Das muss ein ganz schrecklicher Traum gewesen sein, ging es dem Mann durch den Kopf: „Die Schlangen, die springenden Grashüpfer, die Röhren, die in meinem Körper steckten, die Neonlichter, das schwirrende Geräusch, das mich verrückt machte, die klaffende Wunde in meiner Brust – zum Teufel, lasst mich hier raus!“ So beschrieb der Mann, der am Herzen operiert worden war, sein Erleben auf der Intensivstation eines deutschen Krankenhauses.
An seinem Körper entlang lagen Kabel für die Messung von Puls und…
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Messung von Puls und Blutdruck, Katheter für Medikamente sowie für seinen Urin. Neben ihm Monitore, die leuchteten, blinkten oder laut piepten. Dazu die Lüftungsanlage des Raumes, Pflegekräfte, die ein- und ausgingen, Bettnachbarn, die vor sich hin brabbelten, Familienmitglieder, die zu Besuch kamen. Routine einer Klinik. Aber nicht für den Mann.
„Entweder plagte mich ein Albtraum oder ich war tot und in der Hölle“, erinnert er sich an seine Empfindungen. Dabei erledigten die Pflegekräfte und das ärztliche Team ganz normal ihren Job – ihn zu heilen und zu pflegen. Dennoch erlebte der Mann die Situation als bedrohlich, gar höllenartig, wie ein Mediziner in einem Kapitel des Praxisbuchs Psychologie in der Intensiv- und Notfallmedizin berichtet. Die Intensivstation: lebensrettend – aber auch traumatisierend.
Tiefe Verzweiflung bis Todesängste
Dabei wird das für gewöhnlich ganz anderen Situationen zugeschrieben, etwa Naturkatastrophen, Gewaltverbrechen oder Verkehrsunfällen – nicht aber einer medizinischen Maßnahme, die eigentlich Gutes will. Dennoch kann auch sie eine Quelle für ein Trauma sein und damit für eine psychische Erkrankung. Erst seit 1994 ist das unter Fachleuten Konsens.
In dem Jahr erschien die vierte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), des Handbuchs für psychische Erkrankungen, das der US-amerikanische Psychiaterverband APA herausgibt und das internationaler Maßstab ist. Es verzeichnete unter potenziell traumatisierenden Ereignissen erstmals auch medizinische Behandlungen und schwere körperliche Erkrankungen. So wie Naturgewalten oder Gewaltverbrechen werden sie mitunter als außerordentlich bedrohlich erlebt, lösen tiefe Verzweiflung bis hin zu Todesangst aus. Beispielsweise ein Herzinfarkt oder eine Krebsdiagnose, aber eben auch die helfende Reaktion darauf: eine Reanimation oder eine Tumoroperation. Expertinnen und Experten sprechen dann von einem medizinischen Trauma.
Krankenhäuser sind nicht traumasensibel
Eine Übersichtsarbeit mit Daten aus 292 Studien bezifferte im Jahr 2021 das Phänomen: Demnach entwickeln ungefähr 10 Prozent aller Menschen aufgrund einer körperlichen Erkrankung oder deren Behandlung eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Gerade die Diagnose Krebs belastet viele nachhaltig. Besonders gefährdet sind der Studie zufolge aber vor allem Menschen in Behandlungsmomenten, zum Beispiel Personen, die während einer laufenden Operation aus der Narkose erwachen, oder auch jene, die größere Verbrennungen erlitten haben – deren Versorgung kann besonders schmerzhaft sein.
Ebenso sind Personen, die auf einer Intensivstation behandelt werden, öfter betroffen, wie eine weitere Übersichtsarbeit mit Daten von über 13000 Menschen ergab. Demnach entsteht bei einem von fünf Patienten etwa 12 Monate nach dem Krankenhausaufenthalt eine PTBS. Die Studienautorinnen und -autoren gehen sogar davon aus, dass diese Zahl das Problem noch deutlich unterschätzt: Zum einen können traumatische Situationen statt zu einer PTBS auch zu einer Angststörung, Depression oder in eine Sucht führen – Diagnosen, die in der Studie nicht erhoben wurden. Zum anderen wird die Wucht, die eine schwere Erkrankung und ihre Behandlung entwickeln können, noch oft übersehen, es ist also von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
„Das ganze System Krankenhaus ist nicht darauf ausgelegt, traumasensibel zu sein, also darauf Rücksicht zu nehmen, dass manche Maßnahmen und Eingriffe, aber auch Worte von Pflegekräften oder dem Ärzteteam negative Auswirkungen haben können“, sagt die Rehabilitationspsychologin Teresa Deffner, die an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Jena arbeitet. Die Behandlung habe zum Ziel, für den Menschen hilfreich zu sein, trotzdem werde sie von einigen Patientinnen und Patienten als lebensbedrohlich wahrgenommen.
