Traumdeutung

Ob vom Fliegen, von Zahnausfall oder Schlangen: Wovon wir träumen, verrät laut Sigmund Freud einiges über uns. ► Was sagt die moderne Psychologie dazu?

Das Foto zeigt einen schlafenden Mann.
Besonders in der REM-Phase träumen wir intensiv, wie lassen sich die nächtlichen Bilder deuten? © EvgeniyShkolenko/Getty Images

Träume

Definition Traum

Etwa fünf Jahre seines Lebens verbringt jeder Mensch im Traum – auch, wenn wir uns am nächsten Morgen nicht immer daran erinnern können. Das Wort „Traum“ geht wahrscheinlich auf den indogermanischen Begriff „draugma“ zurück, der für eine Art Trugbild steht. Schließlich gaukelt uns unser Gehirn nachts eine Scheinwelt vor: Wir fliegen, reiten Drachen oder fallen unten ohne durchs Abi, ohne überhaupt das Bett zu verlassen. Diese nächtlichen Fantasien ähneln Halluzinationen und sind Produkte eines veränderten Bewusstseinszustands. Unser Gehirn erschafft mehrmals pro Nacht Szenen, Geschichten, ganze Welten, die wir dann aus der Egoperspektive erkunden.

Die meisten Menschen können die Handlung des Kopfkinos dabei nur bedingt steuern und halten das wirre Traumgeschehen im Schlaf für echt. Das macht auch Alpträume so schlimm, denn die darin erlebte Angst ist real: echte und geträumte Bedrohungen aktivieren dieselben Hirnregionen. Träumen geht generell oft mit starken Emotionen einher, während unser logisches Denken und unser kritisches Urteilsvermögen in den Hintergrund treten. So wundern wir uns im Traum in der Regel selbst über die absurdesten Wendungen nicht.

Was passiert, wenn wir träumen?

Wir durchlaufen nachts mehrmals verschiedene Schlafstadien, die mit unterschiedlichen Mustern im Elektroenzephalogramm (EEG) einhergehen: vom Einschlafen über den leichten Schlaf und den Tiefschlaf zum sogenannten REM-Schlaf. Träume kommen in allen Schlafphasen vor, besonders häufig und lebhaft sind sie aber im REM-Schlaf. Die Abkürzung steht für „Rapid Eye Movement“, da sich in dieser Phase die geschlossenen Augen hin- und herbewegen, als würde man vor dem inneren Auge einen Film sehen. Messungen der Hirnströme von Schlafenden zeigen, dass das Gehirn im REM-Schlaf ähnlich aktiv ist wie im Wachzustand – erkennbar an schnellen, niedrigen EEG-Wellen. Begleitet werden die typischen Augenbewegungen von einer Verringerung des Muskeltonus, die dafür sorgt, dass wir unsere Bewegungen im Traum nicht wirklich ausführen und uns dabei womöglich verletzen.

Träume unterscheiden sich je nachdem, in welchem Schlafstadium sie auftreten. So sind Träume, die im REM-Schlaf stattfinden, meist emotionaler gefärbt. Passend dazu ist die Amygdala in dieser Phase oft besonders aktiv, ein Teil des limbischen Systems, der entscheidend für die Verarbeitung von Gefühlen und bewegenden Erinnerungen ist. Der Neurobiologie des Traums kamen Forschende in den letzten Jahren vor allem mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) auf die Spur.

Die Großhirnrinde ist besonders relevant für den Inhalt unserer Träume. Sie erschafft wahrscheinlich maßgeblich die Monster, Fabelwesen und alten Freunde und Freundinnen, denen wir im Traum begegnen. Besonders aktiv im Traum im Vergleich zum Wachzustand sind Hirnregionen, die zum so genannten Ruhemodusnetzwerk gehören. Dieses wird am Tage immer dann aktiv, wenn wir in einen gedanklichen Leerlauf geraten, in Tagträume versinken und uns mental in Fantasiewelten begeben. Manche Neurowissenschaftlerinnen halten unsere Nachtträume deshalb für eine gesteigerte Form solcher Wachträume. In beiden Fällen entstehen Bilder, Geschichten und andere Eindrücke im Gehirn – größtenteils losgelöst von äußeren Reizen.

