Achtsamkeit

Achtsamkeit ist in Unternehmen, Krankenhäusern, psychotherapeutischen Praxen und Wohnzimmern angekommen. Doch wobei hilft sie wirklich?

Das Bild zeigt eine Person von hinten im wehenden Kleid, die auf einen Waldabschnitt schaut. © plainpicture/Maud Evrard

Definition von Achtsamkeit

Eine der gängigsten Definitionen stammt vom Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn, er ist Begründer des MBSR, einem etablierten Programm zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion. Kabat-Zinn beschreibt Achtsamkeit als eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit: „Bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.“ Diese Art der Aufmerksamkeit soll Klarheit fördern und die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren.

Während Konzentration darin besteht, sich auf ein bestimmtes Objekt zu fokussieren, zum Beispiel auf eine Schriftzeile, bedeutet Achtsamkeit, eine Weitwinkel-Perspektive einzunehmen und sich wach und klar für alle Wahrnehmungen in einem Moment zu öffnen. Äußere Wahrnehmungen und innere Empfindungen: Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle, Geräusche oder visuelle Eindrücke. Bildlich gesprochen geht es um einen Zustand von offener Weite, eine Art Panorama-Bewusstheit.

Hintergründe zum Konzept Achtsamkeit

Achtsamkeit ist sowohl ein buddhistisches Konzept als auch eine buddhistische Praxis. Ursprünglich bedeutet Achtsamkeit die Fähigkeit, etwas im Gedächtnis zu behalten und nicht zu vergessen. Die Grundidee dahinter: Der Geist ist anfällig für Zerstreuung und Ablenkung. Achtsamkeit wirkt dieser Tendenz entgegen, weil sie den Geist zusammenhält und damit ermöglicht, uns auf etwas zu konzentrieren.

Der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Meditation

Achtsamkeit und Meditation werden oft wie Synonyme verwendet. Doch Achtsamkeit ist eher eine Geisteshaltung, Meditation eine Übungspraxis, durch die sich neben anderen Qualitäten wie Mitgefühl und Freundlichkeit auch Achtsamkeit kultivieren lässt. Bisher ist es nicht gelungen, eine umfassendeDefinition von Meditation zu finden, auf die sich alle Forschenden einigen können. Die Definitionsangebote reichen von „eine komplexe neuronale Praxis, die die Neurophysiologie und Neurochemie im Gehirn des Übenden und sein Verhalten verändert“ bis zu „Meditation ist die Kunst, gelassen und aufmerksam im gegenwärtigen Moment zu verweilen.“ Achtsamkeitsmeditation ist hierzulande mittlerweile die bekannteste und populärste Form von Meditation. Darüber hinaus gibt es Einsichts-, Konzentrations- und Mitgefühlsmeditation, Dynamische, Geh- und Tanzmeditation oder die Mantra-Meditation, um nur einige Formen zu nennen.

Ursprung: Woher kommt Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist ein zentrales Prinzip buddhistischer Meditationspraxis. Achtsamkeit kann jedoch auch als eine universelle Form von Aufmerksamkeit und als eine innere Haltung verstanden werden, die weltanschaulich neutral ist. Im frühen Buddhismus, in dem Achtsamkeit das erste Mal explizit auftauchte, stand die spirituelle Entwicklung im Vordergrund. Heute praktizieren die meisten Menschen Achtsamkeit mit dem Wunsch, besser mit Stress klarzukommen, zu entspannen und ihr allgemeines Wohlbefinden zu steigern.

Entwicklung der Achtsamkeitsforschung

Die Zahl der Forschungsarbeiten zu Achtsamkeit ist beeindruckend hoch. Der Erkenntnisgewinn vieler Studien wird jedoch inzwischen kritisiert. Um die tatsächlichen Auswirkungen von Achtsamkeitsinterventionen angemessen zu untersuchen, sind experimentelle Forschungsdesigns mit randomisierten Probanden- und Kontrollgruppen nötig. Bei vielen klinischen Studien fehlen solche Kontrollgruppen. Außerdem beruhen viele Untersuchungen ausschließlich auf Fragebögen. Die bisher weltweit größte Studie zur Erforschung von Meditation, das ReSource-Projekt, durchgeführt am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, arbeitete mit Kontrollgruppen und nutzte 90 verschiedene Maße, von Messungen des subjektiven Wohlbefindens, des Gehirns, des autonomen Nervensystems, der sozialen Emotionen und Kognition bis hin zu Bio-, Immun- und Hormonmarkern sowie Maßen der Kooperation und des prosozialen Verhaltens.