Der Höllenritt ohne Kontrolle
Doch was genau macht die eigentlich helfende Situation zum Höllenritt? „Alles während eines Klinikaufenthaltes kann traumatisch sein“, sagt Laurence Erdur, die als Psychologin auf einer Intensivstation der Berliner Charité arbeitet: invasive Maßnahmen wie ein Luftröhrenschnitt oder auch pflegerische Handlungen wie das Waschen, eine Operation ebenso wie Medikamente mit schweren Nebenwirkungen. Wichtig sei die subjektive Komponente. Wie geht es der Patientin, dem Patienten dabei, wie erlebt er oder sie diesen Moment?
Manche Hilfsmaßnahmen empfinden Patientinnen und Patienten als derart unangenehm, dass sie sich ins Gedächtnis einbrennen, wie etwa eine Beatmungsmaske. „Mit Druckluft wird über die Maske quasi Luft in die Lungen gepresst. Viele empfinden das als sehr unangenehm, ängstigend, und manche bekommen davon Atemnot, obwohl die Beatmung genau diese beheben soll“, sagt Deffner. Auch kommt es vor, dass gerade in Notfällen alles sehr schnell gehen muss und den Notleidenden nicht viel erklärt werden kann, stattdessen brachial zugepackt oder schmerzhaft eingegriffen wird.
„Manchmal kann schon ein einziger Moment Patientinnen und Patienten so massiv schockieren, dass sie im Nachhinein psychisch stark belastet sind“, sagt die habilitierte Psychologin Jenny Rosendahl, die am Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena forscht. Sie hat sich umfassend mit Menschen beschäftigt, die wegen einer Sepsis auf einer Intensivstation behandelt werden mussten. „Besonders dieses Gefühl, die eigene Situation nicht unter Kontrolle zu haben und dem Handeln anderer ausgeliefert zu sein, verstört die Menschen mitunter nachhaltig“, sagt sie. Dazu kämen Todesangst und oftmals Schmerzen.
Gleichzeitig befinden sich die Betroffenen beispielsweise auf der Intensivstation oft nicht oder nicht gänzlich bei Bewusstsein. Stark beruhigende Medikamente, Entzündungen im Körper oder auch Stoffwechselstörungen im Gehirn können das Denken und Wahrnehmen beeinträchtigen und so aus medizinischen Routinehandlungen bedrohlich wirkende Szenarien kreieren. Das Gehirn spielt den Betroffenen einen Streich, die Fachleute sprechen von einem Delir (siehe die Definition unten). Selbst pflegerische Handlungen sind dann mitunter problematisch. Der Waschlappen am Oberschenkel kann als Missbrauch fehlinterpretiert werden.
Krieg im Krankenhausbett
„Vor allem die Situation auf einer Intensivstation ist in diesem Kontext besonders“, sagt Forscherin Rosendahl. Manchmal hätten die Patientenräume keine Fenster oder seien abgedunkelt. Die Menschen wüssten häufig nicht, ob Tag oder Nacht ist. Das führe zusätzlich zu Desorientierung. Als besonders belastend würden zudem medizinische Maßnahmen in Mehrbettzimmern erlebt, etwa wenn eine Bettnachbarin reanimiert werden muss. Nicht verwunderlich also: Je länger Menschen auf einer Intensivstation bleiben müssen, umso höher ist das Risiko für eine Traumafolgestörung.
