Wie sinnvoll ist es, einen Trainer zu feuern?
Der Beruf des Fußballtrainers bringt einige Vorteile mit sich. Die Jobsicherheit gehört nicht dazu. Bei der Weltmeisterschaft in Brasilien spielen 32 Mannschaften. Nur vier davon (Spanien, Uruguay, Deutschland, Schweiz) tun das noch unter demselben Coach, der bereits beim Weltturnier vor vier Jahren auf der Bank saß. In der Ersten Bundesliga währt das Engagement eines Cheftrainers im Durchschnitt nur 18 Monate.
Doch wie erfolgreich ist die Strategie, den Trainer…
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eines Cheftrainers im Durchschnitt nur 18 Monate.
Doch wie erfolgreich ist die Strategie, den Trainer mitten in der Saison zu feuern? Eine erste Untersuchung aus der englischen Premier League förderte Erstaunliches zutage: Unter neuen Trainern spielten die Teams im Durchschnitt nicht besser, sondern sogar ein wenig schlechter als zuvor. In Italien und Spanien brachten neue Trainer überhaupt keine signifikanten Veränderungen. „Der Trainerwechsel-Effekt existiert nicht, wenn man den alten und neuen Coach über einen Zeitraum von zehn, fünfzehn oder zwanzig Spielen vor und nach der Ablösung vergleicht“, schreibt etwa Carlos Lagos-Peñas von der Universität Vigo, der die Daten aus neun aufeinanderfolgenden Spielzeiten in der spanischen Primera División untersuchte.
Seltsam. Denn in einer normalen Bundesligasaison feuert etwa die Hälfte aller Clubs ihren Trainer. Die genannten Studien stellen den Fußballfreund also vor zwei alternative Deutungen. Beide sind unangenehm: Entweder werden unsere Proficlubs von populistischen Schaumschlägern geleitet, die weder mit Geld noch mit Statistik umgehen können. Oder: An unseren Hochschulen forschen nur weltfremde Erbsenzähler, die keine Ahnung vom Fußball haben.
Unlängst hat ein Forscherteam aus Hamburg, Köln und Bielefeld eine differenziertere Lösung des Problems angeboten, die Geist und Geld miteinander versöhnen könnte: Gerd Mühlheußer, Dirk Sliwka und Sandra Hentschel zeigen mit ebenso gewieften wie fleißigen Rechenoperationen, dass manche Teams eben doch von einem Wechsel profitieren. Nämlich genau dann, wenn die Spieler auf der Ersatzbank ungefähr genauso gut sind wie jene aus der Stammelf. Für die Bankdrücker, so die Autoren, sei der neue Trainer die große Chance, ihre wahren Qualitäten unter Beweis zu stellen und sich so einen Stammplatz zu erarbeiten. Der neue Coach erhöhe dadurch objektiv die Motivation der Mannschaft – und damit ihre Leistung. Tatsächlich zeigen die Zahlen, dass relativ homogene Mannschaften mit neuen Trainern kurz- und mittelfristig besser abschneiden. Dagegen blieb ein neuer Coach ohne größeren Erfolg, wenn die zweite Garde wirklich nur zweitklassig war – oder wenn er explizit nur für kurze Zeit engagiert worden war: Für einen solchen Interimsmann geht kein Spieler in einen Extrasprint.
Literatur
Gerd Mühlheußer, Dirk Sliwka, Sandra Hentschel: The impact of managerial change on performance. The role of team heterogeneity. Conference paper: Beiträge zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik 2013: Wettbewerbspolitik und Regulierung in einer globalen Wirtschaftsordnung
Jan Ketil Arnulf u. .: Heroic leadership illusions in football teams: Rationality, decision making and noise-signal ratio in the firing of football managers. Leadership, 8/2, 2012, 169–185
Maria De Paola u.a.: The effects of managerial turnover: Evidence from manager dismissals in Italian football teams. Journal of Sports Economics, 13/2, 2012, 152–168
Carlos Lagos-Peñas: Coach mid-season replacement and team performance in professional soccer. Journal of Human Kinetics, 28, 2011, 115–122
Richard Audas u. .: Team performance and managerial change in the English football league. Economic Affairs, 17/3, 1997, 30–36
Warum Trainer ausbrennen
Am 22. September 2011 erklärte Ralf Rangnick seinen Rücktritt als Trainer des FC Schalke 04. Rangnicks Problem waren nicht die Spieler, nicht die Fans, nicht die Ergebnisse, sondern ein Burnout. Auch Jürgen Klinsmann trat nach der erfolgreichen WM 2006 als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft zurück. Klinsmann sagte damals, er habe „das Gefühl, ausgebrannt zu sein“.
