„Psychedelika drücken den Resetknopf im Gehirn“

Welches Potenzial haben LSD, Psilocybin und MDMA für die Psychotherapie? DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg über deren Zulassungschancen

Éin Mann, der an einer klinischen Studie mit Psilocybin teilnahm, die seine Depression linderte, schaut nachdenklich
Die Teilnahme an einer klinischen Studie mit Psilocybin linderte Andreas Lipinskis Depression. © Jannis Chavakis für Psychologie Heute

Professor Meyer-Lindenberg, die Anwendung von Psychedelika in der Therapie ­wurde lange Zeit skeptisch gesehen. Das scheint sich nun zu ändern. Woran liegt das?

An den aktuellen Forschungsdaten, die zeigen, dass die Effekte dieser Substanzen bemerkenswert sind. Zumindest in dieser frühen Phase der Forschung.

War die Skepsis von früher unbegründet?

Die Studien aus den fünfziger und sechziger Jahren entsprachen nicht den heute üblichen Qualitätskriterien. Insofern halte ich die Skepsis der Kollegen und…

Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen

entsprachen nicht den heute üblichen Qualitätskriterien. Insofern halte ich die Skepsis der Kollegen und Kolleginnen durchaus für gerechtfertigt. Aber durch die Verbote der Substanzen ist eine Jahrzehnte andauernde Forschungslücke entstanden. Heute werden Psychedelika ebenso rigoros geprüft wie andere Psychopharmaka. Wir haben verlässliche Daten. Und auf dieser Basis ist das neu erwachte Interesse an Psychedelika gut begründet.

Was weiß man über ihre Wirkmechanismen?

Wir haben es hier mit einem aktiven Forschungsfeld zu tun. Es ist längst nicht alles bekannt. Aber offenbar führen Psychedelika dazu, dass so was wie ein Reset­knopf im Gehirn gedrückt wird, wodurch es den Betroffenen möglich wird, aus starren Routinen auszubrechen. Mit anderen Worten: Mit Antidepressiva, die wir heute standardmäßig verwenden, dämpfen wir das Belohnungssystem der Patientinnen herunter. Und mit Psychedelika ermöglichen wir Patientinnen neue Freiheitsgrade. Das ist tatsächlich etwas fundamental anderes. Und das merkt man auch an den Patienten, die so behandelt werden.

Inwiefern?

An der EPIsoDe-Studie nehmen auch Depressionspatientinnen von mir teil, die manchmal schon seit Jahren bei mir in Therapie sind. Nach der Substanzsitzung mit Psilocybin kommen auf einmal neue Themen und ganz neue Aspekte auf den Tisch, die man besprechen und bearbeiten kann. Das ist etwas, das ich so in keiner anderen Therapieform kenne.

Damit die Behandlung mit Psychedelika zugänglich wird, müssen die Substanzen von der Europäischen Arzneimittel-Agentur und vom deutschen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen werden.

Wann ist damit zu rechnen?

Dazu braucht es Phase-3-Studien, also großangelegte Studien mit mehreren hundert Probanden. Diese liegen aktuell nur für die Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung mit MDMA vor. Bei der Behandlung von Depressionen mit Psilocybin laufen Phase-3-Studien, aber bislang ist meines Wissens keine davon abgeschlossen. Man geht davon aus, dass zwei Jahre, nachdem eine Studie abgeschlossen ist, eine Zulassung erfolgt – vorausgesetzt natürlich, die Wirksamkeit und Verträglichkeit konnten ausreichend bewiesen werden.

Im Anschluss erfolgt dann das sogenannte AMNOG-Verfahren, in dem der Preis für ein Medikament oder für eine Behandlung festgelegt wird. Auch das dauert noch mal seine Zeit. Es gibt also noch eine ganze Reihe von Unabwägbarkeiten in Bezug auf Psilocybin.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie gerne auch die Reportage von Marlene Halser über ihren psychedelischen Selbstversuch in Der Trip als Therapie.

Andreas Meyer-Lindenberg ist Präsident der Deutschen ­Gesellschaft für Psychiatrie und ­Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), ­Vorstandsvorsitzender des ­Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und ärztlicher Direktor der dortigen Klinik für ­Psychiatrie und Psychotherapie.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2024: Meine perfekt versteckte Depression