Achtsamkeit in der Kritik

Achtsamkeit wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden und die geistige Gesundheit aus. Das belegen zahlreiche Studien. Dennoch ist Achtsamkeit kein Allheilmittel. Ein Großteil mentaler Probleme entsteht durch Stress, Überforderung, Einsamkeit, Existenzangst, Diskriminierung und viele weitere gesellschaftliche Faktoren. Wer bei Leidensdruck geraten bekommt, es mal mit Achtsamkeit zu probieren, kann schnell zu dem Schluss kommen, selbst für die schlechte psychische Verfassung verantwortlich zu sein. Ronald E. Purser, Professor für Management an der San Francisco State University, prägte den Begriff „McMindfulness“ und kritisiert in seinem gleichnamigen Buch, Spiritualität werde in Achtsamkeitskursen schnell konsumiert, ohne größeren Erkenntnisgewinn. Politische, wirtschaftliche und soziale Missstände würden ausgeblendet.

Michael Zimmermann, Professor für Indologie an der Universität Hamburg, kritisiert, dass Achtsamkeit als Technik zur Leistungssteigerung eingesetzt werde. Menschen versuchten 20 Minuten Achtsamkeit zu praktizieren, damit sie danach umso erfolgreicher und konzentrierter seien. Achtsamkeit werde in eine Logik eingebaut, die Teil des Problems und nicht der Lösung sei.

Der Psychologe Michael Poulin fand in einer Studie an der Universität Buffalo (USA) Hinweise darauf, dass Achtsamkeitsübungen auch zu mehr Egoismus führen können. Nämlich dann, wenn man sich als Individuum definiert, vor allem um das eigene Wohlbefinden kreist, andere aus dem Blick verliert und vergisst, dass man Teil einer Gemeinschaft ist. Dieses individualistische Selbstbild ist das vorherrschende Modell in der westlichen Welt, während viele andere Kulturen Menschen eher als Teil des Ganzen verstehen.

Die vier Grundlagen der Achtsamkeit

Als wichtigste buddhistische Quelle gilt die Satipatthana Sutta. In dieser Lehrrede behandelt Buddha die vier Grundlagen der Achtsamkeit: die Betrachtung des Körperlichen, der Gefühlszustände, des Bewusstseins und der Geistesobjekte. „Bildlich gesprochen ist es so, als ob ich vier Fernsehkanäle hätte. Ich kann den Kanal wechseln, bin mir aber immer dessen gewahr, was gerade passiert“, erklärt der Meditationsforscher Peter Sedlmeier, Professor am Institut für Psychologie der Technischen Universität Chemnitz.

Körper

Der Körper ist unser Anker im „Hier und Jetzt“, denn der Körper lebt stets in der Gegenwart. Wir fühlen uns in unserem Körper wohl oder unwohl. Körpersignale sind stets gegenwärtig. Doch sie zutreffend zu deuten, ist nicht immer einfach. Durch die Sinnesorgane können wir Informationen wahrnehmen und interpretieren. Ein Grummeln im Bauch, Herzklopfen, aus Angst oder vor Freude. Gänsehaut, ausgelöst durch einen Schreck oder sinnliche Erregung. Diese Wahrnehmungen können wir mit unserem Geist erforschen und verfeinern.

Gefühle

Bei Gefühlen vermischen sich körperliche Signale mit gedanklichen Vorgängen. Manche sind angenehm, andere unangenehm oder neutral. Grundgefühle sind Angst, Wut, Trauer, Freude und Liebe, davon gibt es zahllose Nuancen. Welche Gefühle wir wahrnehmen und ausdrücken können oder dürfen, lernen wir schon in unseren ersten Lebensjahren. In zahlreichen Lebenslagen ist es sinnvoll, ein aufkommendes Gefühl erst einmal zu betrachten, anstatt es sofort auszuleben. Zum Beispiel durch Fragen: Wodurch ist dieses Gefühl entstanden? Verändert es sich? Lässt es nach, oder nimmt es zu? Kann ich es zulassen oder will ich es weghaben?