Handelt es sich dabei lediglich um Einzelfälle – oder gehören Fußballtrainer womöglich zu einer besonders gefährdeten Gruppe? Fakt ist: Trainer erleben skurrile Situationen. Zu lächeln, während ein 50 000-köpfiger Mob Schmähgesänge auf einen anstimmt – das verlangt fraglos nach einer besonderen inneren Stabilität. In Aljoscha Pauses sehenswerter Dokumentation Trainer! bemerkt etwa Thomas Schaaf, ehemals Übungsleiter bei Werder Bremen: „Ich wüsste nicht, wo das noch passiert. Wo’s das noch mal gibt, dass man in seinem Beruf jeden Tag öffentlich kontrolliert wird.“ Und Schaafs Kollege Armin Veh bestätigt: „Sie müssen ziemlich stressresistent sein, um diesen Job zu machen. Drum können diesen Job auch nicht so viele machen.“
Trainer haben es allerdings noch mit einem weiteren Grunddilemma zu tun: Sie sind für die Ergebnisse ihrer Mannschaft verantwortlich, ohne auf dem Spielfeld selbst aktiv werden zu können. Der britische Sportpsychologe Mark Nesti zitiert einen Trainer aus der englischen Premier League mit den Worten: „Ich liebe meinen Job – aber ich hasse die 90 Minuten während des Spiels. Denn das ist die einzige Zeit, in der ich praktisch nicht mehr kontrollieren kann, was geschieht.“
Im Rahmen einer Diplomarbeit an der Sporthochschule Köln wurden unlängst 40 Trainer aus den drei höchsten deutschen Fußballligen befragt. Immerhin zehn Prozent der Coaches klagten dabei über Burnoutsymptome. Rund zwei Drittel gaben an, bereits Phasen des Ausgebranntseins hinter sich zu haben.
„Generell hat man in Deutschland aber relativ wenig über Burnout bei Trainern geforscht“, sagt Sebastian Altfeld, der an der Ruhr-Uni Bochum derzeit zu diesem Thema promoviert. Für seine Arbeit hat Altfeld Daten von rund 700 Trainern erfasst – manche davon sind Profis, andere arbeiten nebenberuflich oder ehrenamtlich. Sein Ergebnis: „Der Großteil der befragten Trainer ist nicht ausgebrannt. Hingegen scheinen einige hochgradig emotional erschöpft zu sein.“
Warum trifft es die einen und die anderen nicht? Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt: Eher gefährdet scheinen Trainer zu sein, die sich auf besonders ehrgeizige Ergebnisziele konzentrieren. Wer „unbedingt Meister werden“ will, brennt offenbar leichter aus als ein Trainer, der lediglich „seine Spieler jeden Tag ein Stück besser machen“ möchte.
Umgekehrt scheint ein hohes Maß an commitment innerlich stabiler zu machen: Wer sich zugehörig fühlt zu seinem Verein, seiner Mannschaft, wer sich durch sein Umfeld unterstützt fühlt, kann anscheinend besser mit Belastungen umgehen.
Die empirischen Arbeiten von Sebastian Altfeld und Michael Kellmann verweisen auf einen weiteren Zusammenhang: „Der Faktor Erholung ist ganz entscheidend “, erklärt Altfeld im Gespräch mit Psychologie Heute. Erstaunlich: Gerade im Profibereich tun viele Trainer zu wenig für ihre Fitness und ihren Körper. „Sie nehmen sich einfach zu wenig Zeit für sich“, sagt Altfeld. Abschalten, seinem Hobby nachgehen, hin und wieder Urlaub machen, Zeit mit Freunden oder der Familie verbringen, ohne dabei an Fußball zu denken – zugegeben: Die zentralen Schutzfaktoren gegen Burnout ähneln genau dem, was auch jeder Laie einem guten Freund empfehlen würde. Die Wahrheit ist gelegentlich sehr einfach.
