Geschäftsessen: Karriere als Hauptspeise

Mit der Chefetage essen gehen, damit die Karriere vorankommt. Klingt altmodisch? Ist im Berufsleben jedoch immer noch üblich – und wirksam.

Die Illustration zeigt zwei Personen im Business-Outfit beim gemeinsamen Geschäftsessen im Restaurant
Um beim Geschäftsessen zu überzeugen, braucht es Manieren - und ein klares Ziel. © Julia Schwarz für Psychologie Heute

Schon das Wort klingt etwas behäbig: Geschäftsessen. Ein Essen, bei dem man Geschäfte macht? Sofort drängt sich der Gedanke an stundenlange Gelage von Herren im Anzug auf, die in Sternerestaurants ungeheure Mengen an Fleisch und Alkohol vertilgen und dabei Budgets und Posten untereinander aufteilen. Irgendwie gestrig. Karrierewünsche klärt man heute doch im Mitarbeitergespräch. Kunden und Kundinnen trifft man inzwischen im Zoom-Call. Und für das persönliche Wort mit der Chefin gibt es ja die Kaffeeküche.…

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trifft man inzwischen im Zoom-Call. Und für das persönliche Wort mit der Chefin gibt es ja die Kaffeeküche. Ist denn die Zeit der Geschäftsessen nicht eigentlich vorbei?

"Wir ziehen an einem Strang."

Ganz so ist es nicht. „Die Geschäftsessen werden ihre Bedeutung nicht verlieren, doch sie wandeln ihre Form“, so Christoph Klotter. Der im Juli 2023 verstorbene Ernährungspsychologe lehrte an der Hochschule Fulda und beschäftigte sich mit den sozialen Aspekten des Essens, vom Familienmahl bis zum Businesslunch. „Das gemeinsame Essen ist der zentrale Moment, in dem Gemeinschaft entsteht – oder bekräftigt wird“, konstatierte er.

Es sei eine Art universelle soziale Regel, dass die Menschen, die zusammen essen, eine Gruppe sind. „Wer mit am Tisch sitzt, gehört dazu.“ Oder anders ausgedrückt: Mit seinen Feinden und Feindinnen isst man nicht. Beim Geschäftsessen werde dementsprechend bekräftigt, dass man sich beruflich verbunden fühlt und an einem Strang zieht.

Dabei umschreibt der Begriff Geschäftsessen heutzutage ganz verschiedene berufliche Begegnungen: Menschen, die zukünftig zusammenarbeiten möchten, beschnuppern sich beim Lunch. Potenzielle Geldgeber lernen junge Gründer bei der After-Work-Party kennen. Verträge werden mit einem festlichen Essen besiegelt. Manchmal lädt die Chefetage Bewerberinnen sogar für vertiefende Gespräche ins Restaurant ein. Aber auch der Smalltalk mit der Chefin in der Kaffeeküche ist eine Art Geschäftsessen, denn es kann gut sein, dass wir bei Croissant und Latte macchiato den nächsten Karriereschritt einfädeln.

Manieren zeigen Verlässlichkeit

Allen geschäftlichen Essen gemeinsam ist: Wenn wir zusammen am Esstisch sitzen, ist die Atmosphäre weniger förmlich als im Büro. Und während wir gemeinsam die Suppe löffeln, erfahren wir nicht nur etwas über die beruflichen Themen, die uns verbinden. Wie nebenbei prüfen wir auch: Ist die Person vertrauenserweckend? Hat sie ähnliche Werte? Passt ihr Temperament ins Team? Können wir miteinander arbeiten?

„Wenn ich mit jemandem zusammen esse, erfahre ich viel mehr über die Person, als wenn ich mit ihr im Meetingraum sitze“, so Klotter. Nicht umsonst seien Manieren, der Beweis für gutes Benehmen, am Essenstisch entstanden. „Nach dem Essen weiß ich, ob die Person Esskultur hat. Und daraus schließe ich auch ganz allgemein auf Kultiviertheit und Benehmen. Wir lesen eine Person mit Manieren als jemanden, der eine gewisse Verlässlichkeit verspricht.“ Benimmt sich dagegen jemand bei Tisch daneben, fragen wir uns fast automatisch, ob es dieser Person auch in anderen Zusammenhängen an Umgangsformen und Verlässlichkeit mangeln könnte.

In früheren Jahren nahm man sich deshalb die Zeit für ausgiebige Geschäftsessen in teuren Lokalen. Es war durchaus üblich, sich bis in den späten Abend mit Geschäftsfreunden zu treffen und dabei die teuersten Speisen und den edelsten Wein zu verdrücken. Für Bewerber und Bewerberinnen war das Abendessen mit den zukünftigen Arbeitgebern Teil des Bewerbungsprozesses.

