Mut zur Unsicherheit

Die aktuelle Weltlage bereitet uns allen Sorgen – doch wir können unsere Unsicherheitskompetenz verbessern und so besser damit umgehen.

Wir leben in einer Welt mit vielen Unwägbarkeiten. Dennoch gehen wir unseren Weg. © Linda Wolffl

Tagtäglich werden wir mit Situationen konfrontiert, die undurchsichtig, sehr komplex oder widersprüchlich sind. Offene Fragen gibt es viele: Wird es meinen Job in ein paar Jahren noch geben? Wie wird sich unser Leben durch den Zustrom von Flüchtlingen verändern? Wie sehr können uns islamistische Terroristen gefährlich werden? Bewältigen wir die Folgen der Erderwärmung? Werde ich im Alter genug Geld zum Leben haben? Was, wenn meine Ehe zerbricht?

Ungewissheit und Mehrdeutigkeit sind keine Erfindungen der modernen Zeit. Doch heute erscheint uns die Welt „überwältigender und chaotischer als jemals zuvor“, schreibt der amerikanische Autor Jamie Holmes in seinem aktuellen Buch Nonsense. The Power of Not Knowing.

Mit Unsicherheit umzugehen, betont Holmes, entwickelt sich immer mehr zu einer zentralen Fähigkeit. „Die Herausforderung des heutigen Lebens besteht darin, herauszufinden, wie man sich verhält – im Job, in Beziehungen, im alltäglichen Leben –, wenn man keine Ahnung hat, was man tun soll.“ Doch verwirrt zu sein, keinen Durchblick zu haben ist unangenehm, insbesondere wenn man ohnehin gestresst ist. Deshalb greift man in solchen Situationen schnell nach der erstbesten Lösung oder sieht Zusammenhänge, wo es keine gibt.

Die Sehnsucht nach raschen Antworten

Wenn man sich für den Umgang mit Unsicherheit – die Psychologie spricht von „Ambiguität“ – interessiert, kommt man um ein Konzept kaum herum: need for (cognitive) closure. Arie Kruglanski, hat den Begriff vor rund 25 Jahren eingeführt und seitdem zu einer einflussreichen Theorie ausgebaut, mit der sich zahlreiche Forscher in aller Welt befassen. Was im Deutschen etwas sperrig als „Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit“ bezeichnet wird, definiert Kruglanski als „das Verlangen nach einer definitiven Antwort, irgendeiner Antwort anstelle von Verwirrung und Ambiguität“.

Der Wunsch, bei Fragen und Problemen zu einem Abschluss zu kommen, ist an sich eine durchaus sinnvolle Motivation, argumentiert der Sozialpsychologe. Unsere Zeit ist schließlich begrenzt, und folglich müsse die Suche nach Antworten irgendwann mal enden. Auf der anderen Seite würde es sich auch nicht gut anfühlen, unsere Überlegungen einfach willkürlich abzubrechen, wissend, dass man eine Menge relevanter Informationen weggelassen hat.

„Aber wir müssen handeln und entscheiden, was also tun?“, schreibt Kruglanski in seinem 2004 veröffentlichten Buch The psychology of closed mindedness. „Es scheint, als wäre uns Mutter Natur mit einer simplen Lösung zu Hilfe gekommen: der Fähigkeit, unseren Verstand gelegentlich dichtzumachen, überzeugt davon, dass unser momentanes Wissen schon ausreicht.“ Dies erlaube uns, betont der Wissenschaftler, weiterzumachen, anstatt auf ewig in der Schwebe zu sein und zu grübeln.

Wie ausgeprägt der Drang nach schneller Klärung bei einer Person ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Manche Menschen haben eine grundsätzlich stärkere Aversion gegen Unsicherheit als andere. Das kann an ihrem Temperament liegen. Möglicherweise sind sie aber auch in einer sehr unsicheren Umgebung groß geworden, beispielsweise mit unbeständig handelnden Eltern oder in Kriegsgebieten, sodass sie nun besonders empfindlich auf Ungewissheit und Mehrdeutigkeit reagieren.

