Wie in der Schule

Ein Klassentreffen ruft Erinnerungen hervor und fordert den Vergleich heraus. Das fällt schwer, lässt aber auch alte Konflikte neu bewerten.

Die Illustration zeigt ehemalige Klassenkameraden bei einem Klassentreffen, die am Tisch Karten spielen, dabei sitzt einer unbeteiligt dabei und ist ausgeschlossen
Klassentreffen lassen Rollen und Interaktionsmuster aus der Schulzeit plötzlich wieder aufleben. © Michael Syszka

Anett Wolgast hatte vorher eine Freundin aus Schulzeiten gefragt, ob sie auch zu dem Klassentreffen gehe. Die Psychologin von der Universität Halle-Wittenberg fühlte sich so sicherer. Falls sie mit den anderen nicht so recht ins Gespräch käme, hätten sie wenigstens einander. Durch ihre Forschung zum Thema Mobbing ist die Begegnung mit Schülern für Wolgast beruflicher Alltag – aber die eigenen Mitschüler aus Jugendzeiten wiederzutreffen war doch auch für sie etwas Besonderes. Ungefähr ein Drittel der…

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war doch auch für sie etwas Besonderes. Ungefähr ein Drittel der Ehemaligen kam zu dem Wiedersehen, auch einige Lehrkräfte. „Viele hatten sich kaum verändert“, erinnert sich Wolgast an das Treffen. Nur eine Frau sorgte allseits für Erstaunen und noch Tage später für Gesprächsstoff. 

Ein Klassentreffen ist eine emotionale Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen. „Weißt du noch?“ ist ein zentrales Thema – ob ausgesprochen oder nicht. Auch vergessen geglaubte Eindrücke und Ereignisse werden beim Anblick der ehemaligen Mitschüler reaktiviert. Bisher haben sich Wissenschaftler wenig mit den Dynamiken von Klassentreffen beschäftigt, obwohl jedes Jahr tausende davon überall in der Welt stattfinden. Doch vieles, was bei einem Klassentreffen typischerweise geschieht, lässt sich mit allgemeinen psychologischen Befunden erklären und beschreiben.

Wiederbelebung von Cliquen

Wie feinstimmig und fundamental die Wiederbelebung des Vergangenen ist, hat der Psychologe Herbert Scheithauer, Professor für angewandte Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin, am eigenen Leib erfahren. Oft finden Klassentreffen im Gebäude der ehemaligen Schule statt. Als Scheithauer für ein eigenes Wiedersehen mit früheren Mitschülern nach Jahrzehnten seine Schule betrat, stieg ihm sofort der typische Geruch des Linoleumbodens in die Nase. Dann hörte er das Geräusch der Schulglocke. „Es war unglaublich. Mein Herz schlug schneller. Ich hatte physiologische Reaktionen“, berichtet er. „Zum Glück hatte ich eine angenehme Schulzeit gehabt.“

Und noch ein Déjà-vu kam an dem Tag des Treffens hinzu. „Es bildeten sich dieselben Grüppchen wie früher. Dieselben Spitznamen fielen und wir lachten wieder über dieselben Sachen“, hat Scheithauer beobachtet. Das lässt sich verallgemeinern. Man schlüpft fast automatisch wieder in die alten Rollen: das Mauerblümchen, die Populäre, die immer schon im Mittelpunkt stand, und der Außenseiter. Aus der Erforschung von sozialen Netzwerken der Schüler kennt Scheithauer noch weitere Grundcharaktere: den Zurückhaltenden, den Schlichter oder die Geister. „Letztere sind Personen, die von anderen nie erwähnt werden, die aber da sind. Diese unscheinbaren Schüler haben es besonders schwer.“ Ihr Selbstwert leidet während der Schulzeit, weil sie von Gleichaltrigen nicht gesehen werden.

Der Wurf zurück in alte Zeiten wohnt wohl jedem Klassentreffen inne. Dabei leben unbewusste Gruppendynamiken aus Schulzeiten wieder auf, die auf gemeinsame Erfahrungen im Unterricht, in den Pausen und AGs zurückgehen. Die archivierten Rollengefüge dieser Tage werden aktiviert. Cliquen, die sich in einer Schulklasse bildeten und die Pausen zusammen verbrachten, Rangordnungen, die auf Prestige und Beliebtheit von Personen gründeten, sind auch nach Jahrzehnten nicht einfach ausradiert. Zwar gibt es keine empirischen Daten, welche Rolle einzelnen Personen in der Manege eines Klassentreffens zukommt. Aber der soziologischen Forschung zufolge sind einmal ausgebildete Gruppengefüge zunächst stabil und werden nur durch neue Erfahrungen modifiziert.

