Und wer putzt für Sie?

In vielen Haushalten unentbehrlich: Arbeitsmigrantinnen betreuen Kinder und pflegen alte Menschen. Was aber ist mit ihrem eigenen Leben?

Eine weibliche Reinigungskraft mit blauen Latex-Handschuhe, hat eine Sprühflasche in der Hand und putzt mit den Tuch einen Schreibtisch
Arbeitsmigrantinnen betreuen Kinder und pflegen alte Menschen. Wie aber gestaltet sich ihr eigenes Leben? © Julija Erofeeva/Getty Images

Frau Baumgarten wurde 92 Jahre alt. Die Nachbarn kannten die stets gut gekleidete Frau über lange Zeit hinweg nur in Begleitung freundlicher und hilfsbereiter Damen. Diese sprachen kaum Deutsch, waren eher schlecht gekleidet und wichen nicht von ihrer Seite. Letztes Jahr sah man Frau Baumgarten nur noch selten, aber die Damen wechselten häufiger.

Die freundlichen Damen nennt man in der Fachsprache Live-Ins. Sie kommen oft aus osteuropäischen Ländern, vermehrt auch aus Asien, haben dort meist eine eigene…

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Live-Ins. Sie kommen oft aus osteuropäischen Ländern, vermehrt auch aus Asien, haben dort meist eine eigene Familie zu versorgen und ergänzen das private und öffentliche Familien- und Betreuungssystem um wesentliche Ressourcen. Sie wohnen bei den Pflegepersonen und garantieren für eine 24-Stunden-Rundumbetreuung inklusive Haushaltshilfe und persönlicher Gesellschaft. Sie verdienen etwa 800 bis 1500 Euro pro Monat bar und befinden sich zumeist in einem ungeschützten Arbeitsverhältnis. Die Vermittlung erfolgt über Internet oder persönliche Empfehlungen. Im Vergleich dazu kostet eine angestellte qualifizierte Kranken- und Altenpflegerin zwischen 3000 und 5000 Euro und ein 24-Stunden-Service in drei Schichten mindestens 13000 Euro.

Die Dunkelziffer auf diesem Arbeitsmarkt ist hoch. Es gibt nur ungefähre globale Statistiken. Laut einer aktuellen Nachricht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, arbeiten „mindestens 52 Millionen Menschen auf der Welt, die meisten davon Frauen, als Hausangestellte. 45 Prozent aller Hausangestellten haben nicht einmal das Anrecht auf einen freien Tag in der Woche.“ Ihre medizinische Versorgung ist nicht gesichert, obwohl sie schwere körperliche Arbeit verrichten. Ihre Wohnsituation ist kompliziert, denn ihre Abgaben für eine Zimmermiete sind oft überhöht, und viele bevorzugen es deshalb – und aus Sicherheitsgründen in einer fremden Umgebung –, in den Arbeitgeberfamilien zu wohnen.

Haushaltshilfen aus dem Ausland lösen Koordinationsprobleme

Seit 1990 hat sich die Anzahl der Hausarbeiterinnen weltweit um 19 Millionen erhöht. 720 000 Arbeitsmigrantinnen arbeiteten nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Jahr 2012 in Deutschland, das sind etwa 20 000 mehr als die Einwohnerzahl von Frankfurt am Main.

Ausländische Haushaltshilfen sind für viele Familien die optimale, flexible Lösung für die modernen Koordinationsprobleme. Sie überbrücken die Lücken im täglichen Familienablauf, damit Beziehungen wieder den zeitlichen Raum erhalten können, den sie zu ihrer Stabilisierung brauchen. Und sie bringen oft eine fürsorgliche und emotionale Qualität in die Familien hinein, die viele nur noch aus den Erzählungen der Mütter oder Großmütter kennen. Ihre eigene Person bleibt jedoch nicht nur statistisch unsichtbar, es ist auch wenig über die psychosoziale Situation dieser Frauen bekannt.

Die Sozialwissenschaftlerin Agniezka Satola hat in ihrer Studie über die Biografie und Professionalität polnischer illegal beschäftigter Arbeitsmigrantinnen geschrieben: „Die Frauen üben eine Tätigkeit aus, die keinerlei Anerkennung in der Gesellschaft findet, körperlich anstrengend ist und vor allem bis in die Intimsphäre der Klientinnen reicht. Das Erleben von Marginalität und Ausbeutung wird durch biografische Risiken und Leiden aufgrund von Einsamkeit, beschränktem Austausch mit der Außenwelt, Isolation, Kommunikationslosigkeit und Sehnsucht nach der Familie sowie durch das Gefühl der vergehenden Zeit, in der sie ihre eigene Identität nicht entfalten können, verstärkt.“

