Verhaltenstherapie: Rutsche statt Kamelhöcker

Was kann eine Verhaltenstherapie bei Ängsten bewirken? Ein Patient und eine Therapeutin erzählen. Plus: Die Top-Fakten aus der Wissenschaft.

Die Illustration zeigt einen Mann mit geschlossenen Augen vor einer Waschmaschine sitzend, vor ihm ist ein Kreis mit einem Vogel auf einem Zweig
Die Grübelschleife zu stoppen, ist gar nicht so einfach. Achtsamkeit kann kurzfristig heraushelfen. © Fien Jorissen für Psychologie Heute

In unserer Rubrik Ist das was für mich? stellen wir jeden Monat ein Angebot aus den Bereichen Therapie, Coaching oder Beratung vor. Und Sie können entscheiden, ob das etwas für Sie ist. Dieses Mal: die kognitive Verhaltenstherapie.

Das sagt ein Betroffener

Seit meiner Kindheit kenne ich die Angst. Die Enge in der Brust, das flaue Gefühl im Bauch, Schwindelgefühle, Herzrasen, Panik, mein Kopf voll von Katastrophenszenarien: Was, wenn ich bei der Prüfung versage? Was, wenn ich schrecklich krank werde? Was, wenn…

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Was, wenn ich bei der Prüfung versage? Was, wenn ich schrecklich krank werde? Was, wenn Putin den Krieg weiter eskaliert? Irgendwann wurde meine Angst so monströs und erdrückend, dass ich mich ihr stellen musste. Deshalb machte ich mich auf die Suche nach einem Therapieplatz. Und ich hatte Glück: Ich fand eine Verhaltenstherapeutin mit einem freien Platz.

Am Telefon vereinbarten wir ein Erstgespräch. Im nächsten Schritt füllte ich jede Menge Fragebögen aus. Ob ich ein gewissenhafter Perfektionist sei oder ein Verzögerer, wurde darin etwa gefragt, ob ich mir viele Sorgen mache oder gern Risiken eingehe. Am Ende ergab sich die Diagnose „generalisierte Angststörung“, wobei ich das Wort „Störung“ als brandmarkend empfand. Andererseits stimmte es ja: Die Angst störte. Sie war zu einer lähmenden Gewohnheit geworden.

In den nächsten Sitzungen begannen wir, meine Angst zu zerlegen. Auf einem Blatt Papier notierten wir eine unangenehme Alltagssituation („Mir ist bei der Arbeit ein Fehler passiert“), die dann ei­nen automatischen Gedanken auslöste („Was, wenn ich meinen Job verliere?“). Darunter das Gefühl (Anspannung) und die körperliche Reaktion (Schwindel), die schließlich ein Verhalten (noch mehr arbeiten) zur Folge hatte. Die Angst, erkannte ich, war eine gut einstudierte Reiz-Reaktion-Spirale, aus der ich ausbrechen musste. Aber wie? Zum Beispiel indem ich die Situation neu zu bewerten lernte („Ich kann mir vertrauen!“) oder meinem Horrorszenario einen optimistischeren Ausgang gegenüberstellte.

Am Ende jeder Sitzung gab mir meine Therapeutin Hausaufgaben, darunter die Übung des Kontrollverzichts. Im Alltag versuchte ich meine Angst oft durch Kontrollhandlungen einzuhegen: „Habe ich die Tür abgeschlossen und den Herd ausgemacht? Lieber noch mal nachsehen!“ Doch indem ich unablässig kontrollierte, nährte ich meine Angst, statt sie zu beruhigen. Meine Therapeutin verdeutlichte mir das anhand von Kurven: Stellte ich sicher, dass die Wohnungstür verschlossen war, fiel die Angstkurve, um mit dem ersten Zweifel im Treppenhaus wieder zu steigen, was eine erneute Kontrolle zur Folge hatte. Durch das Auf und Ab entstanden in ihrer Zeichnung Kamelhöcker. Das Ziel aber war „die Rutsche“, also eine gleichmäßig abfallende, nachhaltig flache Kurve. Und tatsächlich: Übte ich, das Haus ohne weitere Kontrollgänge zu verlassen, ließ die Anspannung nach.

Auch für Grübeleien gab sie mir eine Regel an die Hand: Ich musste mir nach zwei Minuten die Frage beantworten, ob ich durch das Kreisen um meine Ängste bei der Problemlösung vorangekommen war. Lautete die Antwort „Nein“, hieß es: „Stopp!“ Mein Grübelgeist ließ sich davon leider nicht beirren. Meine Gedanken zu stoppen fiel mir schwer. Deshalb versuchten wir es mit Achtsamkeitsübungen.

Meine Therapeutin bat mich, die Augen zu schließen und die Geräusche um mich herum wahrzunehmen: die Vögel im Innenhof, die Waschmaschine des Nachbarn. Bis heute ist das für mich eine der wirkungsvollsten Anti-Angst-Strategien: zu beobachten, was jetzt ist, statt mir den Kopf über vergangene Fehler oder zukünftige Weltuntergänge zu zerbrechen.

Ich kann meine Gedanken nicht kontrollieren, aber ich muss nicht alles glauben, was ich denke. Ich kann meine Angst nicht zum Verschwinden bringen, aber ich kann ihr dabei zusehen, wie sie kommt und geht.

Thorsten Glotzmann ist Journalist, Autor und Regisseur. Sein Buch Herr G. hat Angst ist 2024 bei Berlin (Piper) erschienen.

