Wir alle kennen einige schwierige Menschen: Sobald man darüber nachdenkt, kommt einem vielleicht die enge Freundin in den Sinn, die ständig über ihre Lage jammert, von einer Katastrophe in die nächste stolpert und dann Hilfe erwartet. Oder man denkt an den Besuch beim älteren Onkel, der einen abweisend und mürrisch begrüßt, jeden Handgriff beim Tischdecken kontrolliert, bei jedem Gesprächsthema anderer Meinung ist. Ganz zu schweigen von herausfordernden Begegnungen im Job, wo sich die cholerische Chefin so…
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Meinung ist. Ganz zu schweigen von herausfordernden Begegnungen im Job, wo sich die cholerische Chefin so im Ton vergreift, dass alle sie hinter ihrem Rücken „der Vulkan“ nennen. Und in Liebesbeziehungen gibt es ohnehin immer mal Momente, in denen man sich fragt, ob der Partner oder die Partnerin nicht doch zu den besonders komplizierten Mitmenschen gehört – etwa wenn der vermeintliche Lieblingsmensch nach einem Streit ewig schmollt und schweigt, obwohl man sich ausdrücklich wünscht, sich noch einmal auszusprechen.
Beziehungen, die Kraft kosten
Auch wenn diese Beispiele unterschiedlich sind, aus psychologischer Sicht lassen sie sich auf einen Nenner bringen: Alle Situationen zeigen Facetten von sozialer Negativität, laut den Psychologinnen Kathryn P. Brooks und Christine Dunkel Schetter definiert als „ein Verhalten des Gegenübers, das einen direkt betrifft und beeinflusst und das man als unangenehm und unerwünscht wahrnimmt“. Die Wissenschaftlerinnen belegten in Studien, dass zwar jede Beziehung ein Mix aus positiven und negativen sozialen Momenten ist, manche Kontakte aber besonders schwierig sind. Diese Beziehungen verminderten das Wohlbefinden und kosteten Kraft. Das ist sogar körperlich messbar: Wenn Studienteilnehmerinnen in ihren sozialen Beziehungen häufig kritisiert, gefordert und wenig unterstützt wurden, waren Entzündungswerte und Stresshormonspiegel im Blut erhöht. Andere Studien zeigen ähnliche Zusammenhänge – allzu negative Beziehungen laugen uns aus.
Da ist es kein Wunder, dass wir darauf achten, ob andere uns mit ihrem Verhalten übermäßig belasten. Und wissen wollen, ob das schwierige Verhalten von Bezugspersonen im grünen, gelben oder roten Bereich liegt. Dementsprechend gibt es eine Bandbreite an Fachliteratur von Konflikt- und Kommunikationsexpertinnen, die einordnet, wie man mit herausfordernden Mitmenschen umgehen kann, worauf es zu achten gilt und wann es bedenklich wird. Das Bedürfnis nach Orientierung spiegelt sich auch in den sozialen Medien wider, wo Listen mit red flags kursieren, also mit Alarmsignalen, die darauf hindeuten, dass neue private oder berufliche Beziehungen sich schwierig gestalten könnten.
Red Flags: Frühwarnsystem beim Dating
Vor allem beim Dating spielt dieses Frühwarnsystem eine Rolle: In einer Umfrage des Portals Parship unter 10000 Nutzern und Nutzerinnen gaben 48 Prozent an, dass für sie eine „negative Lebenseinstellung“ ein schlechtes Zeichen bei potenziellen Partnern sei. Andere häufig genannte Red Flags waren „meldet sich nicht von sich aus“ oder „macht nie Kompromisse“. Der dringende Wunsch, unvertraute Menschen schnell einschätzen zu können, mag auch damit zusammenhängen, dass Dating durch Portale so einfach geworden ist und viel genutzt wird. Dazu gibt es hierzulande heute etwa 41 Prozent Singlehaushalte. Auch im Job ist die Taktung an Neuerungen hoch. In vielen Firmen gehört es dazu, sich ständig auf andere Leute einzustellen. Kein Wunder, dass man schnell wissen will, mit wem man es zu tun hat.