Bewusstsein oder Geist

Dass wir nahezu pausenlos irgendetwas denken, merken wir, wenn wir uns vornehmen, einmal eine Minute lang nichts zu denken. Das ist nahezu unmöglich. Meist ist uns gar nicht bewusst, dass wir denken. Vieles, was wir tun oder unterlassen, geschieht aus Gewohnheiten. Wir brauchen darüber gar nicht bewusst nachzudenken. Unsere Gedanken haben uns immer im Griff. Der Geist ist ständig aktiv. Sogar mit geschlossenen Augen sehen wir im Traum Bilder und Filme, die unser Geist erzeugt. Wenn wir lernen, den Bilder- und Gedankenstrom zu beobachten, kann das Gedankenkarussell langsamer drehen und manchmal sogar zur Ruhe kommen. Wir können Distanz dazu gewinnen.

Innere und äußere "Geistesobjekte"

Was kann ich in eben diesem Moment wahrnehmen? Sehen? Hören? Riechen? Was denke ich in diesem Augenblick? Alle Objekte unseres Geistes können wir aus einer distanzierten Beobachterperspektive neugierig betrachten, ohne sie dabei zu kategorisieren oder zu bewerten. Je weiter wir in der Achtsamkeitsübung vorankommen, desto eher können wir aufsteigende Gedanken und Gefühle auch wieder loslassen. Wir sind ihnen nicht mehr ausgeliefert.

Achtsamkeit und psychische Gesundheit

Dass sich achtsamkeitsbasierte Verfahren positiv auf die psychische Gesundheit auswirken, gilt als empirisch gesichert. Allerdings schwanken die Effekte zwischen sehr klein (bei Kindern und Jugendlichen) bis zu sehr groß (bei erwachsenen Patienten mit Angststörungen.) Für zahlreiche psychische Erkrankungen gibt es inzwischen speziell entwickelte Psychotherapiekonzepte, die Meditationstechniken und Achtsamkeitsprinzipien nutzen. Zwischen beiden Ansätzen finden sich natürliche Schnittstellen. Verhaltenstherapeuten bringen ihren Patienten und Patientinnen bei, destruktive Gedanken nicht als Tatsachen, sondern als Konstrukte im Geist zu betrachten, die sich überprüfen lassen. Frei nach dem Motto: „Du musst nicht alles glauben, was du denkst.“ Ähnlich wie bei der Meditationspraxis ist auch hier das Ziel, dass man sich mit den Gedanken nicht automatisch identifiziert. Durch regelmäßige Meditation lässt sich diese Distanz einüben.

Wie hilft Achtsamkeit bei Stress?

Regelmäßige Achtsamkeitsmeditation verringert die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Haar. Das haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig sowie der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin herausgefunden. Die Cortisolmenge im Haar gibt Auskunft darüber, wie stark jemand durch anhaltenden Stress belastet ist. Damit ist der Forschergruppe 2021 ein objektiver Nachweis gelungen. Davor zeigten bereits zahlreiche Studien, dass sich Menschen nach einem achtwöchigen Trainingsprogramm entspannter fühlen. Das Problem vieler Untersuchungen war jedoch: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten meist im Anschluss an die Übungsphase ihr Stresslevel selbst bewerten. Die Selbstauskunft mithilfe von Fragebögen ist jedoch umstritten. Wenn Probanden wissen, dass sie an einem Training teilnehmen mit dem Ziel, ihr Stresslevel zu senken, kann das ihre Wahrnehmung entsprechend beeinflussen.

Wie hilft Achtsamkeit bei Depression?

Achtsamkeitsbasierte Techniken sind vor allem bei wiederkehrenden depressiven Episoden wirksam. Wer unter einer Depression leidet, neigt dazu, sich in negativen Gedanken- und Grübel-Schleifen zu verlieren. Warum geht es mir so schlecht? Was habe ich nur falsch gemacht? Ob ich da jemals wieder rauskomme? Was bin ich nur für ein Versager… Ob die trüben Gedanken zu langfristigen Veränderungen der Stimmung führen, hängt vor allem davon ab, wie Betroffene damit umgehen.

