Stressmanagementkurs: Ein Garten in Gedanken

Wir waren bei einem Stressmanagement-Kurs für Eltern, geben Einblicke und eine Antwort auf die Frage: Was bringt das Angebot wirklich?

Die Illustration zeigt eine Frau, die mit geschlossenen Augen da liegt, neben ihr der Schatten einer Pflanze
Das Kind schreit und hört nicht auf. Augen schließen, durchatmen und bei der Sache bleiben. © Fienn Jorissen für Psychologie Heute

Therapie, Coaching, Beratung – es gibt viele Arten der Unterstützung. Mit unserer neuen Rubrik Ist das was für mich?, die Psychologie Heute-Redakteurin Eva-Maria Träger verantwortet, wollen wir Orientierung geben. Wir stellen in jeder Folge ein Angebot zur Unterstützung vor und liefern neben den Perspektiven von Teilnehmenden und Verantwortlichen auch Fakten aus der Wissenschaft. Dieses Mal: ein Stressmanagementkurs für Eltern.

Das sagt die Teilnehmerin

Der Zettel hing im Kindergarten aus: „Stressmanagement…

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für Eltern.

Das sagt die Teilnehmerin

Der Zettel hing im Kindergarten aus: „Stressmanagement im familiären Alltag: Wie kann ich liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Emotionen?“ Ich wäre manchmal gerne gelassener, wenn es zu Hause hoch hergeht mit unseren drei Kleinen. Also melde ich mich an.

Als Kurstag eins beginnt, komme ich – wie instruiert mit Yogamatte, Kissen, Decke, dicken Socken und „Verpflegung für den Tag“ – gerade pünktlich. Vier Frauen und ein Mann sitzen schon im Kreis, in ihrer Mitte ein großer Strauß Blumen. Unter ihnen ist Kursleiterin Sabine, die nach kurzer Begrüßung richtig vermutet: Alle fühlen sich mehr oder minder gestresst, obwohl es erst neun Uhr am Wochenende ist. Wir haben alle mindestens zwei Kinder, davon wenigstens eines im Kindergartenalter oder jünger, da gibt es (fast) immer viel zu tun. Für Stress sorgt aber vor allem die Unberechenbarkeit, das äußern wir Eltern im Kurs immer wieder: Zeitdruck, Kontrollverlust, Gefühle von Ohnmacht – mit Kindern läuft vieles anders als geplant.

Was wir preisgeben bei den beiden Terminen, die im Abstand von zwei Wochen stattfinden, entscheidet jeder und jede selbst, alles Persönliche bleibt in dem geschützten Raum. Doch vielfach braucht es gar keine Details: Elternerfahrungen sind – zumindest in diesem Seminarbiotop – vergleichbar. Das ist eine ganz unmittelbare Erkenntnis des Kurses, die sich quasi nebenbei mitteilt, aber nachhaltig trägt. Mich überrascht, wie sehr es mich entlastet, wenn auch andere freimütig bekennen, an ihre Grenzen zu kommen.

Wir machen allerhand Übungen, ergründen etwa die eigenen „Stressbereiche“ und -auslöser, wobei ich merke, dass ich besonders unter Druck gerate, wenn mindestens ein Kind schreit und/ oder alle Kinder gleichzeitig etwas von mir wollen. Ich versuche zu benennen, was dann in meinem Körper und Kopf passiert (Enge in der Brust, Herzklopfen), und überlege, was mir dann helfen könnte (Gefühle als Wegweiser sehen, Entlastung fordern). Wir machen Achtsamkeitsübungen, progressive Muskelentspannung und Qigong. Wir suchen Kraftquellen im Alltag, beleuchten unser soziales Netzwerk, finden Alternativen für konfliktreiche Abläufe – und vieles mehr.

Es geht viel um Akzeptanz, hauptsächlich von unangenehmen Gefühlen (und unordentlichen Räumen), und um Toleranz – auch uns selbst gegenüber. Denn tatsächlich liegen die wichtigsten Wurzeln des Stresses bei uns allen in den eigenen Ansprüchen, dem Gefühl, die Kontrolle behalten zu müssen, oder dem Wunsch, beliebt zu sein, es allen rechtzumachen. Das zeigt eindrucksvoll ein Test, den wir einzeln ausfüllen und dessen gleichlautendes Ergebnis uns alle überrascht (außer Sabine).

Am Ende basteln wir uns einen persönlichen „Notfallkoffer“ mit hilfreichen Anti-Stress-Maßnahmen. Für mich zählen dazu unter anderem das bewusste Atmen, das ich ab da praktiziere, wenn es brenzlig wird, und dass ich stärker auf die Perspektive der Kinder, ihren Entwicklungsstand und ihre Bedürfnisse achte. Zudem schaue ich genau hin: Woher rührt der Stress, den ich empfinde? Was ist gerade sonst noch los bei mir?

Unerwartet stark berührt mich eine Imaginationsübung, bei der wir uns einen „inneren Garten“ erst vorstellen und dann mit Pastellkreide aufmalen. An diesen Garten denke ich auch Monate später noch, er vermittelt mir selbst inmitten tobender Kinder einen Hauch von Leichtigkeit und Urlaub.

Auch wenn ich im Alltag nicht alles umsetze – die Unterstützung hat mir gutgetan. Ich habe durch den Kurs neue (und alte) Ressourcen entdeckt, beispielsweise Bücher, die Sabine uns empfohlen hat. Ich weiß, wohin ich mich im Zweifelsfall wenden kann. Meinen Nerven geht es besser.

Psychologie Heute-Redakteurin Eva-Maria Träger ist Diplom-Psychologin und Journalistin.

