Geht es dem eigenen Kind psychisch nicht gut, fühlen sich Eltern, Väter und Mütter oft erst einmal wie gelähmt. Hier bekommen Sie erste Antworten auf einige der häufig gestellten Fragen:
1. Mein Kind erlebt eine seelische Krise. Was kann ich tun?
Eltern kennen ihre Kinder gut, haben meistens ein Bauchgefühl, auf das sie sich verlassen können. Psychotherapeut Georg Milzner empfiehlt Eltern, in Situationen, in denen Kinder trauriger, unkonzentrierter oder ängstlicher sind als sonst, die Verbindung zu…
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unkonzentrierter oder ängstlicher sind als sonst, die Verbindung zu intensivieren, mehr Zeit zusammen zu verbringen, sich im Kontakt auch nicht abwimmeln zu lassen. Dabei kann es manchmal helfen, gemeinsame Ausflüge oder eine kurze Reise zu machen, Lieblingstätigkeiten des Kindes gemeinsam nachzugehen, zusammen am Tisch zu sitzen und zu essen.
Gespräche können beiläufig sein, beim Abwaschen oder Autofahren. Auch Fragen wie „Was beschäftigt dich?“ oder „Was fehlt dir?“ können in solchen Unterhaltungen Platz finden. Rechnen Sie dabei damit, dass Kinder nicht gleich erzählen, sie brauchen oft mehr Zeit als Erwachsene, antworten oft: „Weiß ich nicht.“ Wichtig ist, dass Eltern sich vergegenwärtigen: Nicht jede Angst oder Durchhängerphase ist therapiebedürftig. Wenn sich über einige Monate nichts ändert, ist es allerdings ratsam, professionelle Hilfe zu suchen.
2. Woher weiß ich, ob mein Kind eine Psychotherapie braucht?
Wenn Kinder eine seelische Krise erleben, verändert sich oft auch ihr Verhalten anderen gegenüber. Der Lehrer, die Trainerin der Fußballmannschaft oder Verwandte bemerken dann oft auch, dass etwas nicht stimmt. Fragen Sie andere erwachsene Bezugspersonen, wie sie das Kind in der letzten Zeit wahrnehmen – und beziehen Sie die Eindrücke ein.
Wenn Söhne oder Töchter sich zurückziehen, müde oder freudlos wirken, ein unerwarteter Leistungsabfall in der Schule aufkommt, kann eine seelische Belastung vorliegen. Wenn Mädchen stark abnehmen (mehr als fünf Kilo in wenigen Monaten), sich nur noch mit Essensplanung und Sport beschäftigen, sind das ebenfalls Warnzeichen. Wenn Sie abklären wollen, ob eine Psychotherapie angebracht wäre, können Sie in eine psychotherapeutische Sprechstunde gehen, etwa für Essstörungen oder Ängste. Auch Familienberatungsstellen, Psychologen oder die Kinderärztin können Anlaufstellen sein.
Zusatztipp: Im Netz gibt es Checklisten, mit denen man verschiedene Krankheitsbilder genauer kennenlernt, besser einschätzen kann, ob beim eigenen Kind eine Störung mit Krankheitswert vorliegt. Solche Tools ersetzen keine professionelle Diagnose, geben aber Orientierung. Für Essstörungen gibt es zum Beispiel das Portal bzga-essstoerungen.de; für Depressionen fideo.de, eine Plattform, auf der Jugendliche auch selbst chatten und sich Rat holen können.
3. Wir müssen ewig auf einen Therapieplatz warten. Was nun?
Wartezeiten von mehreren Monaten sind im Moment leider die Regel. Psychotherapeut Julian Schmitz rät, diese Phase nicht stumm hinzunehmen. Es hilft, zwischendurch andere überbrückende Angebote anzunehmen, beispielsweise Gespräche in Beratungsstellen, mit Schulsozialarbeitern, mit einer Ärztin. Viele Kinder und Jugendliche nutzen solche Zwischenlösungen. Auch wenn das nicht optimal ist, kann es oft ein erster Schritt in Richtung Stabilisierung sein. Schmitz rät außerdem, auch während der Wartezeiten zu probieren, woanders einen stationären oder ambulanten Platz zu bekommen, mehrere Hebel in Bewegung zu setzen.
Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Kind suizidgefährdet ist, sich selbst oder andere verletzt oder eine Psychose entwickelt (etwa akustische Halluzinationen erlebt, manchmal auch induziert durch Drogen), sollten Sie ein Krankenhaus aufsuchen oder den Kinder- und Jugendnotdienst kontaktieren. Bei Psychoseverdacht gibt es in Berlin die Anlaufstelle „FeTZ“, die sich auf die Früherkennung der Erkrankung spezialisiert hat.