Dieses Neue kann auch erst während des Wiedersehens mit ehemaligen Mitschülern eintreten. Das beobachtete etwa die Psychologin Wolgast bei der ehemaligen Klassenkameradin, die alle überraschte. „Ich habe sie überhaupt nicht erkannt. In meiner Erinnerung war sie ungepflegt und in der Schule eher unbeliebt. Sie sah aber extrem gut aus, als würde sie gleich ein Fernsehinterview geben. Und sie hatte einen beeindruckenden beruflichen Werdegang vorzuweisen: Sie war Kommissarin geworden.“

Schon während des Treffens veränderte sich die Stellung jener einst ungepflegten Schülerin in der Gruppe sofort durch ihr unerwartetes Auftreten und ihren beruflichen Status. Sie gewann bei den Anwesenden an Prestige und Popularität.

Gleichwohl ändern sich die Wesenszüge einer Person im Laufe des Lebens selten fundamental. Psychologen untergliedern die Persönlichkeit in fünf übergeordnete Merkmale. Diese sind:

  • die Offenheit, etwa für Reisen und das Kennenlernen neuer Menschen,

  • die Gewissenhaftigkeit, die sich in Pünktlichkeit und Ordnungsliebe widerspiegelt,

  • die Extraversion, also wie sehr jemand auf andere zugeht und wie sehr er im Mittelpunkt steht,

  • die Verträglichkeit, die besagt, wie harmoniebedürftig eine Person ist, und

  • die emotionale Stabilität, sprich: wie leicht jemand gestresst oder nervös reagiert.

Aus wiederholten Befragungen im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels mit knapp 15000 Teilnehmern in Deutschland ging hervor, dass sich diese Facetten der Persönlichkeit zwar über die ganze Lebensspanne verändern, wie das Team um die Persönlichkeitspsychologin Jule Specht von der Humboldt-Universität zu Berlin herausfand (siehe dazu Psychologie Heute 7/2018: Kann ich mich ändern?). Dass die Persönlichkeit sich völlig ins Gegenteil verkehrt, ist allerdings unüblich. „Dass der Gewissenhafte vollends nachlässig wird, der Extravertierte extrem verschüchtert, kommt sehr selten vor“, erläutert die Psychologin Eva Asselmann aus dem Team von Specht. Die Rangordnung innerhalb einer Gruppe bleibe vergleichsweise stabil. „Der Klassenclown bleibt zeitlebens eher ein heiterer Geselle“, veranschaulicht Asselmann.

Plötzlich wieder 16

Wie aber kommt es dann zu den immer wieder beschriebenen überraschenden Wandlungen einzelner ehemaliger Schulkameraden? „Früher dachten wir, die Persönlichkeitsentwicklung sei mit 18 Jahren abgeschlossen. Das stimmt nicht. Sobald Kinder aus dem Elternhaus ausziehen, ein Studium abschließen, die erste eigene Partnerschaft aufnehmen, setzen sie sich neuen Schlüsselerfahrungen aus, die auch ihren Charakter prägen. Einschneidende Lebensereignisse und veränderte soziale Rollen führen zu messbaren Veränderungen des Wesens.“ Mit dem Eintritt in den Beruf etwa würden viele gewissenhafter und verträglicher, weil sie pünktlich zur Arbeit und zu Terminen erscheinen oder mit schwierigen Kollegen auskommen müssten.

Mit Beginn der Elternschaft nehmen indes die Offenheit und Extraversion ab, wie Asselmann in einer noch unveröffentlichten Erhebung herausgefunden hat. Frischgebackene Väter und Mütter sind weniger gesellig und unternehmungslustig, „weil sie auf die Kernfamilie fokussiert sind“, so Asselmann. Auslandsaufenthalte können wiederum die Offenheit und die emotionale Stabilität beflügeln. Nur kritische Lebensereignisse wie der Tod von nahen Angehörigen, Scheidungen und schwere Krisen rufen fundamentale Veränderungen hervor. Sie stellen sich der Persönlichkeitsentwicklung als Weggabelung dar: „Es gibt jene, die daran wachsen und dann auch ganz anders in Erscheinung treten. Und jene, die daran zerbrechen und beispielsweise eine Depression entwickeln.“

