„Machen Sie sich keine Mühe mit Kirchen, Regierungsgebäuden oder repräsentativen Plätzen; wenn Sie wirklich etwas über eine Kultur erfahren wollen, verbringen Sie eine Nacht in den Bars“, lautet ein Ratschlag von Ernest Hemingway. Der Überlieferung nach, betrieb der Literaturnobelpreisträger seine kulturellen Studien ebenso häufig wie eingehend im Pariser Le Ritz, in Harry’s Bar in Venedig oder in Havannas El Floridita.
Es lassen sich verschiedene Typen von Bars voneinander unterscheiden, wobei jede ihren…
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El Floridita.
Es lassen sich verschiedene Typen von Bars voneinander unterscheiden, wobei jede ihren eigenen Charakter oder typischen Stil hat. So gibt es beispielsweise die klassische oder American-Bar, Espresso-Bar, Hotel-Bar, Strand-Bar, Club-Bar, Wohnzimmer-Bar. Wir kennen sie freistehend, als Sky-Bar in einem Hochhaus, in ein Hotel integriert oder abgeschottet in einem Keller. Neben dem Ort wirken Architektur, Innenraumgestaltung, Akustik, Geruch oder Licht auf die Wirkung und Interpretation des Lokals ein.
Eine Bar als Raum ist immer auch in einen größeren Raum eingebettet. So befindet sich eine Bar in einem Haus, in einem Stadtteil, einer Stadt, in den Bergen oder am Meer. Die Wahrnehmung eines äußeren Raumes geht immer einher mit dem eigenen inneren Raum. In der sensorischen Empfindung und Bewertung einer Bar spielen diese sogenannten Kontexteffekte ebenso wie das implizite Hintergrundwissen um eine Bar eine wichtige Rolle. Mobiliar, Musik, Tresen, vier Wände, Decke und der Boden eines Raumes für sich alleine lassen noch lange keinen Raum als Bar entstehen.
Wie beeinflussen Gaststätten unsere Sinne und Gefühle?
Der Name einer Lokalität ist ebenso wie die Cocktailkarte sprachgebunden, weckt bewusste und unbewusste Assoziationen und kann anziehend oder auch abstoßend auf Gäste wirken. Viele kognitiven Funktionen lassen sich durch den Betreiber oder die Betreiberin manipulieren und können somit die Sinnesreize der Gäste verändern. Die Musik kann lauter oder leiser sein und je nach Genre bestimmte Emotionen erzeugen. Je lauter sie ist und je mehr Alkohol fließt, umso lauter werden auch die Gäste werden. Die Wahrnehmung in der Bar ist ein fortlaufender, wechselseitiger Prozess, indem der Gast selbst zum Teil der Bar wird, beeinflusst er, wie die Anwesenden den Raum erfahren.
Die Einrichtung wird häufig gezielt gestaltet, um eine Stammgastbindung herzustellen. So etwa in den Wohnzimmerbars, in denen Großmutters Möbel eine heimelige Atmosphäre schaffen, die bei so manchem Besucher Erinnerungen an die Kindheit weckt. Es entsteht ein Zustand des Als ob. Man schwelgt in nostalgischen Emotionen der alten Zeiten, obwohl jeder weiß, dass sie unwiederbringlich vorüber sind. Die Aktivierung alter Bindungserfahrungen kann zu einer neuen Verbundenheit mit der Wohnzimmerbar führen.
Auch die psychologische Forschung geht der Frage nach, wie die Gaststätten auf unsere Sinnesorgane und Emotionen einwirken. So konnte etwa das Team um den Psychologen Daniel Oberfeld nachweisen, dass hell gestrichene Wände eine Bar höher und größer wirken lassen, während die Farbe Rot die Aufmerksamkeit auf Details erhöht. In der Cocktail-Party-Studie wurde die Wirkung von Wandfarbe auf das Verhalten von Gästen untersucht. Das Experiment ergab: Rot und gelb getünchte Räume ziehen zwar mehr Partybesucherinnen und -besucher an, in blauen Räumen fühlen sie sich indes wohler und halten sich folglich länger ihn ihnen auf.
Männlichkeit und Trunkenheit
Auch unsere Geschmacksnerven reagieren auf die Umgebungsfarbe. Psychologen fanden in einer Studie heraus, dass Wein in einem rötlichen Ambiente eineinhalbmal süßer und fruchtiger wahrgenommen wird als bei blauem Licht. Auch schmeckte den Probandinnen der Wein in bläulicher Beleuchtung weitaus besser als in grüner oder weißer. Die Versuchsteilnehmenden waren zudem bereit, für eine Flasche Riesling einen Euro mehr zu bezahlen, wenn die Verkostung bei roter statt in grüner Ausleuchtung stattfand.
So mancher Bartender macht aus dem Shaken der Drinks eine Show-Einlage, die Blicke auf sich zieht. Weitestgehend unbewusst findet ein weiterer wichtiger Sinnesreiz statt: das Riechen. Ein Hauch von frischer Limette oder Minze an der Theke, der Geruch von Zigarren in speziellen Raucherlokalen und eine Kakophonie der Parfüms der Gäste wirken auf die Stimmung der Anwesenden ein. Im Gegensatz zum Restaurant ist die Bar ein Ort, an dem sich jeder frei bewegen, Kontakte knüpfen oder einfach sein Getränk alleine genießen kann.
Immer häufiger prosten sich die Amüsierwilligen dabei mit alkoholfreien Getränken zu – Ausdruck einer zunehmend kritischen gesellschaftlichen Haltung gegenüber Spirituosen. Einer von Hemingways Leitsprüchen „A man does not exist until he is drunk“ verknüpft Männlichkeit zwingend mit Trunkenheit. Einer der angesagtesten Cocktails derzeit ist der „Virgin Mojito“, in ihm findet sich kein Tropfen Rum, das Minzblättchen darf bleiben.
Claus Lampert ist Diplompsychologe und als Psychotherapeut und Lehrtherapeut in Frankfurt tätig. Seit 2004 hält er Vorträge und Seminare und veröffentlicht Artikel zum Thema Hotel- und Barpsychologie, worüber er auch ein gleichnamiges Lehrbuch veröffentlicht hat.
Quellen
Claus Lampert: Hotel- und Barpsychologie. Psychologie für die Gastronomie. Springer 2013
Claus Lampert: Einführung in die Hotel- und Barpsychologie. Springer 2015
Jochen Mai, Daniel Rettig: Ich denke, also spinn ich. Warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen. Dtv 2011
Ravi Mehta, Rui Juliet Zhu: Blue or red? Exploring the effect of color on cognitive task performances. Science, 323/5918, 2009, 1226–1229
Daniel Oberfeld, Heiko Hecht, Ulrich Allendorf, Florian Wickelmaier: Ambient light modifies the flavor of wine. Journal of Sensory Studies, 24/6, 2009, 797–832
Daniel Oberfeld, Heiko Hecht, Matthias Gamer: Surface lightness influences perceived room height. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 63/10, 2010, 1999–2011