Wir alle kennen Situationen, in denen wir uns fragen, warum wir gerade so und nicht anders reagiert haben. Es ist uns ein Rätsel, weshalb die kritische Äußerung einer Kollegin so viel Ärger oder Niedergeschlagenheit auslöst oder warum wir bestimmte Gefühle einfach nicht „fallenlassen“ können. Wie stark Gefühle das gesamte Denken und Handeln beeinflussen, wird etwa deutlich, wenn man sich mit Freunden trifft, die gerade eine Trennung hinter sich haben. Während einige sich offenbar gut und befreit fühlen,…
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trifft, die gerade eine Trennung hinter sich haben. Während einige sich offenbar gut und befreit fühlen, grübeln andere darüber nach, was falsch gelaufen ist und was jetzt werden wird. Wieder andere sind voller Wut auf den Expartner und reden sich bei jedem Treffen so in Rage, dass sie auch noch die letzten Freunde verprellen.
Warum schwanken die Gefühle bei einigen heftig, bei anderen jedoch nicht? Wie gelingt es einigen Menschen, negative Gefühle auszuhalten, um längerfristige, motivierende Ziele zu erreichen, während andere eher nach dem Lustprinzip leben und nach kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung streben?
Sie werden vielleicht denken, dass dies primär durch die Genetik vermittelt ist: Jeder Mensch ist eben anders. Eine Person mit einem eher ängstlichen, vermeidenden Temperament wird häufiger in einer ängstlich getönten Stimmung sein als ein stark extravertierter, optimistischer Mensch. Allerdings muss das nicht zwingend so sein, denn genetische Aspekte beeinflussen zwar Temperamentsmerkmale maßgeblich, sie erklären aber selten mehr als 50 Prozent eines Verhaltens oder emotionalen Stils. Die anderen 50 Prozent sind durch die Umwelt und die aktuellen Konstellationen bedingt.
Ich bin davon überzeugt, dass unser Gefühlsleben und damit auch die unterschiedlichen emotionalen Temperamente am stärksten durch die Art und Weise beeinflusst werden, wie wir unsere Emotionen regulieren. Es ist dabei gar nicht so entscheidend, ob eine bestimmte Emotion, beispielsweise Ärger, aufsteigt, sondern eher, wie lange wir dieser Emotion dann verhaftet bleiben, wie intensiv sie ist und wie wir sie zum Ausdruck bringen.
Wir Menschen unterscheiden uns von allen anderen Lebewesen in der Fähigkeit, Emotionen willentlich zu lenken. Nur der Mensch kann Gefühle ganz gezielt beeinflussen und ist damit nicht mehr Spielball der äußeren Bedingungen. Diese Fähigkeit erlaubt es, frustrierende Handlungen zu planen und auszuführen, um längerfristige Ziele zu erreichen. Eine gelungene Gefühlsregulation ist eine wichtige Voraussetzung für ein „gutes Leben“, für Zufriedenheit und Gesundheit. Ein schöner Nebeneffekt ist die Zunahme der Leistungsfähigkeit.
In Anlehnung an den Psychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman gibt es grob gesagt zwei Stile der Gefühlsregulation. Auf der einen Seite neigen bestimmte Menschen dazu, Probleme und Konflikte in emotional aufgeladenen Situationen „aus dem Bauch heraus“ zu regulieren, sie vertrauen auf ihre Intuition und lassen sich von ihren Gefühlen leiten. Dabei spielen Einzelheiten und der Kontext der Situation eine geringe Rolle. Dieser eher emotionale, intuitive Stil ist in vielen Situationen hilfreich, unter anderem dann, wenn ein Verhalten rasch ausgeführt werden muss (beispielsweise bei einer akuten Bedrohung) oder wenn eine Situation so komplex ist, dass eine detaillierte Analyse gar nicht möglich erscheint.
