Sechs Auszeiten gegen Stress

Psychologie nach Zahlen: Musikhören oder Basteln? Sechs den Geist absorbierende Beschäftigungen, denen Menschen nachgehen, um sich zu entspannen

Ein Mann sitzt im Schneidersitz und strickt mit schwarzer Wolle, während über ihm ein schwarzer Wollknäuel istl
Ein anstrengender Tag im Büro kostet Kraft und hinterlässt Stress. Zur Entspannung am besten stricken! © Till Hafenbrak für Psychologie Heute

Tanzen gehen, sich in einen Roman versenken, eine Decke häkeln, ein Opernabend, gärtnern, die Gitarre hervorkramen oder ein Quiz lösen: Irgendeine Auszeit, die uns in eine kreative Parallelwelt entführt, findet sich für fast jede und jeden. 46 Prozent der Bevölkerung setzen solche kleinen Fluchten aus dem täglichen Getümmel sogar aktiv ein, wenn sie sich gestresst oder ängstlich fühlen.

Das hat jüngst eine für die USA repräsentative Befragung von 2202 Erwachsenen ergeben. Offenbar liegen die Betreffenden mit dieser Strategie nicht ganz falsch, denn jene Befragten, die ihre psychische Gesundheit als gut oder exzellent bezeichneten, gingen solchen kreativen Freizeitbeschäftigungen häufiger nach als die anderen. „Kreative Aktivitäten helfen uns, einen Schritt zurückzutreten vom Alltagstrott, unsere Gehirne mal auf eine andere Weise zu beschäftigen und zu entspannen“, kommentiert Petros Levounis, der Präsident der American Psychiatric Association, die die Umfrage in Auftrag gegeben hat.

Hier die sechs Aktivitäten, die dort am häufigsten genannt wurden – und einige Studienergebnisse, die bestätigen, dass all dies wirklich entspannend wirkt.

1 Musikhören

Sich im Sessel oder auf der Couch ausstrecken und Musik genießen – mit 77 Prozent Nennungen stand das mit Abstand an der Spitze der persönlichen Hausmittel gegen Stress. Und das deckt sich mit vielem, was die Wissenschaft herausgefunden hat. „Musik hat sich als effektiv beim Abbau von Sorgen und Angst erwiesen“, schreibt Hans-Eckhardt Schaefer von der Universität Stuttgart in einem Forschungsüberblick zu der emotionalen Macht der Klangwelten.

In einem der Experimente hörten die Versuchspersonen in einem Hirnscanner ihre Lieblingsmusik. Während die Berieselten über Erschauern und Gänsehaut berichteten, zeigte der Monitor rege Betriebsamkeit in Hirnbereichen des Belohnungssystems wie dem Nucleus accumbens. Aus anderen Studien weiß man, dass als angenehm und euphorisierend empfundene Musik im Körper Endorphine freisetzt und das parasympathische Nervensystem aktiviert, das den Organismus auf Entspannung einstellt.

2 Rätsellösen

Knapp 40 Prozent der Befragten fanden es entspannend, sich in einer Zeitschrift oder am Handy in ein Rätselspiel zu vertiefen. Aber ist das nicht eher stupid als kreativ? Keineswegs. Knobelaufgaben nach dem Motto „Um die Ecke gedacht“ fordern das Hirn semantisch heraus, Sudokus regen das logische Denken an. Und selbst Kreuzworträtsel scheinen den Geist auf Trab zu halten.

Das bestätigte 2022 eine amerikanische Studie, an der 107 äl­tere Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen teilnahmen.

Doch wirken Knobelaufgaben denn auch entspannend? Durchaus, wie britische Forscherinnen 2019 zeigten. Studierende wurden zunächst mit einem Mathetest traktiert und durften dann bei einem Tetris-ähnlichen Videospiel oder einer Achtsamkeits-App abschalten. Nach dem Spiel, bei dem geometrische Formen passgenau zusammenzufügen waren, fühlten sie sich wieder energiegeladener und weniger müde. (Die Achtsamkeitsübungen hingegen machten eher schläfrig.) Auch nach einem Arbeitstag wirkte das Videospiel entspannend. Ein Team der Universität Bochum und des Karolinska-Instituts fand bei 20 stationär behandelten traumatisierten Personen sogar Hinweise, dass ein gezieltes Tetris-Training die überfallartigen Erinnerungsbilder an das Trauma linderte.