Das sagt eine Verhaltenstherapeutin

Bei der Verhaltenstherapie (VT) denken Uninformierte an eine Behandlung, die nur an der Oberfläche kratzt oder einer Dressur ähnelt. In der modernen VT laden wir jedoch vor allem dazu ein, neue Erfahrungen in Bezug auf Gefühle, Verhalten und Gedanken zu machen, um bessere Entscheidungen treffen zu können und im Alltag erfolgreicher zu sein. Was wäre, wenn eine Person einfach tun könnte, was ihr wichtig ist, unabhängig von dem, was sie fühlt, denkt oder erlebt hat?

Zu Beginn werden viele Fragen gestellt, um die Schwierigkeiten gemeinsam zu verstehen. Was ist das Problem? Warum ist es jetzt aufgetaucht? Was ist die zugehörige Lerngeschichte? Wie kommt es, dass es nicht von selbst verschwunden ist? All diese Faktoren werden in Verbindung gebracht, visualisiert und besprochen. Diese transparente Wissensvermittlung spielt in der VT eine wesentliche Rolle. Die kurzfristige Perspektive (zum Beispiel: ein Gefühl der Erleichterung bei Rückversicherung) wird einer langfristigen Perspektive gegenübergestellt (zum Beispiel: Lerne ich dadurch, nicht mit meiner Angst umzugehen, wird sie größer).

In der VT möchten wir unsere Patienten und Patientinnen befähigen, Wissen über die Entstehung und Lösung von verschiedenen Problemen aufzubauen, um – auch nach Abschluss der Therapie – werteorientierte Lebensentscheidungen treffen zu können. Möchte ich meinem initialen Impuls folgen oder möchte ich eigentlich etwas anderes tun? Dafür vermitteln wir passende Strategien, die dann häufig und in unterschiedlichen Kontexten geübt werden.

Es gibt vielfältige Techniken in der VT, unter anderem Achtsamkeitsübungen sowie Techniken der Aufmerksamkeitslenkung, die je nach Zielformulierung angewandt werden. Im Verlauf ändern sich dann die Erwartungen an unser (Er-)Leben, zum Beispiel: Wenn ich mein Gefühl beobachte, anstatt es zu vermeiden oder zu unterdrücken, ist es zwar erst mal da, aber es geht auch von allein wieder; ich bin in der Lage, es zu bewältigen.

Die Therapie hilft, die neu gewonnene Zeit und Energie auf persönlich wichtige Dinge zu richten. Wer etwas Neues lernen möchte, braucht Mut und Neugier – und viel Übung. Daher sind sowohl Hausaufgaben als auch Übungen in den Sitzungen zentral. Manchmal beginnt die Therapie damit, eine Motivation für diesen neuen Weg aufzubauen. Insgesamt ist der Behandlungserfolg jedoch primär von der Umsetzung der neu gelernten Techniken abhängig. Insofern ist dieses Verfahren vor allem für jene Menschen geeignet, die in ihrem Leben aktiv etwas verändern möchten und bereit sind, das gewünschte Verhalten zu üben.

Sara Krakowski ist Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Dozentin.

Ihre Empfehlung zum Weiterlesen

Valerija Sipos, Ulrich Schweiger: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Herder 2019

Das sind die Fakten

Was ist das für ein Angebot?

Die kognitive Verhaltenstherapie, kurz Verhaltenstherapie (VT), ist das am häufigsten genutzte psychotherapeutische Verfahren in Deutschland. Grundannahme ist, dass wir als belas­tend empfundenes Verhalten über veränderte Denk- und Bewertungsprozesse sowie Übung positiv beeinflussen und einen neuen Umgang erlernen können. Bei den meist einmal pro Woche stattfindenden, 50 Minuten dauernden Sitzungen sitzt man einander im Gespräch gegenüber. Praktische Übungen sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.

Was kostet die Teilnahme?

Die Kosten für eine verhaltenstherapeutische Behandlung bei ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten und -therapeutinnen mit einer entsprechenden Weiterbildung (und einem sogenannten Kassensitz) übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen, wenn bei dem Patienten oder der Patientin eine Störung mit Krankheitswert vorliegt. Eine „Kurzzeit­therapie“ umfasst bis zu 24 Stunden, maximal 80 Stunden sind bei einer Verlängerung oder „Langzeittherapie“ möglich.

Was sagt die Wissenschaft?

Die Verhaltenstherapie zählt in Deutschland zu den vier von der „Psychotherapie-Richtlinie“ gedeckten Verfahren, ihre Behandlungsmethoden sind also hinreichend in ihrer therapeutischen Wirksamkeit belegt. Tatsächlich gilt die VT als das am besten erforschte psychotherapeutische Verfahren. Es gibt zahlreiche Techniken, die dabei zum Einsatz kommen können. Wie eine VT im konkreten Fall abläuft, kann je nach Schwerpunkt und Erfahrungshorizont der behandelnden Person ganz unterschiedlich sein.

Quellen

Eva-Lotta Brakemeier, Frank Jacobi (Hrsg.): Verhaltenstherapie in der Praxis. Beltz 2017

Bundespsychotherapeutenkammer: Wege zur Psychotherapie (zuletzt abgerufen am 16.01.2025)

Deutsche PsychotherapeutenVereinigung e. V. (Hrsg.): Report Psychotherapie 2021. Berlin 2021 (2. Auflage)

Deutscher Fachverband für Verhaltenstherapie e.V. (DVT): Was ist Verhaltenstherapie? (zuletzt abgerufen am 16.01.2025)

Gemeinsamer Bundessausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie), aktuelle Fassung vom 15.08.2024. (zuletzt abgerufen am 16.01.2025)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2025: Meine verborgenen Seiten und ich