Die Kunst des Kritisierens

Schwieriger als die Kunst des Kritisierens ist nur noch, Kritik auszuhalten und anzunehmen. Aber: Ohne negatives Feedback gibt es keinen Fortschritt.

Ein Mann und eine Frau bei einem schwierigen Gespräch, in dem es um Kritik geht
Die Kritikerin und der Kritisierte bewegen sich in einem Minenfeld hochsensibler Gefühle. © PhotoAlto/Frederic Cirou/Getty Images

Hingerotzt und langweilig“, das waren die genauen Worte, mit denen ein Literaturagent das Manuskript bewertete, das ich ihm zur Durchsicht geschickt hatte. Diese Kritik werde ich nie vergessen. Genauso wenig wie die Worte einer Jugendliebe, die vor mehr als zwei Jahrzehnten mit mir Schluss machte. Ich sei „viel zu überschwänglich“, sagte er mir, außerdem trüge ich zu wenig Make-up.

Wie jeder andere habe auch ich meine verstörenden Erfahrungen mit negativem Feedback gemacht. Ich habe dabei eingesteckt, aber…

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eingesteckt, aber ich habe auch ausgeteilt. Als ich vor Jahren einen Schreibkurs an einer Universität leitete, bot mir eine der Teilnehmerinnen nach meiner Beurteilung ihrer Abschlussarbeit Ohrfeigen an. Mein Feedback muss wohl ziemlich heftig gewesen sein. Wer könnte diese Reaktion nicht nachvollziehen? Kritik will im Grunde keiner hören, selbst wenn er das Gegenteil behauptet. Im günstigsten Falle ist sie lästig, im schlimmsten Fall unterminiert sie unsere Identität oder gefährdet sogar unsere Integrität. Gibt es überhaupt eine richtige Methode, andere zu kritisieren?

Dabei ist negatives Feedback, Kritik also, unverzichtbar. Es mag paradox klingen, aber nur Kritik hilft uns, das Leben zu bewältigen und zu ordnen. Ohne Kritik könnten wir keine sozialen Beziehungen aufbauen und aufrechterhalten. Auch wenn uns das Wohlfühlmantra zahlreicher Selbsthilferatgeber in den Ohren klingt: Ein Großteil unserer persönlichen Entwicklung wird von Erfahrungen bestimmt, die sich eher schlecht anfühlen. Deshalb ist Kritik eine geheiligte Institution in fast jedem Bereich menschlichen Denkens, Handelns und Strebens.

Lernen erfordert Fehlererkennung

Jeder Lernprozess hängt davon ab, Fehler überhaupt zu erkennen – und sie dann zu analysieren und zu beheben. In der Schule und im Studium dreht sich im Grunde alles darum, dass uns unsere Fehler in mehr oder minder raffinierter Didaktik vor Augen geführt werden. Beim Sport schreien die Trainer wild gestikulierend ihr Ad-hoc-Feedback auf das Spielfeld. In der Arbeitswelt sind Fehlerkorrekturen und Leistungsbewertungen ein fester Bestandteil des Vorankommens. Und selbst im Privatleben geht es nicht ohne negatives Feedback: Auch liebevolle Ehegatten werfen sich oft genug wenig schmeichelhafte Kritik an den Kopf. Und das Eltern-Kind-Verhältnis schließlich ähnelt über weite Strecken einer Endlosschleife aus negativem Feedback.

Tatsächlich hängt so viel unseres Lernens, Lebens und Liebens von kritischen Rückmeldungen ab, dass man denken sollte, wir hätten mittlerweile gelernt, gut damit umzugehen. Stattdessen fühlt sich Kritik fast immer feindselig, grob oder überzogen an – manchmal sogar für die Person, die sie ausspricht. Angestellte und Arbeitgeber erklären gleichermaßen, dass sie Leistungsbewertungen hassen, und Paare brauchen einen Coach oder Therapeuten, damit sie sich endlich schwierige Wahrheiten ins Gesicht sagen können.