Erst recht, wenn man in den Begegnungen mit anderen ein Störgefühl entwickelt: „Wann immer wir uns von jemandem irritiert oder überrumpelt fühlen, ist es menschlich, den anderen erst mal als schwierig zu bezeichnen“, sagt Henning Röper, systemischer Psychotherapeut und Experte für Familien, Paare und Teams. Die Haltung „Der andere ist blöd, ich habe recht“ sei eine erste, schnelle Reaktion. Sie diene dazu, den Selbstwert und sich selbst zu schützen. Denn sobald wir jemandem das Label schwierig angeklebt haben, werden wir wachsam.
Diese Aufmerksamkeit können wir brauchen, um uns abzugrenzen oder die Kommunikation gezielt in eine andere Richtung zu lenken. Denn mit schwierigen Begegnungen ist es laut Röper, „als würde man von der Hauptstraße auf den Feldweg abbiegen. Dann bremst man von 80 auf 30 und schaut genau, wie man die Piste bewältigen kann.“ Aus der Forschung zu Stereotypen weiß man seit langem, dass eine verkürzte Sicht auf andere erst einmal handlungsfähig macht. Dabei sollte man es allerdings nicht belassen. In einem zweiten Schritt ist es sinnvoll, sich differenzierter und auch selbstkritischer mit heiklen Begegnungen auseinanderzusetzen.
Konflikt
Wenn in einer Interaktion widerstreitende Auffassungen, Vorstellungen und Bedürfnisse aufeinanderprallen, spricht man von einem sozialen Konflikt. Der Organisationsberater Friedrich Glasl hat unterschiedliche Stufen definiert: Es beginnt mit Spannungen, die sich meist noch lösen lassen. Wenn sich Konflikte aber verfestigen, gibt es eine Abwärtsspirale, die Aggression nimmt zu, Zerwürfnisse sind vorprogrammiert. Laut Glasl ist es deshalb wichtig, bei aufziehenden Konflikten zügig zu handeln – in Unternehmen ebenso wie in privaten Beziehungen
„Schubladendenken kann sowohl hilfreich als auch schädlich sein“, sagt die Konfliktberaterin Ursula Wawrzinek. Bei ihrer Arbeit falle ihr häufig auf, dass es in vielen Unternehmen einige wenige Personen gibt, die bei allen als schwierig gelten. Oft werde die Einschätzung wie ein Warnschild für Neulinge und Unwissende genutzt, nach dem Motto „Vorsicht, hier musst du aufpassen“. Ein gutes Beispiel sei die cholerische Chefin, der bereits im Flurfunk ein Ruf vorauseilt. „Es reicht aber, es bei dieser kurzen Warnung zu belassen“, sagt Wawrzinek.
Wenn Grüppchen sich stattdessen immer weiter auf die kräfteraubende Chefin fokussierten, langatmig analysierten, wie narzisstisch, unfähig oder verrückt sie sei, werde der Bogen überspannt. Das verschärfe Konflikte, lenke die Wahrnehmung immer mehr auf die schwierigen Seiten einer Person – und lähme auf Dauer alle Beteiligten. Denn Lästern hat einen ambivalenten emotionalen Sog: Die Verhaltenswissenschaftlerin Elena Martinescu von der Vrije Universiteit Amsterdam fand in Befragungsstudien heraus, dass negatives Reden über andere zwar auf der einen Seite den Selbstwert stabilisiert, auf der anderen Seite aber auch das Bedürfnis nach Selbstschutz vergrößert. Die Ergebnisse legen nahe, dass es uns im Umgang mit schwierigen Menschen eher schwächt, wenn wir minutiös deren Seelenleben oder Charakter analysieren. Auf Dauer werden Unbehagen, Misstrauen und Ohnmachtsgefühle dann größer.