Innovative Gespräche über gesunden Lebensmitteln

Das gibt es nur noch selten. Heute verabredet man sich viel eher zum kurzen Businesslunch, und Karrieregespräche finden sogar in der Kantine statt. Das Understatement steht in gewisser Weise für das neue Arbeitsgefühl: Wir sind lässig und jederzeit bereit, unsere beruflichen Leidenschaften oder Pläne in lockerer Form zu präsentieren. Dafür benötigt es keinen besonderen Rahmen. „In einer Leistungsgesellschaft wollen wir uns zeigen, dass wir leistungsfähig sind“, meinte Klotter. In dieses Bild passt der kurze Jobtalk am Kaffeetresen oder im Thaiimbiss nebenan sehr viel besser als ein Gelage bis in den späten Abend mit viel Alkohol oder ein Fünf-Gänge-Mittagsmenü, das einen ins Nachmittagskoma wirft.

Wenn es doch mal außergewöhnlich sein soll, hat das Besondere den Luxus abgelöst: Das neue Statussymbol bei geschäftlichen Essen sind laut dem Ernährungspsychologen „ungewöhnliche Orte oder eine bestimmte Küche“. Wir können uns als Gruppe auf das vietnamesische Restaurant um die Ecke einigen? Wir kennen die Küche, sind in der Lage, souverän aus der Speisekarte zu wählen, und be­herrschen das Essen mit Stäbchen? Das schweißt zusammen und vermittelt ganz nebenbei: Wir sind weltoffen und gesundheitsbewusst.

Als Klotter für eine große Krankenkasse ein Gesundheitsangebot entwickelte, speiste er auch einmal mit dem Vorstand in einem japanischen Restaurant. „Alles an dieser Begegnung war auf das Thema Gesundheit ausgelegt. Gesunde Lebensmittel in bester Qualität. Eine überraschende Küche. Atmosphäre und Stimmung passten perfekt zu unserem innovativen Programm.“ Ein Zusammentreffen im gutbürgerlichen Restaurant, in dem einem die Hirschgeweihe beim Spätzleessen zuschauen, hätte eine ganz andere Aussage gehabt und die gemeinsame Absicht, eine innovative Gesundheitsförderung zu etablieren, nicht in gleicher Weise unterstrichen.

In der Bar wird Geld investiert

Führt die Einladung also in das innovative Fusionlokal, lautet die Botschaft: Wir wollen gemeinsam etwas Neues machen. Wird man dagegen ganz traditionell zur deutschen Hausmannskost geladen, ist offensichtlich, dass in diesem Geschäftsverhältnis auf Tradition Wert gelegt wird. Man kann seine berufliche Karriere auch in der hauseigenen Kantine voranbringen, weil man sich dort mit der Chefin, dem Chef oder gar mit jemandem aus der Abteilung trifft, in die man gerne wechseln möchte.

„Ich würde die Kantine jedoch nur dann empfehlen, wenn sie wirklich nett und ruhig ist“, sagt Melanie Schütze, Gründerin des Frauen-Business-Netzwerks nushu. „Ist es dort allerdings laut und unruhig, passt der Ort nicht zu meinem Anliegen.“ Ein Lokal in Fußnähe oder ein Kaffee im Bistro nebenan eignen sich dann besser.

Schütze erlebte ihr wichtigstes Geschäftsessen in einer Bar. Laute Musik, viele Menschen. Erdnüsschen statt Ente an Jus, Gin Tonic statt Grand Cru. „Die Bar hatte für mich genau die richtige Atmosphäre, um mit meiner Idee rauszurücken. Das gab mir mehr Leichtigkeit, als wenn ich denen im Anzug in einem Büro mit hohen Decken meinen Businessplan präsentiert hätte.“ An diesem Abend hatte Schütze das sichere Gefühl, Menschen gefunden zu haben, die so sehr an ihre Geschäftsidee glaubten, dass sie Geld investierten. Es folgten förmliche Meetings für den Abschluss der Verträge. Aber die abendliche Begegnung war der Schlüssel für alles gewesen.

Frauen im Business stärken

Mit dem Geld gründete die Sozialökonomin 2018 ihr branchenübergreifendes und preisgekröntes Frauennetzwerk, das zum Ziel hat, Frauen und Diversität in der Wirtschaft zu fördern. Schütze rät vor allem Frauen zu viel mehr Offenheit gegenüber Geschäftsessen. „Egal ob man Tofuschnitzel in der Kantine vor der Nase hat oder ein Glas Wein beim Stehempfang in der Hand – jede Begegnung, bei der man zusammen isst und trinkt, ist eine Chance, sich auf persönlicher Ebene zu vernetzen“, erklärt die Hamburgerin. Das wiederum sei die Basis für das geschäftliche Netzwerk und damit unverzichtbar.