Weil die Menschen nicht richtig wach und klar sind, kann ihre Erinnerung an den Klinikaufenthalt deutlich davon abweichen, was die Patientendokumentation der Ärztinnen und Pflegekräfte verzeichnet – so wie bei dem Mann nach seiner Herzoperation. „Es fällt den Betroffenen schwer, die Bilder, Töne und Berührungen zu sortieren“, erklärt Teresa Deffner.
Ein junger Mann, den Deffner auf Station kennengelernt hat, wähnte sich gar mitten im Krieg statt in einem Krankenhausbett. Für einen Fallbericht von Deffner erzählt er: „Ich wache auf – ein Flugzeug landet, dröhnend höre ich das Geräusch über meinem Kopf. Ich will mir die Ohren zuhalten, doch meine Hände sind gefesselt… Ich finde mich in einem Raum wieder. Zwei Türen sind da, beide geschlossen. Ich muss in einem Gefängnis sein – es ist Krieg, stelle ich schockiert fest!“ Statt sich zu erholen, fühlte sich der junge Mann als Kriegsgefangener.
Außerirdische wollen an meine Organe
Die Klinikpatientin Christine, von der Forschende aus Oxford in einem Fachjournal erzählen, glaubte gar einige Tage lang, von Außerirdischen entführt worden zu sein, die ihre Organe stehlen wollten. Das habe sogar durchaus Sinn ergeben, resümieren die Studienautorinnen und -autoren. „Christine erwachte an einem seltsamen Ort und konnte sich nicht bewegen“, erklären sie. Zugleich hätten die Pflegenden der Station, die Christines Wunde am Bauch versorgten, Anzüge aus Plastik und Masken getragen, die ihnen ein bizarres Aussehen verliehen und der Patientin Angst machten. Ein albtraumartiges Szenario, nur dass Christine nicht träumte, sondern ihr Gehirn aus dem realen Geschehen eine wilde Geschichte strickte.
„In Krisenmomenten oder Ausnahmesituationen sind Menschen besonders suggestibel, geraten also in natürliche Trancezustände, in denen sie beeinflussbar sind und Dinge eher wortwörtlich verstehen“, sagt Rosendahl. Daher sei es auch wichtig, was das Klinikpersonal in Anwesenheit der Patientin sage. Hier könne es ebenfalls zu negativen Effekten kommen.
Ein Beispiel dafür gibt der Anästhesiearzt Ernil Hansen von der Universität Regensburg in einem Fachartikel: Er berichtet von einer Situation nach der Operation an einer jungen Frau. Der Anästhesist habe zur Assistentin gesagt, dass der entnommene Beatmungsschlauch zum Sterilisieren solle. Die Patientin, die eigentlich noch in Narkose lag, habe sich plötzlich mit großer Angst in den Augen aufgerichtet und gerufen: „Nicht sterilisieren! Nicht sterilisieren!“ In diesem Fall konnte die Patientin beruhigt und aufgeklärt werden, weil sie sich bemerkbar machte. Doch was, wenn die Patientin die Worte gehört und ebenso angstvoll verarbeitet hätte, ohne sich äußern zu können? Möglicherweise hätte sie nach dem Aufwachen den Verdacht gehegt, man habe sie gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.
Erlebnisse wie diese müssen nicht unweigerlich in eine PTBS oder andere Traumafolgestörung münden, sie begünstigen diese aber massiv. Solche Erinnerungen an beängstigende Momente sind nur ein Faktor, der zu einer Traumatisierung beitragen kann. Besonders gefährdet, psychisch zu erkranken, sind Menschen, die bereits in früheren Jahren ein Trauma erlebt haben – das in der Klinik unwillentlich reaktiviert wird – oder die bereits psychisch belastet, gar erkrankt waren und damit anfälliger für seelische Beschwerden sind.
Medikamente erinnern an Verletzlichkeit
Die Folgen für die Patientinnen und Patienten sind beträchtlich, zum Teil sogar lebensgefährlich. Eine psychische Erkrankung kann den körperlichen Zustand verschlechtern oder eine Besserung der Beschwerden verhindern. Nachgewiesen ist zum Beispiel, dass Depressionen und auch PTBS das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, bis hin zu einem Herzinfarkt. Ebenso drastisch: Das Risiko für eine Organabstoßung nach einer Transplantation steigt auf das 14-Fache, wenn die Person eine PTBS erleidet. Die Betroffenen sterben deutlich häufiger durch Komplikationen nach der Transplantation.
