WhatsApp-Botschaft vor der wichtigen Präsentation, für die Umarmung, wenn wir abends erschöpft nach Hause kommen. Dieser Blickwinkel ist ansteckend: Wer sich für seinen Beitrag zur Beziehung geschätzt fühlt, begegnet auch der Partnerin oder dem Partner mit mehr Dankbarkeit. Die Beziehung wird stabiler, unter anderem weil beide mehr in sie investieren. Dankbarkeit ist das Gegengift zur Negativitätsverzerrung: Sie ist der Kitt, der Paare zusammenhält.
Das Ende der Zweisamkeit?
Zweifel müssen nicht das Ende der Zweisamkeit ankündigen. Manchmal können sie aber tatsächlich zeigen, dass etwas in der Partnerschaft grundsätzlich nicht stimmt: dass sie einen nicht glücklich macht, sondern unglücklich; dass es keine Hoffnung gibt, dass sie sich in eine bessere Richtung entwickelt, weil einer der Beteiligten nicht bereit ist, sich darum zu bemühen. In diesem Fall ist es sinnvoll, sich nicht zwanghaft an die Beziehung zu klammern, sondern sie zu beenden. Das gilt natürlich insbesondere dann, wenn sie durch körperliche oder psychische Gewalt geprägt ist.
Wie es mit Céline und Jesse weitergehen wird, dem Paar aus Before Midnight, bleibt übrigens offen (auch wenn sich nach ihrem erbitterten Streit eine Versöhnung andeutet). „Wenn du wahre Liebe willst: Bitte, hier ist sie“, sagt er am Ende. „Dies ist das echte Leben. Es ist nicht perfekt, aber es ist echt. Und wenn du das nicht sehen kannst, dann bist du blind.“
Wie wichtig ist Sex?
Wer frisch verliebt ist, verbringt viel Zeit miteinander – auch im Bett. Später schläft man seltener miteinander. In einer US-Studie hatten verheiratete Paare in den ersten zwölf Monaten ihrer Ehe fast doppelt so oft Sex wie vier Jahre später. Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs nur sehr bedingt etwas mit dem Zustand der Partnerschaft zu tun hat. „Dennoch ist Sex zu einer Art Qualitätsmarker für Beziehungen geworden“, sagt US-Psychologe Gary Lewandowski. „Das liegt unter anderem daran, dass er so leicht zu messen ist: Es ist viel einfacher zu zählen, wie oft man miteinander geschlafen hat, als beispielsweise zu bewerten, wie sehr einen die Partnerin oder der Partner emotional unterstützt.“
Dabei sei viel Sex nicht unbedingt ein gutes Zeichen: „Ironischerweise haben etwa Frauen häufiger Geschlechtsverkehr, wenn sie befürchten, dass etwas mit ihrer Beziehung nicht stimmt.“ Körperliche Intimität kann also auch der Selbstvergewisserung dienen: Zwischen uns ist alles in Ordnung. Oder auch als ein Mittel zur Versöhnung. „Nach Konflikten gehen Paare öfter miteinander ins Bett“, sagt Christian Hemschemeier, Psychologe und Paartherapeut aus Hamburg. „Wenn zwei Menschen selten miteinander schlafen, kann das also gerade bedeuten, dass es zwischen ihnen harmonisch und reibungsarm läuft.“
Wichtiger als die Häufigkeit ist, als wie befriedigend beide ihr Sexleben empfinden. So nahm die sexuelle Zufriedenheit bei den eingangs erwähnten Paaren in den ersten vier Jahren ihrer Ehe kaum ab. Wenn die Durststrecke über Monate anhalte, solle das aber zu denken geben, meint Hemschemeier: „Wenn Sex zur Ausnahme wird, tut das der Partnerschaft sicher nicht gut.“
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Quellen
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Internetquellen:
ElitePartner-Studie Beziehungszweifel
Parship-Studie Eric Hegmann
TEDx-Talk Eric Hegmann zu Disneyfication