Viele Eltern unterdrücken ihr Missfallen lieber, als dass sie das Risiko eingehen, ihr Kind durch Kritik „zu verunsichern“, „vor den Kopf zu stoßen“ – oder dessen ärgerliches Schmollen ertragen zu müssen. Freunde und Liebhaber reden um den heißen Brei herum. Sie vermeiden jede Konfrontation, zu der eine kritische Bemerkung schnell ausarten könnte.

„Es fällt uns sehr schwer, negatives Feedback gut zu vermitteln“

„In unserer Gesellschaft sind wir weder gewöhnt zu kritisieren, noch kritisiert zu werden“, sagt Robert Sutton, ein Organisationspsychologe von der Stanford University, „wir sind bemerkenswert inkompetent darin, unsere Wirkung auf andere einschätzen zu können. Folglich fällt es uns auch sehr, sehr schwer, ein negatives Feedback gut zu vermitteln.“

Wenn Sie sich jemals bewusst darauf vorbereitet haben, jemanden zu kritisieren, sind Ihnen wahrscheinlich einige Standardregeln durch den Kopf gegangen: „Kritisiere die Sachlage, nicht die Person! Benutze ‚Ich‘-Sätze! Sprich mit ruhiger Stimme und versüße die Kritik mit einer positiven Anmerkung!“ Also anstatt „Deine Raucherei treibt mich noch in den Wahnsinn!“ sagt man besser: „Ich liebe dich, aber dass du jeden Tag mehr rauchst, beunruhigt mich.“

Mal ganz ehrlich: Diese Abmilderungstricks helfen nicht wirklich! Oder jedenfalls nur selten. Wer Kritik verabscheut, hört sie auch aus der sanftesten Bitte heraus. Ich habe meine Kursteilnehmerin wirklich nicht besonders harsch kritisiert, als ich ihre Arbeit besprach. Und doch war sie tödlich beleidigt. Menschen reagieren fast immer heftig auf Kritik, egal wie sie serviert wird. Herzrasen, Muskelanspannung, steigender Blutdruck: Ein alter Kämpf-oder-stirb-Reflex meldet sich, ein archaischer Gruß unseres Nervensystems. Es ist fast, als wäre unser Gehirn darauf getrimmt, Kritik und negative Rückmeldungen in jeder Gestalt und in jeder Verpackung zu wittern.

Das Hehirn reagiert stärker auf Negatives

Und tatsächlich ist es dazu in der Lage. Es ist nachgewiesen, dass bestimmte Hirnregionen sich mit negativen Informationen auseinandersetzen und dabei sehr viel sensibler reagieren als diejenigen, die sich mit positiver Resonanz beschäftigen. Belege für diese Negativausrichtung (negativity bias) tauchten vor 15 Jahren zum ersten Mal in Experimenten auf. Sie zeigten, dass Menschen bei anderen die Fehler stärker bewerten als deren positive Eigenschaften. In gleicher Weise beeindrucken uns Verluste bei finanziellen Spekulationen stärker als Gewinne. John Cacioppo, Neuropsychologe an der Universität von Chicago, konnte zeigen, dass elektrische Aktivitäten in unserem Gehirn bei negativen Stimuli heftiger ausfallen als bei ebenso starken positiven. „Die meisten Menschen reagieren stärker auf Schlechtes als auf Gutes“, sagt Cacioppo.

Diese Negativausrichtung kann unsere Interpretation von kritischem Feedback ernsthaft verzerren. Kurz nachdem ich einen neuen Job angetreten hatte, schickte mir mein Chef eine Mail, in der er seine Unzufriedenheit mit meiner Leistung zum Ausdruck brachte. Mir blieb diese Mail als böse Tirade in Erinnerung. Aber als ich sie nach Monaten erneut las, war ich verblüfft, darin auch starken Zuspruch und Anerkennung meiner Fähigkeiten zu finden. Doch das war fast egal: Die Mail schmerzte auch beim zweiten Lesen noch.

