Psychotherapie mit Kaffee, Tee und LSD

Zwei Bücher über die Wirkung psychoaktiver Pflanzen und die Frage: Wann kann eine „substanzunterstützte Psychotherapie“ helfen?

Wer gerade zur Kaffeemaschine geht, weil er nichts zustande bringt, der darf sich den Bienen verwandt fühlen, die ihren Rüssel in spezielle Blütenkelche versenken. Es gibt nämlich Pflanzen, die den Nektar mit einem winzigen Schlückchen Koffein versetzen. Beim Saugen spüren die Bienen einen kleinen Kick im Gehirn, die Droge lässt sie fleißiger arbeiten, schärft ihr Gedächtnis und sorgt so dafür, dass sie wiederkommen.

Gleich auf den ersten Seiten gibt uns Michael Pollan mit derlei Informationen den Kick, der uns neugierig macht auf sein Buch Kaffee, Mohn, Kaktus – und schon liefert er steile Thesen: Ohne Kaffee und Tee hätte es kein Zeitalter der Aufklärung gegeben. Koffein habe den Menschen wacher gemacht und unsere Hirne besser denken lassen. Vor allem nüchterner! Denn der Heißwasseraufguss löste das Bier ab, das die Menschen schon morgens tranken, weil das Trinkwasser so verdreckt war. Beschwipst und schläfrig arbeitet man auch schlechter, weshalb für Pollan ebenfalls naheliegt, dass Kaffee und Tee Industrialisierung und Kapitalismus befeuerten: Koffein quasi als psychoaktives Äquivalent zur Dampfmaschine.

Pollan, vielgerühmter Autor und Professor für Journalismus in Berkeley, schreibt seit langem über die menschliche Beziehung zu Pflanzen, über Gärten und Kochen. Eine Frage, die ihn beschäftigt: Wie kam es, dass so viele Pflanzen Moleküle entwickelten, die genau zu den Rezeptoren im menschlichen Gehirn passen, dort Schmerzempfinden ausschalten, aufputschen, beruhigen oder unser Bewusstsein verändern?

Evolutionär betrachtet ist die Sache klar: Für die Pflanzen hat es sich als geschickte Strategie erwiesen, Chemikalien zu entwickeln, die die Fressfeinde verwirren, orientierungslos machen oder ihnen den Appetit verderben. Für den Homo sapiens hat sich damit die Chance aufgetan, in andere Bewusstseinszustände zu gelangen, was ihn offenbar so sehr reizt, dass er seit Jahrtausenden mit diesen Stoffen experimentiert und nach der richtigen Dosis sucht.

Möbel mit Persönlichkeit

Dass Pollan ein exzellenter Erzähler ist, hat er schon oft bewiesen, nun lässt er uns teilhaben an seinem eigenen leidvollen Entzug von Koffein, was dazu führte, dass der Journalist sich fühlte „wie ein stumpfer Bleistift“, jedoch wieder schlafen konnte wie ein Teenager.

Ob gekochte Kakteen im indianischen Tipi, ob Mohn im eigenen Garten oder sein Experiment mit der Kaffeeabstinenz, geschickt fügt Pollan persönliches Erleben mit Informationen zusammen, ordnet die psychoaktiven Pflanzen kulturhistorisch ein, erzählt erschütternde Kolonialgeschichte oder berichtet vom Drogenkonsum Aldous Huxleys.

Ähnlich wie der britische Schriftsteller ist Pollan regelrecht betört von dem, was in seinem Hirn unter Drogeneinfluss so vor sich geht: Eine Pflanze im Garten mutiert zu einem empfindsamen Wesen, ein Stuhl entwickelt Persönlichkeit, und er nimmt Farben und Strukturen wahr, die er bis dahin noch nie gewürdigt hat. Offenbar durchbrechen Psychedelika die Filterfunktion unseres Gehirns, das im Normalbetrieb nur eine Mindestmenge an Informationen einlässt, damit das System nicht überschwemmt wird.

Dass Drogen dieses Filtern umgehen, beschreibt auch die Autorin des zweiten Buchs zum Thema Bewusstseinsveränderung: Yoga, Tee, LSD. Die Anästhesistin Andrea Jungaberle hat als Notärztin in Berlin schon manche Drogenkonsumentinnen und -konsumenten gerettet und ist selbst beteiligt an psychedelischer Forschung. Sie bietet mehr medizinische und psychologische Informationen als Pollan.

Heilendes Potenzial

Was Jungaberle antreibt, ist das Thema „substanzunterstützte Psychotherapie“, vor allem: Wie können psychoaktive Substanzen bei Psychosen helfen, wenn die Standardtherapien nicht greifen? Sie berichtet von Studien, die ausloten, ob und wie Drogen bei Angststörungen, Depressionen, Magersucht und Zwangserkrankungen helfen können (lesen Sie dazu auch: Drogentrips gegen die Schwermut). Die Ärztin schreibt von Belegen, dass Ketamin, das auch als Partydroge eingenommen wird, gegen Depressionen helfe, und von einem Schweizer Forschungsprojekt zur Therapie lebensbedrohlich Erkrankter mit LSD.

Die Autorin ist optimistisch und zieht ein vorläufiges Fazit: „Dass Psychedelika, richtig angewendet und therapeutisch eingebettet, ein heilendes Potenzial für diverse psychische Erkrankungen besitzen, wird immer klarer, und auch eingefleischte Skeptiker werden angesichts der Studienlage in Zukunft Mühe haben, diese Tatsache schlicht zu leugnen.“

Auch Jungaberle macht Ausflüge in die Kulturgeschichte der Drogen, berichtet von mittelalterlichen Kräuterfrauen und mit Mohnsaft getränkten Schlafschwämmen in der Antike, erzählt von Rentieren, die etwas Fliegenpilz naschen, und von Delfinen, die mit Kugelfischgift chillen. Vor allem aber möchte sie mit diesem Buch erreichen, dass wir über Drogen reden, sie weiß, dass Tabuisieren nie hilft. Dieser sympathische Zugang, gewillt, das Positive darzustellen und die Gefahren nie zu schmälern, ist gelungen. Da nehmen wir auch gerne hin, dass wir manchmal unvermittelt geduzt werden.

Michael Pollan: Kaffee, Mohn, Kaktus. Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Antje Kunstmann, München 2022, 284 S., € 28,–

Andrea Jungaberle: Yoga, Tee, LSD. Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag. Schattauer, Stuttgart 2022, 328 S., € 20,–

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