Ebenfalls beim Träumen aktiv sind die Bereiche des Cortex, die für Motorik zuständig sind. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass wir im Traum auffallend häufig in Bewegung sind: Wir laufen, fliegen, schwimmen oder kämpfen. Im Vergleich zum Wachbewusstsein wenig arbeiten hingegen Teile des Stirnhirns, die für höhere kognitive Fähigkeiten verantwortlich sind und manchmal auch als „Sitz der Vernunft“ bezeichnet werden. Während luzider Träume – wenn sich die träumende Person also bewusst ist, dass sie träumt und die Handlung selbst mitbestimmen kann – sind vordere Hirnregionen aktiver als wenn wir bloßer Spielball unseres Traumgeschehens sind. Ebenfalls vermindert ist die Aktivität von Bereichen des Cortex, die an der Zeitwahrnehmung beteiligt sind. Im Traum laufen die Uhren teilweise langsamer.

Welche Funktion haben Träume?

Warum wir träumen, ist eines der größten Rätsel der modernen Wissenschaft. Forschende sind sich schließlich nicht einmal einig, warum wir schlafen. Welchen Sinn die nächtlichen Ausflüge in fremde Welten haben, lässt sich noch schwerer ergründen. Hier die wichtigsten Theorien zum Sinn des Träumens:

Bis vor einigen Jahren hielten viele Wissenschaftler Träume für nichts als ein zufälliges Nebenprodukt nächtlicher Hirnaktivität. Laut dem Psychiater Allan Hobson von der Harvard Medical School sind unsere Träume das Ergebnis chaotischer neuronaler Entladungen. Diesen zufälligen Nervenzellimpulsen aus dem Hirnstamm versuche das Gehirn nachträglich, eine Bedeutung zu verleihen. Der Versuch, in dem, was uns im Traum begegnet, einen tieferen Sinn zu erkennen, sei daher vergebens.

Doch haben unsere Träume wirklich nichts mit uns zu tun? Sind sie bedeutungslos und austauschbar? Diese Idee hat mehr und mehr Anhänger verloren. Dass Träume mit unserem Leben am Tage zusammenhängen, ist inzwischen gut belegt. Viele Träume handeln von Themen und Problemen, die uns auch im täglichen Leben beschäftigen. Der Traumforscher Michael Schredl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim entdeckte etwa, dass die Träume von Menschen, die viel Musik hören oder selbst welche machen, mehr Musik enthalten. Wer tagsüber Musik komponierte, träumte eher von neuen Tonabfolgen.

Im Schlaf laufen außerdem neurobiologische Prozesse ab, die wichtig für das Gedächtnis sind. Wenn sich im Traum Tagesfetzen zeigen und zu abstrusen Geschichten zusammensetzen, werden dabei womöglich neue Erinnerungen gesichtet, sortiert und mit altem Wissen verknüpft.

Träumend übt das Gehirn für den Tag, glauben viele Forschende mittlerweile. Nach der Theorie der simulierten Bedrohung sind Träume eine Art Virtual-Reality-Umgebung, in der wir überlebenswichtige Fähigkeiten trainieren. Wir rennen vor Feinden weg, müssen uns verteidigen und mit peinlichen Situationen umgehen, die uns in der echten Welt die Ächtung der sozialen Gruppe einbringen könnten. Dazu passt, dass wir häufiger von Gefahren als von schönen Dingen träumen.

Selbst Allan Hobson, der lange die Ansicht vertrat, Träume hätten keinen Nutzen, revidierte im Lauf seiner Forscherkarriere seine Meinung: Laut seiner Theorie des Protobewusstseins, die er 2009 postulierte, sind Träume entscheidend für Hirnfunktionen, die das Bewusstsein hervorbringen: Schließlich haben wir im Traum das gleiche Ich-Gefühl, das Forschenden bis heute Rätsel aufgibt, wie am Tage. Als Protagonisten unseres Traums sind wir in der Regel wir selbst und können sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken. Dass wir eine fiktive Welt wahrnehmen und in ihr agieren, sei daher womöglich ein Trainingslager für unser Wachbewusstsein. Schon vor der Geburt würden Babys so im Traum womöglich auf die echte Welt vorbereitet.

