Seit Jahren schießen sie aus dem Großstadtboden wie die Pilze: Co-Working-Spaces. Ob als kleines Büro mit einer Handvoll Personen oder als Ableger einer großen Kette mit über 300 Arbeitsplätzen – die Zahl neuer Co-Working-Spaces wächst und wächst, inzwischen sogar auf dem Land. Betreten Sie einen, werden Sie meist freundschaftlich am Empfang begrüßt.
Dahinter erstrecken sich große, zumeist stilvoll eingerichtete Räume, in denen sich vor allem eines findet: Schreibtische. An einigen davon wird konzentriert…
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vor allem eines findet: Schreibtische. An einigen davon wird konzentriert gearbeitet, woanders geplaudert oder mit zusammengesteckten Köpfen hinter Bildschirmen diskutiert. Man hört Tastaturgeklapper, das Sprudeln eines Wasserkochers, im Konferenzraum nebenan telefoniert jemand angeregt. Und wenn man genau hinhört, nimmt man vielleicht sogar das regelmäßige Klacken eines Tischtennisballs wahr. Klingt nach einem etwas hipperen Großraumbüro? Nicht ganz.
Aussicht auf unbegrenzten Hafermilch-Cappuccino
Das Konzept der Co-Working-Spaces entstand 2005 in San Francisco. Sie sollten Freiberuflichen die Möglichkeit geben, neben der Flexibilität, die das Arbeiten allein mit sich bringt, auch die Struktur und das Gemeinschaftsgefühl einer Kollegschaft zu erleben. Hierzu werden Arbeitsplätze bereitgestellt, die je nach Bedarf langfristig, tage- oder stundenweise gemietet werden können.
Dabei variiert die Ausgestaltung ganz enorm, genauso wie der Preis für eine Mitgliedschaft (ein Platz kostet zwischen 100 und 450 Euro monatlich). Mal findet man nicht mehr als ein paar Tische mit Steckdosen, mal edle Designermöbel, eine Relax-Area mit Sofas und Sitzsäcken oder ein hauseigenes Café, in dem Hafermilch-Cappuccino geordert werden kann. Coffee-Flat für nur 30 Euro pro Monat buchbar.
Die Aussicht auf unbegrenzten Hafermilch-Cappuccino mag ja verlockend sein – sie allein begründet nicht den großen Zulauf der Co-Working-Spaces. Die Zahl der Co-Workerinnen hat sich in den letzten zwei Jahren beinahe verdoppelt. Bis 2024 wird mit etwa 5 Millionen Nutzenden weltweit gerechnet.
Um zu verstehen, was Menschen dort suchen, ist es zunächst wichtig zu wissen, wer diese typischerweise sind. Das Angebot richtete sich ursprünglich vor allem an Wissens- und Digitalarbeitende, die ihre Arbeit theoretisch von überall aus erledigen können. Seit der Coronapandemie haben noch mehr Menschen die Vorzüge, aber auch die Schwierigkeiten des Remote-Arbeitens kennengelernt. Das Homeoffice wimmelt nur so von potenziellen Ablenkungen. Zudem fällt die Trennung von Arbeit und Privatleben umso schwerer, je enger diese räumlich miteinander verknüpft sind. Wenn der Schreibtisch neben dem Bett steht und im Hintergrund des Zoom-Meetings die Katze umherläuft, verschwimmen die Grenzen.
Sport im Coworking-Studio, Bier in der Coworking-Bar
Die Arbeit in sogenannte third places zu verlegen, also Orte, die weder der klassische Arbeitsplatz noch das private Zuhause sind, gestaltet sich häufig schwierig. In Cafés ist es oft zu laut oder das Internet zu schlecht; in Bibliotheken setzen die strenge Ruhe und unflexible Öffnungszeiten einem Grenzen. Co-Working-Spaces hingegen bieten ein Umfeld, in dem konzentriert und professionell gearbeitet werden kann.
