Glücksquelle Verbundenheit: Über ein tiefes menschliches Bedürfnis

Wie wichtig Verbundenheit ist, haben viele erst in der Pandemie herausgefunden. Zwei Bücher zeigen, wie wir die tiefe Sehnsucht danach stillen können.

Wie wichtig Verbundenheit für das Wohlbefinden ist, haben viele Menschen erst in der Pandemie herausgefunden. In Zeiten der Lockdowns fehlten Nähe und Gemeinschaft. Der Büchermarkt hat die vernachlässigten Bedürfnisse schnell erkannt: In den Jahren 2019 und 2020 erschienen in Deutschland etwa 170 Bücher zum Thema Verbundenheit – in den Jahren 2021 und 2022 waren es rund doppelt so viele.

Diese Veröffentlichungen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: in jene, die Verbundenheit im Kontext der Pandemie diskutieren, und jene, in denen Covid-19 keine Rolle spielt. Zu der ersten gehört Bettina Pauses Buch, zu der zweiten das Buch von Anton Bucher.

Pause ist eine renommierte Forscherin auf dem Gebiet der Geruchspsychologie und der sozialen Kommunikation. „Verbundenheit macht glücklich“, schreibt sie in ihrer Einleitung. „Und nun folgen wir ihrer Fährte…“ Von dieser Fährte kommt die Autorin leider immer wieder ab, oftmals um die Pandemie zu thematisieren. Beispielsweise trägt Pause in einem fünfseitigen Unterkapitel mit dem Titel „Sinn und Unsinn der FFP2-Maske“ Situationen aus ihrem Alltag sowie offizielle Empfehlungen zusammen.

Obgleich Masken den Geruchssinn hemmen und dadurch mit dem Forschungsschwerpunkt der Autorin zusammenhängen, wird nicht deutlich, wie dieser Verweis auf die Pandemie unser Verständnis von Verbundenheit fördern soll.

Es will der Autorin grundsätzlich nicht recht gelingen, Forschung zur Verbundenheit und Pandemie in Einklang zu bringen, trotz der Unterstützung von Ghostwriterin Shirley Michaela Seul. Pause verlässt sich größtenteils auf bekannte Studien, ohne sie im Kontext der Pandemie neu zu interpretieren. So bietet sie den Leserinnen und Lesern nichts, was diese nicht längst wissen: Verbundenheit tut gut und fördert Gesundheit sowie Lebensqualität – ihre Abwesenheit wirkt wiederum belastend. Es braucht beispielsweise kein ganzes Kapitel mit dem unglücklichen Titel „Stress stresst!“, um dies zu erkennen.

Verbundenheit zu Menschen, Natur und Übernatürlichem

Auch ist Pauses Buch eher ungünstig strukturiert. Seine elf Kapitel hätten besser miteinander verbunden werden können. So hätte Kapitel fünf („Menschen wollen Freunde sein“) etwa dem zehnten Kapitel („Das hohe Gut der Freundschaft“) voranstehen und es pas­send einleiten können. In dem Buch der Forscherin geht es grundsätzlich turbulent zu. Auf einer Seite spricht sie von Geschlechterunterschieden (S.164), auf der nächsten von Selbstwert (S.165), auf der übernächsten dann von Familienbanden (S.166) und anschließend von der Geruchspsychologie (S.167). All die Themen haben mal mehr, mal deutlich weniger mit Verbundenheit zu tun.

Trotz Pauses vielen Themensprüngen bleibt die Verbundenheit in ihrem Buch eng definiert: Die Autorin konzentriert sich primär auf das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Menschen. Das ist beim Religionspädagogen Bucher anders. Der Autor bedient sich nicht nur psychologischer Studien, um der Komplexität der Verbundenheit auf die Spur zu kommen. Er geht beispielsweise auch auf einzelne Überlegungen aus der Quantenphysik und ausgewählte ethnografische Einsichten ein. Das ermöglicht ihm, Verbundenheit deutlich breiter zu definieren: In seinem sorgfältig aufgebauten, zügig voranschreitenden Buch begegnen wir neben der sozialen Verbundenheit unter anderem auch der Naturverbundenheit sowie der Verbundenheit mit dem Transzendentalen wie sie gläubige oder spirituelle Menschen erfahren.

Es gibt einen grundlegenden Unterschied in der Vorgehensweise der zwei Schreibenden. Pause bedient sich immer wieder selbstverständlicher Beobachtungen. „Ohne Verbindung können wir Menschen als soziale Wesen nicht leben“, schreibt sie an einer Stelle. An anderer hält sie fest: „Alle atmen dieselbe Luft. Ein und aus. Durch unseren Atem sind wir verbunden.“

Autor Bucher verzichtet auf Offensichtliches. Seine Beschreibungen sind deutlich kreativer. „Eine große Buche atmet in einer Stunde 1,7 Kilogramm Sauerstoff aus, wovon 50 Menschen eine Stunde lang leben können“, schreibt er – und veranschaulicht Verbundenheit immer wieder auf solch schlichte, jedoch interessante Weise.

Einladung zur Öffnung im Alltag

Wie Pause bietet auch Bucher keine wissenschaftlich neuen Einblicke. Er verlässt sich unter anderem auf die etablierten Erkenntnisse zu Spiegelneuronen, um Verbundenheit zu unseren Mitmenschen als etwas biologisch Verankertes und elementar Wichtiges zu verdeutlichen. Aber anders als Pause zeigt Bucher, wie Menschen das biologische Bedürfnis über Jahrtausende hinweg ihren Kulturen einverleibt haben, etwa als literarische Werke. Anton Bucher bedient sich zahlreicher Beispiele, darunter des Epos Gilgamesch. In dem ältesten schriftlichen Werk der Menschheit spielt die freundschaftliche Verbundenheit eine wichtige Rolle. Dank Buchers Beispielen wird das komplexe Bedürfnis nach Bindung zu anderen Menschen sowohl konkret als auch leicht nachvollziehbar.

Schade nur, dass der Autor seiner Leserschaft kein Literaturverzeichnis bietet. Zwar benennt er seine Quellen sehr genau, wodurch sein 144-seitiges Werk knapp 500 Fußnoten aufweist. Aber in diesen Quellangaben die zwei oder drei Bücher herauszusuchen, die einen interessieren, kann mühsam sein.

Dennoch ist Anton Buchers Lektüre ein lehrreiches Lesevergnügen, das uns nicht gleich wieder verlässt, sobald wir es zur Seite legen, sondern in positiven Gefühlen nachwirkt. Denn er führt nicht nur die vielfältigen Ausprägungen der Verbundenheit vor Augen, sondern auch ihre Allgegenwart. Sein Buch ist keine Medizin für die pandemiebedingte Isolation und Einsamkeit. Aber es ist eine gelungene Einladung, uns im Alltag wieder verstärkt für unsere soziale und natürliche Umwelt zu öffnen.

Anton A. Bucher: Verbundenheit. Über eines der tiefsten menschlichen Bedürfnisse. Waxmann, Münster 2022, 144 S., € 22,90

Bettina M. Pause (mit Shirley Michaela Seul): Verbundenheit. Das starke Gefühl, das uns glücklich und gesund macht. Scorpio, München 2022, 235 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2023: Schüchtern glücklich sein
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