Arlie Russell Hochschild, Professorin für Soziologie an der University of California in Berkeley, hat die Haushaltsmigrantinnen, die ihre Dienstleistung im Schutz- und Schonraum Familie erbringen, als „Gefühlsarbeiterinnen“ bezeichnet. „Dabei handelt es sich vor allem um eine Gefühlsarbeit, die das Wohlbefinden und den Status anderer unterstützt, verstärkt und aufwertet.“ OmpNähe und Distanz, Eigen- und Fremdfamilie

Komplexes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, Eigen- und Fremdfamilie

Von der empathischen und emotionalen Leistung der Migrantin hängen ihr Arbeitsplatz und damit ein Großteil des Wohles ihrer Familie ab. Äußerlich besteht ihre Leistung aus praktischen Versorgungstätigkeiten. Innerlich muss sie ein vielschichtiges Nähe-Distanz-Verhältnis meistern und damit den Spagat zwischen Eigen- und Fremdfamilie. Um sich nicht als schlechte Mutter fühlen zu müssen, die ihre Kinder verlassen hat, wird die Tätigkeit für die Fremdfamilie oft idealisiert. Satola schreibt dazu: „Als Kompensationsmechanismus schreiben die Frauen, um ihren Selbstwert zu erhöhen und weil sie ihre Arbeit als sinnhaft empfinden, dieser Tätigkeit eine hohe humanistische Bedeutung zu. (…) Aus Sicht der Frauen ist diese Idealisierung ihrer Tätigkeit der einzig sinnvolle Schritt, da andernfalls sowohl der Sinn als auch ihre Selbstachtung gefährdet wären.“

Allerdings unterliegt diese Selbstbeurteilung einer zeitlichen Begrenzung. Endet das Arbeitsverhältnis, erlischt auch ihre Professionalität; nach der Heimkehr in ihr Herkunftsland erledigen sie die gleichen Tätigkeiten in ihren eigenen Familien wieder unentgeltlich. Auch ist die Trennung von der Arbeitgeberfamilie oft eine emotionale Belastung, die unterschätzt wird, denn Kinder, die Alten, die freundlichen Mütter und Väter sind der Arbeitsmigrantin „ans Herz gewachsen“, es sind Bindungen entstanden, die lange als Ersatz für die eigene Familie gedient haben. Der stetige Wechsel in neue Arbeitgeberfamilien bedeutet auch für eine „Gefühlsarbeiterin“ eine Herausforderung für die eigene Identität: Sie muss eine hohe Anpassungsleistung erbringen und die Kompetenz haben, zwischen den einzelnen Lebenskulturen von Familien zu wechseln.

Dies alles ist irgendwie psychisch zu verarbeiten. Und es tun sich zahlreiche Fragen auf, die es noch zu beantworten gilt, zum Beispiel: Wie verändert ihre Tätigkeit in den Familien die Frauen selbst und ihre Position in der eigenen Familie? Und wie meistern sie die schwierigste Aufgabe, die Trennung von ihren Kindern, insbesondere wenn diese noch relativ jung sind? Helma Lutz und Ewa Palenga-Möllenbeck von der Goethe-Universität Frankfurt am Main haben in ihrer Untersuchung erfahren, „dass die Abwesenheit der Mutter zahlreiche negative Konsequenzen nach sich ziehen kann, abhängig vom Alter, der jeweiligen Familienkonstellation und den bestehenden unterstützenden Netzwerken vor Ort“.

Globales Netz weiblicher Fürsorge

Die Kinder der Arbeitsmigrantinnen nennt man in Polen „Europawaisen“, in der Ukraine „Sozialwaisen“, und sie werden in der Presse dieser Länder als „stille Opfer“ bezeichnet. Oft erleiden diejenigen Frauen, die gut qualifiziert sind, durch ihre Arbeitsmigration einen Statusverlust in ihren eigenen Ländern, der zusätzlich zur Trennung von Mann und Kindern zu Identitätsverlust und psychischen Problemen führen kann.

Es gibt keine Befunde darüber, welche Auswirkungen die Übernahme der Ernährerrolle durch die arbeitsmigrierenden Frauen auf ihre eigenen Familien hat. Auch hier tun sich noch Fragen auf: Wie stehen die Männer dazu, wenn ihre Frauen die Rolle der Haupternährerin übernehmen? Sind sie verunsichert oder stolz auf ihre Frauen? Unterstützen sie ihrerseits nun die Hausarbeit, oder suchen sie sich eher einen weiteren Nebenjob? Verändert sich damit die männliche Identität, ebenso wie die weibliche? Gibt es hierzu einen sozialwissenschaftlichen Diskurs in den Herkunftsländern? Agniezka Satola konnte für die polnischen Befragten ihrer Untersuchung feststellen, dass in den meisten Fällen die eigenen Familienarbeiten weitergegeben werden an Frauen aus der älteren Generation und aus der Nachbarschaft, aber auch an wiederum arbeitsemigrierte Frauen aus dem asiatischen Raum oder der Ukraine.