Wie Cacioppo erklärt, ist unser Gehirn ganz einfach so vernetzt, dass eine Bitte nach mehr Informationen entweder als gut oder schlecht ausgelegt wird – und es wählt gewöhnlich die schlechtere Variante: „Wir vereinfachen die Welt, indem wir sie bipolar, schwarz oder weiß sehen.“

Angst vor Ausgrenzung

Die Wurzel unserer Kritikempfindlichkeit ist die Angst vor Ausgrenzung oder dem Verlust von Zugehörigkeit, die wiederum an die Angst um unser physisches Überleben gekoppelt ist, wie Peter Gray behauptet, Psychologe am Boston College. Natürlich ist es auf den ersten Blick nicht wirklich lebensbedrohlich, wenn wir bei der Arbeit einen Rüffel einstecken oder bei einem Fußballspiel nach drei Fehlpässen auf der Ersatzbank Platz nehmen müssen.

Aber wir sollten uns vergegenwärtigen, dass der Einzelne außerhalb der Gemeinschaft von Jägern und Sammlern einst tatsächlich nur schwer überleben konnte. Das ist auch heute noch tief in unseren Köpfen verankert. Isolation oder Verbannung war damals eine tödliche Gefahr – und sie ist es im Grunde auch heute noch. In einem sehr realen Sinn halten uns unsere sozialen Verbindungen am Leben, auch wenn die menschlichen Beziehungen in der Gegenwart eher übers Internet oder beim gemeinsamen Espresso geregelt werden.

Was also am negativen Feedback am meisten schmerzt, ist nicht so sehr der offenkundige Inhalt der Botschaft, sondern die für uns latente Gefahr des Ausgeschlossen- und Verlassenwerdens. Die Ächtung, die in der Botschaft mitschwingt, macht uns nervös. Meine ehrgeizige Studentin fürchtete wohl, dass meine kritische Kommentierung ihrer Arbeit bedeuten könnte, sie werde nie den beruflichen Rang erreichen, den sie sich ersehnte. Und auch wenn ich mir die Worte meines Expartners nie so wirklich zu Herzen nahm: Sie bedeuteten letztlich unverhohlen, dass unsere Beziehung an ein Ende gekommen war. Dieser Schock hat sich unauslöschlich in meinem Gehirn festgesetzt.

Feedbackgespräche inklusiv gestalten

Wenn wir erkennen, dass die Angst vor dem Nicht-mehr-Dazugehören das eigentlich Schreckliche an der Kritik ist, lernen wir möglicherweise, sie besser zu kommunizieren. Beispielsweise können wir Feedbackgespräche „inklusiv“ gestalten und nicht „exklusiv“, also mit dem Unterton: „Du bist raus!“ Und selbst bei einer harten Kritik und einem tatsächlichen, unvermeidbaren Ausschluss – etwa aus einem Arbeitsteam – lässt sich die Urangst beim Betroffenen durch ein nichtpauschales, differenziertes Feedback entschärfen.

Ein kritisches Gespräch mit einer Frage zu beginnen hilft dem Angesprochenen, Kritik entgegenzunehmen und sich in dem anstehenden Prozess beteiligt oder integriert zu fühlen. Wenn man mit einem Studenten über dessen Leistung spricht, könnte man zunächst fragen: „Was sind deine Ziele für diesen Kurs? Was möchtest du von mir lernen? Wie glaubst du, kommst du bisher voran?“

Ein weiterer Schritt, dem anderen die Angst vor dem sozialen Ausschluss zu nehmen: Wer selbst nach Feedback fragt, betont, dass der andere ein Partner in dieser Konversation ist und nicht das „Opfer“. „Als Chef kann man sagen: ‚Ist das, was ich dir vermittle, nützlich für dich?‘ Oder: ‚Was brauchst du noch von mir?‘“, meint der Organisationspsychologe Samuel Culbert.