Joachim Löw scheint in dieser Hinsicht jedenfalls auf einem guten Weg zu sein. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung behauptet der Bundestrainer, er habe „gelernt, in den Wochen ohne Wettkampf nach zwei, drei Stunden konzentrierter Arbeit im Büro ganz bewusst eine Pause einzulegen. Ich schalte dann den Computer und das Telefon aus und gehe einen Espresso trinken oder ein bisschen laufen. Ich habe gelernt, mir bewusst Freiräume zu nehmen. Nur so kann ich mein Pensum bewältigen.“
Literatur
Sebastian Altfeld, Michael Kellmann: Burnout bei Trainern. Ein Review. Zeitschrift für Sportpsychologie, 20/2, 2013, 47–58
Mark Nesti: Psychology in football. Working with elite and professional players. Routledge, Milton Park, Abingdon, Oxon, New York 2010
Die Psychologie der Pausenansprache
Am25. Mai 2005 erlebte Rafael Benítez den größten Moment seiner Trainerlaufbahn: Er bewirkte an diesem Tag nichts weniger als ein Wunder. Sein FC Liverpool stand im Finale der Champions League gegen den AC Mailand – und lag zur Halbzeit bereits mit 0:3 zurück. Niemand, so lautet eine alte Fußballweisheit, holt drei Tore auf gegen eine italienische Spitzenmannschaft! Doch nach dem Seitenwechsel– Benítez hatte ausgewechselt und die Taktik umgestellt –dauerte es nur eine Viertelstunde, bis aus dem scheinbar hoffnungslosen Rückstand ein 3:3 geworden war. Liverpool gewann das Finale im Elfmeterschießen.
Fest steht: Viele Partien werden tatsächlich in der Kabine entschieden. In keiner Phase des Matches kann der Trainer stärker beeinflussen, wie seine Spieler sich verhalten. Es sind genau die 15 Minuten, in denen er „liefern“ muss.
Was soll ein Trainer tun, um in diesem Moment möglichst vieles richtig zu machen? Diese Frage kann Thorsten Weidig beantworten. Bislang betreute der Hamburger Sportpsychologe unter anderem die Fußballprofis des HSV, die deutsche Curling-Olympiamannschaft und das deutsche Tischtennis-Nationalteam. Seine Doktorarbeit schrieb Weidig über die Psychologie der Pausenansprache. Die sieben wichtigsten Faustregeln aus seinen Untersuchungen:
1. Die Pause beginnt bereits vor dem Halbzeitpfiff
Ärger kann zum Feind einer guten Pausenansprache werden: Der Trainer lässt Dampf ab und fühlt sich hinterher womöglich erleichtert. Doch vermutlich wird sein Team dadurch nicht besser. Thorsten Weidigs Empfehlung: Einige Minuten vor dem Pausenpfiff sollte der Coach bereits anfangen, seine Ansprache zu planen. Was ist jetzt besonders wichtig? Was sind die entscheidenden Botschaften für die Mannschaft? Indem er solche Fragen stellt, betreibt er für sich selbst ein gutes Emotionsmanagement – und konzentriert sich zugleich auf seine eigentliche Aufgabe: der Mannschaft dabei zu helfen, in der zweiten Halbzeit erfolgreicher zu spielen.
2. Erst mal: Klappe halten
Wenn die Spieler in die Kabine kommen, befinden sie sich noch im Wettkampfmodus – und das ist kein Zustand, in dem es leichtfällt, komplizierten Taktikausführungen zu folgen. Deshalb lautet die Hauptaufgabe für die ersten Minuten der Pause: runterkommen! Der Puls beruhigt sich, der Adrenalinpegel sinkt. „Man geht Pipi machen, lässt sich seine Blessuren vom Mannschaftsarzt versorgen und trinkt eine Kleinigkeit“, sagt Thorsten Weidig. Wie kann sich ein Trainer davor schützen, zu früh mit seiner Ansprache zu beginnen? Er könnte sich außerhalb der Kabine mit seinem Trainerteam absprechen. „Oder man geht zunächst in eine getrennte Kabine. In beiden Fällen gibt man seinen Spielern die Chance, anzukommen, emotional und körperlich zu deaktivieren und etwas ruhiger zu werden.“
3. Nie mehr als drei Informationen!
„Gerade wenn in der ersten Halbzeit viele Dinge schiefgelaufen sind, möchte man als Trainer natürlich auch viele Dinge ansprechen“, sagt Thorsten Weidig. Das Problem dabei: Selbst wenn ein Spieler sich ein wenig beruhigt hat – in Halbzeitpausen erwischt man sein Gehirn praktisch nie in Bestform. Mehr als drei Informationen, so die Faustregel, sind bereits zu viel. „Der Trainer muss also priorisieren. Was ist besonders wichtig? Was ist nebensächlich?“ Gerade in diesem Punkt könnte einem Trainer ein gelegentliches Feedback helfen. Thorsten Weidigs Dissertation erzählt von einem Coach, der das Gefühl hatte, in seiner Pausenansprache sehr knapp und sehr präzise gewesen zu sein. „In Wahrheit hatte er neun Minuten lang ohne Unterbrechung auf seine Spieler eingeredet“, erzählt Weidig.
