„Dauernd muss ich schauen, dass das Geld reicht“

Sechs Kinder und selbstständig: Ein Berliner Musiker berichtet, wie sehr die finanzielle Unsicherheit seines Berufes sein Familienleben belastete.

Die Collage zeigt einen Musiker mit einem Saxofon umringt von Symbolen, wie eine Schwalbe, Regenbogen, Wolken und Umsatzstatistiken
Sie stehen zwischen ihrer Leidenschaft und der Finanzsorge. Selbstständige Künstler kämpfen oft mit zu niedrigen Honoraren. © Christian Barthold für Psychologie Heute

Obwohl ich jahrelang studiert habe, kann ich von meinem Beruf kaum leben. Das tut weh. Denn daran sieht man, wie wenig Wertschätzung uns Musikern entgegengebracht wird. Ich bin Saxophonist und arbeite seit mehr als zwanzig Jahren an Musikschulen, meist als Honorarkraft. Ich gebe Einzelunterricht und leite Kurse. Unterrichten ist toll, die Arbeitsbedingungen sind es nicht.

Mein Einkommen hängt davon ab, wie viele Schülerinnen und Schüler ich habe. Hört jemand auf, verdiene ich weniger. Und das passiert häufig. Manche haben keine Lust mehr, andere ziehen weg, wieder andere zahlen einfach nicht und werden gekündigt. Ich bin das letzte Glied in einer Kette. Wenn die Musikschule Fördermittel verliert und Kurse streichen muss, trifft das mich.

Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die zusätzlich Geld vom Jobcenter beziehen müssen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Obwohl sie eine Hochschulbildung haben! An einer Musikschule war ich einmal fast vollbeschäftigt. Als ich meine eigenen Kinder dort angemeldet habe, wurde ihnen die Hälfte der Beiträge erlassen. Nicht weil ich dort unterrichtet habe, sondern weil mein Einkommen unterhalb der Gering­verdienergrenze lag.

Sommerurlaub ist unleistbar

Meine Frau und ich haben eine Patch­workfamilie mit sechs Kindern. Sie ist Erzieherin und wird auch nicht üppig bezahlt. Neue Fahrräder für die Kinder, große Ausflüge, Essengehen mit der ganzen Horde – das war nie drin. Weil der Musikunterricht so wenig bringt, muss ich zusätzlich Geld verdienen. Zum Beispiel durch Konzerte, Kurse, Gottesdienstbegleitung. Aber hohe Gagen bekommen nur die Stars, das kulturelle Fußvolk lebt von der Hand in den Mund. Darum biete ich an Wochenenden auch noch Entspannungsworkshops an.

Dauernd muss ich mich um neue Aufträge kümmern und schauen, dass das Geld reicht. Das führt zu einer inneren Unruhe, die an der Gesundheit, der Familie, den Beziehungen zehrt. Ich frage mich: Was schaffe ich? Was mache ich? Was kann ich mir leisten? Wo vielleicht noch Fördergelder beantragen, wo mich vorstellen?

Drei Wochen Sommerurlaub? Können wir uns nicht leisten. Kann ich aber auch nicht einplanen. In den Sommerferien sind die Musikschulen geschlossen und ich habe kaum Einnahmen. Während die Kinder frei haben und andere Familien wegfahren, muss ich möglichst viele Workshops anbieten und Konzerte spielen. Hauptsache, es kommt Geld rein.

"Im Kulturbetrieb muss man um alles kämpfen"

Zu dieser finanziellen Unsicherheit kommt noch eine zeitliche. Andere Väter wissen jede Woche, wann sie arbeiten müssen und wann sie zu Hause sein werden. Ich nicht. Einmal muss ein Schüler seine Unterrichtsstunde verschieben, ein anderes Mal kann ich noch kurzfristig ein Konzert übernehmen oder für einen Kollegen einspringen.

Kinder brauchen Verlässlichkeit und obwohl ich es versuche, kann ich sie nicht so gewährleisten, wie ich es mir wünsche – und wie es Angestellte in anderen Berufen können. Das ist hart. Es gibt oft Situationen, in denen ich los muss und denke: Jetzt würde ich lieber zu Hause bleiben. In Phasen mit vielen Terminen habe ich ein schlechtes Gewissen.

Die Arbeitszeiten passen sowieso schlecht zum Familienleben. Musikunterricht findet nachmittags statt, Konzerte abends und am Wochenende. Zu Hause schreibe ich noch Anträge für Fördergelder, pflege meine Netzwerke und organisiere die nächsten Termine. Wenn dann mein kleiner Sohn kommt und zu mir sagt: „Papa, wir wollten doch noch einen Film gucken“, muss ich ihn manchmal wegschicken. Das tut mir in der Seele weh.