Es gibt auch situative Umstände, die den Drang, rasch zum Ende zu kommen, erhöhen. Dazu gehören Zeitdruck, Stress, Lärm und Müdigkeit. Nun leben wir in einer Welt, in der ständiger Zeit- und Schlafmangel zum Alltag gehören und Anforderungen in Berufs- und Privatleben immer weiter zu steigen scheinen – also genau die Umstände, unter denen sich Menschen nach prompten und einfachen Antworten sehnen.

Arne Roets, Professor an der Universität Gent, hat zahlreiche Studien zum Thema need for closure durchgeführt und vermutet, dass unser heutiges stressiges und hektisches Leben für ­ viele Menschen eine Situation geschaffen hat, die ein hohes Bedürfnis nach Geschlossenheit fördert.

Wie stark das Begehren nach zügiger Auflösung ausgeprägt ist, lässt sich messen. Auf der Basis eines Tests von Kruglanski hat Psychologe Roets zusammen mit seinem Kollegen Alain Van Hiel vor ein paar Jahren eine Kurzskala entwickelt, die 15 Aussagen enthält (siehe Test Seite 23). Wem in diesem Test ein starkes Bedürfnis nach schnellen Antworten bescheinigt wird, empfindet es als unangenehm, bei einer Frage oder einem Problem in der Luft zu hängen. Solche Menschen tendieren dazu, sich durch zwei Mechanismen zu schützen:

– Sie neigen dazu, sich auf die erstbesten Informationen zu stürzen und ein schnelles Urteil zu fällen, selbst wenn sie erst relativ wenig wissen.

– Wenn sie einmal zu einem Ergebnis oder Urteil gekommen sind, halten sie daran fest, selbst wenn dies bedeutet, neue oder bessere Informationen zu ignorieren.

Man muss kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass ein solches Verhalten in vielen Situationen ­abträglich ist. Die Forschung bestätigt, wie weitreichend die negativen Folgen sein können.

Übereilte Entscheidungen: In einer Studie nahmen Probanden an einer simulierten Laienrichtersitzung teil, in der sie über die Klage einer Bauholzfirma ­gegenüber einer Airline zu entscheiden hatten. Teilnehmer, deren Bedürfnis nach Geschlossenheit künstlich erhöht worden war, tendierten dazu, in der Diskussion schnell der Meinung eines Mitjurors (eines Komplizen der Wissenschaftler) zuzustimmen.

Zudem drückten sie aufs Gas, um zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Während die Diskussion in der Kontrollgruppe im Schnitt 5:40 Minuten dauerte, fiel das Urteil bei Probanden mit hohem Bedürfnis nach Abschluss schon nach 3:50 Minuten.

Fehlgewichtung von Informationen: In Experimenten zu Bewerbungsgesprächen ließen sich Interviewer mit einem erhöhten Bedürfnis nach Geschlossenheit stärker als andere dazu hinreißen, Kandidaten nach den ersten Informationen zu beurteilen und später auftauchende Details zu ignorieren, ein Phänomen, das man Primäreffekt (primacy effect) nennt. Ein Bewerber, der einen starken ersten Eindruck ­vermittelte, bekam deutlich bessere Noten als ein anderer, bei dem zunächst Schwachstellen zutage traten, selbst wenn beide insgesamt identische Stärken und Schwächen aufwiesen.

Gefahr der Manipulation: In Finanzdingen kann uns die Sehnsucht nach schneller Klärung ebenfalls auf viele falsche Gleise führen, sei es beim Feilschen mit dem Autohändler oder der Frage, wem man sein Geld anvertraut. So lassen sich Menschen mit hohem Bedürfnis nach Geschlossenheit in Verhandlungen stark von Vorabinformationen beeinflussen (zum Beispiel wie viel jemand in dieser Situation typischerweise für sich herausholt), anstatt ihre Gebote vom Gesprächsverlauf abhängig zu machen.

