In unserer Rubrik „Ist das was für mich?“ stellen wir jeden Monat ein Angebot aus den Bereichen Therapie, Coaching oder Beratung vor. Und Sie können entscheiden, ob das etwas für Sie ist. Dieses Mal: die Angehörigenberatung der Suchthilfe.
Das sagt die Teilnehmerin
Die Suchtberatung war mir nicht völlig unbekannt. In meiner Familie haben mehrere Menschen eine Suchtgeschichte. Aber dass ich selbst einmal dort sitze, wegen meines eigenen Kindes, hätte ich nicht für möglich gehalten. Mein Sohn hat mit 16 Jahren…
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dort sitze, wegen meines eigenen Kindes, hätte ich nicht für möglich gehalten. Mein Sohn hat mit 16 Jahren angefangen, Cannabis zu konsumieren, erst gelegentlich, dann schnell sehr regelmäßig. Er hat ein diagnostiziertes ADHS, wollte nie Medikamente nehmen; ich glaube, er hat versucht, sich über das Kiffen selbst zu therapieren. Als er begonnen hat, die Schule zu vernachlässigen, habe ich mir Sorgen gemacht. Aber die Situation war festgefahren, er hat sich immer weiter von mir distanziert. Ich hatte keinen Zugang mehr zu ihm.
Ich habe wahnsinnige Ängste aufgebaut und versucht, mir Hilfe zu holen, bei Freunden und Bekannten, sogar dem Jugendamt. Aber nirgendwo habe ich mich ernst genommen gefühlt. Stattdessen kamen Sprüche wie: „Das ist doch nur ein bisschen kiffen, das legt sich schon wieder.“
Also fragte ich bei der Suchtberatung nach Rat. Ich hatte dann ein Gespräch, zu dem mein Sohn mitgekommen ist. Der Berater hat auch mit uns beiden einzeln gesprochen, ich habe ihn als sehr wertschätzend und respektvoll wahrgenommen. Er bot mir dann an, eine Angehörigengruppe zu besuchen. Ich wusste zuerst nicht, was ich davon halten sollte. Aber ich entschloss mich dazu, mir die Gruppe zumindest mal anzuschauen.
In der ersten Sitzung dachte ich, ich ersticke. Ich kam in einen Raum, in dem ein Stuhlkreis aufgebaut war. Die Teilnehmenden sagten reihum, wer sie sind und warum sie da waren. Ihre Geschichten zu hören war für mich erdrückend. Einige waren schon lange dabei. Die Vorstellung, dass es mir auch mal so ergehen könnte, war für mich kaum zu ertragen. Ich wollte nicht da sein. Es fühlte sich für mich an wie ein Eingeständnis, als Mutter versagt zu haben.
Dann war ich an der Reihe. Ich konnte gerade einmal meinen Namen sagen und bin dann in Tränen ausgebrochen. Es dauerte etwas, bis ich mich gefangen hatte. Tatsächlich habe ich bei diesem ersten Besuch kaum mehr geschafft, als mich vorzustellen und in ein paar Sätzen zu schildern, warum ich da war. Dann haben die anderen über ihre Themen gesprochen. Am Ende war gar nicht so viel passiert, trotzdem fühlte ich mich irgendwie befreit.
Unter einem Gesprächsangebot für Angehörige hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich dachte: Ich komme mit einem Katalog an Aufgaben wieder raus, ich wollte ja etwas verändern. Aber es geht gar nicht darum, konkrete Tipps zu erhalten, um gegen die Sucht zu kämpfen. Stattdessen lerne ich aus dem Erfahrungsschatz der anderen, um einen besseren Umgang damit zu finden. Ich habe dort einen Raum, um meine Sorgen und Ängste mit Menschen zu teilen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich. Es ist ein Austausch mit großem gegenseitigem Respekt. Man erzählt etwas und wird verstanden, nicht verurteilt oder ausgelacht, sondern wahrgenommen mit seinen Gefühlen und Ängsten. Nirgendwo sonst kann ich so über diese Themen sprechen.
Durch die Gespräche in der Gruppe habe ich gelernt, dass ich mit meinen Ängsten nicht allein bin, dass ich auch mal einen Schritt zurückgehen muss – und dass ich auch auf mich schauen muss, weil mir sonst einfach die Kraft ausgeht. Mein Sohn kifft zwar immer noch, die Hoffnung, dass sich das ändert, habe ich nicht aufgegeben. Aber ich habe gelernt, besser damit umzugehen und offen mit ihm darüber zu sprechen. Ich weiß jetzt, wie ich ihn unterstützen kann, unser Verhältnis hat sich gebessert. Ich besuche die Gruppe seit etwa einem Jahr. Die Geschichten der anderen wühlen mich immer noch auf. Aber ich gehe aus jeder Sitzung gestärkt heraus.
Die Teilnehmerin möchte anonym bleiben
Das sagt ein Berater
Angehörige leiden oft genauso stark unter einer Suchterkrankung wie die Betroffenen selbst. Langfristig können sich daraus psychische Störungen entwickeln. Die Beratung kann hier vorbeugend wirken, ich betrachte sie als ein präventives Angebot. In unserer Beratungsstelle melden sich Eltern, Partner, Kinder von Menschen mit Suchterkrankung. Aber auch eine gute Freundin oder ein Arbeitskollege, der einem besonders nahesteht, gelten als Angehörige. Am häufigsten sind es stoffgebundene Süchte, allen voran Alkoholsucht, wegen der die Menschen zu uns kommen. Aber auch verhaltensbezogene Süchte, wie etwa Pathologisches Spielen, können thematisiert werden. Eltern, deren Kinder ein kritisches Medienverhalten zeigen, lassen sich ebenfalls bei uns beraten.