3 Singen und Tanzen

Durch die Wohnung tanzen oder vor sich hin singen, vielleicht auch gezielt tanzen gehen oder im Chor singen – das war für ein Viertel der Befragten ein probates Mittel gegen die Anspannung. Tatsächlich ist Tanzen ein bewährtes Element in Körper- und Bewegungstherapien. Auch Chorsingen wird bei psychischen und körperlichen Erkrankungen therapeutisch eingesetzt, etwa von dem Musiktherapeuten Wolfgang Bossinger. Sogar neurobiologisch ist die entspannende Sangeswirkung nachgewiesen. Beim Singen wird der stimmungsaufhellende Botenstoff Serotonin ausgeschüttet sowie das Hormon Oxytocin, das ein Gefühl von Bindung und Geborgenheit vermittelt.

4 Zeichnen, Malen, Bildhauern

Die bildenden Künste sind ein vergleichsweise anspruchsvolles Hobby. Umso erstaunlicher, dass es laut Umfrage immerhin 24 Prozent als entlastend empfinden, etwas zu zeichnen, zu malen oder zu skulpturieren. Kunsttherapie wird bisweilen als Begleitbehandlung bei psychischen Störungen eingesetzt, ihre Effekte wurden bislang aber nicht sehr systematisch untersucht. Ein chinesisches Forschungsteam sichtete unlängst 413 wissenschaftliche Arbeiten und kam zu dem Schluss: Es hilft – bei Depressionen und Ängsten, selbst bei Demenz, Schizophrenie und Autismus. Es lindert die Symptome und erleichtert den Betroffenen, „sich zu öffnen und ihre Gefühle, Ansichten und Erfahrungen zu teilen“.

5 Basteln

Manche kleben Modellschiffe zusammen, andere errichten Streichholztürme, wieder andere stricken Fingerpuppen: 19 Prozent basteln, wenn sie abschalten wollen. Im klinischen Setting firmiert das bisweilen noch immer unter dem abwertenden Label „Beschäftigungstherapie“. Dabei ist Basteln nachweislich eine ausgesprochen fokussierende und entkrampfende Tätigkeit.

Das hat jetzt ein neurowissenschaftliches Team aus Japan nachgewiesen. Während 30 gesunde Personen in Bastelarbeiten vertieft waren, zeigten ihre Gehirne ein für Konzentration typisches Wellenmuster. Zudem stieg die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das Körper und Geist auf Ruhe einstimmt. Besonders effizient war das Basteln in der Gruppe.

6 Schreiben

658 Studentinnen und Studenten der University of Otago in Neuseeland führten 13 Tage lang Tagebuch über das, was sie so alles unternommen und wie sie sich dabei gefühlt hatten. Beim Auswerten der Daten fanden die Psychologin Tamlin Conner und ihr Team ein auffälliges Muster: Hatten die Studierenden etwas Kreatives unternommen, wirkte dies emotional nach: Am folgenden Tag blühten sie regelrecht auf, fühlten sich vitaler und mehr im Einklang mit sich selbst. An der Spitze der kreativen Lieblingstätigkeiten – das hatten die Forschenden bereits in Vorgängerstudien ermittelt – stand für die jungen Leute das Schreiben von Songs, Gedichten, kurzen Erzählungen, Autobiografischem. In der APA-Umfrage landete das Schrei­ben mit 16 Prozent immerhin auf Rang sechs der kreativen Stresspuffer.

Quellen

New APA Poll: Americans Who Engage in Creative Activities at Least Weekly Report Better Mental Health. 6. Juli 2023. https://www.psychiatry.org/news-room/news-releases/new-apa-poll-americans-who-engage-in-creative-acti

Hans-Eckhardt Schaefer: Music-evoked emotions – Current Studies. Frontiers in Neuroscience, 11/600, 2017

D. P. Devanand u.a.: Computerized Games versus Crosswords Training in Mild Cognitive Impairment. NEJM Evidence, 1/12, 2022

Emily Collins u.a.: Digital Games and Mindfulness Apps: Comparision of Effects on Post Work Recovery. JMIR Mental Health, 6/7, 2019

Henrik Kessler u.a.: Reducing intrusive memories of trauma using a visuospation interference intervention with inpatients with posttraumatic stress disorder (PTSD). Journal of Consulting and Clinical Psychology, 86/12, 2018, 1076–1090

Andreas Schrank: Vom Glück des Singens. Psychologie Heute, 11/2019

Jingxuan Hu u.a.: Art Therapy: A Complemantary Treatment for Mental Disorders. Frontiers in Psychology, 12, 2021, 686005

Junya Orui u.a.: Social Buffering Effects during Craft Activities in Parallel Group Session Revealed by EEG Analysis and Parasympathetic Activity. Neuropsychology, 1–13. August 2023

Tamlin S. Conner u.a.: Everyday creative activity as a path to flourishing. The Journal of Positive Psychology, 13/2, 2016, 181–189

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