Problematisch wird es hingegen, wenn dieser Stil ständig und überall praktiziert wird. Speziell in sehr emotionalen Situationen kommt es dann zu wenig hilfreichen Reaktionen wie Katastrophisieren, „Persönlichnehmen“, gefolgt von aggressiven Ausbrüchen, Angst oder Impulshandlungen. Andererseits sind solche impulsiven Menschen emotional präsent, zeigen häufig Mitgefühl, und viele ihrer Mitmenschen fühlen sich emotional mit ihnen verbunden. Sie wirken einfach weniger „verkopft“ und analytisch.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die eher kognitiv, durchdacht wirken, vernünftig erscheinen und ihre Gefühle primär über den Verstand regeln. Diese Personen wirken manchmal einschüchternd, kühl und distanziert. Sie werden als kompetent angesehen, aber bei emotionalen Problemen wendet man sich lieber an jemand anderen. Oft fällt es ihnen schwer, Emotionen überhaupt zu erkennen oder zuzulassen, und sie wirken manchmal etwas unterkühlt. Typische Emotionsregulationsstrategien sind die Unterdrückung von Gefühlen, Rationalisieren, aber auch Problemlösen – selbst wenn ihr Gegenüber eher das Bedürfnis nach einer Umarmung hätte.
Eine zu starke Fokussierung auf eine rein verstandesmäßige Regulation von Gefühlen ist also nicht immer wünschenswert. Damit verbundene Probleme sind die Somatisierung (körperliche Probleme ohne erkennbare Ursache), da Gefühlsunterdrückung längerfristig zu einer Übererregung des autonomen Nervensystems führt. Ein typisches Beispiel ist die rein „rationale“ Reaktion auf einen Todesfall. Die Gefühle, die in dieser Situation wichtig wären, werden abgespalten. Man macht einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Schließlich, so heißt es dann, müsse es ja irgendwie weitergehen.
In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass solche Personen ein erhöhtes Risiko aufweisen, später depressiv zu werden. Das liegt unter anderem daran, dass die unterdrückte Emotion nicht einfach verschwindet. In unserer Familienstudie, in der wir etwa 300 Familien seit zehn Jahren wissenschaftlich begleiten, zeigte sich beispielsweise, dass Personen mit einem stark rationalen Regulationsstil, die zudem noch Probleme beim Erkennen von Gefühlen hatten, ein dreifach erhöhtes Risiko für eine depressive Störung aufwiesen.
Die beiden Formen der Gefühlsregulation (emotional versus kognitiv) stellen allerdings Extreme dar. Bei vielen Menschen ist ein Stil etwas stärker ausgeprägt als der andere. Bei manchen Menschen, etwa bei Personen mit einer Borderlinestörung, spielen die Emotionen oft verrückt, wechseln von einem Extrem ins andere. Gleichzeitig wechseln dann oft auch die Stile im Umgang mit diesen Emotionen, von überemotional bis überkognitiv, so als ob diese Menschen hektisch versuchten, „ihre Mitte zu finden“.
Nur eine Gefühlsregulation, die eine Balance zwischen Emotionalität und Rationalität herstellt, kann längerfristig Gesundheit und Wohlbefinden gewährleisten. Diese Art des Umgangs mit Gefühlen bezeichne ich als intelligente Emotionsregulation. Der Begriff Intelligenz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „zwischen den Dingen auswählen können“. Intelligente Emotionsregulation meint also, gemäß der Situation die richtige Strategie einzusetzen. Das bedeutet, dort emotional zu reagieren, wo es erforderlich ist, aber alternativ auch rational, wenn das der Situation angemessener erscheint. Menschen, die intelligent ihre Gefühle regulieren, tun dies mit einer hohen Flexibilität. Sie sind nicht gezwungen, immer wieder eingefahrenen emotionalen Mustern zu folgen.
Eine intelligente Gefühlsregulation hilft Ihnen dabei, negative Stimmungszustände schnell zu beenden und positive Emotionen zu verstärken. Sie werden damit unabhängiger von äußeren Reizen. Allerdings wäre es falsch, zu glauben, eine intelligente Gefühlsregulation bedeute, dass Sie sich schonen und nur noch Tätigkeiten nachgehen, die Ihnen Spaß machen, oder dass Sie stets freundlich, zuvorkommend und „positiv“ wären. Wenn es darauf ankommt, ist es durchaus angemessen, unfreundlich, möglicherweise sogar aggressiv zu reagieren.