Da Biografien heute brüchiger sind als noch vor Jahrzehnten, sind Persönlichkeiten generell mehr Veränderungen unterworfen. Die durchschnittliche Ehe währt fünf Jahre. Wer dreißig Jahre auf einem Arbeitsplatz verbringt, fällt schon aus der Reihe. Die Zeiten sind unbeständig. Sich mit sechzig neu zu verlieben ist heutzutage nicht mehr nur Stoff für ein Drehbuch. Unsere Persönlichkeiten changieren mehr und Klassentreffen sind deshalb überraschender als noch vor dreißig Jahren.

Dass Persönlichkeitsveränderungen bei einem Klassentreffen offenkundig werden, ist aber nicht unbedingt gesagt: „Wenn sich alle in dieselbe Richtung entwickeln, etwa gewissenhafter werden, ist es unwahrscheinlich, dass diese Trends auffallen“, so Asselmann. Nur der Unzuverlässige erregt dann Aufsehen. Ist aus dem einstigen Mauerblümchen jedoch eine selbstbewusste Bürgermeisterin geworden und damit der Sprung zwischen Erinnerungsbild und Momentaufnahme groß, ist der Protagonistin ebenfalls Aufmerksamkeit gewiss.

Bei den subtileren Veränderungen hemmt die archivierte Gruppendynamik, dass „ich mich beim Klassentreffen so zeigen kann, wie ich jetzt bin“, sagt Scheithauer. Jeder Einzelne erinnert sich der Rolle, die er in der Schule hatte. Wenige Reize triggern dabei, dass die gemeinsamen Erfahrungen wachgerufen werden. Der Anblick des Gebäudes, ein Spitzname, die Art und Weise, wie ein Rädelsführer seinen Freunden auf die Schulter klopft, genügen beispielsweise.

Sofort fühlt sich jeder wieder wie zu Teenagerzeiten. Vor allem bedingt das Rollenrevival der anderen, dass der Einzelne regelrecht in seine eigene alte Rolle gedrängt wird. Der Zurückhaltende schlüpft deshalb beispielsweise wieder in sein altes Erscheinungsbild, ob er will oder nicht. Das geschieht vielleicht sogar, obwohl er mittlerweile in anderen Gruppen recht selbstsicher auftritt, etwa in seinem beruflichen Umfeld oder der Familie. Aber beim Klassentreffen ist die Position des Selbstsicheren nun mal schon von einer oder mehreren anderen Personen des Jahrgangs besetzt. Und diese haben ihn als introvertiert in Erinnerung und treten ihm gegenüber auch so auf. Das kann sich in Kleinigkeiten manifestieren, etwa dass er als Letzter ein Getränk bestellt, weil alle anderen vorpreschen.

Brücke zwischen damals und heute

An diesem Punkt können die sozialen Medien heutzutage den Unterschied machen: Wer Kontakt zu ehemaligen Mitschülern gehalten hat, dem falle es leichter, die Identität als Schüler abzustreifen und sich als Gegenwartsfigur zu präsentieren, analysiert Scheithauer. Denn er hat sich einzelnen Personen gegenüber schon in Aspekten seiner neuen Persönlichkeit zeigen können. Bestehende lebendige Beziehungen zu ehemaligen Mitschülern sind insofern eine „Brücke zwischen Schulzeit und Gegenwart“.

Für sozial gut vernetzte ehemalige Schüler ist das Klassentreffen deshalb in zweifacher Hinsicht weniger aufregend: Sie können eher sie selbst sein und mitunter ist die Diskrepanz zwischen der Erinnerung und der Momentaufnahme vermindert, weil sie sich schon vor dem Treffen über diesen oder jenen ehemaligen Mitschüler ausgetauscht haben. „Ich habe gehört, der Thomas ist jetzt in der Automobilbranche und hat Drillinge“, nennt Scheithauer ein fiktives Beispiel. Sofort entsteht ein neues Bild von dem Genannten, das im Geiste mit den Erinnerungsfragmenten verwoben wird.