Andere Forschende sind überzeugt: Träume setzen Tageseindrücke und Erinnerungsfetzen wild zusammen, sodass Assoziationen entstehen, die uns zu neuen Einsichten verhelfen. Träume ermöglichen es uns demnach, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Laut einer weiteren Theorie helfen Träume uns, unsere Emotionen zu regulieren. Ein Team um den französischen Neurowissenschaftler Raphael Vallat fand 2017 heraus, dass echte Erlebnisse, die wir im Traum rekapitulieren, uns dort weniger berühren. Sowohl schöne als auch schlimme Erlebnisse wurden nämlich von den 40 Versuchspersonen im Traum neutraler erlebt als in echt. So könnten Träume dafür sorgen, dass Emotionen mit der Zeit abebben und uns nicht übermannen.

Einer weiteren Idee zufolge hat Träumen auch eine soziale Funktion. Demnach hilft es uns, anderen von unseren Träumen zu erzählen. Der Austausch über unsere intimste Innenwelt könne uns helfen, unsere Beziehungen zu vertiefen und gemeinsam zu neuen Einsichten zu gelangen. Bis wir ein klareres Bild davon haben, wozu wir träumen und was unsere Träume über uns verraten, braucht es jedoch wohl noch einige Jahrzehnte Traumforschung.

Geschichte der Traumdeutung

Antike  – Der prophetische Traum

Bereits im alten Ägypten schrieb man Träumen eine tiefere Bedeutung zu und versuchte, diese zu entschlüsseln. Spätestens in der Antike jedoch wurde die Traumdeutung fester Bestandteil der Kultur. Träume, so die damalige Auffassung, ermöglichen einen Blick in die Zukunft. Neben dem antiken Orakelwesen und Weissagungen, die man aus der Flugroute von Vögeln oder den Überresten von Opfertieren ermittelte, galt die Traumdeutung als wichtige Technik, um bevorstehende Entwicklungen vorauszusehen. In der Antike gab es sogar berufsmäßige Traumdeuter. Diese Profession war nicht unumstritten, denn manche zweifelten schon damals an der prophetischen Natur der Träume. Ein Großteil der alten Griechinnen und Römer hielt sie jedoch für göttliche Eingebungen, die Glück und Unglück vorhersagen. Das Interesse an der Traumdeutung reichte dabei über alle sozialen Schichten hinweg.

Artemidor von Daldis, ein Traumdeuter, der im zweiten Jahrhundert nach Christus in Kleinasien lebte, verfasste eine ausführliche Abhandlung über sein Fach. Dank seiner Traumbücher (Griechisch: „Oneirokritika“) kennen wir heute über tausend antike Traummotive und ihre damalige Interpretation: Wer sich etwa im Traum einen Zopf flechte, dem blühten nach der antiken Vorstellung im wahren Leben finanzielle Verwicklungen.

Zeitgleich galten Träume auch als Diagnoseinstrument in der Medizin. Der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 – 370 v. Chr.) machte sich Notizen dazu, was seine Patientinnen während ihrer Krankheit träumten, um den weiteren Krankheitsverlauf vorherzusehen. Aus Schriften seiner Anhänger geht hervor, dass man damals glaubte, in der Nacht kämen Körper und Geist zur Ruhe, sodass sich der Organismus einer gesundheitlichen Bestandsaufnahme widmen konnte. Über das Ergebnis gäben die Träume Aufschluss. Sehe man im Traum zum Beispiel einen blauen Himmel, die Sonne oder leuchtende Sterne, sei der Körper gesund. Regnet oder hagelt es im Traum, sahen antike Ärzte das als schlechtes Zeichen.

Sigmund Freud – Die Traumdeutung

Ging man in der Antike noch davon aus, dass Träume etwas über die Zukunft preisgeben – den Verlauf einer Krankheit oder das Schicksal – änderte sich das in der Moderne grundlegend. Bei Sigmund Freud (1856 – 1939) sollte der Traum einen Blick in die verborgenen Winkel der Psyche erlauben. Für den Begründer der Psychoanalyse waren Träume der Königsweg zum Unbewussten und damit ein wichtiger Baustein bei der Behandlung psychischer Leiden. In seinem 1899 erschienen Buch „Die Traumdeutung“ stellte er seine Theorie vor.

Freud war überzeugt, dass nachts geheime Wünsche und Empfindungen aufsteigen, die man tagsüber unterdrückt – weil sie Angst machen oder gegen gesellschaftliche Normen verstoßen. Das gelte häufig für sexuelles Verlangen oder Gewaltfantasien. Im Traum, so Freuds Idee, erfüllen sich diese Bedürfnisse, ohne dass man sie in echt ausleben muss. Damit man vor Bestürzung über die eigenen Abgründe nicht aufwacht, wird die eigentliche Handlung im Traum zensiert, verzerrt, verdichtet, das Szenenbild verlegt und die Protagonistinnen und Protagonisten werden verwandelt, bis für den Träumenden nicht mehr erkennbar ist, worum es eigentlich geht, so Freud.

