Warum reicht die bisherige psychologische Forschung zum Klimawandel nicht aus?

Die psychologische Forschung muss an die Herausforderung des Klimawandels angepasst werden. Was „Kipppunkte“ damit zu tun haben, erklärt Lilla Gurtner.

Eine Frau mit schwarz lackierten Fingernägeln sucht etwas auf einer Weltkugel
Wie eine Energiewende, braucht es auch eine Konsumwende, um den nachhaltigen Fortbestand der Erde zu sichern. © FemmeCurieuse/photocase.de

Sie schlagen eine an die Herausforderungen des Klimawandels angepasste Forschungsagenda für die Psychologie vor. Warum?

Es ist wichtig, bisherige Erkenntnisse aus der Psychologie anzuwenden – über Angst, Stress, Resilienz, Abwehrmechanismen oder Problemlösefähigkeiten. Aber das wird angesichts der Dringlichkeit des Themas nicht ausreichen. Deshalb schlagen meine Kollegin Stephanie Moser und ich vor, die Fragestellungen der Psychologie zu erweitern. Es fehlen psychologische Antworten auf Fragen wie: Wie können wir Menschen in westlichen Ländern dafür gewinnen, geringeren Konsum zu akzeptieren?

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat die Rahmenbedingungen für menschliche Existenz in ein sehr bekannt gewordenes Modell gefasst: Die Menschheit befindet sich in einem Donut. Die innere Grenze zeigt: Menschen brauchen für ein gutes Leben ein bestimmtes Mindestmaß an Ressourcen. Die äußere Grenze setzt die Regenerationsfähigkeit des Planeten: wie viel Ressourcenentnahme ist noch verträglich für ein stabiles Klima, genug Biodiversität, gesunde Ozeane und Böden?

Was sollte psychologische Forschung anders machen?

Der Klimawandel wird für Menschen im Westen zu Verlusten führen, sei es, dass sie weniger fliegen können, sei es, dass sie auf Wälder, wie wir sie kennen, verzichten müssen. Was hilft hier gegen Verlustaversion und Angst vor Veränderungen? Außerdem brauchen wir Wissen über Personengruppen, die die gesellschaftlichen Veränderungen stark mitprägen können.

Erstens: Klimaaktivistinnen und -aktivisten müssen sich engagieren können, ohne dass einzelne Beteiligte einen zu hohen Preis dafür bezahlen. Aktuell gibt es innerhalb kurzer Zeit immer wieder neue Generationen, die sich mühsam das Wissen der ausgebrannten Vorgängerinnen und Vorgänger aneignen müssen.

Zweitens: Die Generationen zwischen 1946 und 1964 haben großes Gewicht als Wählerinnen und Konsumenten. Wie können wir sie dazu motivieren, ihre Ressourcen für mehr Klimaschutz einzusetzen?

Drittens: reiche Menschen. Hier brauchen wir Antworten darauf, wie diese Gruppe ihre Statuskommunikation vom Ressourcenverbrauch entkoppeln kann und wie sie sich motivieren lässt, ihre Machtpositionen für den Klimaschutz zu nutzen.

Damit die drei Gruppen gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben, sagen Sie, sei es wichtig, sogenannte soziale Kipppunkte auszulösen. Was bedeutet das?

Von Ökosystemen, etwa Korallenriffen oder Seen, weiß man, dass an sogenannten Kipppunkten eine kleine Veränderung – etwa ein kleiner Temperaturanstieg – das ganze System stark und unwiderruflich verändern kann. Ähnliche Mechanismen gibt es auch auf der sozialen Ebene: Solaranlagen waren lange ein Nischenphänomen. Nun sind sie – dank staatlicher Subventionen und gestiegener Preise für fossile Energie – heiß begehrt. Analog zu dieser Energiewende brauchen wir eine „Materialwende“, in der wir andere Formen des Konsumierens zum Mainstream machen. Die drei Gruppen können Kippdynamiken in diese Richtung beschleunigen.

Lilla Gurtner ist Psychologin und forscht am Centre for Development and Environment der Universität Bern.

Quelle

Lilla Gurtner, Stephanie Moser: The where, how and who of mitigating climate change: A targeted research agenda for psychology. Journal of Environmental Psychology, 2024. DOI: 10.1016/j.jenvp.2024.102250

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2024: Glückliche Stunde gesucht
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