Feedback aktiv einzufordern nimmt die Angst

Angesichts der Tatsache, dass ein negatives Feedback immer spannungsgeladen ist, erscheint es bemerkenswert, wie gut es funktionieren kann, wenn es richtig vermittelt wird. Ich werde meinem Agenten ewig dankbar sein für seine unverblümte Kritik an meinem Romanmanuskript, das ich mit viel Herzblut geschrieben hatte. Tatsächlich war die Stimme des Erzählers, die ich ausgesucht hatte, so gestelzt und unnatürlich geraten, dass sie meinen an sich guten Plot zunichte machte. Hätte mein Agent seine Meinung vorsichtig in „Ich“-Sätze und positive Bestätigungen verpackt, hätte ich wohl nie herausgefunden, was an dem verdammten Ding schief und falsch war. Es half mir aber, dass ich überhaupt nach seiner Meinung gefragt hatte – und ihn mehr oder weniger zur Ehrlichkeit drängte.

Peter Gray würde diesen Punkt unterstreichen, denn er hat in seiner jahrzehntelangen Analyse von Bildungssystemen die Bedeutung des negativen Feedbacks in vielen unterschiedlichen Kontexten beobachten können. Der konstruktivste Austausch, so berichtet er, sei immer der, der vom Lernenden selbst angeregt wird, etwa wenn er einen Lehrer, Mentor oder erfahreneren Studienkollegen um Rat und Hilfe bittet. Kritik wird viel besser angenommen, wenn sie ausdrücklich gefordert wird.

Es liegt wohl in der menschlichen Natur, kein unverlangtes negatives Feedback, eigentlich überhaupt keine unerbetenen Ratschläge erhalten zu wollen. Wir wollen keine Kritik an uns hören, es sei denn, wir sind ausdrücklich bereit zuzuhören.

Kritik nehmen wir nur von Experten an

Nehmen wir den „hilfreichen“ Kollegen, der uns über die Schulter blickt und uns Computertipps gibt, nach denen wir nicht gefragt haben. Sie kennen den Typ: „Ich habe gesehen, dass du für diese Aufgabe zehn Klicks brauchst. Mit einem Makro bräuchtest du nur zwei. Soll ich’s dir zeigen?“ Auch wenn der Vorschlag Ihnen am Ende Zeit und Ärger erspart – selbst wenn der Besserwisser, verdammt noch mal, recht hat, wirkt sein guter Rat wie ein feindlicher Eingriff. Denn zunächst korrigiert er eine unserer Gewohnheiten, er wird übergriffig. Für genau denselben Ratschlag wären wir ihm ewig dankbar, wenn wir darum gebeten hätten.

Und es gibt ein weiteres verbreitetes Problem, das mit negativem Feedback zusammenhängt: Es kommt oft von Menschen, die wir gar nicht als qualifiziert dafür ansehen. Fragen wir jemanden nach seiner Meinung, schreiben wir derjenigen Person explizit die Rolle des Experten zu – von dem wir uns notfalls auch kritisieren lassen. Wenn der Lehrer seinen Schüler benotet und ermutigt, wenn der Trainer aufmuntert und über den Fehlpass schimpft, wenn Eltern über die Schritte ihrer Kinder mit Sorge und Zuwendung wachen – dann liegt alldem das stillschweigende Einverständnis zugrunde, dass Lob und kritische Korrektur Teil der Beziehung sind.

Unerwünschtes Feedback kommt jedoch oft von Menschen, denen wir weder Qualifikation noch Berechtigung zuschreiben. Vielen Stiefeltern ergeht es beispielsweise so. Sie haben es schwer, dieselbe Autorität wie der natürliche Elternteil auszuüben, wenn es um Hausaufgaben, Manieren oder den Umgang mit Gleichaltrigen geht. Ein Kind mag die Bitten oder Zurechtweisungen der eigenen Mutter akzeptierten, es rebelliert aber bei den gleichen Korrekturvorschlägen des Stiefvaters. Dieses typische Problem moderner Patchworkfamilien kann in der Regel nur dann gelöst werden, wenn der natürliche Elternteil dem Partner seine Autorität leiht und ihm beispringt.

Kritik unter Gleichrangigen steht unter Strom

Bei der Arbeit stößt unerbetenes Feedback oft deshalb auf Ablehnung, weil dem Kritiker unterstellt wird, er maße sich eine Autorität an, die ihm nicht zusteht. Unverlangtes Feedback wird dann auch als eine Taktik im Machtspiel verstanden – was gerade unter gleichgestellten Kollegen schnell zu Verstimmungen führt. Selbst ein Kompliment kann dann problematisch wirken, denn Lob auszusprechen ist in der Regel eine Sache von Vorgesetzten oder Chefs.

