Paartherapie: Wenn Worte allein nicht mehr helfen

Therapiestunde: Die verbale Kommunikation gerät manchmal an ihre Grenzen. Mit Worten geht es für das Paar gerade nicht mehr weiter. Wie dann?

Ein Paar, das sich inniglich umarmt, sitzt auf einer Sprechblase
Wenn bloße Worte an ihre Grenzen stoßen, kann Paaren der Wechsel auf die körperliche Ebene weiterhelfen. © Michel Streich für Psychologie Heute

Heute betreten Lydia und Stefan meine Praxis. Das Thema unserer Sitzung steht bereits fest. Ich soll das Paar an einer Stelle unterstützen, an der es an Grenzen gekommen ist. Es geht um den Umgang mit Verletzungen. Sie hängen mit einer Affäre von Stefan zusammen, die bereits seit längerem beendet ist. Dabei geht es aber nicht mehr so sehr um die Verletzungen Lydias durch die Affäre selbst, sondern um Stefans Umgang mit Lydias Bedürfnissen in der Zeit danach.

Lydia hatte nach dem ersten Schock für sich einen…

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Umgang mit Lydias Bedürfnissen in der Zeit danach.

Lydia hatte nach dem ersten Schock für sich einen Weg gefunden, relativ schnell nach vorn zu blicken, Stefan die Affäre klar beendet. In der Folge war er allerdings immer wieder mit seinen eigenen Schuldgefühlen sowohl seiner Frau als auch seiner ehemaligen Geliebten gegenüber beschäftigt. Gleichzeitig war er sich nicht sicher, ob er sich mit seiner Frau noch eine glückliche Zukunft vorstellen konnte. Schon vor der Affäre hatte er oft im Gefühl gelebt, in ihren Augen unzulänglich zu sein und sich vor ihrer Kritik hüten zu müssen. Er wollte so gerne mehr Spielraum in seinem Leben haben.

Lydia spürte diese Mixtur aus schlechtem Gewissen und Distanziertheit und lebte in dem Gefühl, stets vorsichtig mit Stefan umgehen zu müssen, auch wenn sie aus ihrer Sicht berechtigte Wünsche an ihn hatte. Trotz dieser Schwierigkeiten arbeiteten Stefan und Lydia sich Schritt für Schritt mit vielen Gesprächen durch das Geschehene und seine Folgen. Stefan stellte sich Lydias Fragen, und sie sprachen so intim und ehrlich miteinander wie lange nicht.

Was ist es, das schmerzt?

Zur Paartherapie kamen die beiden, nachdem in einem dieser klärenden Gespräche ein weiteres verletzendes Detail aus der Vergangenheit zur Sprache gekommen war, das in Stefan so starke Schuldgefühle Lydia gegenüber auslöste, dass er in einem tiefen Brunnen aus Scham zu versinken schien, sprich: mit eigenen Gefühlen so beschäftigt war, dass Lydia sich zum wiederholten Mal mit den ihren durch und durch alleingelassen fühlte. Lydia wurde darüber wütend: „Ich kann jetzt nicht mehr – die ganze Zeit halte ich die Fahne für uns hoch, obwohl ich ungefragt in diese beschissene Situation gekommen bin. Und wenn ich einmal wirklich verletzt bin, bist du schon wieder mit dir selbst beschäftigt!“

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In der Therapie haben wir bereits herausgearbeitet, wie das Zusammenspiel zwischen Stefans Furcht vor Kritik, seine Rückzugstendenz, und Lydias praktisch-direkter Art, Situationen anzugehen und dabei eher forsch zu erscheinen (anstatt zu zeigen, dass sie sich gerne mal anlehnen würde), bei beiden immer wieder das Gefühl hinterlassen konnte, nicht gut gesehen und gemocht zu sein. Dieses Muster kennen sie schon lange, in der aktuellen Situa­tion ist es hochaktiv.

Dies zeigt sich unmittelbar, als ich Lydia in unserem heutigen Gespräch einlade zu offenbaren, worin sie sich so verletzt sieht. Zuerst ist sie im Ton recht bestimmt. Sie sagt wenig über ihr Inneres, erklärt mehr, was aus ihrer Sicht anders laufen müsste. Ich frage sie, was sie in sich wahrnehmen könne, während sie spricht. Spannung, Verzweiflung. Und was ist es, das sie schmerzt? Ihrem Gesichtsausdruck ist anzusehen, wie schwer ihr fällt, das auszudrücken.

Schutzreflexe verhindern Nähe

Ich versuche, sie mit meinen Worten zu unterstützen, zu erforschen, was denn der Kern ihres Schmerzes sein könnte. Zwei Dinge sind es schließlich. „Ich fühle mich doppelt verlassen. Durch diese Sache. Und jetzt weil er für mich immer wieder unerreichbar scheint. Ich wünsche mir, dass ich von ihm getröstet werde, dass ich traurig sein darf, er es versteht und mich aushält. Dass er mir damit zeigt, dass ich ihm wichtig bin.“ Als sie es so sagen kann, kämpft Lydia mit den Tränen.