Damit riskieren sie, manipuliert zu werden. Zudem verteilen sie ihr Vertrauen in andere auf stark polarisierte Weise. In einer norwegischen Studie ließen sich Teilnehmer mit erhöhtem Bedürfnis nach Abschluss dazu verleiten, in einem Investitionsspiel einem Freund übermäßig viel Geld zur Anlage anzuvertrauen. Einem Fremden dagegen überließen sie auffällig wenig Kapital.

Ihr Wunsch nach schnellen Lösungen führte also gleichermaßen zu ungerechtfertigtem Vertrauen (Freund) als auch ungerechtfertigtem Misstrauen (Fremder). Mehr noch: Anders als Teilnehmer mit niedrigem Bedürfnis nach Geschlossenheit ­revidierten sie ihre Entscheidungen selbst dann nicht, wenn sie erfuhren, dass sich der Freund weniger vertrauenswürdig beziehungsweise der Fremde vertrauenswürdiger als erwartet zeigte.

Gefahr von Vorurteilen: Besonders gravierend wirkt sich unser Unbehagen mit Unsicherheit im ­gesellschaftlichen und politischen Bereich aus. Ein Beispiel sei der Rückgriff auf Stereotype, so Jamie Holmes in einem Gespräch mit Psychologie Heute: „Ein hohes Bedürfnis nach Geschlossenheit impliziert, dass man die Komplexität einer anderen Person oder einer anderen Kultur leugnet und sie auf eine Kategorie reduziert.“

Eine Reihe von Studien belegt, dass Menschen, die generell einen hohen Drang nach definitiven Antworten haben, anfällig für Vorurteile gegenüber Ausländern und Menschen anderer ethnischer Herkunft oder Hautfarbe sind; das kann bis zu unverhohlenem Rassismus reichen. Auch sind sie eher gegenüber homo- oder transsexuellen Personen voreingenommen und neigen zu Klischees nach dem Motto „typisch Mann, typisch Frau“.

Empfänglichkeit für autoritäre Ideologien: Eine Autorität, eine Person, eine Religion oder Institution „gibt einem schnelle und eindeutige Antworten, ­sodass man selbst nicht nach Antworten suchen muss. Das ist für Menschen, die es nach Abschluss drängt, sehr reizvoll“, erklärt Arne Roets. Zahlreiche Studien zeigten, dass ein hohes Bedürfnis nach Geschlossenheit den Nährboden für typische Elemente von Autoritarismus liefert: die Vorliebe für auto-kratische Entscheidungsstrukturen mit einem starken Anführer, der Drang zu Konformismus und Uniformität, Feindseligkeit gegenüber Menschen, die anderer Meinung sind.

Die Forschung habe sich auf rechte Ideologien konzentriert, so Roets, aber es könnten auch linke Weltanschauungen sein. „Selbst fundamentalistische Ideologien muss man in diesem Zusammenhang nennen. Kruglanski und seine Kollegen untersuchen das gerade und haben bereits eine starke Verbindung zwischen der Unterstützung für gewalttätigen Extremismus und einem hohen Bedürfnis nach Geschlossenheit gefunden.“

Ein starkes Bedürfnis nach Abschluss könne ­extreme Einstellungen und Sichtweisen attraktiv machen, schreiben Kruglanski und sein Kollege Edward Orehek in einem 2012 veröffentlichten Buchbeitrag: „Diese sind per Definition klar und unzweideutig.

Indem sie über Nuancen und Komplexitäten hinwegwischen, liefern sie weitreichende Generalisierungen, die Sicherheit und Zuversicht vermitteln.“ In Studien habe sich beispielsweise ein Zusammenhang zwischen need for closure und der Unterstützung von militärischen Einsätzen, von Folter und der Unterordnung von Individualrechten zugunsten der nationalen Sicherheit ergeben.

Lernen, Unsicherheit auszuhalten

Autor Holmes meint, auch der momentane Auftrieb für rechtsstehende Parteien in Europa und der Erfolg von Kandidaten wie Donald Trump, der im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mit Schwarz-weißargumenten punktet, müsse in diesem Licht gesehen werden. Es sei wahrscheinlich, prognostiziert Holmes, dass die heutigen Zeiten – durch plötzliche Ereignisse wie den 11. September sowie chronische kulturelle und wirtschaftliche Instabilitäten – das Bedürfnis nach absoluten Antworten noch weiter intensivieren werden.