Besondere Sensibilität für Hierarchien und die Legitimität von Autorität gehört zur evolutionären Grundausstattung der menschlichen Psyche. Auch und gerade in der modernen Arbeitswelt geht es darum, mit anderen zu konkurrieren und ihnen gegenüber den eigenen Status zu festigen oder zu verbessern. Die Kritik unter prinzipiell Gleichrangigen – seien es Kollegen, Freunde, Partner oder Geschwister – steht also immer unter Strom.

In allen Gesprächen, in denen es um Kritik geht, sind intensive Gefühle der Subtext. Mehrere Studien haben gezeigt, dass selbst positives Feedback von einem Vorgesetzten Unbehagen beim Empfänger auslöst, wenn das Lob von „unpassender“ Mimik begleitet wird, die Wut, Ärger oder andere negative Emotionen signalisiert. Auf der anderen Seite kann eine warme und optimistische Mimik negatives Feedback derart entschärfen, dass die Botschaft völlig verlorengeht. Welcher ist also der richtige Ton, um Kritik in einem Gespräch effektiv zu vermitteln?

Wissen, mit wem man spricht

Der Ausdruck von Enttäuschung beim Kritiker zieht den Empfänger der Botschaft am wahrscheinlichsten in eine konstruktive Diskussion. Die Entwicklungspsychologin Eveline Crone von der niederländischen Universität Leiden bezieht sich bei dieser Einschätzung auf Forschungsergebnisse, die zeigen, dass eine „wütende“ Konfrontation bei Menschen Selbstschutz und „Zumachen“ provoziert, wohingegen der Ausdruck von Enttäuschung die Konzentration auf den Sprecher oder die Gruppe lenkt.

Dieser empirische Befund ist ein gutes Argument dafür, Kritik nicht vorzutragen, wenn man selbst (noch) verärgert ist. Der Ärger treibt unvermeidlich einen Keil zwischen Überbringer und Zuhörer, unabhängig von Inhalten oder Absichten.

Es hilft auch zu wissen, zu wem man spricht. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Kritik. Narzissten verstehen sogar die mildeste Kritik als persönlichen Angriff. Bei unsicheren Menschen hingegen kann das komplette Selbstvertrauen verlorengehen. Es gibt aber auch einige wenige Individuen, die bei Feedback jeglicher Art aufblühen. Sie betrachten ihre Fähigkeiten prinzipiell als verbesserbar und formbar und sehen Feedback deshalb nicht als „Urteil ohne Revision“, sondern als Chance, an sich zu arbeiten.

Feedback funktioniert nicht in jedem Alter

Sehr junge Menschen haben vermutlich noch nicht die notwendigen neurologischen Voraussetzungen, um negatives Feedback nutzen zu können. Eveline Crone hat mithilfe bildgebender Verfahren herausgefunden, dass Gehirnregionen, die für das Lernen und die kognitive Kontrolle zuständig sind, bei Erwachsenen nach negativer Kritik hochaktiv sind. Bei Kindern zwischen acht und neun Jahren war dies jedoch nur nach positivem Feedback der Fall.

Die Gehirnregionen, die auf negatives Feedback reagieren und für Leistungsanpassungen wesentlich sind, werden erst im frühen Erwachsenenalter voll funktionsfähig. Diese Gehirnareale unterliegen im Reifeprozess wichtigen strukturellen Veränderungen. Die jungen Erwachsenen sind nun in der Lage, die komplexe Leistung zu erbringen, aus Fehlern zu lernen. Das ist ein kognitiver Drahtseilakt: „Man muss sich selbst genau fragen können, was falsch lief und wie das passieren konnte.“