Wer dagegen keine aktiven Beziehungen zu den ehemaligen Mitschülern pflegt, braucht mitunter Mut, um zum Klassentreffen zu gehen. Es ist ein Sprung ins emotionale Erinnerungsbad, ein Wagnis in der Gegenwart. Denn wie das Treffen verläuft, mit wem man sich angeregt unterhält, lacht und schäkert, kann kaum einer in der Clique nach einer Kontaktpause von zehn, zwanzig oder noch mehr Jahren genau abschätzen. Die meisten unterschätzen wohl die alten Dynamiken in der Clique. Dazu kommt: Weder wissen diejenigen, wer zum Treffen kommt, noch wo die anderen mittlerweile im Leben stehen. 

Alte Wunden reißen auf oder heilen

Es gibt noch eine besondere Gruppe von ehemaligen Schülern, bei denen eine Einladung zum Klassentreffen mindestens mulmige Gefühle weckt: die Opfer von Mobbing. Ungefähr jeder Dritte wurde zu Schulzeiten gehänselt. „Wir wissen, dass solche psychische Gewalt bis ins Erwachsenenalter wirkt – und zwar sowohl für die Opfer als auch für die Täter. Sie haben später ein höheres Risiko, straffällig und auch depressiv zu werden“, sagt Scheithauer. Einer finnischen Studie von 2015 zufolge liegt dann das Risiko, bis zum Alter von 30 Jahren seelisch zu erkranken, ungefähr doppelt so hoch – auch für Täter, vor allem wenn sie selbst auch mal Opfer waren. „Die Erinnerung an die Schulzeit kann regelrecht traumatisch sein“, erklärt die zu Mobbing forschende Psychologin Anett Wolgast. „Diese Personen werden vielleicht einem Treffen fernbleiben.“ 

Das muss aber nicht so sein: Haben die Gedemütigten inzwischen im Beruf oder im Privaten positive und selbstwirksame Erfahrungen gemacht, etwa sich zum liebevollen Vater entwickelt und in dieser Rolle Erfüllung gefunden, können die Geschehnisse dadurch relativiert werden. Mit gefestigter Persönlichkeit ist es kein unüberwindbares Unterfangen, die Phase der Schulzeit durch das Fenster der Gegenwart aufs Neue zu betrachten.

Ein Klassentreffen kann dann sogar eine Zäsur und eine Integration von Vergangenem ermöglichen. Als Anett Wolgast bei ihrem Klassentreffen einen ungeliebten Lehrer sieht, steht sie auf und sagt ihm, dass sie sich durch ihn besonders ungerecht behandelt empfand. „Es war mir ein Anliegen, eine Klärung und Genugtuung, ihm das zu sagen.“ Sie fühlt sich der Demütigung der damaligen Zeit längst entwachsen und souverän in ihrem Beruf als Psychologin. „Ich wollte natürlich seine Sichtweise hören. Aber er hat nur gesagt, dass er das nicht so wahrgenommen habe.“ Trotzdem ist das Thema für sie damit abgeschlossen.

Unausweichlich sind Klassentreffen oft auch ein Schauplatz für „das große Vergleichen“. „Was bist du geworden? Was machst du jetzt? Das sind klassische Fragen“, erklärt der emeritierte Soziologe Heiner Meulemann, der zuletzt an der Universität zu Köln lehrte. „Da sind die Leute, die so gut dran waren wie ich, und jetzt stehen sie besser oder schlechter da.“ Zeitlebens organisierte Meulemann selbst die Klassentreffen, erzählt er, zuletzt „50 Jahre Abitur“.

Seine Forschung trägt mit dazu bei, zu verstehen, was bei der Begegnung der alten Bekannten passiert. Meulemann verfolgte in einer Studie 3500 Schüler der 10. Klasse des Jahrgangs 1969 bis zu ihrem 65. Ge­burtstag. Mittlerweile antworten ihm nur noch wenig mehr als tausend Teilnehmer. Fast wie bei einem Klassentreffen fragte Meulemann sie mit 30, 42, 56 und 65 Jahren nach ihrem beruflichen und privaten Erfolg und wie sie sich diesen erklärten. „Das Bemerkenswerte ist: Die Befragten begründen ihren Erfolg vor allem mit Anstrengung und Begabung, also mit internalen Eigenschaften, weniger mit äußeren Umständen wie dem Elternhaus oder Glück.“ Dabei haben Letztere bekanntlich einen bedeutsamen Einfluss.

