Ein Grundkurs in Sinnfindung

Wie gelingt ein erfülltes Dasein? Drei Yale-Theologen fassen ihre Seminare in einem Buch zusammen und zeigen, wie wir unseren Lebenssinn erkunden.

Oh nein – noch ein neues spirituelles Ratgeberbuch?! Zum Glück ist das ein Vorurteil, denn dieses Werk gibt keine allgemeingültigen Antworten. Vor allem stellt es auf einladende Weise kluge Fragen, die Leserinnen und Leser freundlich-direkt in die existenziellen Tiefen der eigenen Person führen und dafür plädieren, Kontakt zur eigenen Sinnspur aufzunehmen und dieser zu folgen. Damit hebt sich dieses Arbeitsbuch wohltuend von der Schar vollmundiger Coachingversprechen einschlägiger Psychogurus ab.

Die drei Yale-Professoren wenden eine andere, genauer eine philosophische Methode an. Nach ihrer Überzeugung kann die Frage nach dem richtigen, gelingenden und erfüllenden Leben nur von der fragenden Person selbst beantwortet werden.

Meinungsunterschiede sind erwünscht

Die drei christlichen Theologen laden ein, sich den tieferen Fragen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Sinn zu stellen: Was lohnt sich, gewollt zu werden? Und: Wem gegenüber sind wir Rechenschaft schuldig? Mit vielen anschaulichen Beispielen aus dem Alltag und der Philosophie- und Religionsgeschichte kommen in den systematisch angelegten Kapiteln die Nachbarin, ein Freund, Aristoteles, Platon und Nietzsche, aber auch Religionsstifter wie Buddha, Konfuzius, Mohammed und Jesus zu Wort.

Den Leser erwartet eine kurzweilige und erfahrungsreiche Reise zu den Knotenpunkten ethisch-moralischer Konflikte in interreligiöser Offenheit. Obwohl die Autoren ihren christlichen Standpunkt nicht verleugnen, ist ihnen eine ausgewogene Übersicht und alltagsnahe Hinführung zu den existenziellen Grundfragen des Menschseins gelungen. Von Beginn an wird unterstrichen, dass bei den Werturteilen Meinungsverschiedenheiten ausdrücklich erwünscht und Teil dieses Formats seien.

Eine Reise zur Selbsttranszendenz

Die drei Kollegen aus Yale führen schon seit vielen Jahre an ihrer Universität das überaus stark nachgefragte Seminar A Life Worth Living durch, das viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer als lebensverändernd bewertet haben. Ihre Zufriedenheit sei angestiegen und sie hätten danach ihren Alltag als sinnerfüllter erlebt. Die Autoren haben den Prozess dieses Seminars nun in Buchform zusammengefasst und stellen ihn als eine Art Tiefseetauchgang vor.

Mit den Lesenden tauchen sie hinab, durch den Bereich des automatischen, reflexiven Handelns hindurch, um durch Selbstreflexion zur Selbsttranszendenz zu gelangen. Am Ende jedes Tauchgangs – nachdem nämlich entdeckt wurde, was die betreffende Person tatsächlich für erstrebenswert hält – führt der Kurs wieder an die Oberfläche zurück, in den Alltag, um die Einsicht handelnd umzusetzen.

Das Buch bietet ganz nebenbei einen gut lesbaren Einstieg in das Weltbild des Buddhismus, die Lehre des Konfuzius vom guten Leben, die Gottesvorstellung im Islam oder die Praxis der Gewissenserforschung im Christentum. Vor allem aber werden die Leserinnen an die Hand genommen, sich mit den wesentlichen Lebensfragen auseinanderzusetzen und besser zu erkennen, was im eigenen Leben wirklich wichtig ist und wie diese Erkenntnisse im Alltag umgesetzt werden können.

Miroslav Volf, Matthew Croasmun, Ryan McAnnally-Linz: Life Worth Living. Wofür es sich zu leben lohnt. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Liebl. Kösel 2023, 351 S., € 24,-

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