Bei vielen geht es um den Wunsch nach Vermittlung. Wer einer suchtkranken Person nahesteht, sieht das Problem oft früher als der oder die Betroffene selbst. Dann stellen wir gemeinsam die Frage: Wie kann ich die Person motivieren, ein Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen? Ein weiteres häufiges Anliegen ist, die Suchttherapie des Partners oder der Partnerin angemessen zu begleiten. Im Zuge einer Abstinenz, also des anhaltenden Verzichts auf die Droge, treten umfassende Veränderungen ein, die eine Beziehung belasten können. Die Beratung kann beide Seiten dabei begleiten. Häufig geht es auch einfach nur darum, einen angemessenen Umgang mit der Sucht von Partnerin, Kind oder Elternteil zu finden.
Bei uns gibt es in der Angehörigenberatung zwei Angebote: das Einzelgespräch und die Gruppe. Einzelgespräche dienen in der Regel der Orientierung. Dabei versuche ich, das Problem erst einmal einzuordnen und ein Anliegen zu formulieren. Bestimmte Themen, wie etwa Sexualität oder Gewalt, würde ich zudem auch nur in Einzelsitzungen besprechen. In der Gruppe ist für viele zunächst einmal die Erkenntnis wichtig, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind. Dann geht es stark um den Austausch untereinander und darum, vom Erfahrungsschatz der anderen zu lernen.
Wenn es im engen Umfeld ein Suchtproblem gibt, dreht sich oft auch bei Verwandten, Freundinnen oder Partnern alles nur noch darum. Wenn ich frage: „Was ist mit Ihnen? Was sind Ihre Bedürfnisse?“, stoße ich oft auf Ratlosigkeit. Aber gerade dieser Perspektivwechsel ist unglaublich wichtig: Wer emotional ausbrennt, schadet sich selbst und kann nicht mehr für andere da sein. Genauso wichtig ist mir, in der Beratung keine Ratschläge zu geben, zu sagen: „Du musst jetzt dies oder das tun, du musst dich trennen, ihn rauswerfen“ und so weiter. So etwas kriegen Angehörige oft genug zu hören. Aber das funktioniert nicht, sondern verursacht nur neues Leid. In der Beratung geht es darum, mit jeder und jedem daran zu arbeiten, den eigenen, individuellen, gangbaren Weg zu finden. Und der kann von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein.
Harald Spreda ist Leiter der Sucht- und Drogenberatung beim Diakonischen Werk Marburg-Biedenkopf
Das sind die Fakten
Was ist das für ein Angebot?
Bei dem hier geschilderten Angebot handelt es sich um die Beratung für Angehörige, durchgeführt von der Diakonie in Marburg-Biedenkopf. In Deutschland gibt es etwa 1300 ambulante Suchthilfestellen, hinter denen meist Wohlfahrtsverbände wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Caritas, seltener private Träger stehen. Das Angebot für Angehörige variiert von Ort zu Ort, es reicht von Online-Beratung über Selbsthilfegruppen bis hin zu mehrtägigen Angehörigenseminaren. Es können sowohl substanzgebundene Süchte als auch Verhaltenssüchte thematisiert werden.
Was kostet die Teilnahme?
Der Besuch einer öffentlichen Beratungsstelle ist für Angehörige meist kostenlos, denn diese Angebote werden in der Regel über die Länder und Kommunen finanziert. Mitunter kann jedoch nur ein begrenztes Gesprächskontingent gewährleistet werden, sodass darüber hinausgehende Beratungsleistungen entweder nicht möglich oder kostenpflichtig sind. Auch für weiterführende Angebote wie Kurse oder Seminare können Kosten anfallen. Private Suchtberaterinnen und -berater verlangen für ihre Tätigkeit Honorare in unterschiedlicher Höhe.
Was sagt die Wissenschaft?
Angehörige von Suchtkranken sind besonders vulnerabel für psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen. Eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2020 zeigt, dass es nicht nur ihnen selbst besser geht, wenn sie in die Suchtbehandlung ihres Partners, Elternteils oder Kindes einbezogen werden, sondern dass auch die Betroffenen davon profitieren können. In Deutschland ist die Studienlage allerdings dünn, was auch damit zusammenhängt, dass hier kaum standardisierte Verfahren in der Angehörigenberatung zum Einsatz kommen.
Quellen
Johannes Berndt u. a.: Belastungen und Perspektiven Angehöriger Suchtkranker: ein multi-modaler Ansatz (BEPAS). Zentrum für Integrative Psychiatrie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck 2017
Gallus Bischof u. a.: Angehörige Suchtkranker: Prävalenz, Gesundheitsverhalten und Depressivität. Sucht, 64/2, 2018, 63–72
Larissa Hornig: Angehörigenberatung in der Suchthilfe. Warum Verbesserungen in der Praxis notwendig sind. In: akzept e.V. (Hg.): 10. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2023. Pabst Science 2023, 145–155
Samantha Schlossarek u. a.: Evidenz und Implementierung familienbasierter Interventionen bei Abhängigkeitserkrankungen (EVIFA). Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck 2020
Larissa Schwarzkopf u. a.: Suchthilfe in Deutschland 2023. Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). Institut für Therapieforschung 2024
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