Juliane erzählt:
„Als Jugendliche wurde ich gemobbt, auch zu Hause hatte ich Stress. Um nicht noch angreifbarer zu werden, gab ich nach außen die Starke – und verletzte mich heimlich mit Rasierklingen. Ich trug nur noch lange Kleidung und ließ mich mit einem Attest vom Schwimmunterricht befreien, damit niemand meine Narben sah.
Nach Therapien und Klinikaufenthalten ging es mir endlich besser, aber meine Narben zu zeigen machte mir weiterhin Angst. Bis letzten Sommer Folgendes passierte:
Augen zu und durch!
Ich arbeite in einem Supermarkt im Bahnhof. Wie immer wollte ich mir zu Schichtbeginn ein Firmenshirt von der Kleiderstange nehmen. Aber an diesem Tag hingen dort nur Kurzarmshirts.
Mir brach der Schweiß aus. Wieder und wieder ging ich die Kleidung durch. Krankmelden war keine Option, ich war ja schon im Laden. Außerdem war ich zur Schichtleitung eingeteilt. ,Augen zu und durch!‘, sagte ich mir und ich beschloss, meine Narben als das Normalste der Welt anzusehen.
Ein Stammkunde fragte nach. ,Ich war lange krank‘, sagte ich. Das reichte ihm. Ein Kollege beglückwünschte mich: ,Schön, dass du endlich zu dir stehst.‘ Es war, als hätte er mich mit Worten umarmt.
Meine Entscheidung, die Narben zu zeigen, kam spontan. Rückblickend weiß ich, dass sie nur möglich war, weil ich insgesamt selbstsicherer bin: Wenn jemand im Laden klaut oder pöbelt, muss ich selbstbewusst auftreten. Kolleginnen und Kollegen haben mich darin unterstützt. Es gibt mir Sicherheit, dass sie mich mögen, wie ich bin. Letztlich war der Supermarkt das beste Training gegen meine Angst!“