Chefbüro: Im Revier des Alphatiers

Menschenbild, Kultur und Führungsideal des Bewohners geben diesem Raum ein Gesicht. Eine Bühne der Selbstdarstellung: Über die Psychologie des Chefbüros

Das Bürozimmer einer Führungskraft mit antiken Schreibtisch, Aktenstapel, Bildschirm und einer Bibliothek im Hintergrund mit einem altertümlichen Gemälde an der rot gestrichenen Wand, an der Decke der Kronleuchter
Kaum ein Raum des Arbeitens unterliegt einer solchen Stagnation und ist gleichzeitig Bühne für die Selbstdarstellung, wie das Chefbüro. © picture alliance / SZ Photo | Stephan Rumpf

Dort hinzukommen ist ein sehnsuchtsbehaftetes Privileg oder ein angstbesetztes Unterfangen oder beides. Psychologisch betrachtet steigt im Arbeitszimmer des Chefs die Demut der Besucher mit der Größe und Bedeutung des Unternehmens. Vorzimmer mit schwarzen Lederklassikern, Empfangsräume und vorgeschaltete, meist attraktive oder besonders strenge Personen mit erheblichem Einfluss müssen erst passiert werden, bevor man überhaupt in das eigentliche Zentrum der Macht vordringen darf.

Ahnenbilder oder Bilder von…

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bevor man überhaupt in das eigentliche Zentrum der Macht vordringen darf.

Ahnenbilder oder Bilder von Persön­lichkeiten mit hohem Bekanntheitsgrad und Prestige schmücken die Wände. Schweigend reihen sich die aktuellen Führungskräfte ein. Die Aussicht wird großartiger, der Geruch feiner – nach Leder und dezentem Parfüm. Und es wird gedämpfter im Ton. Farben scheinen hier verlorenzugehen und in Grau-, Braun- und Schwarznuancen aufgelöst. Je mehr Bedeutung der Rolle des Unternehmensführers durch ihn selbst oder durch den Führungsstab zugemessen wurde, desto weitläufiger ist der Raum oder Bereich.

Zentrale der Macht

In seltenen Fällen entsteht der Eindruck, dass tatsächlich im klassischen Sinn gearbeitet wird. Doch hier treffen wichtige Persönlichkeiten auf gewichtige big player des internationalen Parketts, denn in diesen Räumen werden die bedeutenden Entscheidungen getroffen, Strategien geschmiedet und geheime Absprachen im feinen Zwirn bei größter Verschwiegenheit getroffen. Die ursprüngliche Idee des Chefbüros ist also weniger die eines klassischen Arbeitszimmers, sondern vielmehr die einer Machtzentrale oder eines repräsentativen Empfangssaals eines Oberhauptes.

Zu Zeiten von König Louis XIV. erinnerten die in Augenhöhe angebrachten Türklinken und die massive Zurschaustellung von Gold und Reichtum an die eigene Unwichtigkeit und Kleinheit. Man sollte körperlich spüren, wie gering der eigene Wert gegenüber dem des Herrschers war. So weit die historische Idee, die je nach kulturellem Hintergrund mehr oder weniger heute noch gepflegt wird.

Ein Raum ist die Körpersprache eines Unternehmens

Das moderne Chefbüro ist ein Revier mit versteckten und offensichtlichen Privilegien. Doch hat es Steifheit und Formalität gegen angesagte Sneakers eingetauscht. Der moderne Chef zeigt seine Verbundenheit und seine Nähe mit den Mitarbeitenden auch in seinem Territorium. Er gibt sich menschlich mit Leidenschaften für Schiffe, Sportarten oder einfach als Familienvater, gerade am Ort seines Wirkens. In Nachfolge des historischen Vorbilds hat das Büro des Chefs aber die bevorzugte Lage und großzügigen Ausmaße in den oberen Etagen behalten, ebenso die Aussicht und das Vorzimmer.

Je nach Branche sind Aktenstapel oder futuristische Elektronik anzutreffen, Statements über Werte und Visionen. Trophäen, Auszeichnungen und abstrakte Kunst als Zeichen brillanter Denker ersetzen frühere Statussymbole. Sitzgruppen laden zu partnerschaftlichen Gesprächen ein. Die weibliche Version des Chefbüros setzt mehr auf behaglichen und kommunikativen Rückzugsraum. Das mag klischeehaft klingen, entspricht aber meiner jahrzehntelangen Erfahrung.

Psychologisch interessant sind die versteckten Signale und Hinweise der Farb-, Symbol- und Materialwahl und deren Kombinationen. So weisen beispielsweise bunte Farbwelten in Verbindung mit Technik und synthetischen Materialien auf dynamische und emotionale Charaktereigenschaften hin. Glänzende und harte Oberflächen, monochrom-dezente Farben und dunkle Hölzer erwecken einen distanzierten und seriösen Eindruck von Tradition. Grüne Farben, biophile Gestaltung mit Pflanzen und natürliche Materialien mit vermutet hoher Authentizität vermitteln Engagement für Nachhaltigkeit und soziale Fürsorge.

Ein Raum pro Tätigkeit

Das Chefbüro wirkt heute als Bühne für die Unternehmenswerte, Modernität und Agilität. Es kann sowohl zur Inszenierung von Wunschwerten dienen als auch über die tatsächlich gelebten Werte Auskunft geben. Vom Statussymbol des klassischen Chefbüros als Raum des Unternehmenslenkers über die Chef-Arbeiter-Büros in kleinen Unternehmen bis zum CEO eines hierarchieflachen New-Work-Unternehmens hat dieser Raum sehr unterschiedliche Gesichter.

Im Verständnis eines agilen und digital transformierten Unternehmens ist es gut möglich, dass es gar keinen expliziten Raum für den Chef mehr gibt. Denn dieser ist in seiner Coach- und Vorbildrolle ohnehin konstant im Unternehmen allein oder in unterschiedlichen Teamkonstellationen unterwegs. So werden die für die jeweilige Aufgabenstellung optimal geeigneten Räume für kollaborative, kommunikative oder teamfokussierte Prozesse unter Einbeziehung von Entscheidern und Experten zum alternierenden Chefbüro.

Verschwindet also das Chefbüro in der Zukunft völlig? Sehr wahrscheinlich nicht, weil Arbeit, Wertschöpfung und Führung einem großen Transformationsprozess unterworfen sind, der gerade erst richtig begonnen hat. Hierarchie wird insbesondere im Raum durch Privilegien und die Hoheit der Personalisierung immer wahrzunehmen sein.

Uwe R. Linke ist Designer, Pionier der Raumpsychologie und systemischer Paartherapeut. Er konzipiert und gestaltet Räume für Menschen und Unternehmen.

Quellen

Wilhelm Bauer (Hg.), Yue Pan, Stefan Rief: Raumpsychologie für eine neue Arbeitswelt. Fraunhofer-IAO 2019

Sam Gosling: Snoop. What Your Stuff Says About You. Profile Books 2009

Uwe Linke: Die Psychologie des Wohnens. Vom Glück, sich ein authentisches Zuhause zu schaffen. Nymphenburger 2010

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2024: Von hier aus kann ich meine Sorgen kaum noch sehen