In Zusammenarbeit mit einem versierten Psychoanalytiker ließe sich der Traum aber auf seinen wahren Kern zurückverfolgen. Das helfe, inneren Konflikten auf die Spur kommen, die der Wiener Nervenarzt für die Ursache psychischer Symptome hielt. Es gebe dabei Bilder, die bei allen Träumenden dasselbe bedeuteten: Schirme, Messer oder Krawatten seien in Wahrheit ein Penis; Dosen, Höhlen oder Schiffe verschleierten, dass es im Traum gerade um weibliche Genitalien gehe.

Zimmer stünden meist für „Frauenzimmer“ und wer im Traum Treppen steigt, träume in Wirklichkeit von Sex. Die Existenz solcher Traumsymbole, die sich eindeutig zuordnen lassen, zweifelten schon zu Freuds Zeiten viele seiner Kollegen an. Mittlerweile spielt diese Idee weder in der Psychologie noch in der modernen Psychoanalyse, wie sie heute praktiziert wird, eine Rolle. Obwohl sich die Wissenschaft der Träume weitgehend von Freuds ursprünglichen Ideen abgewandt hat, schuf er damit doch die Grundlage für alle Schulen der Traumdeutung, die folgen sollten.

C. G. Jung – Archetypen

Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875 – 1961) war wie Freud überzeugt, dass Träume etwas über das Unbewusste preisgeben können. Aber: Jung glaubte anders als Freud nicht, dass Träume immer allgemeingültig gedeutet werden können. Was ein Traum bedeute, hänge davon ab, wer ihn träumt. Damit ist Jung näher an der Traumdeutung, wie sie heute noch in der Psychoanalyse eingesetzt wird. Trotzdem glaubte Jung, dass gewisse Symbole für alle Menschen etwas Ähnliches repräsentieren. Er prägte dafür die Idee des „kollektiven Unbewussten“, einer Art geistigen Erbes der Menschheit, das wir alle teilen.

Dabei verweist er auf Märchen und Mythen, die weltweit ähnliche Motive enthalten. Diese Urbilder – die „Archetypen“ –, mit denen wir laut Jung zur Welt kommen, zeigten sich auch im Traum. Zu den Archetypen gehöre etwa die Anima, ein Sinnbild des Weiblichen, das sich in Vorstellungen von Göttinen oder betörenden Nymphen niederschlage. Männer trügen die Anima als weibliches Prinzip in sich, Frauen das männliche Gegenstück namens Animus.

Im Traum gelangen laut Jung Inhalte aus dem Unbewussten ins Bewusstsein. Somit ergänzten Träume unsere Erlebniswelt. Sie zu verstehen helfe uns, uns persönlich weiterzuentwickeln. Um die Träume seiner Patientinnen zu dechiffrieren, tauschte er sich mit ihnen über mögliche Bedeutungen aus und griff dabei in manchen Fällen auf Mythen zurück.

Traumdeutung heute – analytische Psychotherapie

Die Traumdeutung wird heute noch in der analytischen Psychotherapie eingesetzt, die auf der Psychoanalyse basiert. Träume haben hier aber nicht mehr den zentralen Stellenwert wie bei Freud, sondern gelten als einer von mehreren Wegen, sich unbewussten Konflikten, Verdrängtem und Abgespaltenem und damit dem Ursprung psychischer Probleme zu nähern – so die Kernidee dieser Form der Psychotherapie. Freuds Traumsymbolik wird von modernen Psychoanalytikerinnen weitgehend kritisch betrachtet. Stattdessen werden Deutungen heute meist gemeinsam erarbeitet und individuell auf den Patienten zugeschnitten.

Was bedeutet mein Traum?

Sind Träume nichts als Schäume oder verbirgt sich dahinter eine geheime Botschaft? Darüber streiten sich Forschende seit Jahrzehnten. Die Idee, dass bestimmte Träume eine eindeutige Bedeutung haben, gilt heute als überholt. Dafür, dass bestimmte Nachtbilder allgemeingültig übersetzt werden können – etwa dass eine Kerze im Traum immer für einen Penis stehe – gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege. Aus kultureller Sicht ist es aber allemal spannend, welche geheimen Botschaften der Begründer der Psychoanalyse und andere historische Figuren hinter bestimmten Träumen vermuteten.

