Frau Burgstaller, Sie haben die „systemische palliative Psychotherapie“ entwickelt. Was versteht man darunter?
Es handelt sich dabei um die psychotherapeutische Begleitung von Menschen mit chronischen und fortgeschrittenen Erkrankungen. Von einer schweren Erkrankung ist nie nur eine Person selbst, sondern immer auch ihr soziales Umfeld betroffen. Die systemische Sichtweise berücksichtigt den Einfluss der Mitmenschen auf den Umgang mit dem bevorstehenden Tod.
Welche Phasen durchlaufen Menschen angesichts ihres bevorstehenden Todes?
Das von mir entwickelte Transitionsmodell bietet drei Phasen dafür an. Diese zeigen auf, wie Menschen mit ihren schweren Erkrankungen und dem zeitnahen Tod umgehen und wie sich ihr Umgang damit in ihrer letzten Lebenszeit noch verändern kann. Befinden sich Menschen in der ersten Phase der Lebenssehnsucht, so kämpfen sie darum, am Leben zu bleiben. Sie tun alles Erdenkliche dafür, ihre Krankheit doch noch zu heilen oder zumindest ihre verbleibende Lebenszeit etwas zu verlängern.
In der zweiten Phase der Todessehnsucht sehnen sich Menschen nach einem raschen Tod, sei es um ihrem großen Leid und somit all ihren psychischen und physischen Belastungen schnellstmöglich zu entkommen oder sich nicht länger als Last für ihr soziales Umfeld zu erleben. Die dritte Phase der Hingabe bezieht sich auf jenen Abschnitt, der eintritt, sobald es Menschen gelingt, ihre letzte Lebenszeit als solche anzunehmen und sie nach ihren Vorlieben zu gestalten. Diese drei Stadien sind nicht zwingend als eine lineare Abfolge zu verstehen, sie können sprunghaft wechseln und dauern unterschiedlich lange an.
Wie kann man Menschen konkret helfen, ihr Lebensende nicht nur passiv zu erdulden, sondern aktiv zu gestalten?
Anfangs ist es wesentlich, die immense Herausforderung, sich dem eigenen Tod zu stellen, und das damit in Verbindung stehende Leid zu würdigen. Im Anschluss steht uns eine Vielzahl an Methoden zur Verfügung: Gerne integriere ich körperorientierte Interventionen: einfache Anleitungen, wie in verschiedene Körperstellen zu atmen, sich selbst sanft zu berühren oder sich rhythmisch zu bewegen, wirken tröstend und beruhigend.
Rituale erleichtern den Abschied. Klientinnen und Klienten können zum Beispiel an einem Fluss symbolhaft Liebgewonnenes von sich wegfließen lassen oder in einem festlichen Rahmen Worte der Dankbarkeit an liebe Mitmenschen aussprechen. Die Heldenreise lädt dazu ein, sich vorzustellen, anspruchsvollen Lebenssituationen als Held zu begegnen. Gemeinsam finden wir dann heraus, welche Heldin man sein möchte, welchen Herausforderungen man sich stellen und auf welche Ressourcen man zurückgreifen kann.
Sie haben Fragen zur bewussten Gestaltung der letzten Lebenszeit herausgearbeitet, die als Leitfaden in der Sterbebegleitung dienen können. Welche sind besonders hilfreich?
Für mich haben sich drei Fragen herauskristallisiert: Was wollen Sie noch erleben? eruiert Bedürfnisse und Wünsche für die letzten Tage, Wochen oder Monate. Wenn nicht mehr viel Zeit bleibt, ist es umso entscheidender, genau darauf zu achten, was unseren Klienten wirklich am Herzen liegt. Was ist Ihnen jetzt nicht mehr möglich? bezieht sich auf alle Aktivitäten, Begegnungen und Erfahrungen, die nun aufgrund körperlicher Symptome oder mangelnder verbleibender Zeit nicht mehr erlebt werden können.
Dieses bewusste Auf-die-Seite-Legen würdigt bisherige Lebensinhalte und -träume und schafft Platz für all das, was dann noch möglich ist. Von wem möchten Sie sich bewusst verabschieden? erhebt, welche Menschen für Klientinnen bedeutsam sind und was sie mit diesen noch zur Sprache bringen oder erleben möchten.
Sandra Burgstaller, M.A., ist Psychotherapeutin (systemische Familientherapie) und Sozialarbeiterin.
Sandra Burgstallers Buch Systemische palliative Psychotherapie. Wandlungsprozesse am Lebensende begleiten ist bei Carl-Auer erschienen (198 S., € 29,95)