Da die Anschauung, man sei des eigenen Glückes Schmied, vorherrscht, bekomme die erfolgreiche Managerin beim Klassentreffen Bewunderung oder Neid zu spüren, analysiert Meulemann. Denn alle sehen sie als Meisterin ihres eigenen Erfolgs. Diese Anschauung macht es dagegen Mitschülern schwer, vor ihrer ehemaligen Klasse in Erscheinung zu treten, die beruflich nicht so erfolgreich sind oder sich einsam fühlen. „Unser Klassenprimus hat es tatsächlich nie in den gewünschten Beruf geschafft“, nennt Meulemann ein Beispiel. Den Treffen blieb er fern.

Allerdings kommt es auf das Verständnis der eigenen Identität an, wie sehr man vor den ehemaligen Schulkameraden angesichts der eigenen Lage strauchelt. Wer schon als Jugendlicher fest vorhatte, eine Familie zu gründen und Lehrer zu werden, und an beidem scheiterte, hat daran schwerer zu tragen. Das Eingeständnis vor den anderen nagt am Selbstwertgefühl. Wer dagegen nie von Haus und Auto träumte, den ficht es kaum an, wenn ehemalige Mitstreiter von solchem Besitz schwärmen.

Der Vergleich bei einem Klassentreffen ist dabei nie objektiv. „In Gruppen gibt es immer Tendenzen zur Selbstdarstellung“, sagt Persönlichkeitspsychologin Asselmann. Unliebsame Lebensdetails fallen unter den Tisch. Die soziale Erwünschtheit führt dazu, dass man sich eher so zeigt, wie man gerne wäre – nicht wie man ist. Besonders narzisstische Persönlichkeiten neigen dazu, sich mit ihren Errungenschaften in der Manege des Klassentreffens zu brüsten. „Zum Glück sind dem Beschönigen Grenzen gesetzt. Alle wissen ja, wer schon immer ein Aufschneider war“, fügt Meulemann augenzwinkernd hinzu.

Der Vergleich touchiert unbewusste lebens- und weltanschauliche Fragen. Wieso hat der es zum Journalisten gebracht, obwohl er in Deutsch nicht so überragend war? Wieso wirkt sie so zufrieden, obwohl sie allein lebt? Es ist Denkfutter für die Nacht danach.

Wolgasts Klassentreffen verlief in dieser Hinsicht ganz anders: „Das große Vergleichen blieb aus“, berichtet die Psychologin. „Ich saß mit einigen Polizeikommissaren am Tisch – tatsächlich haben mehrere ehemalige Mitschüler diesen Beruf ergriffen. Sie gaben mir einen interessanten Einblick in ihre Arbeitsweise. Das ging richtig in die Tiefe und war ein spannender Abend. Das hätte ich nie gedacht.“

Zum Weiterlesen

Heiner Meulemann: Lebenszufriedenheit vom Ende der Jugend bis zum mittleren Erwachsenenalter. Der Einfluss des Lebenserfolgs und der Erfolgsdeutung auf die Lebenszufriedenheit ehemaliger Gymnasiasten zwischen dem 30. und 43. Lebensjahr. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 32/4, 2000, 207–217. DOI: 10.1026//0049-8637.32.4.207

Jule Specht u.a.: On the consistency of personality types across adulthood: Latent profile analyses in two large-scale panel studies. Journal of Personality and Social Psychology, 107/3, 540 bis 556. DOI: 10.1037/a0036863

Quellen

Nadine Bös: Woher das Glück kommt. Interview mit Heiner Meulemann, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2019

Heiner Meulemann: Originaldatensatz zur Langzeitstudie, 2020

Heiner Meulemann: Lebenszufriedenheit vom Ende der Jugend bis zum mittleren Erwachsenenalter. Der Einfluss des Lebenserfolgs und der Erfolgsdeutung auf die Lebenszufriedenheit ehemaliger Gymnasiasten zwischen dem 30. und 43. Lebensjahr. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogischer Psychologie, 32/4, 2000, 207-217. DOI: 10.1026//0049-8637.32.4.207

Andre Sourander u.a.: Association of Bullying Behavior at 8 Years of Age and Use of Specialized Services for Psychiatric Disorders by 29 Years of Age. JAMA Psychiatry, 73/2, 2016, 159-165. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2015.2419

Jule Specht u. a.: On the consistency of personality types across adulthood: Latent profile analyses in two large-scale panel studies. Journal of Personality and Social Psychology, 107/3, 540-556. DOI: 10.1037/a0036863

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2020: Emotional durchlässig