Ein Beispiel: Sie bitten einen Kollegen wiederholt, seine Musik leiser zu drehen, da Sie das bei der Arbeit stört. Sie ärgern sich darüber, dass er so rücksichtslos ist, Sie müssen sich schließlich konzentrieren. Sie zeigen diesen Ärger aber erst einmal nicht. Einige Zeit später ist die Musik wiederum laut. Jetzt geht es darum, deutlicher zu werden, einen schärferen Ton anzuschlagen und den Ärger auch deutlich zu zeigen. Meist reagiert der andere darauf. Hier wäre also Freundlichkeit fehl am Platze.
Welche Strategien sind im Umgang mit Gefühlen hilfreich, welche kontraproduktiv? Wir haben mit unserer Arbeitsgruppe Tausende von Studien der vergangenen zehn Jahre ausgewertet, in denen es um die Auswirkungen verschiedener Emotionsregulationsstrategien auf psychische Störung und Gesundheit ging. Etwa 500 wissenschaftliche Studien genügten unseren Auswahlkriterien und wurden in eine detaillierte Analyse einbezogen. Die nachfolgenden Empfehlungen beruhen zum Teil auf dieser Datenbasis. Hilfreiche Strategien sind: Neubewerten, Akzeptanz, Problemlösen, körperbezogene Strategien wie etwa Atemtechniken sowie Strategien, die dem Erkennen von Emotionen dienen. Folgende Strategien wurden als nicht zielführend oder sogar problematisch beschrieben, weil sie unter anderem Depressivität und Angst erhöhen: erstens Grübeln, zweitens das Unterdrücken von Gedanken oder des Emotionsausdrucks und drittens Vermeidung. Nachfolgend finden Sie einige Hinweise, wie Sie diese drei „Killerstrategien“ überwinden und was Sie ihnen gezielt entgegensetzen können.
Grübeln
Anne hat sehr häufig Streit mit ihrem Ehemann und empfindet dieses Problem als sehr belastend. Sie denkt daher oft über ihre Lage nach, versucht, diese zu verstehen, und stellt sich Fragen wie: „Was habe ich getan, dass er so wütend auf mich ist?“, oder: „Warum schaffe ich es nicht, während eines Streits ruhig zu bleiben?“ Obwohl sich Anne so intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, kommt sie zu keinem Ergebnis. Stattdessen verstrickt sie sich immer mehr in Gedanken und unternimmt keine Versuche, die Konflikte in ihrer Ehe zu lösen. Längerfristig zweifelt sie immer mehr an sich selbst, ihr Selbstwertgefühl sinkt, und sie fühlt sich hilflos.
Kennen Sie Situationen, in denen Sie sich gedanklich immer wieder nur mit einem Thema beschäftigen und dabei das Gefühl haben, „festzustecken“, ohne zu einer Lösung zu kommen? Wenn wir negative Gefühle erleben oder uns in schwierigen Situationen befinden, denken wir manchmal sehr intensiv nach, um unsere Gefühle oder das Problem besser zu verstehen. In den meisten Fällen verhindert das übermäßige Nachdenken jedoch eine erfolgreiche Verbesserung der Situation. Dabei wächst das Gefühl, dass die Lage ausweglos und unüberwindbar ist.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass bereits 15 Minuten Grübeln die Stimmung verschlechtern und körperliche Funktionen negativ beeinflussen kann. Zum Beispiel steigen Blutdruck, Puls und Muskelanspannung. Langfristig führt Grübeln zu depressiver Stimmung und Hilflosigkeitsgefühlen. Was hilft dagegen?
1. Als Erstes ist es wichtig, überhaupt zu erkennen, dass Sie gerade grübeln. Drehen sich Ihre Gedanken ständig um dasselbe Thema, ohne dass Sie eine Lösung finden?
