Dröhnend fällt die Metalltür in das Schloss und teilt die Welt der Inhaftierten für eine gefühlte Unendlichkeit in ein Draußen und Drinnen. Die Festung der Einsamkeit misst 9 Quadratmeter Bodenfläche, alles darunter verstieße laut geltendem Recht gegen die Menschenwürde der Strafgefangenen. Teilen sich zwei Insassen einen Haftraum, werden jedem 7 Quadratmeter zugestanden.
Die Zelle ist Schlafraum, Wohnzimmer, Küche, Badezimmer und Toilette zugleich. Entlang der Wand befindet sich ein einfaches Metallbett…
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Wohnzimmer, Küche, Badezimmer und Toilette zugleich. Entlang der Wand befindet sich ein einfaches Metallbett mit durchgelegener Standardmatratze, plattgelegen von verschiedenen Vorbewohnerinnen. Tagsüber dient das Nachtlager als Sofa. Ein kleiner, schlichter Tisch und ein karger Stuhl markieren die Küche; in Armeslänge: ein klappriger Kleiderschrank. Aus der Wand ragt ein Waschbecken. Glücklich schätzen können sich jene, deren Toilette sich hinter einer Abtrennung verbirgt.
Es ist ein Zuhause mit nur einem Fenster. Doch nicht einmal dem Blick gelingt die Flucht: Das Fenster ist vergittert und häufig so hoch angeordnet, dass man von jeder Position im Raum aus gerade mal einen Teil des Himmels sehen kann.
Leben in muffiger Luft
Diesem Gebäude konnte ich damals in meiner Tätigkeit als Psychologin in der Untersuchungshaftanstalt in Hamburg nach Feierabend immer wieder entkommen. Den hunderten dort Inhaftierten war dies jedoch nicht möglich. Die Gefängniszelle ist für längere und manchmal auch sehr lange Zeit das erzwungene Zuhause von über 42000 Personen in 172 Justizvollzugsanstalten in Deutschland.
Reise ich gedanklich zurück in jene Zeit, rieche ich, bevor die abgespeicherten Bilder auftauchen, die dauerhaft muffige Luft, eine Mixtur aus Feuchtigkeit, vermischt mit abgestandenem Schweiß- und Zigarettengeruch, versetzt mit einem undefinierbaren leicht beißenden Unterton, den ich so nirgendwo wahrgenommen habe. Dieser unangenehme Geruch setzt sich in der Kleidung und in den Haaren fest und ummantelt alle Gegenstände. In der Arrestzelle herrscht Stille, die immer wieder durch das Klirren von Schlüsseln, Schritten und das Zuknallen der massiven Metalltüren entlang der Flure durchbrochen wird.
Mangel an Vertrautheit
Die Gefängniswelt ist ein dauerhafter Stressor, der psychisch und physisch krank machen kann: die viele Zeit mit sich allein, ein allgemein vorherrschendes Grundmisstrauen, das in jeder Begegnung spürbar ist. Es herrscht ein Mangel an Beschäftigungs- und Ablenkmöglichkeiten, an vertrauten sozialen Kontakten, an körperlicher Nähe – hinzu kommt das Abgeschnittensein von dem bisherigen Zuhause. Auch das Machtgefälle belastet viele Inhaftierte und führt zu Resignation oder Aggressionen. Ohne Schlüssel geht im Gefängnis nichts, denn alle paar Meter ist eine weitere Tür zu öffnen. Und diese Macht haben nur die Schließer, wie Justizvollzugsbeamtinnen von den Inhaftierten nicht immer liebevoll genannt werden.
Wenn Räume keine Rückzugs- und Erholungsmöglichkeit bieten, machen sie uns im schlimmsten Fall krank. Im Gefängnis ist man immer unter Beobachtung, und auch die Zelle bietet nur bedingt Privatheit. Es kann jederzeit ein Vollzugsbeamter ungefragt hineinkommen und diese auch unangekündigt durchsuchen. Das führt zu einer chronischen Daueranspannung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins.