Das sagt die Kursleiterin

Die Idee für das Seminar kam mir in der Coronazeit, als ich als Elternberaterin im Auftrag der AWO Heidelberg gemerkt habe, in welch großer Not gerade Eltern auch sind. Ich arbeite als Gestalttherapeutin, als Elternberaterin und Paartherapeutin in eigener Praxis. Ich bin selbst Mutter und weiß – auch aus meiner klinischen Arbeit in der Psychiatrie –, an welche Grenzen man als Elternteil stößt und wie sehr sich das auf die Familie und besonders die Kinder auswirken kann.

In die Kurse kommen meist sehr engagierte Eltern, die einen hohen Anspruch an sich selbst haben und gerade daran manchmal sehr verzweifeln. Das Ziel ist, diesen Anspruch etwas zu senken, so dass die Eltern liebevoller mit sich selbst umgehen und letztlich auch entspannter mit ihren Kindern sein können.

Es geht auch darum, anzuerkennen, dass die Belastung von Eltern je nach Lebenssituation sehr hoch ist. Dafür gibt es meiner Ansicht nach sehr wenig Wertschätzung von der Gesellschaft, und es wird auch von der Politik zu wenig gesehen. Der Austausch mit anderen Teilnehmenden ist in den Kursen deshalb ganz wesentlich.

Ich vermittle den Eltern, wie wichtig es ist, Stress ernst zu nehmen und zu sagen: „Mir geht es nicht gut, ich fühle mich hilflos und bin überfordert“, und den Fokus auf sich selbst zu richten („Was ist mit mir los? Was fühle ich gerade? Was brauche ich?“). Meist hat das Erleben von und der Umgang mit Stress mit frühkindlichen Erfahrungen zu tun, mit Empfindungen wie „Ich fühle mich nicht gesehen“ oder „Mein Bedürfnis wird nicht wahrgenommen“ – und das Kind dient nur als Projektionsfläche.

Der Kurs vermittelt: „Ich bin meinen Emotionen nicht ausgeliefert, ich kann gezielt Einfluss auf sie nehmen.“ Unterstützend und anregend bringe ich Elemente aus der klassischen Achtsamkeitslehre, der Gestalttherapie und dem Yoga ein, weil ich denke, jede und jeder ist anders und benötigt auch etwas anderes. Mir ist wichtig, die Eltern in einer Zeit zu erreichen, wo es noch möglich ist, für die Kinder etwas zu verändern, und zu zeigen: Manchmal braucht es dafür gar nicht so viel.

Die Kursleiterin Sabine Kimmig ist Diplom-Sozialpädagogin, integrative Gestalttherapeutin, Paartherapeutin und Elternberaterin.

Ihre Empfehlungen zum Weiterlesen:

Udo Baer, Gabriele Frick-Baer: Das große Buch der Gefühle. Beltz 2022

Matthew Johnstone, Michael Player: Kein Stress! Antje Kunstmann 2019

Remo H. Largo: Kinderjahre. Piper 2021

Jeannine Mik, Sandra Teml-Wall: Mama, nicht schreien! Kösel 2019

Stefanie Stahl, Julia Tomuschat: Nestwärme, die Flügel verleiht. Gräfe und Unzer 2018

Das sind die Fakten

Was ist das für ein Angebot?

Stressmanagementseminare gibt es für viele Zielgruppen, von diversen Anbietern und in unterschiedlichs­ter Qualität. Spezielle Elternkurse zu dem Thema sind als Form der Familienbildung verbreitet, teils sind Bestandteile auch in breiter gefasste (Erziehungs-)Seminare integriert; das Angebot ist kein therapeutisches. Ziel ist ein besserer Umgang mit belastenden Situationen in der Familie.

Was kostet die Teilnahme?

Die Kosten für den beschriebenen Kurs übernimmt das Land Baden-Württemberg, für Teilnehmende ist er gratis. Auch anderenorts, beispielsweise in Berlin oder Nürnberg gibt es solche geförderten Angebote. Anbieter sind häufig Erziehungs- und Familienberatungsstellen kommunaler oder freier Träger. Für viele weitere Kurse werden Gebühren in unterschiedlicher Höhe verlangt.

Was sagt die Wissenschaft?

Konkrete wissenschaftliche Befunde zu diesem individuell konzipierten Angebot gibt es nicht. Von Studien gestützt ist, dass bestimmte Übungen, etwa zur Achtsamkeit, Stress reduzieren und hilfreich für die Regulation von Emotionen sein können. Für die Gestalttherapie liegen Belege für eine Wirksamkeit bei affektiven Störungen bei Erwachsenen vor.

Quellen

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familienbildung und Familienberatung (zuletzt abgerufen am 05.08.2024)

Bundespsychotherapeutenkammer: Gestalttherapie nicht als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt (zuletzt abgerufen am 05.08.2024)

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Elternkurse – eine spezielle Form der Zusammenarbeit mit Eltern (zuletzt abgerufen am 05.08.2024)

Erziehungs- und Familienberatung Berlin: Starke Eltern – Starke Kinder: Elternkurs (zuletzt abgerufen am 05.08.2024)

Frühe Hilfen für (werdende) Eltern in Nürnberg: Eltern sein, das kann man lernen – in Elternkursen! (zuletzt abgerufen am 05.08.2024)

Sandra:Schmiedeler: Das Potenzial der Achtsamkeit – trotz Risiken und Nebenwirkungen. Psychotherapie, 69/2, 2024, 129–133

Thomas Schübel: Einführung in die Gestaltpädagogik: Kontakt und Dialog im Alltag. Beltz Juventa 2023

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2024: Sind die anderen glücklicher? Streiten nur wir so viel? Passen wir noch zusammen?