2. Begrenzen Sie Ihre Grübeleien, Problembesichtigungen und negativen Selbstgespräche auf eine Zeit von nicht länger als fünf Minuten. Und am Abend werden grundsätzlich keine Probleme gewälzt! Stellen Sie sich beispielsweise ein Stoppschild vor.
3. Werden Sie aktiv! Stoppen Sie die Gedankenkette, indem Sie etwas Angenehmes tun: Treiben Sie Sport, unternehmen Sie etwas mit anderen oder rufen Sie einen guten Freund an.
4. Nehmen Sie eine distanzierte Haltung ein und bewerten Sie die Dinge neu. Machen Sie einen Schritt rückwärts und betrachten Sie Ihr Problem aus der Ferne: Ist es wirklich so dramatisch?
5. Setzen Sie gezielt eine Problemlösestrategie ein. Zum Beispiel können Sie sich fragen, was genau Sie stört und was konkret verändert werden sollte.
6. Oder machen Sie Power Posing: Nehmen Sie eine selbstbewusste Haltung ein, strecken Sie elanvoll die Arme nach oben aus und atmen Sie tief und gleichmäßig für mindestens zwei Minuten in dieser Position. Erlernen Sie verschiedene Atemtechniken. Eine verlangsamte Atmung beruhigt, und immer weniger besorgniserregende Gedanken steigen auf.
Unterdrückung von Gefühlen
In einem Meeting seiner Abteilung stellt Simon neue Ideen für den kommenden Monat vor. Er ist überzeugt davon, dass seine Ideen die Gewinne des Unternehmens um ein Vielfaches steigern können. Nach seiner Präsentation meldet sich ein Kollege und übt massiv Kritik an Simons Vorschlägen. Mit seinen Aussagen bringt er auch die anderen Teilnehmer des Meetings auf seine Seite. Simon ist sehr aufgebracht und wütend auf seinen Kollegen, da er lange an seinem Konzept gearbeitet hat. Allerdings fürchtet er, sein Gesicht zu verlieren, wenn er seinen Ärger offen zeigt. Er versucht daher, ruhig zu bleiben und einen gelassenen Ausdruck zu bewahren. Er fühlt sich aber noch lange danach aufgewühlt und ärgert sich im Nachhinein, dass er seinen Unmut nicht gezeigt hat.
Was tun Sie, wenn Sie verärgert sind, aber nicht möchten, dass Ihnen jemand diese Gefühle ansieht? Möglicherweise versuchen Sie, Ihre Mimik und Gestik zu kontrollieren und ein Pokerface zu wahren. Diese Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks und Verhaltens wird als Suppression bezeichnet.
In manchen Situationen kann es angebracht erscheinen, seine emotionalen Reaktionen vor dem Umfeld zu verbergen, besonders wenn wir nicht unser Gesicht verlieren und verletzlich erscheinen wollen. Dass die kaschierte Emotion aber weiterhin erlebt wird, ist vor allem bei negativen Gefühlen problematisch. Langfristig ist Suppression mit einer geringeren Lebenszufriedenheit und weniger Wohlbefinden verbunden.
Außerdem erfordert Suppression ein gewisses Maß an geistigen Ressourcen, da die mit der Emotion verbundenen Reaktionen kontinuierlich unterdrückt werden müssen, um nicht nach außen hin sichtbar zu sein. Die dazu notwendige Kontrolle erfordert Aufmerksamkeit, welche dann für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Beispielsweise kann man sich bei einem Vortrag nicht so sehr auf das konzentrieren, was man sagen möchte, wenn man gleichzeitig versucht, möglichst keine Anzeichen von Nervosität sichtbar werden zu lassen. So zeigen psychologische Studien, dass Suppression mit einer verringerten Gedächtnisleistung einhergeht.