12 häufige Traumbilder

Traum und Körper

1. Zahnausfall

Die Zähne wackeln, hängen nur noch an einem Zipfel oder fallen mit einem Mal alle aus dem Mund. Nur: Was soll das bedeuten? Für C. G. Jung, den Begründer der analytischen Psychologie, enthielten Träume Botschaften aus den Tiefen der Psyche. Dabei kann der gleiche Traum bei zwei Personen Verschiedenes bedeuten. Eine Variante: Wer träumt, dass ihm die Zähne ausfallen, der steckt laut Jung womöglich in einem unbewussten Konflikt fest. Die träumende Person sei wütend, könne ihre Aggression aber nicht ausleben. Man will demnach eigentlich „zubeißen“, etwas hält einen aber davon ab – vielleicht die Angst vor einem Gegenschlag oder das eigene Selbstbild als friedfertiger Ja-Sager. So steht man – glaubt man Jung – nun im Traum im wahrsten Sinne zahnlos da.

Sigmund Freud sah in Träumen über Zähne wie so oft eine sexuelle Bedeutung. Dabei ginge es eigentlich um Masturbation. Wenn einem im Traum ein Zahn ausgerissen wird, stehe das für eine Kastration – eine befürchtete Strafe für sexuelle Begierde.

Eine ältere Interpretation lieferte der antike Traumdeuter Artemidor von Daldis. Zu seiner Zeit galt der Traum vom ausgefallenen Zahn als schlechtes Omen und kündigte einen bevorstehenden Todesfall an.

2. Haarausfall

Finden wir nach dem Kämmen ein dickes Büschel in der Bürste, bekommen wir einen Schreck, denn unser Haar ist uns wichtig. Die Angst vor dem Haarausfall steckt offenbar so tief, dass sie uns zuweilen auch im Traum begegnet. Eine Deutung, die man unter anderem bei C. G. Jung findet, besagt, dass die Haare für Lebenskraft stehen. Dieses Bild findet sich schon im Alten Testament: Samson galt als unbesiegbarer Held und bezwang im Alleingang ganze Armeen.

Einziger Haken – seine ganze Energie steckte in seinem üppigen Haar. Natürlich musste es so kommen: Er verliebte sich, verriet sein Geheimnis und wurde kahlgeschoren. Sigmund Freud hingegen sah im geträumten Haarausfall ähnlich wie bei den Zähnen eine verschlüsselte Kastrationsangst. Das gelte auch für Friseurbesuche im Traum.

3. Fliegen

Dass man plötzlich abhebt und fliegen kann, hat fast jeder Mensch schon einmal geträumt. Für C. G. Jung konnte der Traum vom Fliegen ein Hinweis darauf sein, dass man es sich im echten Leben zu einfach macht. Statt sich einem Konflikt zu stellen, sich sozusagen mit den Dingen am Boden auseinanderzusetzen, flüchte man sich metaphorisch in die Lüfte. Freud jedoch ließen Flugträume etwas ratlos zurück. Er sah ihren Ursprung schlicht in Erinnerungen an kindliches Toben und Fangenspielen.

Traum und Natur

4. Spinnen

Die Angst vor Spinnen ist weit verbreitet. Sie gehört zu den häufigsten spezifischen Phobien – und das, obwohl die Achtbeiner meist völlig harmlos sind. Nach einer evolutionsbiologischen Erklärung hatten unsere Vorfahren mit gefährlichen Spinnen zu tun. Der Respekt vor ihnen könnte sich von Generation zu Generation weitervererbt haben. Das ist ein möglicher Grund, warum uns ausgerechnet Spinnen oft im Traum begegnen.

Weniger offensichtlich ist Freuds Interpretation des Spinnentraums. Er schreibt in „Die Traumdeutung“: „Kleine Tiere, Ungeziefer sind die Vertreter von kleinen Kindern, z. B. der unerwünschten Geschwister.“

5. Schlange

Die Angst vor Schlangen ist vermutlich ebenfalls in uns angelegt. Das macht sie zu geeigneten Protagonistinnen für Alpträume. Für Freud aber war die Schlange „das bedeutsamste Symbol des männlichen Gliedes“ und könne so sexuelle Wünsche oder Ängste verschleiern. Jung hielt Träume, in denen Schlangen vorkommen, für ein gutes Zeichen: Das Reptil, das regelmäßig seine alte Haut abwirft, war für ihn ein archetypisches Symbol für Wandlung und Heilung. Diese Symbolik findet man zum Beispiel heute noch im Äskulapstab, dem Berufszeichen für Ärztinnen und Apotheker.