Dieses globale Netz weiblicher Fürsorge wird von Arlie Hochschild als global care chain bezeichnet. Innerhalb der Kette der internationalen Arbeitsmigrantinnen bilden derzeit die „Auslandsfilipinas“ eine immer größer werdende Gruppe. Zwei Drittel dieser Frauen sind als Haushaltshilfen, Altenpflegerinnen oder Krankenschwestern in der Welt unterwegs. Sie stellen einen wichtigen Faktor für die heimische Wirtschaft dar. Aber diese Frauen haben nicht umsonst den Spitznamen cell phone moms, denn die Beziehung zu ihren Kindern können sie nur per Handy aufrechterhalten. Genau genommen wächst hier gerade eine ganze Generation ohne Mütter und letztlich auch ohne Väter auf, denn die philippinischen Männer können schlecht damit umgehen, dass ihre Frauen das Familieneinkommen erbringen. Sie stellen meistens, sofern sich keine Oma oder Schwester findet, eine andere Frau für die Versorgung der Kinder ein, die dann wiederum ihre eigene Familie verlassen muss, denn auf den Philippinen wird diese Tätigkeit stets als Live-In ausgeführt. Diese Hilfe wird dann noch schlechter bezahlt, und die Zahl der Kinder ohne regelmäßigen Kontakt zur Mutter steigt.

Die Mutter-Kind-Beziehung leidet

Das Geld, das von den Müttern, die in Europa oder den USA arbeiten, zu Hause ankommt, ist wirklich hilfreich und ermöglicht den Besuch von guten Schulen und eine verbesserte Gesundheitsversorgung der Kinder. Oft wird ihnen deshalb von den Müttern sogar noch das Geld, das für das eigene Flugticket gedacht war, geschickt und damit auf die Heimreise verzichtet. Auf der Strecke bleibt dann die Mutter-Kind-Beziehung, die bei den seltenen Besuchen zu Hause nicht stabilisiert werden kann. Fremdheit ist die Folge. Genau diesen Zustand wollen die gut verdienenden Arbeitgeberfamilien in Europa und den USA vermeiden, indem sie Haushaltshilfen beschäftigen.

In einigen Herkunftsländern haben Nichtregierungsorganisationen bereits Hilfsprogramme für die „Migrationswaisen“ aufgestellt, in denen sie versuchen, mithilfe von geschultem Fachpersonal den Kindern zu vermitteln, wie die Arbeit ihrer Mütter in den fremden Ländern aussieht. Vonseiten der europäischen Länder gibt es Überlegungen, den Arbeitsmigrantinnen durch Legitimation ihres Aufenthaltsrechtes und die Anerkennung ihrer Leistungen einen regulären, staatsbürgerlichen Status, Bürgerrechte und damit eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Aus- und Weiterbildungsangebote, der Besuch von staatlichen Bildungseinrichtungen für sich und die eigenen Kinder wären hier Gegenleistungen für die Sorge- und Pflegetätigkeiten in den Familien. Bislang zeigten die Nationen keine Eile, die Menschen, die im rechtsfreien Raum arbeiten, zu schützen, denn alle beteiligten Gruppen ziehen daraus Vorteile: Die Herkunftsländer der Arbeitsmigrantinnen genießen die ins Land kommenden Devisen, und die Zielländer sehen ihre Leistungsträger familial unterstützt und ihren akuten Pflegenotstand abgefedert. Kommerzielle Vermittlungsagenturen profitieren von der regen Nachfrage und wickeln auf multinationaler Ebene große Geschäfte ab. Ein Lichtblick: Im Juni 2013 verabschiedete der Deutsche Bundestag das von den Mitgliedsstaaten der ILO beschlossene Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte. Sabine Baun, die Direktorin der ILO-Vertretung in Deutschland, wertet dies als wichtiges Signal: „Jetzt muss es darum gehen, die Rechte von Hausangestellten auch in Deutschland umzusetzen. Sie müssen informiert und aus der Schwarzarbeit herausgeholt werden, um künftig bessere Arbeitsbedingungen und einen ausreichenden sozialen Schutz zu bekommen.“

Brigitta Kreß ist Familiensoziologin und berät Institutionen und Unternehmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Chancengleichheit und Diversitymanagement (www.balancing-consult.de).

Literatur

Ursula Apitzsch, Marianne Schmidbaur (Hg.): Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen. Barbara Budrich, Opladen 2010

Mechtild M. Jansen (Hg.): Pflegende und sorgende Frauen und Männer. POL IS 49, Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden, 2009

Arlie Russell Hochschild: Das gekaufte Herz. Die Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt, New York 2006

Agniezka Satola: Komplexität und die Paradoxien des Handelns in der häuslichen Pflege am Beispiel der Pflegemigration von polnischen Frauen. Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften, Nr. 48/2012

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2013: Was haben wir falsch gemacht?