Dieser zeitliche Druck belastet mich mehr als das Geld. Markenklamotten müssen nicht sein, Zeit für die Familie schon. Wenn der Beruf besser bezahlt wäre, könnte ich weniger arbeiten und es wäre trotzdem genug Geld da für Klassenfahrten, Busfahrkarten, Zoobesuche, mal einen Urlaub. Ich will keinen SUV fahren, ich muss keinen teuren Wein trinken und ich beneide nicht die Eltern, die das tun. Aber dass der Kulturbetrieb so unterfinanziert ist und man um alles kämpfen muss, das ärgert mich.

Musik kennt keine Grenzen

So anstrengend es ist, von der Musik zu leben, so sehr hilft sie mir gleichzeitig zu entspannen. Manchmal setze ich mich nachts hin und spiele. Einfach so. Für mich. Musik ist befreiend, grenzenlos. Das merke ich immer wieder, wenn ich andere Musiker und Musikerinnen treffe. Es ist völlig egal, woher du kommst und wer du bist: Land, Kultur, Mann, Frau, rot, schwarz, schwul, lesbisch, hetero. Es geht darum, sich auszutauschen und zusammen zu spielen.

Auch das Unterrichten gibt mir viel. Wenn die Schülerinnen und Schüler so begeistert sind, weil sie etwas gelernt haben oder aufgetreten sind, wenn sie anfangen, selbst kleine Lieder zu schreiben – das sind Glücksmomente. So ertrage ich die Arbeitsbedingungen. Aber ein Ausgleich dafür ist es nicht.

Ich bin froh, dass wir zumindest etwas mehr Ruhe in unser Leben bringen konnten. Vor vier Jahren sind wir von Berlin aufs Land gezogen. Jetzt muss ich zwar weit fahren und die Konzerte besuchen nicht mehr 400 Leute, sondern vielleicht 40, aber die Honorare sind besser und die Konkurrenz ist kleiner. Mit einem Konzertabend verdiene ich zum Beispiel um die 150 oder 200 Euro. Das ist immer noch wenig, wenn man die Vorbereitung und zwei, drei Stunden Fahrzeit dazurechnet, aber in Berlin konnten die kleinen Clubs fast nichts zahlen und es gab genügend Leute, die umsonst aufgetreten sind.

Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich es mir leisten, mal einen Musikschüler abzulehnen oder zu überlegen: Passt die Anfrage künstlerisch zu mir? Kann ich das auf der Bühne überzeugend spielen? Es tut mir gut, einfach mal eine Stunde Zeit zu haben, um selbst zu spielen.

Trotzdem gibt das Geld oft noch den Ausschlag. Ich habe zum Beispiel zwei Gospelchöre geleitet. Das hat unheimlich Spaß gemacht, aber es wurde so schlecht bezahlt, dass ich es aufgeben musste. In derselben Zeit kann ich mit fünf Musikschülerinnen mehr verdienen. Dennoch haben wir unseren Heizöltank dieses Jahr nur zur Hälfte auffüllen lassen. Mehr konnten wir uns einfach nicht leisten.

Hintergrund

Finanzielle Unsicherheit erleben:

Während sich die Forschung schon länger damit beschäftigt, wie Berufsmusizierende ihre körperliche Gesundheit erhalten können, wurden die psychischen Auswirkungen ihrer Arbeitsbedingungen bislang kaum erforscht. Eine Ausnahme bildet die Auftrittsangst. Aus anderen Studien ist jedoch klar: Geldsorgen sind schlecht für die Gesundheit. Menschen mit geringem Einkommen haben ein höheres Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko als Besserverdiener. Auch psychische Erkrankungen sind in einkommensschwachen Gruppen häufiger vertreten. Musikschaffende unterscheiden sich allerdings insofern von anderen Geringverdienern, als sie meist eine hohe Bildung aufweisen und mit ihrer Tätigkeit an sich sehr zufrieden sind. Das Problem ist für sie nicht die Musik, sondern die Umstände, unter denen sie Musik machen müssen. Wenig und unsichere Einkünfte gehören dazu. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Musikinformationszentrums verdienen Musikerinnen und Musiker im Schnitt 2660 Euro netto im Monat. Die Spannbreite ist jedoch groß. Etwa jeder fünfte Berufsmusizierende kommt sogar auf weniger als 1500 Euro im Monat. Trotzdem würden sich rund 80 Prozent der Befragten immer wieder dafür entscheiden, professionell Musik zu machen.

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