Manche der Betroffenen meiden infolge ihrer Erfahrung Kliniken oder generell medizinische Einrichtungen, selbst wenn sie dringend dorthin müssten. Manche nehmen ihre Medikamente nach der Zeit in der Klinik nicht weiter, weil es sie an die Erlebnisse und ihre Verletzlichkeit erinnert. Unter diesen Vorzeichen ist es nicht verwunderlich, dass sich nur wenige Menschen mit einer durch körperliche Krankheit oder medizinische Behandlung entstandenen PTBS in entsprechende psychologische Behandlung begeben.
„Im Krankenhaus gibt es mannigfaltige Potenziale, um eine psychische Belastung auszulösen – aber auch um Stress zu reduzieren und einer Traumatisierung vorzubeugen“, sagt Rehabilitationspsychologin Deffner. Tatsächlich gebe es aber keine verbindlichen Vorgaben, wie ein Krankenhaus traumasensibel und stressfreier gestaltet werden kann.
„Dabei ist die Klinik das einzige Setting, in dem man einer Traumatisierung überhaupt vorbeugen kann, weil die psychische Ausnahmesituation vorhersehbar ist. Bei einem Unfall oder einer Naturkatastrophe ist das eher nicht möglich“, sagt Forscherin Rosendahl. Sie sieht zum Beispiel auf der Intensivstation zahlreiche Aspekte, die den Menschen helfen könnten, sich zu orientieren – und damit auch den mentalen Halt nicht zu verlieren. „In vielen Räumen hängt mittlerweile eine Uhr und manchmal schützt man die Menschen vor dem Lärm der medizinischen Geräte.“ Sie wünscht sich außerdem, dass Angehörige mehr eingebunden sowie das ärztliche und Pflegepersonal umfassend zum Thema Traumatisierung geschult wird.
Schon kleine Sätze haben eine große Wirkung
Wichtig scheint speziell die Kommunikation vor und während einer Behandlung oder medizinischen Maßnahme. „Schon kleine Sätze wie: ‚Es könnte jetzt kurz noch mal wehtun‘, wenn jemand eine Spritze bekommt, entfalten manchmal eine große Wirkung. Sie können eine negative Erwartungshaltung bei den Patientinnen und Patienten auslösen. Sie rechnen dann mit Schmerzen und haben daher häufig stärkere Schmerzen als ohne die Ankündigung“, erklärt die Psychologin Jenny Rosendahl.
Die Aussagen von Pflegekräften oder medizinischem Personal sind nicht das wirklich Traumatisierende, aber sie schaffen womöglich eine Ebene dafür. Die zu Behandelnden müssten durch Aufklärung und Behutsamkeit eingebunden werden, fordert daher Teresa Deffner. Nur wer sich sicher fühle, sei entspannt. „Uns als Personal im Krankenhaus muss bewusst sein, dass wir mit unseren Worten Patienten erheblich schaden können. Wir müssen sie durch Ankündigungen, Informationen und vor allem die richtige Wortwahl mitnehmen“, postuliert die Rehabilitationspsychologin daher.
In zahlreichen Forschungsschriften fordern Fachleute, alle Patientinnen und Patienten im Nachgang darauf zu untersuchen, ob sie sich in der aktuellen Situation belastet fühlen. Das kann durch nachsorgende Gespräche geschehen oder kurze Fragebögen. „Die Erinnerung der Menschen zeigt dabei deutlich auf, was genau als traumatisch empfunden wurde – und worüber gesprochen werden muss“, sagt Deffner. In einer Facharbeit zu Geburten empfiehlt eine Forschergruppe aus Frankreich beispielsweise, Frauen zwei Tage nach der Niederkunft gezielt nach ihren Erinnerungen an diese Stunden zu befragen. Fielen diese negativ aus, müsse man intervenieren, denn jene Frauen hätten ein erhöhtes Risiko, unter der Geburt etwas Traumatisches erlebt zu haben und eine Traumafolgestörung zu entwickeln. Eine einzige Frage kann den Unterschied machen.
