Was macht die KI auf dem Spielplatz?

Künstliche Intelligenz eignet sich gut, menschliches Denken zu ergründen. Müssen wir Angst davor haben? Manuela Lenzen preist den Geist des Homo sapiens

In den Medien war es in der Coronazeit halbwegs still geworden um das Thema künstliche Intelligenz. Das registrierte auch die Wissenschaftsautorin und KI-Expertin Manuela Lenzen und dachte, es sei eine gute Gelegenheit, ihr nächstes Buch der revolutionierenden Technologie des 21. Jahrhunderts zu widmen.

Der elektronische Spiegel behandelt die Frage, was wir über den menschlichen Verstand – die Grundlagen unseres vielfältigen Handelns – lernen können, wenn wir künstliche Intelligenzen konstruieren. Lenzens frohe Botschaft lautet, dass wir uns klarmachen sollten, „wie wenig wir uns hinter den intelligenten Maschinen verstecken müssen“.

Verstehen, was wir am gesunden Menschenverstand haben

Dummerweise ging einige Wochen vor Erscheinen des Buches ChatGPT-4 online. Und aus der medialen Flaute wurde ein KI-Orkan, der seitdem tagein, tagaus rund um den Globus fegt. Das trübt ein wenig die Neugier auf die Inhalte des mit Fakten gespickten und verständlichen Buches, weil man momentan nicht an der Frage vorbeikommt, was die digitalen Intelligenzbestien in den kommenden Jahrzehnten an menschlichen Leistungen übernehmen werden.

Immerhin hat Manuela Lenzen in weiser Voraussicht auch ein paar Zeilen dafür übrig. Sie wirken wie ein Tranquilizer für jene Menschen, die durch ChatGPT-4s digitale Urgewalten in ihrer Existenz zumindest verunsichert sind, sich vielleicht sogar bedroht fühlen.

Schon der Mangel an einer Allerweltsfähigkeit namens „gesunder Menschenverstand“ lasse selbst die besten KIs immer wieder „so seltsame Fehler machen, dass man es kaum glauben mag“. So generieren diese alternativ-intelligenten Systeme etwa „auf ein paar Schlagwörter hin fotorealistische Bilder mit allen Details – außer dass dem Pferd der Kopf fehlt“. Allein in diesem elektronischen Spiegel könnten wir erkennen, was wir an dem gesunden Menschenverstand haben.

Wahrnehmung statt Rechenschritte

Seite für Seite betont die Autorin die Einzigartigkeit der menschlichen Intelligenz. Sind die Antworten von Chat­GPT auch noch so clever: Der Chatbot weiß einfach nichts darüber, wie die Welt in ihren Prinzipien funktioniert – also über all jene Fakten, Zusammenhänge, Kniffe und Tricks, die ein Kind von klein auf lernt. Und zwar in einem Körper als unverzichtbarer Heimstätte und als einer der buchstäblichen Motoren intelligenter Lernprozesse und Leistungen.

Denn Intelligenz – und damit fasst Lenzen die Erkenntnisse der jüngsten Kognitionsforschung zusammen – hat auch mit Wahrnehmungen, Empfindungen, Bedürfnissen und Sozialkontakten zu tun und nicht mit Rechenschritten in einem Programm, selbst wenn dieses lernen und damit seinen Verstand erweitern kann.

Sinnbildlich preist die Autorin den Spielplatz als Brutstätte des menschlichen Verstandes. Denn dort trimmen Kinder ihren Geist motorisch und sozial.

Trainingsplätze für KI-Zöglinge

Erkannt haben das auch die Ingenieure der KI. Sie werkeln jenseits von ChatGPT-4 bereits an der nächsten Generation und wollen ihren digitalen KI-Zöglingen in Gestalt von Robotern Körper verpassen und sie in virtuellen Spielplatzumgebungen trainieren lassen – in der Hoffnung, sie könnten eines Tages Wesen schaffen mit einer Art menschlicher Intelligenz. Ein Jahrhundertprojekt. Denn wie schwierig es ist, Intelligenz zu verstehen, schreibt Lenzen, „wird einem erst klar, wenn man einen Fotoapparat in der Hand hält und zu überlegen beginnt, wie man diesem beibringen könnte, etwas zu sehen. Oder einem Audiorekorder, etwas zu verstehen. Herausforderungen, die im Übrigen bis heute nicht wirklich gemeistert sind.“

Und doch will es nicht weichen, dieses seltsame Gefühl, dass schon jene sogenannten alternativen Intelligenzen wie ChatGPT, die mit einer bestechenden Logik ganz anders funktionieren als der menschliche Geist, uns eines Tages den Rang ablaufen könnten. Da bringen lesenswerte Bücher zum Thema wie das hier vorliegende Vernunft in die Debatte, die auch von den Erfinderinnen und Erfindern der Technik selbst befeuert wird.

Nach allem, was zu lesen ist, hat Sam Altman, der Chat­GPT an Microsoft zur Nutzung verkauft hat, in den entsprechenden Vertrag einbauen lassen, dass er das Recht hat, die KI wieder abzuschalten, wenn die Dinge nach seiner Ansicht aus dem Ruder laufen. Als ob sich der Geist in der Maschine mit einem Klick zähmen ließe.

Manuela Lenzen: Der elektronische Spiegel. Menschliches Denken und künstliche Intelligenz. C.H. Beck 2023, 270 S., € 20,–

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