Das klingt düster. Allerdings, betonen Holmes und andere Experten, sind wir diesem Bedürfnis nicht hilflos ausgeliefert. Der Wunsch nach Geschlossenheit kann in gewissem Rahmen reduziert oder zumindest seine negativen Folgen abgemildert werden (siehe auch Seite 26). Sich bewusst zu machen, dass man zu den Menschen gehört, die Ambiguität nur schwer tolerieren können, ist dabei ein erster wichtiger Schritt.

Wissenschaftler haben in Experimenten gezeigt, dass der Drang, zu einem schnellen Ende zu kommen, nachlässt, wenn man Probanden die Folgen ihrer vorschnellen Entscheidungen vor Augen führt, und zwar unmittelbar bevor sie ihre Wahl treffen. Ihnen wird beispielsweise gesagt, dass sie ihre Entscheidung später vor einer Gruppe rechtfertigen müssen oder diese mit dem Urteil eines Experten verglichen wird.

In einer Studie, in der junge Soldaten Kandidaten für einen Job beurteilen mussten, wurden sie vorab darauf hingewiesen, dass eine Fehlentscheidung ihrerseits der militärischen Karriere des Bewerbers schaden könnte. Prompt ließ die Neigung nach, rasch zu entscheiden und sich zu sehr auf den ersten Eindruck zu verlassen.

Diese Strategie, betont Holmes, könne man sich auch im Alltag zunutze machen. Beispielsweise indem man bei Entscheidungen nicht nur die Stärken und Schwächen von Optionen auflistet, sondern explizit über die Folgen der Wahl nachdenkt. Auch sollte man es sich zur Gewohnheit machen, ganz bewusst und systematisch sein momentanes Stressniveau in die Überlegungen miteinzubeziehen: Stehe ich unter Zeitdruck oder bin ich müde und deshalb besonders anfällig dafür, vorschnelle Schlüsse zu ziehen?

Auch Erfahrungen mit anderen Kulturen können möglicherweise den Drang nach schnellen Antworten und seine problematischen Folgen abmildern. In einer 2012 veröffentlichten internationalen Studienreihe ließen die Organisationspsychologin Carmit Tadmor und ihre Kollegen die Studienteilnehmer einen Text über ein Treffen mit ausländischen Freunden, den Besuch eines fremdländischen Restaurants oder Konzerts oder auch einen längeren Auslandsaufenthalt schreiben.

Ergebnis: Sich an multikulturelle Erlebnisse zu erinnern reichte aus, um das Bedürfnis der Probanden nach Abschluss für ­eine Weile zu senken.

Eine neue Sprache lernen und sich mit moderner Kunst oder Literatur befassen sind ebenfalls Möglichkeiten, sich eine Dosis an Verwirrung und Verunsicherung zukommen zu lassen. Weil wir uns in diesen Situationen sicher fühlen, so Holmes, können wir offen bleiben – und uns auf konstruktive Weise auf Ambiguität einlassen.

Literatur

M. Djikic u.a.: Opening the closed mind: the effect of exposure to literature on the need for closure. Creativity Research Journal, Vol.25.2, 2013, 149-154

K. Dhont : Opening closed minds: the combined effects of intergroup contact and need for closure on prejudice. Personality and Social Psychology Bulletin, Vol.37.4, 2011, 514-528

J. Holmes: Nonsense – The power of not knowing. Crown Publishers, New York 2015

A. Kruglanski: The psychology of closed-mindedness. Psychology Press, New York 2004

A. Kruglanski, E. Orehek: The need for certainty as a psychological nexus for individuals and society. In: M. Hogg, D.Blaylock: Extremism and the psychology of uncertainty, Blackwell, Chichster 2012, 3-18

T. Proulx, M. Inzlicht: The five „A“’s of meaning maintenance: finding meaning in the theories of sense-making. Psychological Inquiry, Vol.23, 2012, 317-335

A. Roets u.a: The motivated gatekeeper of our minds: new directions in need for closure theory and research research. Advances in Experimental Social Psychology, Vol.52, 2015, 221-283

C. Tadmor u.a.: Multicultural experiences reduce intergroup bias through epistemic unfreezing. Journal of Personality and Social Psychology, Vol.103.5, 2012, 750-772

E. Whitchurch u.a.: He loves me, he loves me not…: uncertainty can increase romantic attraction. Psychological Science, Vol.22.2, 2011, 172-175

Wie das wohl ausgeht?