Ein Angebot zum Reden geben
Wie bedeutsam schon kleine Gespräche sind, um einer seelischen Last das Gewicht zu nehmen, weiß auch Laurence Erdur. Die Psychologin besucht jeden Patienten, jede Patientin auf ihrer Station in der Berliner Charité mindestens einmal. Sie fragt nach dem Befinden, erklärt und hört zu. Sie macht den Menschen ein Angebot zum Reden, denn manche würden sich nicht trauen zu erzählen, was sie erlebt haben.
„Ich sage dann oftmals zu den Menschen so etwas wie: ‚Viele Leute erleben auf der Intensivstation Dinge, die einem komisch vorkommen, die keinen Sinn ergeben, aber sich ganz, ganz schlimm und belastend anfühlen. Ist das bei Ihnen auch so?‘ Das nimmt ihnen das Gefühl, für verrückt erklärt zu werden, wenn sie mir von ihren Erfahrungen und Empfindungen erzählen. Ich erkläre ihnen, dass ihr Gefühl normal ist.“
Solche nachsorgenden Gespräche sollten Standard sein, meint sie, auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sehen das so. Sie könnten den Betroffenen dabei helfen, aus fragmentierten Bildern und Gedanken sowie Erinnerungsfetzen ein fließendes Narrativ über die Zeit in der Klinik zu entwickeln und die Lücken, die Unsicherheit und Furcht hervorrufen, zu schließen. Was Angst gemacht hat, kann besprochen werden und verliert im neuen Licht vielleicht seinen Schrecken. Tatsächlich sind Psychologinnen und Psychologen wie Erdur aber bundesweit nur vereinzelt zu finden. Kassen zahlen nicht für solche Leistungen am Krankenbett, meist müssen die Kliniken die Kosten der psychologischen Betreuung übernehmen.
Die erlebten Spuren schlagen nach Wochen zu
Unabhängig von der Profession haben sich bei Gesprächen nach Operationen, Eingriffen oder Phasen ohne Bewusstsein unter anderem sogenannte Intensivtagebücher bewährt. Minutiös notieren Pflegekräfte darin jeden Tag, wie es einer Patientin ging, ob sie wach oder nicht bei Bewusstsein war, sowie medizinische Parameter. Die Genesenen können damit die Zeit aufarbeiten, die sie verpasst haben, aber auch ihr subjektives Erleben mit den Fakten abgleichen. In einer Übersichtsarbeit der renommierten Cochrane-Organisation zeigten sich für die simple Methode positive Effekte – für die Patientinnen wie auch für ihre Angehörigen. Sowohl Anzeichen für Depression als auch für Ängste gingen zurück, nachdem das Tagebuch durchgesehen worden war.
Oftmals werden die Patientinnen und Patienten jedoch ohne weitere Besprechungen entlassen. Ob das Erlebte Spuren hinterlassen hat, zeigt sich aber meist erst Wochen bis Monate nach der Zeit auf Station. Dann schlägt die PTBS zu oder es treten andere psychische Probleme auf.
Immerhin: Das Bewusstsein in Krankenhäusern wächst, Fachbücher geben Handlungsempfehlungen, Fachgesellschaften schulen Personal, immer mehr Forschungsberichte widmen sich der Problematik. Vielleicht auch weil die Coronapandemie ein Schlaglicht auf Intensivstationen geworfen hat und sich die Fallberichte über Menschen mit PTBS durch diese dramatische Zeit gehäuft haben. Sie machen deutlich: Was dem Körper helfen soll, kann zugleich die Seele belasten.
Delir
Verwirrtheit, abreißende Gedanken, plötzliche Gedächtnisprobleme sind Anzeichen eines Delirs. Auch Halluzinationen kommen vor. Diese Bewusstseinsstörung tritt besonders häufig bei älteren Menschen nach Einweisung in ein Krankenhaus oder nach einer Operation auf. Ursache können körperliche Beschwerden sein, wie eine Infektion oder Flüssigkeitsmangel, aber auch Stress oder Medikamente. Unbehandelt begünstigt das Delir weitere körperliche und psychische Probleme.
Quellen
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