Menschen, die unter wiederkehrenden depressiven Episoden leiden, neigen dazu, auf belastende Gefühle mit zwanghaftem Suchen nach Ursachen und Gründen zu reagieren. Diese grübelnde Beschäftigung verstärkt negative Stimmungen. Durch Achtsamkeitstechniken können Patientinnen lernen, rechtzeitig wahrzunehmen, wenn sie ins Grübeln geraten. Gleichzeitig üben sie, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, ohne sich in ihnen zu verlieren. Anstatt sich der Abwärtsspirale ohnmächtig hinzugeben, lernen sie, auf sanfte Weise Einfluss zu nehmen. In der sogenannten achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie (MBCT, siehe unten) geht es nicht um Problemlösungsstrategien, sondern um eine veränderte innere Haltung gegenüber negativen Gedanken und Gefühlen.

Wie hilft Achtsamkeit bei Angst und Panik?

Wer in ständiger Angst lebt, möchte das unangenehme Gefühl verständlicherweise loswerden. Doch paradoxerweise führt der Versuch, die Angst loszuwerden oder zu kontrollieren, dazu, dass sie sich verfestigt und größer statt kleiner wird. Beim achtsamen Umgang mit Angst geht es nicht darum, die Angst loszuwerden, sondern sie zu spüren, ohne von ihr überwältigt zu werden. „Wir befreien uns nicht von Gefühlen, sondern innerhalb unserer Gefühle durch Bewusstheit“, so erklärt der Psychotherapeut Matthias Ennenbach die positive Wirkung von Achtsamkeit.

Der Psychologe Georg Eifert, einer der Mitbegründer der Acceptance und Commitment-Therapie (siehe ACT), gibt seinen Patientinnen gerne ein Seil in die Hand, um den Teufelskreislauf zu erklären. Er lässt sie mit allen Fasern spüren, wie anstrengend es ist, immer an einer Seite des Seils zu ziehen, während das „Angstmonster“ auf der anderen Seite dagegenhält. Menschen, die unter starken Ängsten leiden, liefern sich laut Eifert ein Tauziehen mit der Angst. Je mehr sie an einem Ende des Seils ziehen, desto stärker hält das Angstmonster dagegen. Dieser Kampf dauere oft Jahre und bringe sie an den Rand der Verzweiflung. Die Lösung bestehe darin, den Kampf aufzugeben und das Seil fallenzulassen.

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

In den 1980er- und 1990er-Jahren öffneten sich Psychotherapieverfahren wie die Verhaltenstherapie für die buddhistische Geistesschulung. Es wurde deutlich, dass rein kognitive Interventionen nicht zum Erfolg führen. Die Einsicht, dass ein bestimmtes Verhalten destruktiv ist, führt noch lange nicht zur Veränderung. Die seit diesen Jahrzehnten sehr präsente „dritte Welle der Verhaltenstherapie“ setzt verstärkt auf Akzeptanz und integriert ausgewählte Methoden des Buddhismus in die Therapie, vor allem die Achtsamkeitsmeditation.

MBSR: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion

Das von Jon Kabat-Zinn entwickelte Acht-Wochen-Programm MBSR ist die mit Abstand am häufigsten wissenschaftlich untersuchte Form von Achtsamkeitsmeditation und Meditation überhaupt. MBSR bietet sich an für Menschen, die sich einen weltanschaulich neutralen Zugang zu Meditation wünschen. Angeleitet durch eine moderne, säkulare Sprache lernen sie unter anderem, ihren Atem zu beobachten und zu sitzen „wie ein Berg“. MBSR beinhaltet das achtsame Verspeisen einer Rosine, die Konzentration auf den Atem, eine Body-Scan-Technik, die Beobachtung von spontan auftauchenden Gedanken und Gefühlen, Gehmeditation, Hatha-Yoga-Übungen und die „liebende Güte Meditation“. Der Meditationsforscher Peter Sedlmeier spricht von einem komplexen Mix aus kognitiven, körperlichen und emotionalen Komponenten.

