Manche Menschen, denen eine neue Lunge oder ein Herz transplantiert wurde, denken über die spendende Person nach. Welche Vorstellungen haben sie?
Tatsächlich machen sich Menschen, die auf der Transplantationsliste stehen oder ein Organ, meistens Herz oder Lunge, bekommen haben, Gedanken über die Spenderperson. Oft überlegen sie, wie diese wohl ums Leben gekommen ist. Sie fragen sich, welches Alter, Geschlecht oder welche Persönlichkeitseigenschaften sie gehabt haben könnte – obwohl Menschen im Transplantationsprozess keinerlei Informationen zu ihrer Spenderperson erhalten.
Wir wissen, dass diese Gedanken sehr häufig sind und auch noch lange Zeit nach einer Transplantation bestehen können.
Aber nicht alle transplantierten Menschen stellen solche Überlegungen an; wer das tut und wer nicht, werden wir demnächst näher erforschen. Auch wissen wir noch nicht genau, ob derartige Gedanken eher als Belastung empfunden werden oder einen Coping-Mechanismus darstellen.
Eine Organtransplantation ist eine körperlich und psychisch sehr belastende Angelegenheit; das Warten auf das lebensrettende Organ, die Operation und die Zeit auf der Intensivstation, aber auch das Leben danach verlangen den Erkrankten körperlich und psychisch viel ab. Und Menschen wollen für die Dinge in ihrem Leben Erklärungen haben, um sie besser bewältigen zu können.
Sie berichten, dass manche dieser Fantasien „magisch“ sind. Wie meinen Sie das?
Manche dieser Gedanken sind nicht logisch und vernünftig und basieren nicht auf Tatsachen oder realen Ereignissen. Sie erscheinen schwer begreiflich, unerklärbar, rätselhaft. Ein Beispiel wäre eine Patientin, die nach einer Herztransplantation eine Vorliebe für klassische Musik entdeckt und den Gedanken entwickelt, die Person, deren Herz sie nun im Körper trägt, müsste auch klassische Musik gemocht und diese Vorliebe durch das Herz auf sie übertragen haben.
Gibt es Unterschiede in den Fantasien, je nachdem ob ein Herz, eine Lunge oder eine Niere gespendet wurde?
Ja. Die meisten Berichte gibt es für die Herztransplantation, gefolgt von der Lungentransplantation. Für manche Organe, etwa die Leber, gibt es bislang keine Veröffentlichungen. Das häufige Auftreten in Bezug auf Herz und Lunge erklären wir uns mit der Bedeutung, die wir Menschen diesen Organen beimessen: Der Herzschlag und die Atmung sind spürbar, stets messbar und so untrennbar mit dem Leben, dem Am-Leben-Sein verbunden. Das Herz wird auch als der Sitz der Emotionen, etwa der Liebe betrachtet. Und im Gegensatz zu anderen Organen stirbt die Spenderperson, die ein Herz oder eine Lunge spendet. Das kann verständlicherweise auch andere Gedankenkaskaden auslösen.
Bekommen die transplantierten Personen nach dem Eingriff psychotherapeutische Unterstützung?
Ja. In den Transplantationszentren in Deutschland gibt es psychologische und psychosomatische Dienste, die Unterstützung anbieten. Die Patientinnen und Patienten werden über diese Dienste informiert und die professionellen Teams haben einen Blick darauf, wer möglicherweise Hilfe benötigt, jedoch nicht danach fragt.
Georgios Paslakis ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Professor und leitender Arzt an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum.
Quelle
Nora M. Laskowski u.a.: Donor and donation images (DDI) – A scoping review of what we know and what we don’t. Journal of Clinical Medicine. DOI: 10.3390/jcm12030952