Doch ein Schreibtisch außerhalb der eigenen vier Wände ist auch noch nicht das, was das Co-Working-Konzept ausmacht. Mehrere Studien zeigen, dass die Remote-Arbeitenden über Gefühle sozialer Isolation, Probleme bei der Selbstmotivation und einen Mangel an Unterstützung klagen. Auf die Frage, was Co-Workerinnen in dieser neuen Form des Arbeitsplatzes suchen, antworten viele: eine Community! Es geht um das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, in einem zwanglosen Rahmen Ideen auszutauschen, sich zu vernetzen und zu unterstützen.
Wer im Co-Working-Space auf einen netten Plausch am Snackautomaten setzt, kann mit Menschen aus verschiedenen Berufen und Branchen in Kontakt kommen: Webdesignerinnen, Journalistinnen, Start-up-Gründerinnen und Informatikerinnen. Was sie verbindet, ist, allein und flexibel zu arbeiten – aber auch der Wunsch nach einem Miteinander. Gerade deshalb verstehen sich viele Co-Working-Spaces als Gemeinschaftsräume und bieten regelmäßige Events wie Workshops, Lesungen und Projektpitchs an. Doch Achtung: Wenn künftig das Feierabendbier in der Co-Working-Bar getrunken wird, man am Wochenende an Werbeworkshops teilnimmt und das integrierte Fitnessstudio nutzen kann – wo bleibt dann die Work-Life-Grenze?
Ein Übermaß an Community
Zwar können solche Freizeitangebote zu höherer Zufriedenheit, Verbundenheit und Produktivität führen, jedoch ist ein gewisses Maß an Disziplin nötig, um sie sinnvoll wahrzunehmen und die Arbeit am Ende des Tages hinter sich lassen zu können. Und damit auch den Arbeitsplatz. Natürlich bietet nicht jeder Co-Working-Space Freizeitangebote in diesem Umfang an.
Eine Befragung deutscher Co-Workerinnen zeigt: Das Wichtigste ist, dass es passt. Stimmen das Bedürfnis nach und das Angebot von Gemeinschaftserleben überein, so wirkt sich das positiv auf die Arbeitszufriedenheit aus. Das bedeutet aber auch: Mehr ist nicht gleich besser. Bei zu viel Communityangeboten kann sozialer Druck entstehen oder die Konzentration leiden. Denn so ein aktiver Gemeinschaftsraum bringt auch eine aktive Geräuschkulisse mit sich.
Das hält den Trend unter Solo- und Remote-Arbeitenden jedoch nicht auf. Denn so verlockend die Verheißungen von Autonomie, Flexibilität und Unabhängigkeit auch scheinen, das Soloarbeiten hat seine Schattenseiten. Co-Working-Spaces versuchen darauf einzugehen, indem sie ein Umfeld bieten, dass zum Arbeiten, aber auch zum Austausch einlädt. Und zu Hafermilch-Cappuccino.
Eileen Lashani ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Universitätsklinikum Jena. Im Rahmen ihrer psychologischen Abschlussarbeit erforschte sie die Bedürfnisse von Menschen in Co-Working-Spaces. Mittlerweile ist sie im Bereich der Emotions- und Bindungsforschung tätig.
Quellen
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Lyndon E. Garrett et al.: Co-constructing a sense of community at work: The emergence of community in Co-Working-Spaces. Organization studies 38/6, 2017, 821–842. DOI: 10.1177/0170840616685354
Eileen Lashani, Hannes Zacher: Do we have a match? Assessing the role of community in Co-Working-Spaces based on a person-environment fit framework. Frontiers in psychology, 12, 2021, 1–15. DOI: 10.3389/fpsyg.2021.620794
Clay Spinuzzi: Working alone together: Co-Working as emergent collaborative activity. Journal of business and technical communication 26/4, 2012, 399–441. DOI: 10.1177/1050651912444070