Kognitive Flexibilität gegen den Miniaturdiktator im Kopf

Intelligenz ist im Leben hilfreich. Erfolgsentscheidender aber sind kognitive und emotionale Flexibilität. Deren Wirkung untersuchen diese zwei Bücher.

Adam Grant, Organisationspsychologe und Unternehmensberater, hat ein faktenreiches und fesselndes Buch über die herausragende Bedeutung einer skeptischen Geisteshaltung geschrieben. Think Again bietet einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand, tiefgehende Reflexionen, vergnügliche Anekdoten sowie nützliche Ratschläge.

Anhand zahlreicher Studienergebnisse belegt Grant, dass geistige Offenheit häufig erfolgsentscheidender ist als Intelligenz und Selbstsicherheit. Intelligenz wird allzu oft geschickt eingesetzt, um Dogmen klüger zu rechtfertigen. Selbstvertrauen ohne intellektuelle Demut und Zweifel wird zu Hochmut – und der kommt bekanntlich vor dem Fall.

So empfiehlt der Autor, komplexe Probleme aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. In einer Studie erzielten Unternehmerinnen und Unternehmer, die alle Geschäftspläne als vorläufige Hypothesen ansahen, um ein Vielfaches höhere Gewinne als die Vergleichsgruppe. In einem Experiment lieferten Probandinnen und Probanden, die eigene Vorhersagen zu politischen Entwicklungen sorgfältig und häufig überdachten, die weitaus besten Prognosen.

Grant weist nach, dass erfolgreiche Teams Sachkontroversen offen diskutieren, aber persönlichen Streit meiden. Melinda Gates brachte er dazu, sich öffentlich der anonymen Kritik von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gates Foundation zu stellen. Anschließend äußerte die Belegschaft mehr Kritik – aber auch mehr Lob. Ärgerlich ist jedoch, dass der Autor ausgerechnet das Pentagon, das Weiße Haus sowie den Amazon-Gründer Jeff Bezos für deren angebliche Bereitschaft lobt, sich unerbittliche Kritik anzuhören.

Von festen Überzeugungen abrücken

Der Autor erklärt, warum Rechthaberei Denkblockaden verstärkt – Änderungsbereitschaft brauche Toleranz und Vertrauen. So zeigen Studien, dass sich neugierige Fragen, aufmerksames Zuhören und die Suche nach Gemeinsamkeiten eignen, um feste Überzeugungen aufzubrechen. Die motivierende Gesprächsführung etwa kann überzeugte Impfgegnerinnen und Impfgegner umstimmen. Grant berichtet, wie ein Afroamerikaner über 200 Ku-Klux-Klan-Mitglieder zum Ausstieg brachte und eine Uganderin brutale Rebellenführer zu Friedensgesprächen motivierte. Er ermutigt uns, den „Miniaturdiktator“ in unserem Kopf, der den Gedankenfluss kontrolliert, durch eine Demokratie zu ersetzen.

Grants Buch kann man als Ermutigung lesen, Beziehungen, Werte und sinnstiftende Narrative von konkreten Meinungen zu trennen. Sonst gefährden Informationen, die unserer Meinung zuwiderlaufen, alles, was uns lieb und teuer ist. Und Andersdenkende werden zu Feinden.

Die Psychologin Elaine Fox stellt in ihrem faszinierenden Pionierwerk Das Switch-Prinzip zahlreiche neue Forschungsbefunde wie auch kluge Theoriekonzepte zu den enormen Vorzügen geistiger Wendigkeit vor. Unterhaltsame Erzählungen aus vielen Lebensbereichen und praktische Übungsaufgaben steigern das Lesevergnügen.

Wie wir uns selbst erkunden können

Die im Buch präsentierten Studien zeigen, dass der flexible Wechsel zwischen nüchtern-praktischen und emotionszentrierten Bewältigungsstrategien die Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten stärkt. Resiliente Menschen können demzufolge Emotionen ebenso gut ausdrücken wie unterdrücken.

Fox zeigt, dass die Flexibilität des menschlichen Gehirns die so imposanten Anpassungsleistungen anderer biologischer Systeme noch weit übertrifft. Sie führt aus, wie wir unsere Verhaltensspielräume in vielfältigen Situationen erweitern, indem wir Körpersignale, Intuitionen, Gewohnheiten und Vorurteile genauer wahrnehmen. Zur Selbsterkundung empfiehlt sie das expressive Schreiben und das Tagebuchführen.

Die Autorin erklärt, wie wir unsere Unsicherheitsintoleranz verringern, indem wir uns schrittweise ungewohnten Herausforderungen stellen. Und sie legt dar, wie sich erfolgreiche Sportteams, Unternehmen und auch Militäreinheiten mental auf böse Überraschungen vorbereiten.

Die Konfrontation mit vielfältigen Meinungen und Lebensstilen durch Reisen, Lesen und Gespräche mit Fremden betrachtet Fox als optimales Training der geistigen Agilität. Sie erzählt, wie Kennedy und Chruschtschow 1962 eine Friedenslösung für die Kubakrise fanden, nachdem ein Ostblockexperte dem US-Präsidenten die sowjetische Perspektive nahegebracht hatte.

Fox übt wichtige Kritik an Psychologinnen und Psychologen, die eine Eigenschaft wie etwa Selbstkontrolle oder Gelassenheit als Allheilmittel preisen und andere Stärken vernachlässigen. Doch auch sie erklärt ihr Switch-Prinzip zum „Kompass, der Ihnen unentwegt die richtige Richtung zeigt“. Dabei bespricht sie Studien, denen zufolge Struktur, Stabilität und Rituale das Wohlbefinden und die Produktivität fördern. Ihre Überbetonung der Flexibilität könnte „die Balance zwischen Hartnäckigkeit und mentaler Beweglichkeit“ stören, die sie an einer Stelle im Buch als „Schlüssel zum Erfolg im Leben“ bezeichnet.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“, heißt es in Hermann Hesses Stufen. Diese inspirierenden Bücher wecken die Lust am Neubeginn.

Adam Grant: Think Again. Die Kraft des flexiblen Denkens. Aus dem Amerikanischen von Ursula Pesch. ­Piper, München 2022, 368 S., € 22,–

Elaine Fox: Das Switch-Prinzip. Mit mentaler Flexibilität jede Veränderung im Leben meistern. Aus dem Englischen von Johanna Wais. Dtv, München 2022, 384 S., € 19,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2023: Alles fühlen, was da ist
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