Gerade in Zellen mit mehreren Inhaftierten sind Nähe und Distanz nicht gut regulier- und kontrollierbar. Die unmittelbare Nähe anderer Personen bis hin zur Unterschreitung des persönlichen Raums, unseres personal space, ruft physiologische Erregung hervor. Dadurch entfachen sich Konflikte schneller.
Weniger eingesperrt, mental freier
Das Gefängnis ist ein besonderer Ort. Aufgrund der Wahrung von Sicherheit und Ordnung funktioniert alles nach strikten Regeln und es gibt wenig Raum für Flexibilität und Abwechslung. Die Zeit abzusitzen in der Monotonie der Tagesabläufe mit geringer Umweltstimulation führt oft zu innerer Leere, Hoffnungslosigkeit oder Ängsten.
Eine britische Studie aus den 70er Jahren ging der Frage nach, welche Belastungen mit einer Langzeitinhaftierung einhergehen. Sie ergab: Das Gefühl, dass die Zeit stillsteht, hängt eng mit den begrenzten Wahrnehmungsqualitäten wie beispielsweise wenig abwechselnden Farben, Licht und Geräuschen zusammen. Die Stunde im Gefängnishof ist für viele Inhaftierte die einzige Zeit, direktes Tageslicht und so etwas wie Natur zu erleben, um sich dadurch weniger eingesperrt und physisch wie auch mental freier zu fühlen.
Angemessene psychische Stärkung
Das Leben im Gefängnis ist ein Spannungsfeld: Aufgabe des Justizvollzugs ist, Gefangene auf ein eigenverantwortliches Leben ohne Straftaten vorzubereiten und die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Das Resozialisierungsziel benötigt aber humanere und realistischere Bedingungen für Inhaftierte.
Der Verhaltenswissenschaftler Lawrence E. Fraley schlägt das Gefängnis als eine realistische Abbildung der Lebensbedingungen unserer Außenwelt mit Jobs, Ausbildungen und sozialen Verpflichtungen unter kontrollierten Bedingungen vor. Laut Fraley würden Inhaftierte sich in ihre Umwelt einbringen und durch die psychische Stärkung ein angemessenes Sozialverhalten erlernen. Ein Modell, das das Ziel des Strafvollzugs nach Resozialisierung ernst nimmt und nicht nur theoretisch im Strafvollzugsgesetz auflistet.
Dass die notwendige Sicherheit auch mit einer menschengerechten Umgebung in der Gefängniswelt einhergehen kann, zeigt das 2013 eröffnete Gefängnis Heidering in Großbeeren. Der begrünte Außenbereich und das mit viel Glas gestaltete Gebäude lassen zu, dass die Inhaftierten die Außenwelt und den Wechsel der Jahreszeiten mehr mitbekommen. Gerade der Haftraum als privater Rückzugsraum mit großen Fenstern, hellen Möbeln und freundlichen Farbakzenten macht das erzwungene Zuhause für die Inhaftierten etwas angenehmer.
Melanie Fritze ist Architektur- und Wohnpsychologin mit den Schwerpunkten erholsames Wohnen und erfolgreiches Hausbauen. Sie bietet zudem einen Onlinekurs zu dem Thema Homeoffice an. Fritze ist Vorstandsmitglied im Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (IWAP) in Österreich.
Quellen
Harald Deinsberger-Deinsweger: Habitat für Menschen. Der menschengerechte Lebensraum. Pabst Science Publishers 2020
Herbert Reichl: Humane Lebenswelten. Eine Psychologie des Wohnens und des Planens 2014
Antje Flade: Wohnen psychologisch betrachtet. Huber Verlag 2006
Irene Marti: Doing Indefinite Time. An Ethnography of Long-Term Imprisonment in Switzerland. Springer Nature 2023
Stanley Cohen & Laurie Taylor: Psychological survival: The experience of long-term imprisonment. Penguin Books 1972
L.E. Fraley: Behavioralogical corrections: a new concept of prison from a natural sciense discipline. Behavior and Social Issues, Volume 4, No.1 & 2 1994