4. „Es liegt nur an uns“
Fußballer spielen besser, wenn sie glauben, die Dinge im Griff zu haben. Kognitive Psychologen nennen das einen „internalen Attributionsstil“: Ich gewinne nicht, weil der Schiedsrichter, das Publikum oder ein Fußballgott es gut mit mir meint. Ich gewinne, weil ich gut gespielt habe. Ein kluger Coach wird diese Haltung durch seine Ansprache unterstützen. „Der Trainer fragt immer: ,Was müssen wir tun? Wir müssen näher beim Gegner stehen, besser verschieben, mehr miteinander reden.‘ Er redet nicht über Probleme, sondern über Lösungen.“
5. Sprich in Bildern!
In der Spielerkabine läuft praktisch nie eine Filmkamera mit. Es gibt jedoch Ausnahmen. Legendär ist etwa die Rede von Teamchef Jürgen Klinsmann in dem Film Deutschland. Ein Sommermärchen, in dem Regisseur Sönke Wortmann die deutsche Nationalmannschaft während der WM 2006 begleitet hat. Klinsmann spricht direkt seinen Abwehrspieler Arne Friedrich an, der gegen Carlos Tévez spielen muss, damals Südamerikas Fußballer des Jahres. „Arne, der Tévez, der spürt deinen Atem, der spürt deinen Atem!“ Klinsmann spricht in Bildern. Thorsten Weidig erklärt: „Wenn ich meine Anweisungen mit einem solchen Bild verknüpfe, dann wird die Information nicht nur im präfrontalen Kortex verarbeitet, sondern auch emotional im limbischen System. Die Forschung sagt uns, dass die Information dort schneller ankommt. Ich kann einem Abwehrspieler zum Beispiel sagen: ,Du darfst den Stürmer nicht vorbeilassen.‘ Ich kann aber auch sagen: ,Du bist eine Wand!‘ Das löst etwas ganz anderes in mir aus. Ich weiß genau: Bei mir ist Stopp – notfalls auch mit einem taktischen Foul.“
6. Vorsicht vor dem „WUD“!
In keiner Phase des Spiels ist eine Mannschaft so verwundbar wie in den Minuten direkt nach Wiederanpfiff. Denn für den Trainer wird es jetzt besonders schwer, auf ein Gegentor zu reagieren. Das zweite Problem ist ein Phänomen, das Sportpsychologen als warm-up decrement (WUD) bezeichnen: Unmittelbar nach einer Pause brauchen wir meist ein wenig Zeit, um wieder auf Touren zu kommen. „Man kennt das von seiner Arbeit: Direkt nach dem Mittagessen ist man einfach weniger präsent“, erklärt Thorsten Weidig. Was kann man tun, um dieses WUD zu vermeiden? Beim Tennis, so zeigt eine US-Studie, helfen ein paar trockene Aufschlagbewegungen ohne Ball. „Generell braucht man dafür keine Zaubertricks. Ein kleines Mannschaftsritual genügt. Man klatscht sich gegenseitig ab, läuft mit einem Schlachtruf aus der Kabine oder applaudiert dem Trainer für seine Rede – wenn er’s denn verdient hat. Bei Boxern ist es sogar üblich, dass der Trainer seinem Athleten eine Ohrfeige verpasst, bevor’s in die nächste Runde geht.“
7. Sei überraschend – aber nicht zu oft
Eine der ungewöhnlichsten Pausenansprachen in der Geschichte des Profifußballs ereignete sich im Dezember 2008. Manchester City führte nach 45 Minuten bereits mit 4:0 gegen Hull City. Gästecoach Phil Brown war so wütend auf sein Team, dass er seine Ansprache einfach aufs Spielfeld verlegte– direkt vor die Kurve der eigenen Fans. „Ich halte das für eine gute Idee “, sagt Thorsten Weidig. „Man sagt: In bestimmten Situationen machen wir mal was Unorthodoxes.