Manipulativ, impulsiv, kränkbar
Das heißt aber nicht, dass wir die schwierigen Begegnungen ausblenden sollten. Im Gegenteil: Nach dem ersten, schnellen Urteil ist es ratsam, in einer langsamen, eher beobachtenden Haltung zu erkunden, was den betreffenden Kontakt so belastend macht. „Dazu hilft es, den Blick bewusst weg von der Person und hin zur Interaktion zu lenken“, erklärt Psychologe Henning Röper.
Beobachten wir Sätze, Gesten, Gefühle und Dynamiken im Kontakt, wird oft erstmals greifbar, was die Begegnung schwierig macht. Es zeigt sich, wo wir uns konkret abgrenzen und wo wir Einfluss nehmen können. Der Verhaltenstherapeut Rainer Sachse, Experte für Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen, unterscheidet drei Arten schwieriger Interaktion, auf die man achten kann.
Drei Arten schwieriger Interaktion
Erstens: impulsive Reaktionen, von denen man sich überrumpelt oder eingeschüchtert fühlt. Die cholerische Chefin würde hierhin passen, aber auch Menschen, die sprunghaft und ambivalent in Entscheidungen oder Gefühlsäußerungen sind.
Zweitens: Manipulationsversuche, also alle Verhaltensweisen, mit denen andere uns verdeckt zu etwas bringen wollen, was wir zunächst nicht möchten. Zum Beispiel die jammernde Freundin, die insistiert, dass man ihr helfen müsse – worauf man zu spät merkt, dass man dabei über eigene Grenzen gegangen ist.
Die dritte schwierige Art der Interaktion sind sogenannte hyperallergische Reaktionen: Wenn das Gegenüber in einer eigentlich alltäglichen Situation vollkommen ärgerlich, beleidigt oder abwertend reagiert, bekommt man schon deshalb Stress, weil man nicht durchschaut, was gerade passiert – und wie man sich verhalten könnte. Ein Beispiel wäre der Onkel, der misstrauisch auf einen gutgemeinten Besuch reagiert. Oder ein Beziehungspartner, der sich wegen einer Kleinigkeit komplett zurückzieht.
Alle drei Arten schwieriger Interaktionen gibt es in unterschiedlichen Abstufungen. Die Impulsivität der Chefin kann punktuell sein oder die ganze Abteilung vergiften. Eine manipulative Kommunikation kann spielerisch daherkommen (nach dem Motto „Man kann es ja mal versuchen“) oder – in seltenen Fällen – eine geplante Täuschung sein. Und die hyperallergische Reaktion, also eine sehr emotionale, übertriebene oder unangemessene Reaktion auf einen Satz oder eine Geste, kennt eigentlich jede und jeder von sich. Entscheidend ist, wie häufig solche Überreaktionen sind – und wie man damit umgeht. Wer eigenes Fehlverhalten nicht erkennen kann oder sich auf dem Argument „So bin ich eben“ ausruht, belastet Beziehungen erheblich. Wenn man dagegen einen Teil der Verantwortung für starke emotionale Reaktionen übernimmt, sich selbstkritisch betrachtet, kann sich etwas verändern, können Beziehungen sich verbessern. (Orientierung gibt die Beziehungsampel)
Sind die anderen schwierig oder doch ich selbst?
Und noch etwas zum Stichwort Selbstkritik: Sobald wir in schwierige Interaktionen verwickelt sind, ist sie ohnehin für alle Seiten eine wichtige Ressource. „Es kann hilfreich sein, sich ab und zu daran zu erinnern, dass nicht nur die anderen für uns schwierig sind, sondern auch wir für die anderen“, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Gitta Jacob. Sie hat in Therapieprozessen häufig erlebt, dass Patientinnen den Eindruck schilderten, dass sie überall, wohin sie kämen, mit schwierigen Menschen zu tun hätten. Eine solche Wahrnehmung ist laut Jacob meist ein Zeichen dafür, dass die Person selbst gerade in einer Phase ist, in der sie nicht mitbekommt, dass sie Irritationen anzettelt, Grenzen überschreitet und Situationen falsch einschätzt. Oder dass sie sehr dünnhäutig ist – und sich von alltäglichen schwierigen Situationen komplett aus der Fassung bringen lässt.