6. Raubkatze

Der Löwe ist als König der Tiere bekannt. Begegnet er uns im Traum, geht es – so Freud – mitunter gar nicht um eine Raubkatze, sondern um einen Menschen, der als „hohes Tier“ gilt. Das könne zum Beispiel die Chefin sein.

7. Meer/Wasser

Für Jung konnte tiefes Wasser als Symbol für das Unbewusste an sich gelesen werden. Schlägt im Traum ein Gewässer hohe Wellen oder tritt sogar über die Ufer, könne das heißen: Es gibt etwas im Unbewussten, das herauswill.

8. Feuer

Unser Verhältnis zum Feuer ist ambivalent. Es kann wärmen, aber auch zerstören. Für Jung stand die positive Symbolik des Feuers im Vordergrund. Wer von Flammen träume, in dem finde womöglich gerade eine Wandlung statt. Er sah das Feuer als Transformator.

Traum und Beziehung

9. Verstorbene

Im Traum ist alles möglich: sogar mit Toten zu sprechen. Die nächtliche Begegnung mit Verstorbenen kann trösten – oder aber die Trauer von neuem wecken. In der Psychoanalyse kann ein solcher Traum als Zeichen aufgefasst werden, dass man sich von der Person noch nicht ganz verabschiedet hat. Für Freud kam es darauf an, ob der oder die Verstorbene auch im Traum tot ist.

Er schrieb dazu: „Wenn im Traume nicht daran gemahnt wird, daß der Tote tot ist, so stellt sich der Träumer dem Toten gleich, er träumt von seinem eigenen Tod“. Gleichzeitig räumte Freud aber ein, Träume mit Verstorbenen seien sehr schwer zu deuten.

10. Exfreunde und -freundinnen

Ähnlich wie bei Verstorbenen werden Träume von Ex-Partnern und Ex-Partnerinnen in der Psychoanalyse manchmal als Zeichen gewertet, dass dieses Kapitel innerlich noch nicht abgeschlossen ist.

11. Freunde und Verwandte

Erscheint uns die beste Freundin oder der Onkel im Traum, sollten wir uns als erstes fragen: Ist wirklich diese Person gemeint? Das riet zumindest C. G. Jung. Laut ihm begegnen wir uns im Traum oft selbst. Ein bestimmter Anteil von uns trete dann als jemand anderes auf, der diese Eigenschaft verkörpert.

Hinter Träumen vom Tod nahestehender Menschen, die eigentlich noch leben, vermutete Freud einen heimlichen Groll gegen die Person. Besonders gegen unsere Geschwister hegen wir häufig insgeheim böse Wünsche, die wir nur im Traum ausleben können, glaubte der Begründer der Psychoanalyse.

12. Kinder

Für den antiken Traumdeuter Artemidor von Daldis verhießen Träume von Kindern nichts Gutes. Sie kündigten Kummer und Sorgen an. Freuds Deutung mutet heute ebenfalls seltsam an: Wer im Traum mit einem Kind spielt, der träume eigentlich vom Onanieren, so der Wiener Nervenarzt.

Quellen:

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Sigmund Freud: Die Traumdeutung, Nikol, Hamburg 2011

Miriam Henkel u.a.: Therapeutische Sichtweisen auf die Arbeit mit Träumen in der analytischen Psychotherapie. In Forum der Psychoanalyse, 36/3, 2020, 339-353.

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Christian Roesler: Traumdeutung und empirische Traumforschung, Kohlhammer, Stuttgart 2022

Serena Scarpelli u.a.: Investigation on neurobiological mechanisms of dreaming in the new decade. Brain Sciences, 11/2, 2021, 220.

Michael Schredl, Friedrich Hofmann: Continuity between waking activities and dream activities. Consciousness and cognition, 12/2, 2003, 298-308.

Raphael Vallat u.a.: Characteristics of the memory sources of dreams: A new version of the content-matching paradigm to take mundane and remote memories into account. PLoS One, 12/10, 2017, e0185262.

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