Normalerweise ist solch ein Moment authentischer Gefühlsäußerung ideal, um eine Reaktion des Mitgefühls beim Partner zu erhalten. Ich wage eine erste Runde und frage Stefan, was er verstanden habe von ihrem Schmerz und wie es für ihn sei, das zu hören. Er probiert es, stottert und verheddert sich, wechselt schließlich den Fokus, statt auf sie einzugehen. Die Enttäuschung steht Lydia ins Gesicht geschrieben. Sie kann sich nicht lange verletzlich zeigen, schon legt sich eine ärgerlich-vorwurfsvolle Hülle um sie.

Auch Stefans Miene verfinstert sich, darunter schiere Verzweiflung. Wir erleben alle drei, wie sein Schutzreflex anspringt. Er sagt, die Angst, den Punkt wieder nicht zu treffen, sie zu enttäuschen, lähme ihn. Und das sei ja nun auch erreicht. Er ist frustriert, ärgerlich auf sich selbst. Ich denke mir zudem, dass es sich für ihn vielleicht zu bedrohlich anfühlt, ihren Schmerz wirklich ganz an sich heranzulassen, weil seine Scham, seine ohnehin starken Schuldgefühle ihn dann zu erdrücken, pathetisch gesagt: existenziell zu vernichten drohen.

Er nimmt sie an sein Herz

In diesem Moment wechsle ich innerlich auf eine andere Ebene. Wir können alle Prozesse in Körpergesten übersetzen. Dies ist besonders hilfreich, wenn die verbale Kommunikation an eine Grenze kommt oder den Prozess blockiert. Als ich ein inneres Bild davon habe, um was es im Wesentlichen zwischen diesen beiden Menschen gehen könnte, lade ich die beiden zum Ebenenwechsel ein:

„Ich schlage Ihnen vor, dass wir im Moment die Worte mal beiseitelassen. Darf ich Sie, Stefan, bitten, Ihre Frau einfach einige Augenblicke im Arm zu halten, während sie ihren Kopf an Ihrer Brust ruhen lässt? Wäre das für Sie in Ordnung, das mal zu tun, Lydia? Dabei können Sie ohne Worte das Wesentliche tun. Sich in Ihrem Schmerz bei Stefan anlehnen, und er nimmt Sie sozusagen an sein Herz.“

Die beiden schauen mich erst überrascht an, dann überprüfen sie beieinander mit Blicken und Nicken, ob der, die andere bereit ist. Ich ermutige sie, auf der Couch näher zusammenzurücken und darauf zu achten, dass beide bequem in dieser Haltung für einige Zeit sein können. Lydia legt zögernd ihren Kopf an Stefans Brust, er legt einen Arm um sie und berührt mit der anderen nach einer Weile ihren Kopf, streichelt diesen sanft.

Wer ist da? Was für ein Körper? Was spüre ich?

„Ich bitte Sie, nicht zu sprechen, sondern zu spüren: Wie ist es, so miteinander zu sein, jetzt, wo Lydia gerade gesagt hat, was ihr so wehtut, was sie braucht?“ An Stefan gerichtet: „Im Moment gibt es nichts richtig oder falsch zu machen. Sie dürfen einfach mit allen Sinnen wahrnehmen: Wer ist da? Was für ein Körper? Was spüre ich? Hier ist diese Frau…, was nehmen Sie von ihr wahr? Sie ist warm? Sie weint? Sie hat Schmerzen? Und wie ist es, sie so zu halten? Wie fühlt es sich an?“ Und an Lydia gerichtet, deren Tränen mittlerweile fließen: „Wie ist das? Tut es gut?“ „Ja. Es tut gut.“ „Spüren Sie seine Anwesenheit?“ „Ja, er hält mich und er streichelt mich ganz sacht.“ „Tut das gut?“ „Sehr.“ „Gilt es?“ „Ja, es gilt.“

Ihre Atemzüge werden tiefer. Wieder zu Stefan: „Wie geht es Ihnen?“ Er sieht etwas mitgenommen aus, aber auf gute Weise mitgenommen. „Es ist schön, sie zu halten. Ich glaube, sie hat sich etwas entspannt.“ Lydia gluckst zwischen Tränen und Lachen. Sie riskieren Blickkontakt. Stefan setzt an: „Weißt du, es macht mir ganz viel aus, wenn du meinetwegen leidest. Du bist mir wichtig.“ „Ich weiß.“ „Lassen Sie die Worte noch für einen Moment ruhen und bleiben Sie noch eine kleine Weile so miteinander. Kostet es Mühe?“ „Eigentlich nicht!“ Geschafft! Die erwünschte Verbindung ist für heute hergestellt.

Das Paar wird diese körperliche Figur mitnehmen und zu Hause praktizieren. Stefan und Lydia nennen sie „die kleine Weile“, sie wird zum feststehenden Begriff. Zwei Sitzungen später fragt Lydia, ob es ihr eigentlich schlechtgehen müsse, wenn sie das machen. Denn darauf habe sie nicht so große Lust. Umso besser, nun können sie über den Körperkontakt sowohl schwierige als auch gute Momente erfahren. Das verändert nicht mit einem Mal das große Ganze, aber das große Ganze im Kleinen.

Angelika Eck ist promovierte Diplompsychologin und systemische Einzel-, Paar- und Sexualtherapeutin in eigener Praxis. Das von ihr herausgegebene Buch Der erotische Raum. Fragen der weiblichen Sexualität in der Therapie ist bei Carl-Auer erschienen. Unter life­lessons.de ist ihre praktische therapeutische Arbeit zu sehen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2023: Woher weiß ich, wer du bist?