Ganz egal, wie Kritik serviert wird: Verteidigung ist die natürliche erste Reaktion auf negatives Feedback. Erwarten Sie von sich oder jeder anderen Person keine Heldentaten. Wenn Sie der Empfänger sind, holen Sie tief Luft, es wird vermutlich wehtun. Versuchen Sie, nicht zu viel zu reden. Lehnen Sie sich stattdessen zurück, und lernen Sie. Feedback „konfrontiert Sie mit sich selbst, weshalb es zugleich unglaublich unangenehm und außergewöhnlich wertvoll ist“, schreibt der Unternehmensberater Peter Bregman in der Harvard Business Review. „Es kann ein immens wichtiges Geschenk sein, ein Rezept dafür, wie wir in dieser Welt etwas bewirken können.“

„Hingerotzt und langweilig.“ Im Moment, als ich das gehört hatte, wusste ich, dass mein Agent recht hatte. Auch mein Exfreund hatte recht: Ich bin weder sehr stilbewusst noch distanziert – und war auch angesichts der schmerzhaften Trennung nicht bereit, mich in das coole Glamourgirl zu verwandeln, das er erwartete. Was die Abschlussarbeit meiner Studentin angeht, so lag ich völlig richtig: Sie benötigte wirklich noch jede Menge Feinschliff, was sie später bereitwillig zugab. Die Moral von der Geschicht’? Wenn Sie negatives Feedback erhalten, gehen Sie davon aus, dass es angebracht sein könnte. Und wenn Sie der Überbringer sind: Seien Sie bereit, sich zu ducken.

Delikate Diskussionen

In einer Ehe Feedback zu geben kann eine delikate Angelegenheit sein. In modernen Industriegesellschaften sehen sich Ehepartner in der Regel als ebenbürtig, mit gleichen Rechten, Privilegien und – ja – Autoritäten. Wenn also Max seiner Frau unaufgefordert Verbesserungsvorschläge zu ihrem Fahrstil gibt, erntet er Stirnrunzeln oder heftige Widerworte statt Dankbarkeit. Eltern werden sich bei Erziehungsfragen öfter in die Haare kriegen, während Ehegatten sich nur selten zu einem Thema streiten, in dem der eine ein beidseitig anerkannter Experte ist.

Die wirklich schweren Diskussionen in einer Ehe oder Partnerschaft stehen für gewöhnlich dort an, wo es um individuelle Wünsche oder Bedürfnisse geht, nicht um Fakten oder Fachliches. Hier müssen Autorität und Kompetenz den subjektiven Emotionen den Vortritt lassen. Teilt Ihr Lebenspartner Ihnen mit, dass er sich nicht ausreichend beachtet fühlt, ist das ein Problem, auch wenn Sie denken, dass Sie ihm genügend Beachtung schenken.

Das ist die Differenz zwischen Kritik, die sich auf Externes bezieht (wie Fahrstil, Erziehungsfragen, Finanzielles), und einem Feedback, das im Wesentlichen ein Ausdruck von Gefühlen, Wünschen oder Frust über den Zustand in einer Beziehung ist. In der Regel verbirgt sich dahinter eine Herzensangelegenheit: mehr Freiraum, mehr Intimität, mehr Sex oder mehr Sicherheit. „Du bist zu anhänglich“ heißt normalerweise: „Ich brauche mehr Zeit für mich selbst.“ Wenn sich die zwei Arten von Kritik vermengen, führt das zu unfairen und unproduktiven Auseinandersetzungen. Ein Zank darüber, wohin der Familienurlaub geht, kann in eine Grundsatzdiskussion eskalieren, ob einer der Ehegatten sich genug Zeit für die Familie nimmt. Um solche Ausbrüche zu verhindern, ist es gut, wenn auch nicht einfach, sich selbst und seinem Partner klarzumachen, welche Art von Feedback man in diesem Moment verteilt oder erhält.

Seien Sie sich bewusst, ob Sie nur die Art und Weise kritisieren, wie jemand etwas macht – oder stattdessen nicht doch einen fundamentalen Wunsch oder eine Angst ausdrücken. Und denken Sie daran: Egal ob rational oder nicht, die ursprüngliche Furcht vor einer Trennung lauert in jeder kritischen Diskussion. Das Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln kann reichen, um einen Disput zu entschärfen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2014: Die Sprache des Körpers