Daneben ist die Unterdrückung der emotionalen Reaktion mit einer körperlichen Anspannung verbunden, die sich auch auf die Menschen im Umfeld überträgt. Es herrscht „dicke Luft“. Hinzu kommt, dass man sich selbst als nicht authentisch oder unehrlich den anderen gegenüber wahrnimmt, wenn man sein inneres Erleben nicht preisgibt. Man fühlt sich fremd.
Welche Strategien helfen dabei, Gefühle häufiger auszudrücken?
1. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Emotionen bewusst wahrzunehmen und sie als Ihre Emotionen zu akzeptieren. Spüren Sie in sich hinein. Was nehmen Sie bei sich wahr? Traurigkeit? Enttäuschung? Können Sie der Emotion ein bestimmtes Körperteil zuordnen? Verspüren Sie einen Kloß im Hals, einen Druck auf der Brust? Versuchen Sie, Ihre Wahrnehmungen zu beschreiben und Worte dafür zu finden, allerdings ohne zu bewerten.
2. Wählen Sie Musikstücke oder Filme, die zu Ihrer aktuellen Stimmung passen und die es Ihnen dadurch erleichtern, Ihre aktuellen Gefühle auszudrücken. Alternativ können Sie sich auch bewusst Filme anschauen, die solche Emotionen hervorrufen, die Sie häufig nicht zeigen. Das können fröhliche Filme oder auch melancholische oder rührende Filme sein.
3. Formulieren Sie einen Dankesbrief an jemanden, der Ihnen sehr geholfen hat. Lassen Sie dabei Ihren Emotionen freien Lauf. Tagebuchtechniken, in denen Sie sehr detailliert Ihre Gefühle und auslösende Situationen beschreiben, sind ebenso hilfreich. Schildern Sie, was Sie gefühlt haben, ohne diese Gefühle zu analysieren oder zu kommentieren.
4. Seien Sie freundlich, machen Sie mal ein Kompliment, lächeln Sie häufiger, beobachten Sie dabei, wie andere auf Sie reagieren und was das mit Ihrer eigenen Stimmung macht.
Vermeidung negativer Gefühle
Marie wird von einer Bekannten angerufen, die sie einlädt, mit ihr und einigen Freundinnen einen Film im Kino anzusehen. Sie kennt diese Leute jedoch kaum und fühlt sich verunsichert. Sie erinnert sich an eine Situation, in der sie eine ähnliche Einladung angenommen hatte. Damals verbrachte sie jedoch keinen schönen Abend, da sie mit den anderen nur schwer ins Gespräch gekommen war. Marie befürchtet nun, dass sie erneut eine derartige Situation erleben könnte. Aus diesem Grund lehnt sie ab und verbringt den Abend zu Hause, obwohl sie den Film eigentlich gern gesehen hätte. Wenngleich sie sich nach der Absage erst erleichtert fühlt, setzt bald darauf eine eher traurige Stimmung ein. Sie bedauert, nicht dabei zu sein.
Es gibt Situationen, vor denen wir uns sehr fürchten und denen wir – wann immer es möglich ist – lieber ausweichen. Vermeidung beschreibt diese Tendenz, ungewollte Situationen zu umgehen. Ziel von Vermeidung ist, negative Emotionen und deren körperliche Aspekte wie Schwitzen, Schwindel, ein Gefühl der Unwirklichkeit, Bauchschmerzen und Anspannung gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Eine häufig angewandte Form der Vermeidung ist der Konsum von Alkohol. Alkohol hat eine angstlösende und stimmungsaufhellende Wirkung. Man wird einfach lockerer, die Laune verbessert sich, zum Teil bis zur Euphorie. Allerdings beruhigt Alkohol nur kurzfristig die Nerven. Langfristig verstärkt er sogar die Angst. Die Folge: Immer mehr Alkohol muss konsumiert werden, um den beruhigenden Effekt zu erreichen.
