Parasoziale Beziehung: Mein Freund, der Promi

Wir trauern um die Queen oder fiebern mit Serienhelden mit: Wie entsteht das Gefühl, Promis seien Bekannte? Über die Wirkung parasozialer Beziehungen.

Die Illustration zeigt ein Foto von Robert Habeck, das einen männlichen Follower den Arm auf die Schulter legt und beide dabei lächeln
Die Followerinnen und Follower Robert Habeck (rechts) kennen ihn nicht persönlich. Dennoch fühlt es durch den Social-Media-Auftritt des Politikers sich für viele so an. © Michael Szyska für Psychologie Heute

Frau Dr. Liebers, der Vizekanzler und Grünen-Politiker Robert Habeck ist mit seinen Followerinnen und Followern auf Instagram per du und nimmt sie mit auf seine Reisen nach Katar oder in die Vereinigten Arabischen Emirate. Warum kommuniziert er so?

Konkret auf Robert Habeck bezogen kann ich das natürlich nicht beantworten. Ganz allgemein ist es aber so, dass wir gegenüber Medienpersonen starke Bindungen aufbauen können. In der Wissenschaft sprechen wir dann von parasozialen Beziehungen. Wenn uns jemand in…

Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen

können. In der Wissenschaft sprechen wir dann von parasozialen Beziehungen. Wenn uns jemand in einem Video duzt und dazu noch genau in die Kamera schaut, entsteht bei uns der Eindruck, dass wir mit dieser Person interagieren. Langfristig stärkt das die Illusion, dass wir eine Beziehung zu ihr haben.

Was sind parasoziale Beziehungen?

Bis zu einem gewissen Punkt ähneln sie sehr stark normalen Beziehungen – also denen zu einer Freundin oder einem Bekannten. Wir haben das Gefühl, die Person auf dem Bildschirm zu kennen, ihren Charakter, ihre Sorgen, worüber sie sich freut. Wir entwickeln ihr gegenüber Gefühle. Wir finden sie beispielsweise sympathisch und könnten uns vorstellen, sie auch mal in der Realität zu treffen.

Der große Unterschied zu sozialen Beziehungen ist, dass parasoziale einseitig sind: Ich bekomme nichts zurück. Ich weiß viel über die Medienperson, aber die weiß nichts über mich.

Ab wann würde man denn von einer parasozialen Beziehung sprechen?

Da gibt es keinen bestimmten Schwellenwert. Prinzipiell kann eine solche Bindung sehr schnell entstehen: Es reicht, wenn wir jemanden einmal im Fernsehen gesehen oder ein Interview mit ihm oder ihr gelesen haben. Wenn die Person nur einen flüchtigen Eindruck auf uns gemacht hat, dann ist das eben eine sehr schwache parasoziale Beziehung.

Messen lässt sich die Intensität zum Beispiel, indem man Zuschauerinnen und Zuschauer befragt, wie oft sie in ihrer Freizeit an die jeweilige Medienperson denken. Oder wie wichtig es ihnen ist, dass es diesem Menschen gutgeht. Auch hier zeigt sich die Ähnlichkeit zu normalen Beziehungen. Das geht so weit, dass wir starke Trauer empfinden können, wenn etwa ein Serienheld stirbt. Solch ein Phänomen konnte man jüngst nach dem Tod der Queen beobachten. 

Grundsätzlich gilt wie im realen Leben auch: Je öfter wir Kontakt zu jemandem haben, desto stärker wird die Bindung. Wenn wir uns beispielsweise regelmäßig Videos von Robert Habeck ansehen oder seine Instagram-Postings lesen, dann gewinnen wir den Eindruck, ihn immer besser zu kennen. Und das kann wiederum dazu führen, dass wir noch mehr Interesse an ihm entwickeln und uns noch öfter seine Beiträge anschauen.

Eine parasoziale Beziehung zu seinen Followerinnen und Followern aufzubauen ist also keine ganz dumme Strategie.

