„Patienten wollen Freundschaft, keine Therapie.“

Eine gute Beziehung ist Grundlage für späteren Therapieerfolg. Doch manche Klienten übersehen den professionellen Kontext; das stört Esther Pauchard.

Die Illustration zeigt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin, Esther Pauchard, die stört, dass Patienten Freundschaft wollen, keine Therapie
Esther Pauchard ist Fachärztin für ­Psychiatrie, Psychotherapeutin und Verfasserin von ­Kriminalromanen und Sachbüchern. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Wer braucht schon Freunde, wenn er eine Therapeutin hat? Therapeuten sind toll. Sie haben immer Verständnis und interessieren sich für jede meiner Regungen. Wer sonst hört mir eine Stunde zu, ohne eigene Ansprüche zu stellen? Wer sonst stellt sich ganz und gar in den Dienst meines persönlichen Wohlbefindens? Und wenn sie doch mal aufmüpfig werden sollten und mir Dinge sagen, die ich nicht hören mag, dann lass ich ihnen eine schlechte Bewertung da. Ich bin ja schließlich ein zahlender Kunde, nicht wahr?

Falsch gedacht.

Ja, der Austausch mit Therapeutinnen ist (im Idealfall) angenehm. Aber wer aus diesem Wohlgefühl heraus darauf schließt, dass therapeutische Beziehungen den echten anspruchsvollen und anstrengenden privaten Beziehungen gleichzusetzen sind, hat etwas Wesentliches nicht verstanden.

„Aber ich habe doch sonst niemanden!“

Die Therapiebeziehung zeichnet sich durch einige maßgebliche Unterschiede zu privaten Beziehungen aus. Sie funktioniert im Einbahnmodus, es geht immer um den Patienten oder die Patientin. Das ist eine künstliche Situation, die in zeitlich und räumlich limitiertem Rahmen nur einem einzigen Zweck dient: der Behandlung von psychischen Krankheiten. Und wenn dieser Zweck erreicht ist, dann endet die therapeutische Beziehung wieder.

Eine therapeutische Beziehung ist in sich authentisch, aber nicht echt. Der Therapeut begegnet dem Patienten in einer Berufsrolle, quasi in Uniform. Er ist Behandler. Nicht Klagemauer, nicht Zapfsäule, nicht Guru, nicht applaudierendes Publikum. Nicht Angehöriger, nicht Freund. Nur Behandler.

„Aber ich habe doch sonst niemanden!“, klagt eine Patientin in der Sitzung. „Da muss ein Irrtum vorliegen“, entgegne ich, „denn Sie ,haben‘ auch mich nicht.“

Brutal? Vielleicht. Aber ehrlich. Und mehr als das: Wohlwollend. Denn ich wünsche mir für meine Patientin mehr als eine Illusion. Ich wünsche ihr mehr als nur einen schalen Abklatsch von Freundschaft, mehr als eine zurechtgezimmerte Wellness-Konsum-Variante von Beziehung.

Wer gesehen werden möchte, muss andere sehen können

Wer Freunde haben will, muss ein Freund sein. Wer gesehen und wertgeschätzt werden möchte, muss andere sehen und wertschätzen können, wer gehört werden möchte, muss zuhören können. Echte, tragende Beziehungen beruhen auf Gegenseitigkeit, auf einem schwebenden Gleichgewicht aus Geben und Nehmen. In echten Beziehungen sind wir einander Spiegel. Sie sind kein Konsumgut, sie arten in harte Arbeit aus. Aber Mann, es lohnt sich!

All das wünsche ich meiner Patientin. Deshalb lasse ich nicht zu, dass ihre Finger sich an mir festklammern, deshalb ziehe ich eine Grenze, wenn sie meine Behandlung als Bühne oder „Platz“ missversteht. Deshalb konfrontiere ich sie unverblümt mit der Realität: Eine Therapiebeziehung ist ein wirksames Werkzeug, aber sie darf niemals alleiniger Behandlungszweck werden. Eine Therapiebeziehung ist niemals privat. Niemals.

Und dann schicke ich meine Patientin auf den Weg in ihr eigenes, echtes Leben. In dem klaren Bewusstsein: Da draußen wartet etwas viel Besseres auf sie, als ich ihr jemals geben könnte.

Esther Pauchard ist Fachärztin für ­Psychiatrie und Psychotherapeutin. Sie lebt in Thun in der Schweiz und verfasst ­Kriminalromane und Sachbücher.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2024: Bin ich gestresst oder habe ich ADHS?
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