Auf etwas warten zu müssen kann die Hölle sein, wenn man nicht weiß, was auf einen zukommt

Wer schon einmal ein Prüfungsergebnis ersehnt hat, auf einen Untersuchungsbefund oder die Entscheidung über eine Bewerbung warten musste, kennt das Gefühl aus Unsicherheit und Kontrollverlust nur zu gut: Wir wissen nicht, was uns erwartet, und wir können auch nichts tun, um das Resultat zu unseren Gunsten zu beeinflussen.

Diese Spannung kann fast unerträglich sein und sogar zu noch größerem Stress führen als das Wissen zu scheitern. Das legt eine aktuelle Untersuchung von Forschern am University College London nahe. Die 45 Teilnehmer mussten bei einer Lernaufgabe am Computer entscheiden, ob sich unter einem von zwei gezeigten Steinen eine Schlange befand; wenn ja, erhielten sie einen Elektroschock. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einem bestimmten Stein auf eine Schlange trafen, variierte über die je 320 Durchgänge, die jeder durchspielte.

Tatsächlich war die empfundene Belastung unter größtmöglicher Unsicherheit dabei am stärksten: Bei einer 50:50-Chance auf einen Stromschlag stuften die Probanden sich selbst als gestresster ein, und auch ihre körperlichen Stressreaktionen fielen heftiger aus. Lag die Wahrscheinlichkeit bei null oder 100 Prozent, war ihre Aufregung am geringsten. Die Schlussfolgerung der Forscher: Können wir den Ausgang eines Ereignisses einschätzen, arrangieren wir uns irgendwie mit dem Ergebnis. Es sei die Ungewissheit beim Warten, die uns Angst einflöße.

Was ist schlimmer: das Warten oder die schlechte Nachricht?

Laut Kate Sweeney und ihren Kollegen von der University of California, Riverside beeinflusst die Dauer der Wartezeit beziehungsweise der Zeitpunkt die Intensität: Wer erst spät erfährt, ob er eine ­Prüfung bestanden hat, dem gelinge es meist relativ gut, seine durch die Unsicherheit hervorgerufenen Sorgen über längere Zeit beiseitezuschieben und so die Furcht zu mindern, schreiben sie. Am schwierigsten zu bezwingen seien die unguten Gedanken und Grübeleien tendenziell direkt nach der Prüfung und vor allem kurz vor Verkündung des Ergebnisses.

In einer von Sweeneys Studien berichtete ein Teil der Probanden rückblickend zwar, den Erhalt schlechter Neuigkeiten als schlimmer empfunden zu haben als die Zeit des Wartens darauf. Das könnte nach Einschätzung der Forscher aber besonders auf solche Personen zutreffen, die an Depressionen leiden oder ein geringes Selbstbewusstsein haben. Sie mögen mit der ungeklärten Situation auch nicht gut zurechtkommen, sich dem definitiven Verlust oder einer Niederlage zu stellen, dürfte für sie aber noch schwerer sein.

Wer positiv in die Zukunft blickt, kann ungewisse Situationen besser ertragen

Wie sehr jemand das Warten quält, hängt laut Sweeney und ihren Mitarbeitern auch von einer Reihe individueller Eigenschaften und Strategien ab: Wer eher positiv in die Zukunft blickt, Unsicherheit generell besser ertragen kann und ein geringeres Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und klaren Strukturen hat, empfindet in ungeklärten Situationen weniger Angst, fühlt sich nicht so angestrengt und grübelt in geringerem Maße.