Ja, exakt. Dazu gibt es schon eine Reihe von Studien, einige davon habe ich selbst mit Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. Je stärker eine parasoziale Beziehung ist, desto erfolgreicher ist die ausgesandte Botschaft. Das heißt: desto leichter lässt sich das Zielpublikum davon überzeugen, ein gewisses Verhalten zu zeigen.

Wer während der Pandemie eine starke parasoziale Bindung zu Christian Drosten aufgebaut hat, war also wahrscheinlich eher dazu bereit, seinen Empfehlungen zu folgen und sich impfen zu lassen?

Genau, das ist ein Beispiel für diese hohe Überzeugungskraft. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Wenn wir das Gefühl haben, dass gerade eine Freundin oder ein Freund mit uns redet, dann sind wir aufmerksamer – anders als wenn wir mit einer Werbebotschaft berieselt werden. Hinzu kommt, dass Werbung das sogenannte Persuasionswissen aktiviert: Wir bekommen mit, dass wir gerade von irgendetwas überzeugt werden sollen, und gehen deshalb vorsichtiger mit diesen Informationen um.

Stammen die Infos dagegen von einer parasozialen Beziehungspartnerin, unterbleibt das. Wir vertrauen den Botschaften mehr und sind deutlich weniger kritisch.

Das klingt nach einer potenziell gefährlichen Mischung.

Ja, in der Tat – diese Mechanismen sind Fluch und Segen zugleich. Sie lassen sich zum Beispiel nutzen, um Menschen stärker zu motivieren, sich gesundheitlich verantwortlich zu verhalten. Oder auch umweltfreundlicher zu handeln. Aber bislang werden sie meistens eingesetzt, um kommerzielle Werbebotschaften erfolgreicher zu machen. Und das kann man natürlich auch kritisch sehen; vor allem weil diese Botschaften gerade in Sozialen Medien oft auf sehr junge Menschen abzielen.

Ein weiteres Negativbeispiel sind Fake News. Im Moment gibt es beispielsweise einige prorussische Influencerinnen und Influencer, die gezielt auch außerhalb Russlands eingesetzt werden, um Propaganda für Putin zu betreiben.

Ist eine parasoziale Beziehung immer positiv? Soll heißen: Mögen die Menschen die Person, zu der sie diese Beziehung pflegen?

Nein. Auch in diesem Punkt sind parasoziale Beziehungen realen Beziehungen sehr ähnlich. Die meisten parasozialen Beziehungen sind zwar eher freundschaftlich, sagen wir mal „positiv platonisch“. Es gibt aber auch romantische Beziehungen. Und natürlich auch negative: Manche Menschen entwickeln eine starke Abneigung gegenüber einer Medienperson, bis hin zum Hass.

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ich eine Serie schaue und dort ein Bösewicht mit dabei ist, dem ich so gar nichts abgewinnen kann und dem ich eigentlich nur Schlechtes an den Hals wünsche.

Was macht den Reiz parasozialer Beziehungen aus? Dass man nicht zurückgewiesen werden kann?

Das ist auf jeden Fall ein Punkt: Sie bergen kaum oder gar kein Risiko für uns. Das spielt besonders im romantischen Kontext eine Rolle. Bei parasozialen Beziehungen kann man in einem ganz sicheren Rahmen Intimität entdecken, zum Beispiel wenn man in der Jugend seine ersten romantischen Erfahrungen sammelt. Oder wenn man noch nicht weiß, wie die eigene sexuelle Identität überhaupt aussieht.

Studien zeigen zudem, dass parasoziale Beziehungen unser Medienerleben verschönern. Sie verbessern unsere Stimmung und geben uns das Gefühl, sozial eingebunden zu sein. Wenn wir stärker mit einer Schauspielerin oder einem Darsteller mitfiebern, empfinden wir die Handlung zudem als spannender. Salopp gesagt: Es macht einfach mehr Spaß, wenn man richtig drin ist.

Gibt es Menschen, die besonders anfällig für parasoziale ­Beziehungen sind?