MBCT: Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie

MBCT ist ein achtwöchiges achtsamkeitsbasiertes und kognitives Trainingsprogramm für Menschen mit Depressionserfahrungen. Sitzmeditation, achtsame Bewegung, Gehmeditation und Übungen zur Körperwahrnehmung gehören zum Programm. Der Ansatz wurde entwickelt vom Kognitionspsychologen Zindel V. Segal, Professor an der University of Toronto, Marc G. Williams, Professor für Molekulare Biophysik an der Northeastern University Boston und dem Achtsamkeitslehrer und Autor zahlreicher Fachbücher John T. Teasdale. MBCT leitet sich direkt aus psychologischen Forschungsergebnissen zum Rückfallgeschehen ab und wird in der S3-Leitlinie für die wissenschaftlich fundierte Therapie bei Depressionen als Rückfallprävention empfohlen.

MBPF: Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention bei Substanzabhängigkeit

MBPF ist ein Gruppenprogramm zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. Mit Achtsamkeitsübungen sollen Patienten ihre Trigger kennenlernen und sich darüber bewusst werden, in welchen Situationen sie dazu neigen, zu viel zu trinken oder Drogen zu konsumieren. Das Ziel der MBPF ist es, automatische Gewohnheitsreaktionen wie den Griff zum Glas Wein oder zur Schlaftablette zu unterbrechen und mehr Toleranz gegenüber unangenehmen Empfindungen zu entwickeln, etwa zu Traurigkeit, Wut oder Frustration. Die Therapeutinnen arbeiten mit ihren Patienten auch an einem ausgewogeneren Lebensstil und unterstützen sie, ihre Bedürfnisse kennenzulernen und auf gesunde Art zu erfüllen.

ACT: Akzeptanz und Commitment-Therapie

ACT wurde vom amerikanischen Psychiater Steven C. Hayes in den 1990er-Jahren entwickelt. ACT hat sich aus der Verhaltenstherapie entwickelt, basiert auf Achtsamkeit und verbindet neueste neurophysiologische Forschungsergebnisse mit buddhistischen Meditationstechniken. Vor allem beim Umgang mit Ängsten hat sich ACT bewährt. ACT-Therapeuten bringen ihren Patientinnen Atem- und Achtsamkeitsübungen bei, die ihnen helfen, unangenehme Körperempfindungen wie Schweißausbrüche, Herzklopfen oder Zittern einfach nur wahrzunehmen, statt sofort darauf zu reagieren. Dadurch entsteht eine neue Freiheit. „Dann könnten sie auch die Angst mitnehmen auf dem Weg zu ihren Zielen und ihren Alltag wieder als sinnvoll erleben“, erklärt der Psychologe Georg Eifert. Die Ziele und Werte der Patientinnen zu klären, ist neben der Akzeptanz die zweite tragende Säule der ACT, sie steckt im Wort „Commitment“.

DBT: Dialektisch Behaviorale Therapie

Die von der amerikanischen Psychologin Marsha M. Linehan in den 1980er-Jahren ursprünglich für die Behandlung von Borderline-Patientinnen entwickelte Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) basiert auf der kognitiven Verhaltenstherapie. In diese integrierte Linehan Achtsamkeitsmeditation, Strategien zu Stressmanagement und Selbstmitgefühls-Übungen.

Achtsamkeit trainieren mit diesen Übungen

Grundsätzlich verfügen wir alle über die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment achtsam und präsent zu sein. Dafür ist keine spezielle Begabung notwendig. Doch wie alle Fähigkeiten braucht auch Achtsamkeit Training. Wir sind es gewohnt, viele Dinge gleichzeitig zu tun und alles zu bewerten. Um Achtsamkeit zu entwickeln, brauchen wir Momente, in denen wir verlangsamen und uns auf das konzentrieren, was gerade geschieht

Die 5-4-3-2-1 Methode

Die 5,4,3,2,1 Methode ist ursprünglich eine Stabilisierungstechnik aus der Traumatherapie und kann in überfordernden Situationen helfen, uns ins Hier und Jetzt zu bringen.

  1. Auf fünf Dinge achten, die Sie sehen

  2. Auf fünf Dinge achten, die Sie hören

  3. Auf fünf Dinge achten, die Sie spüren

  4. Auf fünf Dinge achten, die Sie riechen

  5. Auf fünf Dinge achten, die Sie schmecken

Danach weitermachen mit vier Dingen, die Sie sehen, hören spüren etc. können, dann drei, dann zwei und schließlich den Fokus auf nur eine Sache richten.

