Endlich Urlaub! Für viele ist das die wertvollste Zeit im Jahr. Idealerweise verläuft die Anreise reibungslos, und das Check-in im Hotel ist entspannt. Mit dem Fahrstuhl geht es dann bequem in die zweite Etage. Dort angekommen öffnet die Schlüsselkarte mit einem sanften Klick die Tür zum Zimmer, und die Spannung steigt: Wird der Raum die Erwartungen erfüllen?
Die Bilder im Internet haben nicht zu viel versprochen: Der Boden ist mit weichem Teppich ausgelegt, das Mobiliar besteht aus klassischen…
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nicht zu viel versprochen: Der Boden ist mit weichem Teppich ausgelegt, das Mobiliar besteht aus klassischen Designerstücken, die sanft aufeinander abgestimmten Farben des Raumes vermitteln luxuriöse Ästhetik und Behaglichkeit. Schwere Vorhänge dämpfen sowohl Licht als auch Geräusche, und das komfortable Boxspringbett lädt dazu ein, sich sofort darauf fallenzulassen, inmitten weicher Kissen und Decken mit gestärkten Bezügen. Es riecht dezent nach frisch gewaschener Wäsche. Die Erholung kann beginnen.
Tempel der Gastfreundlichkeit
Dass Hotels in besonderem Maße das Wohlfühlen im Fokus haben, ist eine relativ neue Bewegung. Die Idee, Entspannung in der Ferne zu suchen, reicht allerdings bis in die Antike zurück. So flohen etwa gutbetuchte Römer in den Sommermonaten vor der Hitze der Stadt an die Küste, wo sie in ihren Villen die ersehnte Abkühlung fanden. Weniger luxuriös sah die Unterkunft in der frühen Neuzeit aus: Damals mussten selbst reiche Kaufleute – die wenigsten Menschen reisten aus reinem Vergnügen – die Nächte häufig in Scheunen verbringen, und das oft unter miserablen Zuständen: Die Räume waren kalt, die Wände verdreckt und Bettwanzen keine Seltenheit.
Heute ist das Hotel häufig nicht nur eine komfortable – und meist hygienisch einwandfreie – Übernachtungsmöglichkeit, sondern nicht selten sogar die Reisedestination selbst. Hotels inszenieren sich zunehmend als Designikonen, punkten mit auffälliger Architektur, durch extravagante Fassaden, aber auch durch eine besondere Innenausstattung. Wer es sich leisten kann, reist in die höchsten Tempel der Gastfreundlichkeit, Adlon, Plaza, Burj Al Arab. Doch auch bei weniger luxuriösen Herbergen wird heute viel verlangt. Das Hotelzimmer muss hohe Ansprüche erfüllen, dem Gast eine positive Erlebniswelt schaffen. Idealerweise soll es zu einer Art Zuhause in der Ferne werden. Doch wie kann ein fremder Raum in kürzester Zeit Wohlbefinden hervorrufen? Und warum löst mancher genau das Gegenteil in uns aus?
Ästhetik als Grundbedürfnis
Wer in der Vergangenheit auf Dienstreise in muffigen Herbergen und abgewohnten Handwerkerwohnungen absteigen musste, wird beim Gedanken an einen Hotelurlaub sicher nicht begeistert sein. Eine orange-braune Farbgebung aus den 1970er Jahren, abgenutzter, kalter Laminatboden und ein quietschender Fahrstuhl, der als Begleitmusik die ganze Nacht wahrnehmbar ist – so etwas vermittelt uns keine Heimatgefühle.
Grundlage für das Wohlbefinden in Räumen bilden unsere menschlichen Bedürfnisse, wozu auch jenes nach Ästhetik gehört. Dieses ist keineswegs von oberflächlicher Natur, sondern ganz essenziell und tief in uns verwurzelt. Räume, die wir als reizlos oder gar hässlich empfinden, erzeugen sogar Stress.
Auch sensorisch muss alles stimmen: Das, was wir sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken, soll nicht nur in seiner Qualität angenehm sein, sondern auch von optimalem Reizniveau. Fahrstuhllärm oder der wahrnehmbare Geruch des Vorbewohners oder der Vorbewohnerin können bewusst wie unbewusst Unbehagen auslösen. Auch eigentlich angenehme Raumdüfte belasten uns bei zu starker Intensität.
Das Zimmer unter meiner Kontrolle
Von ganz grundlegender Bedeutung ist für uns Menschen das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit, nicht nur vor Wind und Wetter, sondern auch in emotionaler Hinsicht. So bewahren beispielsweise Vorhänge im Hotelzimmer unsere Privatsphäre, und das oft große, gepolsterte Betthaupt vermittelt Geborgenheit.
Forschungen belegen, dass im Sinne einer Hierarchie von Bedürfnissen neben Schutz und Sicherheit vor allem der Faktor Kontrolle dafür maßgeblich ist, ob wir uns in einem Raum wohlfühlen. Zimmer, in denen die Fenster nicht geöffnet werden können, die Bedienung des Fernsehers uns überfordert und zu denen die Rezeptionistin auf Nachfrage mitteilt, dass die Klimaanlage leider nicht individuell zu regulieren sei, rufen bei Gästen Unmut hervor. Und das lässt keine Erholung aufkommen.
Bei allem Luxus, ausgefeilten Designhotels und durchdachten Urlaubsrefugien könnte uns gerade die Kontrolle als grundlegendes Bedürfnis im Hotelzimmer der Zukunft auf ganz besondere Art verlorengehen: Im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz wird vielleicht schon beim Betreten der Urlaubsherberge ein automatischer Bedürfnisabgleich mit individuellen Präferenzen hinsichtlich der Temperatur, Musik und des Raumdufts stattfinden. Glaspaneele könnten mit Bildern bespielt werden, die dem Geschmack des jeweiligen Gastes entsprechen – im Vorfeld sorgfältig anhand des Social-Media-Profils und anderer verfügbarer Daten recherchiert und analysiert. Ein Hotelzimmer, das zumindest scheinbar genau auf das Individuum angepasst ist und sich doch unserer Kontrolle entzieht.
Dr. Anika Keppler ist promovierte Diplompsychologin mit den Schwerpunkten Architekturpsychologie und klinische Psychologie. Sie arbeitet in Regensburg und widmet sich neben ihrer Tätigkeit als Dozentin dem Arbeitsfeld „Salutogene Räume“ im privaten Wohnbau und in Gesundheitseinrichtungen.
Quellen
Harald Deinsberger-Deinsweger: Habitat für Menschen. Wohnpsychologie und humane Wohnbautheorie. Teil I: Der menschengerechte Lebensraum. Pabst Science Publishers 2016
Rüdiger Hachtmann: Tourismus-Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht 2007
Elizabeth M. Ineson u.a.: Towards a hierarchy of hotel guests’ in-room needs. International Journal of Contemporary Hospitality Management, 31/12, 2019, 4401–4418
Herbert Reichl: Humane Lebenswelten. Eine Psychologie des Wohnens und des Planens. CreateSpace Independent Publishing 2014