Immer wenn so ein Verdacht besteht, ist es hilfreich, sich die folgenden Fragen zu beantworten: Warum regt mich das auf? Warum reagiere ich angefasst? Was daran beschäftigt mich? Blickt man bewusst auf die eigene innere Betroffenheit, findet man möglicherweise heraus, dass die manipulative jammernde Freundin einen auch deshalb so nervt, weil man sich selbst nie so viel Raum für Schwächen zugestehen würde. Oder man ist schlicht wütend, dass man sich hat einspannen lassen – und kann versuchen, beim nächsten Mal früher nein zu sagen. Und der mürrisch-kontrollierende Onkel könnte einen auch deshalb so genervt zurücklassen, weil man schon in der eigenen Kindheit oft mit kontrollierendem Verhalten von Bezugspersonen konfrontiert wurde und im Kontakt mit dem Onkel alte Verletzungen und kindliche Ohnmacht wieder aufgerufen wurden.
15 -Sekunden-Regel
Um zu überprüfen, ob so etwas der Fall ist, hilft laut Henning Röper die sogenannte 15-Sekunden-Regel: Wenn man sich in alltäglichen schwierigen Situationen länger als 15 Sekunden aus der Fassung bringen lässt und die eigene Wut oder Betroffenheit in den Minuten oder sogar Stunden nach der Situation nicht abnimmt, sollte man das als Aufforderung verstehen, sich erst mal die eigenen Gefühle anzuschauen, sie zu entwirren und sich zu beruhigen – und erst danach aktiv zu werden und zu handeln.
„Solange Emotionen wie Wut oder Empörung noch stark sind, ist es nicht ratsam, mit dem Gegenüber etwas ansprechen oder klären zu wollen“, sagt auch Konfliktberaterin Ursula Wawrzinek. Habe man sich aber erst mal sortiert und beruhigt, könne man mit mehr Klarheit in die nächste Situation mit der schwierigen Person gehen und dann bewusst Manipulationen abblocken, Schieflagen ansprechen oder aktiv ein anderes Verhalten als bisher ausprobieren. Weil es aber gar nicht so leicht ist, in eine souveräne, erwachsene Haltung hineinzufinden, gibt es dazu Techniken. Wawrzinek rät, die impulsive Chefin, die manipulative Freundin oder den schmollenden Partner ganz bewusst mit dem sachlich-distanzierten und interessierten Blick einer Forscherin zu betrachten, als studiere man eine unbekannte Spezies. Aus dieser Sicht können wir nicht nur wohlwollender schauen, es fällt auch leichter, langfristig in der Beobachterinnenposition zu bleiben – und sich nicht mehr so leicht emotional mitreißen zu lassen.
Am Anfang steht Einsatz
Oft erscheint es zunächst kontraintuitiv, mit einem derart sorgsamen Blick auf eine Person zu schauen, die einen ziemlich stresst und nervt. Der Impuls, sich zu distanzieren, ist meistens deutlich stärker. Und tatsächlich gibt es immer die Option, einen Kontakt zu beenden. Wenn man bereits weiß, dass vieles, was das Gegenüber macht, im tiefroten Bereich liegt, jemand sehr abwertend, übergriffig, hochmanipulativ oder gar gewalttätig ist, ist es an der Zeit, sich sofort zu verabschieden. Doch die schwierigen Beziehungen, die uns im eigenen Umfeld beschäftigen, liegen meist eher im gelben Bereich, wenn gute und anstrengende Seiten zugleich eine Rolle spielen oder wenn nahestehende Personen einzelne blinde Flecken mitbringen, die ausgesprochen kräftezehrend sind.