Aus dieser Sicht sind auch die Weihnachtsfeier, das sommerliche Grillfest oder sogar der Kaffee in der Eckküche eine gute Gelegenheit, um in der lockeren Atmosphäre des gemeinsamen Essens und Trinkens die berufliche Entwicklung voranzubringen. Ein Geschäftsessen im Restaurant ist unter diesem Blickwinkel also ein Volltreffer, denn die Zeit für persönliche Begegnung ist viel größer als beim kurzen Snack.

Viele Beschäftigte hätten jedoch eine gewisse Aversion gegen die Idee, jede Begegnung auch als Businessmoment zu begreifen. Nicht nur Frauen zögern, auch Berufsanfänger oder generell zurückhaltende Menschen. „Es gibt das Vorurteil, dass man sich verkaufen müsse, um etwas zu erreichen. Und das wollen viele nicht“, so Schütze. Doch mit dieser Einstellung vergebe man Chancen. Schütze, die sich vor allem für Frauen im Business starkmacht, rät: „Man sollte sich klarmachen: Ein Geschäftsessen ist eine Begegnung auf der persönlichen Ebene. Es reicht also, wenn ich mich für den Menschen interessiere, der mit mir essen geht.“

Probeläufe für mehr Sicherheit

Unsicherheiten solle man eher überwinden, als auf diese Art von Treffen zu verzichten, ist Schütze überzeugt. Für Introvertiertere hat sie ein paar Tipps. Zunächst: „Fragen im Vorfeld eines Geschäftsessens sind erlaubt!“ Man dürfe ruhig nach dem Dresscode fragen oder wie groß die Gruppe sei, erklärt die begeisterte Netzwerkerin. Sollte es einem Sicherheit geben, schaut man sich vorab online die Speisekarte des Restaurants an, damit man souverän bestellen kann. Frauen mit großen Hemmungen rät sie zur Trockenübung: „Am besten geht man mit zwei oder drei Leuten aus der Businesswelt essen, von denen man nicht viel erwartet. Einfach um es zu üben und eine Sicherheit in dieser Art von Kontakt zu entwickeln.“

Man darf heutzutage sogar kreativ werden und seine eigene Art der Businessmahlzeit erfinden. Melanie Schütze hat in Coronazeiten Geschäftspartnerinnen und -partner zum Beispiel zum Walk and Talk eingeladen. „Ich habe für Kaffee in nachhaltigen To-go-Bechern gesorgt und wir sind dann 30 Minuten lang spaziert. Das funktionierte wunderbar, um ins Gespräch zu kommen.“

Wichtig sei jedoch bei aller Lockerheit auch ein klares Ziel, findet Peter Gravier. Dieses klare Ziel sei nicht der Geschäftsabschluss, sondern subtiler. Der Managementberater und Trainer für multidisziplinäre Teams war vor seiner Selbständigkeit Geschäftsführer verschiedener Werbeagenturen und kennt sowohl die Seite desjenigen, der etwas zu vergeben hat – Jobs und Aufträge –, als auch desjenigen, der gerne etwas haben möchte, zum Beispiel ein Engagement als Trainer. „Das persönliche Geschäftsessen ist ein hochwertiger Kontakt – schließlich nehmen sich beide Seiten Zeit, und die ist ein sehr knappes Gut im Berufsalltag“, sagt Gravier. Wer einem Treffen zustimmt, habe insofern auch ernsthaftes Interesse an dieser Begegnung. Darauf könne man sich verlassen.

"Der, der etwas will, bereitet sich vor."

Insofern sei es ein Gebot der Höflichkeit, dass am Ende eines Geschäftsessens auch so etwas wie ein Ergebnis stehe. „Das kann die Bestärkung sein, dass man zusammenarbeiten möchte“, sagt Gravier. Oder eine weitere Verabredung, um die angedachten Ideen zu konkretisieren. Auf jeden Fall sei es an demjenigen, der etwas möchte, diesen Faden verlässlich weiterzuspinnen. Etwa indem man sich anbietet, ergänzende Informationen zu den Themen zu schicken, die man angerissen hat. Oder indem man sich bedankt und noch einmal zusammenfasst, was man aus dem Gespräch mitnimmt. Gravier: „Ich gehe niemals aus einem Geschäftsessen, ohne mir bewusstzumachen, was ich meinem Gegenüber anbieten könnte, was ich selbst mitnehme und wie ich den Kontakt weiter pflegen werde.“

Genau wie der gute Abschluss gehört für Gravier die gute Vorbereitung zu einem Geschäftsessen. Man stolpere da nicht einfach rein. „Gut vorbereitet sein kann heißen, sich klarzumachen, über welche Themen man sich austauschen könnte.“ So unterhält man nicht nur sein Gegenüber gut, sondern zahlt auch sehr direkt auf die eigene Erscheinung ein.

