Wie können Frauen lernen, sich Macht zuzugestehen?

Die Führungsetagen in Deutschland sind nach wie vor männlich dominiert. Martina Lackner erklärt, wie Frauen lernen können, sich Macht zuzugestehen.

Die Illustration zeigt die Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, systemische Coachin und Autorin, Martina Lackner
Martina Lackner ist Psychotherapeutin, systemische Coachin sowie Autorin und Unternehmerin. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Frau Lackner, warum hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland der Anteil von weiblichen Führungskräften kaum weiterentwickelt?

Wir haben auf der Unternehmensseite noch immer zum Großteil männliche Führungskräfte, die nicht bereit sind, Macht abzugeben – die Quote war ein kleiner Anfang. Und weibliche Führungskräfte sind zunehmend weniger bereit, in einem toxischen Milieu zu arbeiten. Die Unternehmensstrukturen sind nach wie vor geprägt von weicher Gewalt, Mikroaggressionen und Sexismus.

Frauen haben zudem wenig bis keine Strategien zur Verfügung, mit der weichen Gewalt umzugehen, und wenig Lust, in solchen Strukturen Karriere zu machen. Sie sind dem Milieu ausgeliefert und verharren in einer Art Starre. Es gibt nur eine sehr langsame Stop-and-go-Weiterentwicklung der Frauen, Führungspositionen einnehmen zu wollen.

In Ihrem Buch behaupten Sie, dass die „Frauen hierzulande unter einem in­ternalisierten Machtverbot“ leiden. ­Warum haben Frauen Angst vor Macht?

Die Geschichte der Frauen war nie geprägt von Macht, mit Ausnahme von einigen weiblichen Herrscherinnen, das heißt, es gibt keine Vorbilder. Und die patriarchale Gesellschaft hat Frauen mit einem Machtverbot belegt, das reicht vom Ausschluss von Führungspositionen bis in die kleinste Zelle – die Familie. Herkunftsfamilie, Partner und sogar der weibliche Freundeskreis suggerieren in vielen Fällen, dass Macht etwas Schmutziges ist, nichts für Frauen, und dass sie sich rollenkonform verhalten sollen.

So haben Frauen bei dem Thema Macht Angstgefühle. Diese beruhen auf Zuschreibungen und Konsequenzen, die drohen, wie etwa dem Ende einer Ehe, Konflikten mit den Eltern, Kolleginnen und Vorgesetzten. Auf ein „Mehr wollen“ folgte stets eine Bestrafung. Aus dieser Erfahrung heraus haben Frauen Angst vor Macht.

Welche Rolle spielt die Herkunftsfamilie bei der Machtentwicklung von Frauen?

In der Familie wird der Grundstein gelegt, da Kinder an Vorbildern lernen, auch inwieweit sie sich entfalten können, etwa in ihrer Machtentwicklung. Fehlende weibliche Vorbilder oder negative Beispiele wie eine angepasste Mutter führen dazu, dass Töchter keine Strategien zur Machtentwicklung lernen. Es gibt Väter und auch Mütter, die es nicht ertragen, dass ihre Töchter sie karrieremäßig überholen könnten, weil es ihnen ihre Defizite und verpassten oder nicht vorhandenen Chancen vor Augen führt. So werden auch heutzutage noch viele Töchter bereits im Elternhaus kleingehalten.

Mit welchen Strategien können Frauen ihre Macht entfalten und weiterentwickeln?

Alles beginnt mit der Frage: Wer oder was hält mich davon ab und wie schafft es mein Umfeld, mich in meiner Machtentfaltung zu bremsen? Dann geht es um eine physische und emotionale Loslösung aus einer toxischen Beziehung. Hier können Schuldgefühle und Ängste einen Hemmschuh bilden: etwa sich schuldig zu fühlen, wenn man zu den eigenen Eltern auf Distanz geht, oder die Angst vor Versagen und Einsamkeit. Das Ende einer Ehe bedeutet zum Beispiel zunächst, auf sich selbst gestellt zu sein. Emotionen wie Schuld, Angst und Scham müssen bearbeitet und transformiert werden. Machtentfaltung benötigt vor allem emotionalen Freiraum.

Und dann geht es um die Strategien: Wen oder was benötigt es, dass ich machtvoller werde? Einen herausfordernden Führungs- oder Expertinnenjob, eine Weiterbildung, einen anderen Freundeskreis, einen unterstützenden Partner, ein Studium, ein Netzwerk? Wer Macht entwickeln will, muss die Komfortzone verlassen.

Martina Lackner ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, systemische Coachin sowie Autorin und Unternehmerin.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2023: Paartherapie
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