Bei diesen Kontakten, von denen es bei genauer Betrachtung viele gibt, lohnt sich oft ein Experimentier- und Suchprozess, mit dem man die schwierige Beziehung noch einmal genauer auslotet. Ali Fenwick, Professor für Innovation an der Hult International Business School, beschreibt dieses Vorgehen in seinem Bestseller Red Flags, Green Flags: Zwischen dem ersten Moment, in dem uns dämmert, dass ein Gegenüber manipulativ oder kräfteraubend sein könnte, und der Entscheidung, sich von einer Person endgültig zu distanzieren, empfiehlt er eine Phase des Engagements, in der man probiert, sich für die Beziehung einzusetzen und so aktiv herauszufinden, ob sie etwas taugt oder nicht.
Besonders bei Menschen, die einem wichtig oder nah sind, lohnt es, ein paar Beziehungsangebote zu machen oder Situationen anders zu gestalten als bisher. Und je konkreter unsere Lösungsversuche sind, desto schneller werden wir erfahren, ob das Gegenüber sich davon berühren lässt und einlenkt – oder sich trotz allem keinen Zentimeter bewegt.
Das Eis zum Schmelzen bringen
Doch wie geht man konstruktiv auf eine schwierige Person zu? Laut dem Psychologen Henning Röper wäre es zum Beispiel eine Möglichkeit, sich schwierige Begegnungen daraufhin anzuschauen, ob sie sich gerade eher im Machtmodus oder im Beziehungsmodus abspielen. Eine starke Machtorientierung erkennt man daran, dass sich in der Situation alles um Gewinnen und Verlieren, Falsch und Richtig, Macht und Ohnmacht dreht. Im Beziehungsmodus betont man dagegen Kontakt, Verstehen und Verbundenheit.
Jede Beziehung ist eine Mischung beider Prinzipien; kippen Situationen allerdings zu sehr in den Machtmodus, kann es die Situation verändern, wenn man sich traut, bewusst ein paar Beziehungssignale zu senden und die eigene Haltung leicht zu ändern. Um das Modell der Beziehungszustände – entwickelt vom Psychologen Eberhard Stahl – praktisch fassen zu können, schlägt Röper vor, sich eine Kollegin vorzustellen, mit der man leicht aneinandergerät, mit der es nie richtig rund läuft.
So schwer es einem das Gegenüber auch macht – jetzt gilt es zu gucken, ob man selbst ebenfalls schon in eine Machthaltung gerutscht ist, Gerangel, Misstrauen und Anspannung anheizt. Falls ja, kann man bewusst vom Gas gehen, etwa indem man die Kollegin kurz fragt, wie es ihr geht, was ihr bei dem Projekt wichtig ist. Oder indem man sich innerlich bewusstmacht, dass die andere sich vermutlich gerade ebenfalls gestresst fühlt, und Machtgestichel oder Kritik mal kurz weglässt. „Oft kann so ein Teil der Spannung weichen, manchmal dreht sich die Stimmung sogar deutlich, gemeinsame Arbeit wird einfacher“, berichtet Röper.
„So ein Ton ist mir bei der Arbeit unangenehm. Kannst du das anders sagen?“
Dass wir den Schritt aus dem Machtmodus heraus trotzdem so ungern gehen, liege vor allem daran, dass wir Angst haben, dass andere uns überrumpeln, wir die Kontrolle über die Situation verlieren. Doch das muss nicht sein. Man lasse den Machtmodus ja nicht komplett los, sagt Röper. Bleibe die Begegnung weiter angespannt, wolle die Kollegin einen einspannen oder abwerten, sei es möglich, mit kurzen machtvollen Sätzen wie „Nein, das kann ich leider nicht machen“ oder „So ein Ton ist mir bei der Arbeit unangenehm. Kannst du das anders sagen?“ ein Stoppschild zu setzen. Man muss danach trotzdem nicht wieder komplett ins Machtgerangel kippen.