Aktiv mindern könne man die Belastung beispielsweise durch Ablenkung in Form einer fordernden Aufgabe, indem man sich in Gesprächen soziale Unterstützung holt, Gutes tut oder versucht, dankbar zu sein für das, was man hat – alles Dinge, die auch in anderen Lebenslagen zur Zufriedenheit beitragen. Empfehlenswert sei zudem, die negativen Gefühle und Gedanken einfach zu akzeptieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen – indem man sie etwa ungefiltert aufschreibt oder in Achtsamkeitsübungen wertfrei wahrzunehmen versucht.

Für all jene, die das Warten trotzdem nur schlecht ertragen können, bleibt ein Trost: Sie werden sich über eine positive Nachricht am Ende wahrscheinlich weit mehr freuen können als jene, die sich mit der Unsicherheit gut arrangieren ­können. Letztere ertragen das Warten gut, sind dann aber auch weniger erleichtert und glücklich – und kommen mit einem negativen Ergebnis schlechter zurecht. Eva-Maria Träger

Können Sie Unsicherheit aushalten?

Dieser Test zeigt, wie unangenehm Ihnen unklare Situationen sind

Beantworten Sie jede Frage auf einer Skala von 1 (stimme gar nicht zu) bis 6 (stimme vollständig zu)

1. Ich mag keine Situationen, die unsicher sind.| _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

2. Ich habe eine Abneigung gegen Fragen, die auf viele verschiedene Weisen beantwortet werden können. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

3. Ich finde, dass ein gut strukturiertes Leben mit geregeltem Tagesablauf meiner Gemütsart entspricht. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

4. Ich fühle mich unwohl, wenn ich nicht den Grund verstehe, weshalb ein Ereignis in meinem Leben auftrat. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

5. Es ärgert mich, wenn eine Person einer Ansicht widerspricht, die alle anderen in einer Gruppe vertreten. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

6. Ich mag es nicht, mich in eine Situation zu begeben, ohne zu wissen, was ich von ihr erwarten kann. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

7. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, fühle ich mich erleichtert. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

8. Wenn ich mit einem Problem konfrontiert werde, will ich unbedingt so schnell wie möglich eine Lösung finden. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

9. Ich würde sehr schnell ungeduldig und genervt werden, wenn ich nicht sofort eine Lösung für ein Problem finden würde. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

10. Ich mag es nicht, mit Leuten zusammen zu sein, die zu unerwarteten Handlungen in der Lage sind. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

11. Ich mag es nicht, wenn eine Äußerung einer Person verschiedene Dinge bedeuten könnte. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

12. Ich finde, dass die Entwicklung von gewohnheitsmäßigen Abläufen mir ermöglicht, mein Leben mehr zu genießen. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

13. Ich genieße es, eine klare und strukturierte Lebensweise zu haben. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

14. Solange ich mir kein eigenes Bild von etwas gemacht habe, ziehe ich gewöhnlich nicht viele andere Meinungen in Erwägung. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

15. Unvorhersehbare Situationen sind mir unangenehm. | _ 1| _ 2| _3| _ 4| _5| _6|

Nun addieren Sie Ihre Punkte. Die Höchstpunktzahl liegt bei 90. Eine Punktzahl von 57 Punkten oder darüber gilt als Indiz für ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Geschlossenheit, wie Miles Hewstone (Universität Oxford) und Kollegen erklären. Dabei sollte man allerdings berücksichtigen, dass die Einschätzung „überdurchschnittlich“ oder „unterdurchschnittlich“ auf den Ergebnissen früherer Studien beruht und von der spezifischen Stichprobe abhängig ist.

Quellen

A. Roets, A. Van Hiel: Item selection and validation of a brief, 15-item version of the need for closure scale. Personality and Individual Differences, 50, 2011, 90–94

U. Rangel, J. Keller: Essentialism goes social: Belief in social determinism as a component of psychological essentialism. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 2011, 1056-1078

M. Hewstone u. .: An introduction to social psychology. Wiley, Chichester 2012

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2016: Mut zur Unsicherheit
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