Lesen Sie hier mehr zu „Psychisch kranke Kinder: Hilfe für Eltern“:
4. Unser Kind sitzt stundenlang am Computer. Wie reagieren?
Über Medienmissbrauch ist viel gesprochen worden. Heute sehen viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten das ständige Abhängen vorm Bildschirm dann als besorgniserregend an, wenn Kinder andere Interessen stark vernachlässigen, also kaum noch Freunde treffen, keine Lust mehr auf Sport oder andere Hobbys haben, sich in der Schule nicht mehr einsetzen. Falls das der Fall ist, könnten Sie kritisch prüfen, was los ist, und versuchen, genau mitzubekommen, wie viel und was im Netz und am Rechner passiert. Um das einschätzen zu können, ist es wichtig nachzufragen, sich mal dazuzusetzen, auch wenn es peinlich ist.
Ansonsten helfen feste Regeln für verschiedene Altersstufen; eine Faustregel, die beispielsweise für Grundschulkinder taugt: zehn Minuten pro Lebensjahr pro Tag. Zum gesunden Umgang mit Medien gibt die Seite „Schau hin!“ Informationen finden Sie unter: schau-hin.info
Wenn Sie unsicher sind oder ein ungutes Gefühl haben, gibt es die Möglichkeit, sich in einer Erziehungsberatungsstelle oder bei Psychotherapeuten eine erste Einschätzung zu holen – das geht manchmal auch, ohne dass Sohn oder Tochter mitkommt. Checklisten gibt es unter: computersuchthilfe.info
5. Mein Teenagerkind hat keine Ziele. Wie kann ich es motivieren?
Jugendliche sind oft pubertätsbedingt ziellos. Übungsprogramme, mit denen sie Visionen entwickeln und Handlungspläne machen können, werden manchmal in Schulklassen oder auch in der Lerntherapie durchgeführt. Natürlich können Sie auch selbst mit Sohn oder Tochter über Visionen und Wünsche sprechen. Oft kommen anfangs schwammige oder hochtrabende Antworten, etwa Fußballer werden zu wollen oder Model.
Kinderpsychiater Thomas Hegemann empfiehlt, Antworten nicht abzuwerten, sondern weiter zu fragen, was sich hinter den Träumen verbirgt. Häufig ist es der Wunsch nach Anerkennung, die Welt zu sehen oder in einer Gruppe etwas zu schaffen. Da können Sie ansetzen, weitere Fragen stellen.
Darüber hinaus ist es hilfreich, Kinder während der Pubertät in Interessen zu bestärken, die viel mit Leidenschaften zu tun haben, als Berufsperspektive auf den ersten Blick aber nicht taugen – etwa Tanzen, Filmen oder Gitarrespielen. „Jede ernsthafte Beschäftigung mit einem Thema oder einem Ziel bringt zwangsläufig eine gewisse Disziplinierung mit sich“, hat Hegemann beobachtet. Auch enge Beziehungen mit Gleichaltrigen stärken die Motivation und Lebensfreude.
Wenn Sie merken, dass die Apathie Ihres Kindes sich durch alle Lebensbereiche zieht, lohnt es auch hier, sich professionelle Beratung zu holen. Ein Buchtipp: Christiane Bauer, Thomas Hegemann: Ich schaffs! – Cool ans Ziel. Das lösungsorientierte Programm für die Arbeit mit Jugendlichen (Carl-Auer).
„Krise der Kinder und Jugendlichen“ bei Psychologie Heute live!
Sie wollen mehr darüber erfahren, warum Kinder und Jugendliche immer öfter psychisch erkranken und welchen Einfluss die Mediennutzung darauf hat? Bei der Online-Veranstaltung Psychologie Heute live! am Mittwoch, 30. November 2022, ab 19 Uhr sprechen Psychologin Dr. Anna Felnhofer und unsere Chefredakteurin Dorothea Siegle genau darüber.
Für das digitale Gespräch können sich alle Interessenten hier kostenlos anmelden.
Zum Weiterlesen:
Georg Milzner: Die Renaturierung der Kindheit. Für eine bindungsorientierte Betreuung kleiner Kinder. Tologo, Leipzig 2022
Robert-Bosch-Stiftung: Das Deutsche Schulbarometer: Aktuelle Herausforderungen an den Schulen in Deutschland. Stuttgart 2022
Michael Schulte-Markwort: Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert. Pattloch, München 2015
Nicole Strüber: Risiko Kindheit. Die Entwicklung des Gehirns verstehen und Resilienz fördern. Klett-Cotta, Stuttgart 2020