Psychedelika in der Psychotherapie

Der Psychiater Gregor Hasler erklärt, wie Psychedelika die Neuroplastizität verstärken und so in psychotherapeutischen Prozessen helfen können.

Es hört sich immer noch merkwürdig an: Drogen in der Psychotherapie – wie soll das funktionieren? Doch tatsächlich können sie Erstaunliches bewirken. Was in solchen Therapien passiert, erzählt der Psychiater und Psychotherapeut Gregor Hasler im Buch Higher Self.

Als Chefarzt und Leiter der psychiatrischen Forschungsabteilung des Netzwerks für psychische Gesundheit an der Universität Freiburg in der Schweiz, hat Hasler mit dutzenden Patienten und Patientinnen Psychedelikatherapien durchgeführt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es in der Schweiz erlaubt, LSD zu verwenden oder MDMA, den Hauptwirkstoff aus der Ecstasy-Gruppe, sowie Psilocybin, den Wirkstoff aus halluzinogenen Pilzen. Das ist zum Beispiel dann möglich, wenn zugelassene Therapien oder Antidepressiva psychisch kranken Menschen nicht helfen können.

Anschaulich und mit spannenden Fallbeispielen erläutert der Schweizer Therapeut die Vorteile einer psychedelischen Psychotherapie. Sie ist, sagt er, „ein Unterricht im Sein, ohne etwas zu tun… Sie ist eine Wahrnehmungslehre: sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen.“ Zeit und Raum können sich auflösen, abstraktes Denken und (Vor-)Urteile verschwinden, Gefühle und Sinneswahrnehmungen werden intensiver.

Mehr Freude, Dankbarkeit und Hoffnung

Nach Haslers Einschätzung lösen Psychedelika sogenannte Katalysatoreffekte aus. Wie zum Beispiel die Fähigkeit, die Welt direkt wahrzunehmen, was in der Folge zu mehr Achtsamkeit und Körperlichkeit führt und zu dem Gefühl, den eigenen Körper wieder zu „bewohnen“.

Der sogenannte Helioskop-Effekt, meint Hasler, ist ein weiterer Pluspunkt einer Drogentherapie. Er erlaube es, ähnlich wie ein Polarisationsfilter, mit dem man direkt in die Sonne schauen kann, sich auch äußerst schmerzhaften Erinnerungen und Emotionen zu stellen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. In den Worten einer Patientin des Autors: „Es war, als hätte ich einen Zugang zu meinen tiefsten Hirnregionen unter einem mächtigen Friedensschirm von Psilocybin.“

Positivitätseffekt nennt Hasler die Fähigkeit, sich von innen heraus freuen zu können – auch an kleinen Dingen wie an einem Glas Wasser, an der Sonne und am Licht. Die Patientinnen und Patienten erleben mehr Dankbarkeit und sie fühlen wieder Zuversicht und Hoffnung. Diese erhöhte Sensibilität für Sinne und Gefühle ist ein großer Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen Psychopharmaka, die fast alle das Gehirn dämpfen. Zu den beeindruckendsten Wirkungen psychedelischer Drogen zählt die Erfahrung einer tiefen Verbindung – mit sich selbst, der Welt und allen Lebewesen.

Bewusstseinserweiterung durch Zauberpilze

Das Ich wird schwächer oder löst sich auf. Manche Menschen erleben sogar einen Perspektivwechsel und können in andere Wesen „hineinschlüpfen“. Das Wissen, verbunden zu sein, ist therapeutisch wichtig, weil so das eigene Leben Sinn bekommt. Wie psychoaktive Substanzen im Gehirn wirken, lässt sich neurobiologisch erklären. Vereinfacht ausgedrückt verbinden sich im psychedelischen Rausch Hirnregionen, die sonst nicht miteinander in Kontakt stehen. Die Neuroplastizität wird stark erhöht, da neue synaptische Fortsätze der Nervenzellen neue Verbindungen knüpfen.

Higher Self ist ein Buch für die breite Öffentlichkeit. Aber auch Fachleute profitieren, weil der Autor sich häufig auf Studien bezieht und jedes Kapitel mit einem Literaturverzeichnis versehen hat. Bewusstseinserweiternd im besten Sinne sind die Hinweise auf psychologische, philosophische und religionswissenschaftliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit Zauberpilzen und anderen Drogen. Sie beweisen, dass die Suche nach spirituellen und transzendenten Erfahrungen die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt und begleitet hat.

Werden Ecstasy und Psilocybin aber wirklich die Psychiatrie auf den Kopf stellen, wie das Wissenschaftsmagazin Nature Anfang 2021 in einem Artikel euphorisch verkündete? (Siehe dazu auch Drogentrips gegen die Schwermut in unserem Heft 6/22.) Als guter Wissenschaftler bleibt Gregor Hasler hier vorsichtig und betont, dass erst die klinische Forschung an großen Stichproben zeigen werde, wie viele Menschen der Allgemeinbevölkerung auf Psychedelikatherapien ansprechen.

Nach dem großen Optimismus, den er mit seinem Buch vermittelt, ist man aber etwas enttäuscht zu lesen: „Dennoch möchte ich keine Hoffnung auf eine Wunderheilung durch Psychedelika wecken. Die Mehrheit meiner Patienten mit schweren psychiatrischen Krankheiten bleibt trotz Psychedelikatherapien auf herkömmliche Psychopharmaka angewiesen.“

Gregor Hasler: Higher Self. Psychedelika in der Psychotherapie. Klett-Cotta 2022, 328 S., € 30,–

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