Das ist in der Forschung umstritten. Man könnte denken: Wenn jemand einsam ist, tendiert er stärker dazu. Parasoziale Beziehungen wären demnach eine Art Ersatz für etwas, das in der echten Welt fehlt. Es gibt auch tatsächlich Befunde, die in diese Richtung deuten.

Andererseits zeigen manche Studien, dass gerade extravertierte Menschen besonders oft parasoziale Beziehungen haben, schließlich ähneln diese Bindungen sehr stark denen in der Realität. Menschen, denen es generell leichter fällt, Kontakte zu knüpfen, können demnach vermutlich auch leichter Beziehungen zu Medienpersonen aufbauen.

Helfen parasoziale Beziehungen denn gegen Einsamkeit?

Dazu gibt es gemischte Befunde. Studien zeigen, dass sich Menschen nach einer parasozialen Interaktion besser fühlen und stärker die Empfindung haben, sozial eingebunden zu sein. Aber zu sagen: Ich fühle mich einsam, daher schaue ich mir jetzt eine Serie an, dann geht es mir besser – das funktioniert nicht.

Ich glaube eher, dass man durch Medien von seiner Einsamkeit abgelenkt wird. Das kann wertvoll sein, ist aber eher ein kurzfristiger Effekt. Ein langfristiger Ersatz für reale Bindungen sind parasoziale Beziehungen ganz sicher nicht.

Können parasoziale Beziehungen auch über schwere Zeiten hinweghelfen, etwa den Verlust eines engen Freundes oder eine Krebsdiagnose?

Gute Frage. Dazu gibt es bislang kaum Untersuchungen. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass einem Medienvorbilder auch Trost spenden oder Wege aufzeigen können, mit solchen Situationen umzugehen.

Sie hatten eben die romantischen parasozialen Beziehungen erwähnt. Können diese dazu führen, dass man auch in der Realität gern eine Liebesbeziehung hätte? Und die Person sogar stalkt?

Das ist möglich, allerdings natürlich nicht bei jedem. Die meisten Menschen haben schon einmal romantische parasoziale Beziehungen gehabt, gerade in Teeniezeiten, aber auch im Erwachsenenleben. Normalerweise ist das völlig unbedenklich. Allerdings sind die Grenzen zum Pathologischen fließend, und darunter würde man gegebenenfalls auch Stalking fassen.

Haben sich parasoziale Beziehungen in den letzten Jahrzehnten verändert?

Ja, eindeutig. Das zeigt sich schon in der Forschung: In den letzten fünf Jahren wurde zu parasozialen Beziehungen genauso viel publiziert wie in den 60 Jahren davor. Ein Grund für dieses exponentielle Wachstum ist das Aufkommen der Sozialen Medien. Früher hatten Sie kaum Möglichkeiten, Einblicke in das Privatleben einer Politikerin oder eines Schauspielers zu bekommen. Vielleicht gab es alle paar Monate mal ein großes Interview in einer Zeitung, aber insgesamt war das extrem selten.

Heute können wir vielen Menschen tagtäglich folgen und haben dadurch ganz andere Möglichkeiten, solche intimen Informationen zu bekommen. Und nicht nur indem wir über die Personen lesen, sondern auch indem wir uns Videos von ihnen ansehen, in denen sie uns den Eindruck vermitteln, dass wir persönlich angesprochen werden.

Wenn Influencerinnen darum bitten, Kommentare zu posten, oder uns sogar anbieten: Ihr könnt hier das Thema meines ­nächsten Videos mitbestimmen – ist das überhaupt noch parasozial?

An dieser Frage scheiden sich in der Wissenschaft die Geister. Schließlich könnte ja theoretisch ein Dialog entstehen. Meiner Meinung nach handelt es sich nach wie vor um eine parasoziale Beziehung. Wenn ich Emma Watson mit 60 Millionen Followerinnen und Followern eine Nachricht schicke, dann ist das etwa so, wie wenn ich früher einem Star einen Fanbrief geschickt habe. Da kam meistens auch nichts zurück.

Es mag zwar heutzutage etwas weniger aufwendig sein, Emma Watson zu kontaktieren. Das ändert aber nichts daran, dass die Beziehung noch immer einseitig ist. Und das ist aus meiner Sicht in den allermeisten Fällen so.