„Nicht zu wissen, was man sagen soll, strömt dagegen Unsicherheit aus – und das ist kein gutes Zeichen für einen zukünftigen Geschäftspartner“, erklärt der Trainer. Und ergänzt: „Der, der etwas will, bereitet sich vor. Und zwar so, dass man eine Auswahl an Themen hat. Man weiß ja nie, wie sich das Gespräch entwickelt.“ Auch in Hinblick auf die Frage, was er denn selbst von dieser Begegnung erwartet, bereitet sich Gravier vor. „Man darf sich nicht zu viel vornehmen, ein Gedanke, ein Ziel reicht.“ Und das heißt, dieses im Auge zu behalten. „Wenn sich das Essen dem Ende zuneigt, kann man sein Anliegen ruhig auch direkt ansprechen“, empfiehlt Gravier. Bloß nicht damit warten bis kurz vor Schluss.

Teurer Wein oder kein Wein?

Wie genau man sich verhält, solle sich dabei immer daran orientieren, wie man auch sonst im Leben ist, betont Benimmberaterin Catharina Wirtz. „Wie ich mich gebe, sollte möglichst gut zu dem Bild passen, das ich später in der Firma abgebe“, erklärt Wirtz, die einen Magister in Politikwissenschaft absolvierte, bevor sie sich dem guten Benehmen widmete und ihre Beratung Business Behaviour gründete. Jemand, der im Job eher freundlich und introvertiert ist, brauche also nicht den explosiven Alleinunterhalter zu geben. Und jemand, der gern den Ton angibt und viel redet, müsse nicht – vermeintlich gut erzogen – stumm am Tisch sitzen.

Einfacher gesagt, als getan, wie Wirtz bei einem Abendessen feststellen musste. Der Bewerber für eine Juniorführungsposition in der Finanzbranche war der Favorit der Chefetage und wurde zum Abendessen eingeladen, sozusagen als feierlicher Abschluss des erfolgreichen Bewerbungsprozesses. Gerade in konservativen Branchen wie Finanzen oder Recht kommt dies durchaus noch vor. Der 30-jährige Kandidat sei wie zu erwarten angemessen gekleidet und pünktlich erschienen, erzählt Wirtz. Doch dann: „Als es an die Bestellung ging, wählte der junge Mann sehr selbstbewusst ein Glas Wein im obersten Preissegment.“ Ein No-Go: „Man nimmt den Wein des Hauses – schließlich bezahlt das Gegenüber – oder verzichtet ganz auf Alkohol, immerhin möchte man einen klaren Kopf behalten.“

Authentisch speist am besten

Und es wurde noch schlimmer. „Als der Wein kam, nahm er einen Schluck und fing an, zu schlürfen und zu gurgeln“, erzählt Wirtz. Alle am Tisch mussten der kleinen Weinverkostungsvorführung zusehen und lauschen. Dann trat kurze Stille ein, und der junge Mann sagte zum Ober: „Der Wein hat Kork.“ Er ließ ihn zurückgehen. Das Essen verlief freundlich. Man plauderte und lachte. Ein paar Tage später erhielt der selbstbewusste Bewerber eine Absage. „Auch wenn jemandem der Job auf den Leib geschnitten ist, steht am Ende eines Bewerbungsprozesses die Entscheidung: Möchte ich diesen Menschen in meinem Team haben?“ Die gemeinsame Mahlzeit bringt hier Klarheit. Eigentlich entlastend. Denn das bedeutet auch, dass man sich beim Businessessen nicht zu verbiegen braucht.

Quellen

Nandine Meyden: Tisch-Manieren. Im Restaurant. Beim Geschäftsessen. Zu Hause. Humboldt 2019 (2., aktualisierte Auflage)

Anke Quittschau, Christina Tabernig: Geschäftsessen meistern. Haufe-Lexware 2015 (E-Book)

Carlos Cabral-Cardoso, Miguel Cunha: The business lunch: toward a research agenda. Leadership & Organization Development Journal, 24/7, 2003, 371 bis 379

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2023: Intensiver leben