Das dürfen Sie natürlich nicht an jedem Spieltag machen, sonst hat’s keine Wirkung mehr.“ Immerhin: Phil Browns Schachzug half, die Blamage einigermaßen in Grenzen zu halten. Hull schoss in der zweiten Halbzeit ein Tor –und verlor „nur“ mit 1:5. Noch mehr Erfolg hatte Browns Kollege José Mourinho vom FC Chelsea im März 2014 mit einer ähnlich originellen Aktion: Im Spiel gegen den abstiegsbedrohten FC Fulham bestand seine Halbzeitansprache aus nichts als Schweigen. Offenbar hatte Mourinho damit den richtigen Ton getroffen: Seine Mannschaft verwandelte ein schwaches 0:0 in einen souveränen 3:1-Sieg.
Thorsten Weidig arbeitet selbständig in der Beratung von Spitzensportlern (u.a. für den Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein) und Führungskräften. Er lehrt Sportpsychologie an der Hochschule für Gesundheit und Sport, Technik und Kunst in Berlin.
Literatur
Thorsten Weidig: Erfolgsfaktor Trainer. Das Trainerverhalten in Spiel- und Wettkampfpausen auf dem Prüfstand. Sportverlag Strauß, Köln 2010
Soll ein Trainer versuchen, den Schiedsrichter zu beeinflussen?
Manche Coaches wirken während eines Spiels ausgesprochen engagiert. Sie sind 90 Minuten lang in Bewegung, brüllen Kommandos aufs Spielfeld und beschimpfen den Schiedsrichter. BVB-Trainer Jürgen Klopp handelte sich im Oktober 2013 für eine besonders bissige Variante der Beschwerde einen Platzverweis ein und wurde für zwei weitere Spiele gesperrt.
Andere Trainer bleiben während des Spiels stoisch auf der Bank sitzen. Wie der legendäre Pál Csernai (1932–2013). Der Ungar wurde in den frühen 80er Jahren mithilfe seiner zunächst argwöhnisch beäugten Form der Raumdeckung („Palsystem“) zweimal deutscher Meister mit dem FC Bayern München. „Ich hatte nie einen Sinn darin gesehen, aufzuspringen und zu gestikulieren. So eine Verhaltensweise wie bei Klopp ist nicht richtig“, sagte Csernai in einem der letzten Interviews vor seinem Tod im Herbst 2013.
Natürlich stimmt es, dass längst nicht alles sinnvoll ist, was im Spitzensport geschieht. Viele Verhaltensweisen dienen ausschließlich der Selbstregulation: Man tut etwas, weil man sich hinterher besser fühlt –nicht weil man dadurch gewinnt. Gehören dazu auch Schiedsrichterdiskussionen und regelmäßige „Ausraster“?
Die Antwort liefert eine Serie von Laborstudien aus dem Basketball. Dabei zeigte man ausgebildeten Schiedsrichtern verschiedene Spielszenen auf Video und ließ sie entscheiden: Foul oder nicht? Ein Teil der Probanden sah dabei im Bildhintergrund jeweils einen heftig reklamierenden Trainer; die andere Hälfte der Versuchsteilnehmer sah exakt dieselben Szenen – mit einem winzigen Unterschied: Hier hatte man die erwähnte Trainerfigur sorgsam herausgeschnitten. Und in der Tat: Ohne wütenden Trainer im Hintergrund entschieden die Schiedsrichter signifikant seltener auf Foulspiel. Das Verhalten des Coaches diente den Unparteiischen offenbar als Signalreiz, als Hinweis auf eine Regelverletzung. Mit anderen Worten: Ein Trainer, der still auf der Bank sitzt, verpasst die Chance, den Schiedsrichter zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Womöglich wäre Pál Csernais Karriere mit diesem Wissen tatsächlich anders verlaufen. Denn seine ruhige Art wirkte auch auf die Fans: Viele hielten ihn für überheblich und unnahbar. Auf einer Pressekonferenz – sein Team hatte gerade zwei Spiele in Folge verloren– bekam Csernai von einem wütenden Fan einen selbstgebackenen Kuchen überreicht. Das Backwerk hatte die Form eines Sarges; auf dunkler Kuvertüre glänzten ein weiß umrahmtes Kreuz und die Aufschrift: „Das Palsystem ist tot!“ Der Fan bekam Stadionverbot. Csernai wurde entlassen.
Literatur
Maria Priebst: Urteilsverzerrungen bei Schiedsrichtern: Die Wirkung sozialer Einflüsse auf Schiedsrichterentscheidungen im Basketball. Grin, München 2007