Vom Machtmodus in den Beziehungsmodus schalten
In klärenden Gesprächen in Liebesbeziehungen ist es besonders hilfreich, immer wieder in den Beziehungsmodus zu schalten. Aussprachen rund um die schwierigen Seiten des oder der anderen sollen ja Klärung bringen, Verständnis füreinander und Verbesserungen. Weil beide Seiten aber oft schon ziemlich geladen sind, laufen solche Gespräche schnell aus dem Ruder und finden vor allem im Machtmodus statt.
Wenn eine Partnerin immer zu spät kommt oder ein Partner oft schon nach Kleinigkeiten stundenlang schmollt, ist das tatsächlich ein schwieriges, belastendes Verhalten für den anderen. Will man dazu eine Handhabe finden, raten Paartherapeuten wie Henning Röper dazu, darauf zu achten, dass man nicht so sehr Erwartungen formuliert, also im Machtmodus agiert, sondern eigene Bedürfnisse nennt – also den Beziehungsmodus fördert. Typische Sätze im Erwartungs- und Machtmodus wären: „Ich erwarte, dass du ab jetzt pünktlich kommst.“ „Ich akzeptiere nicht, dass du schweigst.“ Typische Beziehungssätze lauten: „Es stresst mich, wenn du zu spät kommst – ich brauche Verlässlichkeit.“ „Ich fühle mich unwohl, wenn du schweigst, ich wünsche mir Kontakt.“
Wie unterschiedlich die Wirkung dieser Sätze ist, kann man spüren: Es entsteht eher eine friedlichere Atmosphäre, wenn man über Bedürfnisse spricht und formuliert, was man braucht, statt über das zu reden, was man erwartet und was „sich gehört“. Eine Hilfestellung, um immer wieder zurück in den Beziehungsmodus zu finden, könnte sein, dass sich beide in klärenden Gesprächen zwei Fragen beantworten: „Was brauche ich?“ und „Was brauchst du?“. Danach guckt man, wie die Bedürfnisse berücksichtigt werden können – zum Beispiel im Umgang mit dem beleidigten Schweigen oder dem Zuspätkommen.
Aber auch hier gibt es Partner und Partnerinnen, bei denen man auf Granit beißt. Wenn das Gegenüber sagt: „Was du willst und brauchst, interessiert mich nicht“, ist eine Beziehung laut Henning Röper in einer Art Eiszeitphase angekommen. Wie auch immer es passiert ist – ob sich ein Paar in einem Konflikt verrannt hat oder ob einer der beiden rücksichtslos ist oder schon auf dem Absprung –, in diesem Stadium hilft kein Reden mehr.
Man könne dann nur noch versuchen, „das Eis zum Schmelzen zu bringen“, rät Röper, indem man statt zu reden die Stärken der Beziehung aufrufe: Man kann schöne Erinnerungen teilen, zu einer gemeinsamen Unternehmung aufbrechen, die beide lieben, oder es mit Berührung statt Worten versuchen. Wenn solche genuss-, körper- oder erlebnisorientierten Momente nichts bewirken, muss man sich fragen, ob man eine solche Beziehung noch verändern kann. Oder lieber loslässt.
Gutes und Schwieriges abwägen
Auch Psychologin Gitta Jacob meint, dass Aussprachen mitunter überbewertet werden und es manchmal sinnvoller ist, sich in schwierigen Beziehungen bewusst auf gemeinsame Schätze, Interessen und Besonderheiten zu konzentrieren: „Wenn ich eine gewisse Nähe zu einer Person habe, die offensichtlich schwierige Seiten und einige Macken hat, kann es helfen, sich auf das zu fokussieren, was man teilt und was am anderen stark und liebenswert ist.“ Möglicherweise teilt man mit der manipulativen Freundin eine Liebe zum Theater oder zur Kunst. Mit dem Onkel, mit dem man in dessen vier Wänden nicht gut auskommt, lassen sich vielleicht Ausflüge in die Natur machen. Und mit einem Partner, der schnell mauert, kann man versuchen, statt einem klärenden Gespräch andere Kanäle zu finden, zum Beispiel Humor oder gemeinsame Sachinteressen.