Den Atem als Anker nutzen

Der Atem kann eine große Hilfe sein, sich nicht in Gedanken zu verlieren, in der Gegenwart anzukommen und sich gewissermaßen in diesem Moment zu „verankern“.

Setzen Sie sich aufrecht und entspannt hin. Spüren Sie den Kontakt der Füße mit dem Boden und das Gesäß auf der Sitzunterlage. Finden Sie eine Stelle oder einen Bereich im Körper, in dem Sie den Atem besonders leicht und deutlich spüren können. Verweilen Sie mit der Aufmerksamkeit einige Minuten an dieser Stelle. Versuchen Sie, den jeweils nächsten Atemzug vollständig wahrzunehmen.

Achtsames Zuhören

Versuchen Sie einmal, in einem Gespräch wirklich nur aufmerksam zuzuhören und das, was Ihr Gegenüber sagt, auf sich wirken zu lassen. Üben Sie sich in einer offenen, nicht wertenden Haltung. Widerstehen Sie dem Impuls, Ihr Gegenüber zu unterbrechen, Fragen zu stellen. Beobachten Sie, wie es sich anfühlt, mit voller Präsenz zuzuhören und mit Ihrer Aufmerksamkeit ganz bei Ihrem Gesprächspartner zu sein.

Die Kerzen-Übung

Zünden Sie eine Kerze an. Schauen Sie für ein paar Minuten direkt in die Flamme. Nehmen Sie wahr: Welche Form hat die Flamme? Welche Farbe? Wie bewegt sie sich. Wenn Ihre Gedanken abschweifen, nehmen Sie das zur Kenntnis und kehren mit Ihrer Aufmerksamkeit wieder zur Flamme zurück.

Achtsames Gehen

Wenn Sie zu Fuß unterwegs sind, nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit. Achten Sie auf das, was im Körper passiert, wenn Sie gehen. Wie fühlen sich die Fußsohlen an, wenn sie den Boden berühren? Wie ist der Boden beschaffen? Spüren Sie die Muskeln in den Beinen?

Achtsamkeit im Alltag

Im Alltag gibt es zahlreiche Gelegenheiten, Achtsamkeit zu praktizieren. Zum Beispiel morgens nicht gleich aus dem Bett springen, sondern noch einen Moment liegen bleiben und in den Körper spüren: Bin ich schläfrig oder energiegeladen? Ist mir kalt oder warm? Wie ist meine Stimmung? Beim Duschen den Wasserstrahl auf der Haut spüren oder wahrnehmen, wie sich die Haut nach dem Eincremen anfühlt. Wenn das Telefon klingelt, drei bewusste Atemzüge nehmen und erst dann rangehen. Die Mittagspause auch mal draußen verbringen auf einer Parkbank, das Essen in Ruhe genießen, langsam kauen, nachschmecken.

Quellen

Ursula Baatz: Achtsamkeit. Der Boom – Hintergründe, Perspektiven, Praktiken. Vandenhoeck & Ruprecht 2023

Marie Mannschatz: Die vier Grundlagen der Achtsamkeit: https://www.youtube.com/watch?v=8jxf9lsbCd8

Ether K. Papies u.a.: The benefits of simply observing: mindful attention modulates the link between motivation and behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 2015, 148-170

Michael Poulin: Mindfulness can make you selfish. But there is a way to prevent it. University of Buffalo, 13.04.2021

Lara M C Puhlmann u.a.: Contemplative mental training reduces hair glucocorticoid levels in a randomized clinical trial. Psychosomatic Medicine 83/8, 2021, 894-905.

Ronald E. Purser: Wie Achtsamkeit die neue Spiritualität des Kapitalismus wurde. Mabuse 2021

Simon Schindler: Ein achtsamer Blick auf den Achtsamkeits-Hype. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 27, 2020, 111-124

Roger Walsh, Shauna L. Shapiro: The meeting of meditative disciplines and Western psychology: A mutual enriching dialogue. American Psychologist 61,2006, 227-239

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