Es gibt aber tatsächlich eine Entwicklung, die ich davon ausnehmen würde: virtuelle Influencerinnen und Influencer. Dabei handelt es sich um computergenerierte Personen, die ihren Fans in den Sozialen Medien Produkte präsentieren. Da oft eine künstliche Intelligenz dahintersteht, die Fragen beantwortet, existieren plötzlich ganz andere Möglichkeiten für einen direkten Dialog. Und in diesem Fall wäre ich tatsächlich nicht ganz sicher, ob ich das noch als eine parasoziale Beziehung bezeichnen würde.

Ist das überhaupt noch sozial?

Das ist eine fast schon philosophische Frage. Immerhin können wir auch parasoziale Beziehungen zu SpongeBob eingehen, und der ist ja auch nicht menschlich. Wenn wir einen Chatbot haben, der so individuell auf uns reagiert, dass wir die Illusion eines Gesprächs haben, dann kann das durchaus als parasoziale oder sogar soziale Interaktion durchgehen. Schließlich fühlt sie sich sozial an. Und dieses persönliche Empfinden ist es, was uns bei der Erforschung solcher Beziehungen interessiert.

Wir haben viel von visuellen Medien geredet. Können wir auch parasoziale Beziehungen zu Romanfiguren eingehen?

Ja, das gibt es und gar nicht einmal so selten. Was beim Buch toll ist: Es gewährt Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Charaktere. Man merkt das vor allem bei Büchern, die im Anschluss auch verfilmt werden. In den Büchern zu Game of Thrones beispielsweise lernen wir die Charaktere in einer ganz anderen Tiefe kennen, als das in der Serie möglich ist.

Hinzu kommt: Normalerweise dauert es sehr viel länger, ein Buch oder gar eine ganze Buchreihe zu lesen, als sich einen Film anzusehen. Das heißt, wir haben eine sehr lange und zum Teil auch sehr intensive Auseinandersetzung mit den Protagonistinnen und Protagonisten.

Ich kann mich erinnern, dass ich ganz traurig war, als ich den siebten Harry-Potter-Band zuklappte und wusste: Jetzt ist Schluss, jetzt bekomme ich von Harry, Ron und Hermine nichts mehr mit.

Ja, das ist typisch für parasoziale Beziehungen oder genauer gesagt: parasoziale Beziehungsabbrüche. Bei Harry Potter ging es mir ähnlich, auch bei anderen Buchreihen, vor allem aus dem Fantasybereich, einfach weil die mir sehr gut gefallen.

Der persönliche Geschmack spielt bei so etwas immer eine wichtige Rolle. Ich habe aber auch schon Liebesromane gelesen, bei denen ich anschließend sehr traurig war, dass es nicht mehr weiterging.

Nicole Liebers ist Assistenzprofessorin für persuasive Kommunikation an der Universität Amsterdam. Para­soziale Beziehungen haben sie ­bereits während ihres Studiums fasziniert. Ihre Doktorarbeit ­verfasste sie zu romantischen parasozialen Phänomenen.

Quellen

David C. Giles: Parasocial Interaction: A Review of the Literature and a Model for Future Research. Media Psychology, Bd. 4/3, 2002, 279–305. DOI: 10.1207/S1532785XMEP0403_04

Nicole Liebers, Holger Schramm: Friends in books: The influence of character attributes and the reading experience on parasocial relationships and romances. Poetics 65/2017, Seiten 12–23. DOI: 10.1016/j.poetic.2017.10.001

Jan-Philipp Stein u.a.: Parasocial interactions with real and virtual influencers: The role of perceived similarity and human-likeness. New Media and Society, 2022, online first. DOI: 10.1177/14614448221102900

Sonja Utz u.a.: Guidance in the chaos: Effects of science communication by virologists during the COVID-19 crisis in Germany and the role of parasocial phenomena, 31/6, 2022, 799–817. DOI: 10.1177/09636625221093194

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2023: Du manipulierst mich nicht