„Für mich ist das eine Haltung von radikaler Akzeptanz“, sagt Jacob. „Wenn man sich entschieden hat, dass man mit jemandem Kontakt will und vieles gut findet, geht man nicht mehr davon aus, dass der andere sich grundlegend ändert. Man rechnet schlicht damit, dass sich manches einfach nicht klären lässt.“
Dass es sich grundsätzlich lohnt, positive und negative Seiten von anderen in die Waagschale zu werfen, ist wissenschaftlich belegt. Die israelische Soziologin Shira Offer untersuchte in einer aufwendigen Studie Beziehungsnetzwerke. Sie fand heraus, dass auch Beziehungen zu eher schwierigen Menschen bereichernd sein können. Voraussetzung war dann, dass das eher schwierige Gegenüber grundsätzlich unterstützend und zugewandt war. Es lohnt also, vor allem in Liebesbeziehungen genau zu gucken, was gemeinsam alles möglich ist – und was nicht. Denn wenn man sich vom anderen gar nicht unterstützt fühlt, bekommt der Mix von schönen und schwierigen Seiten schnell Schlagseite. Ein Mangel an Beistand ist in nahen Beziehungen ein deutliches Warnzeichen.
Wenn wir uns für eine Beziehung engagieren, dort auch eigene Bedürfnisse äußern, sehen wir meistens schnell, wo die Grenze zwischen etwas nervig und viel zu schwierig verläuft und wer sich so unfair oder kräftezehrend verhält, dass man die Ampel besser für alle Zeiten auf Rot stellt. Bei den Freundschaften, Bekanntschaften oder Beziehungen, die sich zwischen dem grünen und gelben Bereich abspielen, lohnt es sich meistens dabeizubleiben. Denn das ist die Beziehungswelt, in der wir alle zu Hause sind.
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Quellen
Ali Fenwick: Green Flags, Red Flags. Toxisches Verhalten erkennen und Grenzen setzen. DuMont 2025
Gitta Jacob: Leben geht nur vorwärts. Wann es Zeit ist, das innere Kind in Ruhe zu lassen und durchzustarten. Beltz 2024
Kathryn P. Brooks and Christine Dunkel Schetter: Social negativity and health: conceptual and measurement issues. Social and Personality Psychology Compass 5/11, 2011, 904–918 DOI 10.1111/j.1751-9004.2011.00395.x
Kathryn P. Brooks u. a: Social relationships and allostatic load in the MIDUS Study. Health Psychology, 33/ 11, 2014, 1373 - 1381 DOI:10.1037/a0034528
Parship: Red Flags beim Dating. Wenn Liebe blind macht. www.parship.de/studien/parship-wissen-red-flags-beim-dating-wenn-liebe-blind-macht/
Tageschau: Anzahl der Einzelhaushalte hat sich verdoppelt https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/statistik-wohnen-einzelhaushalte-100.html zuletzt aufgerufen 06.02.2025
Shira Offer: They drive me crazy: difficult social ties and subjective well-being. Journal of Health and Social Behavior, 61/4, 2020, 418–436 DOI: 10.1177/0022146520952767
Karen Zoller: Schwierige Menschen. So gehen Sie souverän mit Ihnen um, Rowohlt 2015
Friedemann Schulz von Thun, Dagmar Kumbier (Hg.): Impulse für Kommunikation im Alltag. Rowohlt 2010 (4. Auflage)
Elena Martinescu u.a Tell me the gossip: the self-evaluative function of receiving gossip about others. Personality and Social Psychology Bulletin, 40/12, 2014, 1668 - 1680 DOI 10.1177/0146167214554916