Das Vermeiden negativer Gefühle, Gedanken und Situationen ist eine selbstschützende Strategie. Was als kurzfristiges Mittel gegen Angst und Unsicherheit meist harmlos ist, kann als dauerhafte Strategie schlimme Folgen haben: Marie schränkt ihre sozialen Kontakte immer stärker ein und fühlt sich schließlich einsam. Da sie dadurch nicht lernen kann, wie man solche Situationen bewältigt, wird sie zunehmend unsicher und zweifelt immer stärker an sich selbst. Dies wiederum verstärkt ihre Vermeidungstendenz und resultiert in einem Teufelskreis, der zu immer mehr Angst und Unsicherheit führt. Wie kann man ihm entrinnen?
1. Entscheiden Sie sich ganz bewusst dafür, eine angstbesetzte Situation immer wieder aufzusuchen. „Just do it!“ Exposition ist der Fachbegriff dafür, sich einer angstauslösenden Situation bewusst auszusetzen. Das kann erst einmal stressig sein – schließlich vermeiden Sie die Situation ja nicht ohne Grund. Doch dann macht man die Erfahrung, dass die Angstgefühle immer schwächer werden, je länger man dort verweilt. Angst bringt einen nicht um, und entgegen den Befürchtungen vieler meiner Patienten führt sie auch nicht dazu, „durchzudrehen“, sondern bildet sich nach einer Weile zurück.
2. Dies geht umso schneller, je mehr Sie Ihre Angstgefühle akzeptieren, anstatt dagegen anzukämpfen. Akzeptanz meint das Annehmen der eigenen Emotionen, wie sie aktuell erlebt werden, ohne diese dabei zu bewerten oder zu verurteilen. Dabei werden die Gefühle, Gedanken und körperlichen Empfindungen hingenommen, es wird jedoch kein Versuch einer Veränderung, Kontrolle oder Vermeidung unternommen. Akzeptanz umfasst also die Bereitschaft, die inneren Erfahrungen anzunehmen und zu erleben, selbst wenn diese unangenehm sind. Dazu gehört auch das Wissen, dass diese Gefühle nicht ewig andauern, sondern sich mit der Zeit verändern oder abschwächen werden.
Sven Barnow ist Universitätsprofessor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Heidelberg, er leitet den gleichnamigen Lehrstuhl und die Psychotherapeutische Hochschulambulanz. Dieser Text ist ein bearbeiteter Auszug aus seinem Selbsthilfebuch Gefühle im Griff! Wozu man Emotionen braucht und wie man sie reguliert, das am 1. Februar 2014 beim Springer-Verlag (Berlin, Heidelberg) erscheinen wird; Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
Barnows Programm zur Gefühlsregulation wird auch als Gruppentraining an der Heidelberger Hochschulambulanz angeboten. Dessen Wirksamkeit wird dabei wissenschaftlich überprüft. Erste Ergebnisse zeigen, dass mehr als 90 Prozent der Teilnehmer von dem Training profitiert haben.
E-Mail: hochschulambulanz@psychologie.uni-heidelberg.de, Tel. 06221/547643.
Am Freitag, 14. Februar 2014, veranstalten Barnow und seine Kollegen in Heidelberg das Symposium „Gefühle im Griff?! – Emotionsregulation, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl“ mit Vorträgen und therapeutischen Workshops: www.emotionsregulation.uni-hd.de
Die 7 Gesichter der Emotion
Wie viele Gefühle können wir eigentlich empfinden? Im Prinzip: unendlich viele, denn jeder Gemütszustand unterscheidet sich von allen anderen. Doch letztlich sind sie alle Variationen von nur sieben Grundemotionen. Davon ist der berühmte amerikanische Psychologe und Anthropologe Paul Ekman überzeugt. Diese sieben Basisemotionen spiegeln sich im Gesichtsausdruck und werden nach Ekmans Forschungen in allen Kulturen rund um den Globus erkannt. Laut Ekman sind sie eine anthropologische Konstante, eine Mitgift der Evolution. Die Berliner Fotografin Djamila Grossman hat Ekmans Grundemotionen für diesen Beitrag in Szene gesetzt. Es sind: Überraschung, Freude, Angst, Traurigkeit, Wut, Verachtung und Ekel.